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Wechseljahre? Zappelige Kinder? Zu viel Cholesterin? Schüchtern? Bluthochdruck? Chronisch müde? Lassen Sie sich nicht für krank verkaufen - Sie sind gesünder, als Sie denken! Jörg Blech enthüllt, wie wir systematisch zu Patienten gemacht werden und wie wir uns davor schützen können.

Produktbeschreibung
Wechseljahre? Zappelige Kinder? Zu viel Cholesterin? Schüchtern? Bluthochdruck? Chronisch müde? Lassen Sie sich nicht für krank verkaufen - Sie sind gesünder, als Sie denken! Jörg Blech enthüllt, wie wir systematisch zu Patienten gemacht werden und wie wir uns davor schützen können.

Autorenporträt
Seit seinem Enthüllungsbuch ¿Die Krankheitserfinder¿ hat sich der studierte Biochemiker Jörg Blech als Autor etabliert, der den Dingen auf den Grund geht. Sein Buch löste eine bundesweite Debatte über das Ausufern der Medizin aus und stand auf Platz 1 der Bestsellerliste. Das Schreiben hat Jörg Blech an der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg gelernt. Er war Wissenschaftsredakteur der ¿Zeit¿ und ist nunmehr Mitglied der SPIEGEL-Redaktion. Seine Bestseller ¿Heillose Medizin¿ und ¿Die Heilkraft der Bewegung¿ sowie sein zum Klassiker gewordener Erstling ¿Das Leben auf dem Menschen¿ erscheinen im Fischer Taschenbuch.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.09.2003

Die Pille für Gesunde
Jörg Blech therapiert den eingebildeten Kranken
Dieses Buch wird nicht viele Freunde finden, nicht unter Ärzten, nicht in Kreisen der Pharmaindustrie und auch nicht unter Patienten. Vor allem den Patienten wird es den ungetrübten Spaß am Arztbesuch nehmen. Spiegel-Autor Jörg Blech schreibt gegen die fortschreitende Medikalisierung unserer Gesellschaft an. Seine Arbeitshypothese lautet: Weil den Pharmakonzernen und der Medizin seit Jahrzehnten kein großer Wurf gelungen ist, erfinden sie neue oder definieren alte Krankheiten um. Ein Drittel ihres Geldes setzt die Pharmaindustrie für Marketing ein. Da gegen die bestehenden, am Gesundheits-Markt bereits eingeführten Krankheiten keine neuen, wirksamen Therapien mehr gefunden werden, müssen eben zu den bereits am Markt eingeführten Therapien neue, passende Krankheiten erfunden werden.
„Erektionsstörungen. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt. Ich würde es tun”, behauptet der frühere brasilianische Fußballstar Pelé in großformatigen Anzeigen. Pelé wirbt für eine Krankheit, die es noch nicht gibt und die im Medizinerjargon „erektile Dysfunktion” genannt wird. Nirgends ist erkennbar, dass die US-amerikanische Pharmafirma Pfizer die Kampagne finanziert. Auch kein Wort über das Pfizer-Präparat Viagra. Die Werbung soll nur die Krankheit in den Köpfen etablieren. Alles weitere verschreibt der Arzt.
Die jüngste, von den Pharmaherstellern erfundene Krankheit, ist die Menopause des Mannes. In einer Studie der Jenapharm GmbH heißt es: „Weder der Mann noch die Gesellschaft wollen es wahrhaben, dass auch der Mann ein Klimakterium . . . durchlebt. Häufigste Ursache für den Leistungsknick ab 40 ist der altersabhängige Rückgang des Hormons Testosteron.” Aging-Male-Syndrom, Klimakterium virile, Andropause oder auch einfach Padam (partielles Androgen-Defizit des alternden Mannes) sind Wortschöpfungen, die nach Wissenschaft klingen sollen, zitiert aus Ärztebroschüren, Patientenratgebern und Anzeigen. Und natürlich gibt es seit April 2003 auch zwei passende Medikamente für das kranke, starke Geschlecht: die Testosteronsalben Androtop (Kade/Besins) und Testogel (Jenapharm).
Blech hat Lebensbereiche ausgemacht, die sich besonders gut zur umsatzwirksamen Umdeutung als neue Krankheit eignen. An erster Stelle stehen alle Erscheinungen des Alterns. Darüber hinaus rücken längst nicht mehr nur die Krankheiten selbst, sondern das Risiko, an ihnen zu erkranken, ins Visier der Pharmaindustrie.
Beispiel Osteoporose. Dass ein Mensch bis zu seinem 70. Lebensjahr etwa ein Drittel seiner Knochenmasse einbüßt, ist ein natürlicher Prozess und keine Krankheit. Noch bis zum 2. Weltkrieg galt eine Frau erst dann als erkrankt, wenn das Schwinden ihrer Knochenmasse zu einer Fraktur geführt hat. Gälte diese Definition noch heute, wären in den Industrieländern nur wenige Prozent der älteren Menschen betroffen. Zu wenig jedenfalls für eine pharma-umsatzstarke Volkskrankheit. 1982 begann der amerikanische Östrogen-Hersteller Ayerst mit einer PR-Kampagne, in der die Osteoporose plötzlich zum großen Lebensrisiko erklärt und Millionen von Frauen in Panik versetzt wurden. So wurde u. a. behauptet, 30 Prozent aller von einem Oberschenkelhalsbruch betroffenen Frauen würden innerhalb eines Jahres sterben. Nach dieser und weiteren Werbekampagnen begann ein weltweiter Siegeszug der angeblich rettenden Hormonpräparate. Heute ist Premarin, das Östrogenpräparat von Ayerst, das meist verkaufte, rezeptpflichtige Medikament in den USA.
Doch allein mit Werbung ist es nicht getan. Um eine neue Krankheit am Markt einzuführen, braucht es auch eine Neudefinition der ärztlichen Diagnose. Schließlich sollen die Ärzte bei Millionen gesunder Menschen eine neue Krankheit feststellen. Auf einer von Sandoz Pharmaceuticals und SmithKlineBeecham gesponserten Tagung einer Kommission der WHO stellte diese 1993 fest, dass schon „der allmähliche Abbau der Knochenmasse im Alter” als Osteoporose anzusehen sei. Da aber die Röntgenmessung der Knochendichte bei jedem Menschen, der älter als 35 Jahre ist, einen Knochenschwund anzeigt, und eine Krankheit, die alle haben, nun mal keine ist, war ausgerechnet die WHO in der Folge gezwungen, willkürlich einen Grenzwert für eine noch gesunde Knochendichte festzusetzen. Wer diesen Grenzwert um mehr als 20 Prozent unterschreitet, gilt seither als krank. 1993 waren so plötzlich ein Drittel aller Frauen über 70 an Osteoporose erkrankt, auch wenn sie noch nie im Leben einen Knochenbruch hatten.
Zappelphilipp im Drogenrausch
Doch nicht nur körperliche, auch soziale Abweichungen von der Norm eignen sich zur Krankheit. Kinder, die mit ihrem überschäumenden Temperament von ihren Eltern und Lehrern schwer zu bändigen sind, bekommen spätestens, wenn die Schulnoten absacken, von vielen Kinderärzten die Krankheit ADHS angehängt. Natürlich gibt es auch gegen das „Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom” einen pharmazeutischen Wirkstoff, das Methyphenidat. Ritalin heißt das führende Medikament des Schweizer Konzerns Novartis. Rita hieß die Frau des Chemikers, der 1944 das Methylphenidat synthetisiert hatte. Rita mochte die Droge, denn sie belebte ihr Tennisspiel. Doch außer Rita fanden sich Jahrzehnte lang nur wenige Konsumenten und erst recht keine Krankheiten, die man mit Ritalin hätte kurieren können. Erst 1987 wurde ADHS erfunden und seither ist Ritalin auf allen Schulhöfen zuhause.
Die Stärke des Buchs liegt in der wiederholten Darstellung, wie aus harmlosen Zipperlein handfeste Krankheiten gemacht und wie diese zu Volkskrankheiten aufgeblasen wurden? Auch die Seuche Cholesterin kriegt hier ihr Fett weg. Schade allerdings, dass die eigentlich zusammenhängenden Geschichten über mehrere Kapitel verstreut und wegen der blumigen Kapitelüberschriften nur schwer aufzufinden sind. Am Ende schließlich lässt die durchaus überzeugende Argumentation die Leser mit der entscheidenden Frage allein. Was soll ein Patient tun, der an einer Krankheit leidet, von der Blech behauptet, dass sie gar keine ist? Vielleicht hilft die Erkenntnis, dass das Leben selbst „eine tödliche, sexuell übertragene Krankheit” ist.
LORENZ BECKHARDT
JÖRG BLECH: Die Krankheitserfinder. Wie wir zu Patienten gemacht werden. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 256 Seiten, 18,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2003

Das sollten Sie wissen, bevor Sie wieder zu Ihrem Arzt gehen
Volkskrankheit Leben: Jörg Blech und Gerd Gigerenzer brillieren mit zwei skeptischen Studien über die Versprechen der Medizin

Viagra ist nur der populärste Fall, in dem ein ursprünglich für eng umgrenzte, physiologisch bedingte (und eher seltene) Fehlfunktionen zugelassenes Präparat durch geschickte Werbekampagnen der Pharmaindustrie einer breiten Masse nahegebracht werden soll. Soziale, emotionale Unlust wird zur "Gesundheitsstörung" umgebogen, die der Hersteller dann jedem zweiten Mann zwischen dem vierzigsten und siebzigsten Lebensjahr attestieren kann. Für den Medizinjournalisten Jörg Blech handelt es sich bei dieser Vorgehensweise um einen neuen Großtrend im Gesundheitswesen. Medizinische Fachveröffentlichungen und gesundheitspolitische Artikel auswertend, trägt sein Buch "Die Krankheitserfinder" zahlreiche Fälle zusammen, in denen zu einem vorhandenen Medikament die passende, möglichst massenhaft verbreitete "Krankheit" gestrickt wurde.

Im Falle des "Aging Male Syndrome" verrät bereits der Name, daß der natürliche Prozeß des Alterns medikalisiert werden soll. Ein Testosterongel, das Patienten mit einer eher seltenen Unterfunktion der Hoden und daraus folgendem Hormonmangel ("Hypoganadismus") hilft, verwandelt sich in der konzertierten Aktion von Pharmaindustrie, Ärztegruppen und PR-Firmen zu einem Mittel gegen die angeblichen "Wechseljahre" des Mannes. Um möglichst vielen älteren Männern einen prekären Testosteronmangel zu bescheinigen, wird ein Grenzwert für das Hormon installiert, unter dem nach einer Schätzung der Firma Jenapharm jeder dritte Mann nach dem fünfundfünfzigsten Lebensjahr durchschlüpft.

Keine wissenschaftliche Studie jedoch, so Blech, fundiert diesen Grenzwert oder auch nur den Zusammenhang zwischen nachlassender Hormonproduktion und den der "Andropause" zugeschriebenen Symptomen wie sexueller Unlust, Hitzewallungen und abnehmender Knochendichte. Hingegen wurde eine amerikanische Langzeitstudie mit sechstausend Probanden aus Sorge um mögliche Nebenwirkungen der Testosterongabe kurz vor Beginn gestoppt. Weil aber ein einmal zugelassenes Medikament auch außerhalb der eigentlichen Indikation verschrieben werden darf, so Blech, stünde seiner massenhaften Verschreibung nichts mehr im Wege.

Ihren größten Triumph feiert diese redeskriptive Medizin, wenn sie gänzlich beschwerdefreie Personen in die Praxen und Apotheken zu locken vermag, wie es mit den zur Krankheit umdefinierten Wechseljahren der Frau gelang. In Deutschland nimmt heute jede vierte Frau ab vierzig Östrogenpräparate zu sich, was die Krankenkassen etwa fünfhundert Millionen Euro pro Jahr kostet - ohne daß es einen wissenschaftlichen Beweis für deren präventiven Nutzen gäbe. Nachdem eine umfangreiche Studie wegen der aufgetretenen Gesundheitsrisiken abgebrochen werden mußte, scheint die Hormonersatztherapie jetzt eine Demontage zu erleben (F.A.Z. vom 10. September).

Blitzlichtartig beschreibt Blech die Verflechtungen von pharmazeutischer Industrie, Ärzteverbänden und Ärzten, die sich zu Fürsprechern bestimmter Produkte machen. So werden Praktiken einer "legal abgesicherten Ausbeutung der Sozialversicherung" in zahlreichen Beispielen greifbar. Blechs Buch ist populär geschrieben; es will den "informierten Patienten", auf den die Pharmaindustrie zielt, ein wenig mündiger machen. Dabei hätte es dem Autor sicherlich gut angestanden, seine spektakuläreren Zahlen seinerseits ohne Ausnahme gründlich zu belegen. Daß die Pharmaindustrie pro Arzt jährlich 8000 bis 13 000 Euro für Marketingmaßnahmen ausgebe, vermittelt zwar einen lebhaften Eindruck von den Einsparpotentialen im Gesundheitswesen; aber Blech selbst lehrt ja den Leser zu fragen, woher eine solche Zahl denn stammt.

Was Zahlenangaben besagen, ist die Leitfrage einer faszinierenden Arbeit des Psychologen Gerd Gigerenzer, die in Kürze auch als Taschenbuch erscheinen soll. Mit seiner Studie über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken hat der Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung geradezu ein Manual für die Risikogesellschaft vorgelegt: ein brillant argumentierendes, lebhaft und klar geschriebenes, auch dem Laien eingängiges, im besten Sinne aufklärerisches Buch, nach dessen Lektüre man statistischen Aussagen nicht einfach mit Mißtrauen, sondern mit der richtigen Art von Nachfragen begegnen wird. Auch wenn sich Gigerenzer allgemein mit dem mangelnden Verständnis von Wahrscheinlichkeitsaussagen und statistischen Angaben, mit "Zahlenblindheit", befaßt, stammen doch seine instruktivsten Fallbeispiele aus dem Bereich der Medizin.

So untersuchte Gigerenzer das Verständnis, das Ärzte von ebenjenen Zahlen haben, auf deren Grundlage sie Patienten beraten und Entscheidungen treffen. Den Medizinern wurden folgende Angaben zu Reihenuntersuchungen auf Brustkrebs bei symptomlosen Frauen vorgelegt: In einer bestimmten Gegend beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß eine dieser Frauen Brustkrebs hat, 0,8 Prozent. Mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit wird ihr Mammogramm positiv ausfallen, der Krebs also diagnostiziert. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit von sieben Prozent, daß das Mammogramm ein positives Resultat liefert, obwohl die Untersuchte keinen Brustkrebs hat. Wenn Sie nun mit einem positiven Mammogramm konfrontiert sind - mit welcher Wahrscheinlichkeit hat die betreffende Frau Brustkrebs?

Die Ergebnisse der Befragung ernüchtern. Zwei von vierundzwanzig Ärzten kamen auf den richtigen Wert; ein Drittel setzten ihn viel zu hoch, bei neunzig Prozent, an. Ganz anders sah es aus, wenn man Ärzten dieselben Zahlen nicht als Wahrscheinlichkeitsangaben, sondern als "natürliche Häufigkeiten" vorlegte, etwa so: Von tausend Frauen haben acht Brustkrebs. Für sieben von ihnen wird das Mammogramm die Krankheit anzeigen. Von den verbleibenden 992 Frauen ohne Brustkrebs werden gleichwohl rund siebzig ein Untersuchungsergebnis bekommen, das eine Erkrankung indiziert. Nun war leicht zu sehen, daß nur bei sieben von 77 positiv getesteten Frauen, also rund neun Prozent, auch tatsächlich eine Krebserkrankung vorlag.

Dies ist die Grundeinsicht, mit der Gigerenzer zahlreiche Felder der Gesundheitsvorsorge akribisch untersucht: Man übersetze Wahrscheinlichkeitsangaben in natürliche Häufigkeiten, und schon lassen sich Nützlichkeitserwägungen und Risikoberechnungen ohne komplizierte mathematische Formeln durchführen. Bei allen Testverfahren, so zeigt der Autor, ist es zudem wesentlich, sowohl die Rate falsch positiver Ergebnisse als auch die Bezugsgruppe zu kennen (der Grundanteil an Aids-Erkrankungen ist in einer Risikogruppe höher als in einer Nicht-Risikogruppe, was sich wiederum auf die Wahrscheinlichkeit auswirkt, daß ein positiver Test falsch-positiv ist). Gigerenzers Untersuchung von Aids-Beratungsstellen und -Aufklärungsbroschüren sät Skepsis ebenso wie seine Durchleuchtung des Brustkrebs-Screenings: Viele der kursierenden Zahlen und Aussagen sind grob irreführend oder schlicht falsch. So ist sein Buch, das Risiken zu beurteilen helfen will, eines geworden, das falsche Gewißheiten zerstreut. Man wird sich darum nicht unsicherer fühlen.

MICHAEL ADRIAN

Jörg Blech: "Die Krankheitserfinder". Wie wir zu Patienten gemacht werden. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 256 S., geb., 17,90 [Euro].

Gerd Gigerenzer: "Das Einmaleins der Skepsis". Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken. Aus dem Amerikanischen von Michael Zillgitt. Berlin Verlag, Berlin 2002. 406 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Eine sorgfältige Recherche zum Geschäft mit der Krankheit." Die Zeit

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieses Buch wird weder bei Ärzten und der Pharmaindustrie, noch bei Patienten Freude auslösen, sagt Lorenz Beckhardt voraus. Autor Jörg Blech versucht darin nachzuweisen, dass viele Krankheiten gar keine sind, sondern lediglich dem Absatz von Medikamenten dienen, fasst der Rezensent die Hauptthese des Buches zusammen. Er führt einige Beispiele des Autors wie die Osteoporose oder ADHS an und lobt die Argumente Blechs als ziemlich überzeugend. Die "Stärke" der Darstellung sieht Beckhardt in der wiederholten Demonstration, wie aus einem "harmlosen Zipperlein" eine behandlungswürdige Krankheit wird. Nur bedauert er, dass der Autor Zusammenhängendes über verschiedene Kapitel ausbreitet und dies wegen der "blumigen" Überschriften schwer auffindbar ist. Und dass dem Patienten in diesem Buch kein Rat zuteil wird, was er tun soll, wenn an ihm eine der vermeintlichen Krankheiten diagnostiziert wird, findet der Rezensent auch schade.

© Perlentaucher Medien GmbH
literaturtest.de
Leiden Sie an Paradies-Depression?
Haben Sie schon einmal von der "Paradies-Depression" gehört, die zum Beispiel Rentner befällt, die ihren Altersruhesitz nach Mallorca verlegt haben? Oder von der "generalisierten Heiterkeitsstörung", die sich in Symptomen wie Sorglosigkeit und Realitätsverlust äußert? Nein, Sie befinden sich nicht in der Harald Schmidt-Show, sondern mitten im Wunderland unseres Medizinsystems. Anhand dieser und ähnlicher "Krankheitsbilder" dokumentiert Spiegel-Redakteur Jörg Blech einen medizinischen Megatrend: die "Medikalisierung" unseres Daseins, verbunden mit der Erfindung von Krankheiten als wichtigem Marketinginstrument.
Allianzen des Profits
Pharmafirmen sind Wirtschaftsunternehmen und versuchen als solche, ständig neue Märkte zu erschließen. So weit, so nachvollziehbar. Was aber, wenn Firmen vermeintliche Krankheiten wie Marken aufbauen, um ihre Medikamente besser verkaufen zu können? Wenn die Anwendungsbereiche eines Wirkstoffs immer weiter ausgedehnt werden, so dass etwa Alzheimer-Medikamente zur Leistungssteigerung bei Managern eingesetzt werden? Dann wird, so der Autor, "Krankheit zum Industrieprodukt". Die Angst der Menschen vor verminderter Leistungsfähigkeit, Alter, Krankheit und Tod wird regelrecht ausgeschlachtet. Oft in Zusammenarbeit mit PR-Agenturen, Journalisten und Medizinern (so genannten "Mietmäulern") werden normale Daseinsprozesse wie Haarausfall oder persönliche Probleme wie Schüchternheit so dramatisiert, dass die "Patienten" in ihrer "Not" dankbar zu den entsprechenden Präparaten greifen.
Zielgruppe "Kind"
Besonders bedenklich ist dieser Trend in Bezug auf die Zielgruppe "Kind". Ein Beispiel: Die medikamentöse Bekämpfung des so genannten "Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom" (ADS) hat mittlerweile epidemische Ausmaße angenommen. Ritalin und seine Konkurrenzprodukte dürfen zwar in Deutschland nur nach den strengen Auflagen des Betäubungsmittelgesetzes abgegeben werden. Trotzdem verabreichen manche Ärzte das Medikament auch Kindern unter sechs Jahren – legal! Auch wenn man sich mitunter ein etwas differenzierteres Herangehen gewünscht hätte: Jörg Blech hat ein aufrüttelndes Buch zu einem hoch aktuellen Thema geschrieben.
(Roland Große Holtforth)

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