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Die Werbetexterin Sonja beneidet ihren Freund Paul, den sie für einen Schriftsteller hält. Aber Paul schreibt nicht und weiß auch sonst nicht so recht, was tun. Er ist süchtig nach Fernsehbildern, die per Videobeamer über seine Rauhfasertapete flimmern. Dann bestimmt plötzlich eine anderes Bild Pauls Leben: Der 19-jährige David taucht am Fenster gegenüber auf, und Paul verliebt sich. Aber David lässt sich auf ein Verhältnis mit Sonja ein ...

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Produktbeschreibung
Die Werbetexterin Sonja beneidet ihren Freund Paul, den sie für einen Schriftsteller hält. Aber Paul schreibt nicht und weiß auch sonst nicht so recht, was tun. Er ist süchtig nach Fernsehbildern, die per Videobeamer über seine Rauhfasertapete flimmern. Dann bestimmt plötzlich eine anderes Bild Pauls Leben: Der 19-jährige David taucht am Fenster gegenüber auf, und Paul verliebt sich. Aber David lässt sich auf ein Verhältnis mit Sonja ein ...
Autorenporträt
Tim Staffel, 1965 in Kassel geboren, lebt als Autor in Berlin. 1998 erschien sein erster Roman »Terrordrom«, der von Frank Castorf für die Berliner Volksbühne dramatisiert wurde. Es folgten weitere Romane. Neben Prosa schreibt Tim Staffel Hörspiele und Theaterstücke sowie Libretti.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.01.2003

Fernsehen und Fernsehnen
Tim Staffel gleitet über Oberflächen: „Rauhfaser”
Paul ist Schriftsteller ohne Werk. Täglich lockt sein Bildschirmschoner. Umsonst. Paul schafft es nicht, ihn zu durchbrechen und den Raum dahinter mit Text zu füllen. Er hat Angst vor dem Sprung in die Sprachmatrix und ins Leben. Er igelt sich in der Rolle des unbeteiligten Beobachters ein. Die Medien werfen ein Leben aus zweiter und dritter Hand via Videobeamer an die Rauhfasertapete seiner Wohnung. Das Leben aus erster Hand spielt sich im Haus gegenüber ab: Dort zieht der schöne David ein, in den sich Paul sofort verliebt. Paul hat Übung im Fernsehen und Fernsehnen. Gerne nimmt der jüngere David Pauls Liebe entgegen, lässt sich eine väterlicher Hand aufs hübsche Haupt und hin und wieder sogar eine weniger väterliche auf den tätowierten Hintern legen, bleibt aber ansonsten nicht recht greifbar. Wenigstens nicht für Paul.
Pauls beste Freundin hingegen, die zynische Werbetexterin Sonja, stürzt sich mit Begeisterung auf David und kommt bei ihm in den Genuss von hartem, unkonventionellem Sex. Zwischen zwei Power-Meetings schaut sie schnell bei David vorbei, um nach der aseptischen Dienstleistung an Logos, Marken und Produkten eine Portion wüste, schmutzige Körperlichkeit zu tanken. Aus einer besonders wilden Nacht, die Davids Nachbarn den Schlaf raubt und für Sonja schließlich im städtischen Krankenhaus endet, geht die Tochter Marie hervor: ein Kind desillusionierter Sexualität und atemraubender Erdrosselungsspiele. Die Welt ist kalt, Paul steht am Fenster und über seine Rauhfaser flackern die einstürzenden Twin Towers. Eine neue Zeitrechnung und der zweite Teil des Romans beginnen.
Berlin-Mitte-Parlando
Zwei Jahre später: David und Marie sind an den Berliner Stadtrand gezogen, Paul hat sich die Möllemann-Therapie gegen Lebensangst verordnet und springt Fallschirm. Den Sprung in die Textmatrix wagt der virtuelle Schriftsteller noch immer nicht. Marie kann jetzt laufen, die Beziehung ihrer Eltern hingegen kriecht auf allen Vieren über den Parkettboden einer Luxusvilla mit Seeblick. Sonja manövriert Paul für ein paar Tage aus seinem Fallschirmparadies in ihre Havelhölle, um ihn mit David zu verkuppeln. Gerne würde sie ihr Töchterlein in dem Männerhaushalt zurücklassen und eine Agentur in London übernehmen. Während seines Besuchs bei den alten Freunden lernt Paul, dass sein Platz im Himmel ist, aus dem er immer wieder auf die Erde stürzen wird. Das Zusammensein mit dem geliebten Menschen ist unerträglich. Paul will nur noch Fallschirm springen. Sein Kontakt mit der Welt soll sich auf einen abgefederten, kontrollierten und sehr symbolischen Aufprall reduzieren.
„Rauhfaser” ist ein Oberflächenroman. Das Herz der Dinge und der Menschen bleibt unerreichbar. Der Romantitel gibt sich modern und klingt nach spröder Textur, aufgerauhtem Stil und raspelnder Sprachoberfläche. Doch Staffel hat eine flüssig erzählte, sauber gearbeitete und sehr klassisch konstruierte Dreiecksgeschichte geschrieben. Sein Ich-Erzähler Paul beherrscht ein gepflegtes bis harmloses Berlin-Mitte-Parlando mit recht gelungenen lyrischen Intarsien zu den Themenkomplexen Nachtleben, Metropolenodyssee und Havelidyll. Mit distanzierter Lounge-Coolness berichtet Staffel vom Lebensgefühl einsamer Asphaltcowboys, das man inzwischen allerdings ganz gut zu kennen glaubt. Die Figuren trinken Cocktails, teilen Koksstrecken mit der Mastercard und nuscheln urbane Wehmut in ihre Macchiato. Sie laborieren an einem verspäteten romantischen Je-ne-sais-quoi. An das vermeintlich echte Leben kommen sie nicht dran, auch wenn sie sich in rituellen Prügeleien die Augenbrauen aufschlagen. Sie sind Fight Clubber in chronischer Sinnkrise. Paul lebt sehr komfortabel von der Lebensversicherung seiner verunglückten Eltern. Dieser melancholische Frühpensionär erscheint wie eine Symbolfigur der übersättigten Erbengeneration, die ausreichend Mittel und Muße hat, ihren diffusen Weltschmerz auf die papafinanzierte Rauhfasertapete zu projizieren. Man verspürt durchaus die Lust, dem Ich-Erzähler den Strom für seinen Video- Beamer abzudrehen und ihn zu einer geregelten Arbeit zu verpflichten. Nach der ersten erfolgreich ausgefüllten Steuererklärung könnte seine Welt gleich viel rosiger aussehen.
Am Gegner kleben
Staffel arbeitet auch als Dramaturg und Performer. Die modische Videoinstallation mitsamt ihrem überstarken symbolischen Magnetfeld hat ihre Spuren in seinem dritten Roman hinterlassen. Der technische Apparat soll dem konventionellen Text eine zeitgenössischere Anmutung verleihen. Leider lässt der Videobeamer die Weltpolitik völlig unmotiviert und banal durch den Text flackern. Der Elfenbeinturm mit Kabelanschluss garantiert noch keinen kritischen Blick auf die verzwickte Weltlage.
Der nimmermüde Videobeamer ist eine konstruierte Textinstallation und wird zum aufdringlichen Symbol der modernen Sehnsuchtsmaschinerie. Alle Figuren speisen ihr Leben, ihre Wünsche und ihre Arbeit in die große Medienmühle ein. Sonja erfährt ihre Selbstbestätigung nur in Werbeaufträgen. David findet einen Job bei einem lokalen Boulevardreporter und belauscht den Funkverkehr der Polizei, um den Reporter schnell zu den schönsten Katastrophen der Nacht zu lotsen. David fasziniert Paul und Sonja, weil er der Einzige ist, der mit seiner Umwelt auf Tuchfühlung geht und nicht in der Beobachterrolle verharrt. Er praktiziert die chinesische Kampfkunst Wing Tsun, deren Haupttechnik darin besteht, am Gegner zu „kleben” und all seine Angriffsenergie verstärkt zurückzugeben. David ist der ideale Reflektor für alle narzisstischen Psychen. Schade, dass er ein Nazi ist. Staffels Hang zur leitmotivischen Katastrophenverschränkungen wirkt zwanghaft.
Mit seiner Ich-Erzählung ist es Paul schlussendlich doch noch gelungen, die Barriere des lockenden Bildschirmschoners zu durchbrechen. Stilsicher erzählt Staffel diese Geschichte von unerfüllbaren Sehnsüchten. Erzähltechnisch ist an seinem Text wenig zu beanstanden. Es fällt allerdings schwer, die Lebensängste des kontaktgestörten Fallschirmspringers bis in die letzte Montagmorgendepression nachzuvollziehen. Die Textoberfläche von „Rauhfaser” ist einigermaßen dekorativ. Der thematische und psychologische Kleister darunter ist weniger überzeugend. „Rauhfaser” ist nicht wirklich rauh. Doch wenigstens ist der Roman nicht zur Blümchentapete geraten. Bei genauerem Hinschauen allerdings sieht man im Wasserzeichen zu viele blaue Blumen hindurchschimmern.
STEPHAN MAUS
TIM STAFFEL: Rauhfaser. Roman. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002. 221 Seiten, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Stephan Maus ist nicht so richtig begeistert von diesem "klassisch konstruierten Dreiecksroman" im zeitgeistigen Gewand. Zwar kann Tim Staffel nach Meinung des Rezensenten durchaus erzählen - doch bei aller Stilsicherheit findet Maus die Motivation des Erzählers recht fragwürdig: "Die Textoberfläche von 'Rauhfaser' ist einigermaßen dekorativ. Der thematische und psychologische Kleister darunter ist weniger überzeugend". Der Rezensent bemängelt, dass sich das Innenleben der Protagonisten oft nicht nachvollziehen lasse und schablonenhaft bleibe. Dazu kommt nach Meinung des Rezensenten das Problem, dass der Autor sich beim Erzählen zu einem Übermaß an Konstruktion hinreißen lässt: "Staffels Hang zu leitmotivischen Katastrophenverschränkungen bleibt zwanghaft" - so das leicht genervte Fazit des Rezensenten.

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