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Jula ist Studentin, lernt Russisch, lebt in einem heruntergekommenen Wohnheim irgendwo auf der verschneiten Krim. Sie lernt Ilya kennen, einen alten, verbitterten Sowjetmaler, und seinen Enkel Venja, der sich erfolgreich an zwielichtigen Geschäften beteiligt. "Die Geschichte fängt bei den Menschen an ", hat Jula gelernt, und sie macht sich auf die Suche nach der blauen Villa mit dem Weinberg, dem Familienbesitz, von dem ihr verstorbener jüdischer Vater ein Leben lang erzählt hatte.Sie folgt seinen vielen Erzählungen, seiner Spur ins Ungewisse der eigenen Geschichte. Doch je mehr sie…mehr

Produktbeschreibung
Jula ist Studentin, lernt Russisch, lebt in einem heruntergekommenen Wohnheim irgendwo auf der verschneiten Krim. Sie lernt Ilya kennen, einen alten, verbitterten Sowjetmaler, und seinen Enkel Venja, der sich erfolgreich an zwielichtigen Geschäften beteiligt. "Die Geschichte fängt bei den Menschen an ", hat Jula gelernt, und sie macht sich auf die Suche nach der blauen Villa mit dem Weinberg, dem Familienbesitz, von dem ihr verstorbener jüdischer Vater ein Leben lang erzählt hatte.Sie folgt seinen vielen Erzählungen, seiner Spur ins Ungewisse der eigenen Geschichte. Doch je mehr sie herausfindet, desto weniger weiß sie.Mit jeder Anekdote, jeder Begebenheit und jeder Vermutung gerät Jula tiefer in den Taumel der Erfindungen, rückt ihr Vater weiter weg. Ihr Versuch, die undurchschaubare Vergangenheit zu erforschen, führt Jula nur zu immer neuen Geschichten und zum Ursprung der Lebenslüge ihrer Familie; Dichtung und Wahrheit sind nicht mehr voneinander zu unterscheiden. "Wie viele Züge" erzählt von einer Reise in die Wirklichkeit wie zu sich selbst. Eine Reise, die ein Abenteuer und phantastisches Märchen ist, mitten in die magische Realität der winterlichen Krim, zu einer zu Bildern gefrorenen Vergangenheit. Eine Reise, auf der Jula ihre eigene, unbekannte Geschichte entdeckt.
Autorenporträt
Kugler, Lena
Lena Kugler, geboren 1974, studierte in Heidelberg, Köln, Konstanz und Berlin und veröffentlichte ihren ersten Roman »Wie viele Züge« 2001 beim S. Fischer Verlag. Ihr erstes Kinderbuch »Bo im Wilden Land« erschien 2006 und wurde ein großer Erfolg. Lena Kugler lebt mit ihrer Familie in Konstanz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2002

Mein Freund, die Kakerlake
Erasmus hieß die Muse: Lena Kuglers Vatersuche auf der Krim

Die Suche nach verschollenen Eltern ist in der Literatur seit jeher ein beliebtes Motiv. Die Frage nach der Herkunft und nach der eigenen Identität sind zwei Seiten derselben Medaille. Das ist auch im Fall der jungen Jula so, die beim Wochenendausflug im russischen Odessa unwillkürlich an ihren verstorbenen jüdischen Vater erinnert wird. Als eine alte Roma der deutschen Sprachstudentin am Bahnhof aus der Hand lesen will, lehnt Jula ab. Die Zigeunerin wünscht ihr darauf wütend eine "Paralyse" an den Hals - ein genuschelter Fluch, der ausreicht, um die junge Frau nachhaltig ins Grübeln zu bringen.

Jula lauert nämlich schon lange auf Winke des Schicksals. Hat ihr Vater ihr doch einst wenig schmeichelhaft bescheinigt: "Also, eine Schönheitskönigin bist du nicht." Und auch die russischen Jungs pfeifen nie ihr, sondern immer nur den anderen Austauschstudentinnen hinterher. Auf der Zugfahrt zurück ins Wohnheim überlegt sie, was das Wort "Paralyse" wohl für sie bedeuten könnte. Meinte die Zigeunerin nun die "unbewachsene Brache (par lýssi)", ein "Paar Glatzköpfe (pára lyssa)" oder den Ausspruch: "Es ist Zeit, Füchsin (pará lissíza)"?! Letzterer ist ein Satz aus einer Kindergeschichte, die ihr Vater oft vorgelesen hat. Spätestens an dieser Stelle ahnt der Leser, daß das Papier in diesem Roman geduldig ist. Denn wie ihre Heldin ist auch Lena Kugler, Jahrgang 1974, in ihrem Debüt um "Besonderheit" bemüht und ringt auffällig um eine möglichst originelle Ausdrucksweise, was leider allzu oft eher gestelzt ausfällt. Etwa dann, wenn ausgerechnet die Kakerlaken in Julas Zimmers als Bild für ihre ins Wanken geratene Welt herhalten müssen: "Jedesmal reagierte sie mit einem faszinierten Schwindel, wenn der Raum im Krabbeln und Huschen von Tausenden Beinchen und Fühlern seine Statik verlor." Wenn sie plant, nach Deutschland zu reisen, erwägt sie nichts Geringeres als "die Farben der vorbeifahrenden Autos mit dem Daumen aufzuspießen". Andere Menschen würden es schlicht "Trampen" nennen.

Kugler kann nicht verhehlen, daß der studentische Alltag auf der russischen Krim wenig Erzählenswertes hergibt. Vor allem aber krankt der Selbstfindungsroman an einer falschen Gewichtung. Während ihre Protagonistin seitenlang über Banalitäten räsoniert, kommt die überaus verzwickte Geschichte ihres toten Vaters viel zu kurz. Nicht genug, daß dieser als ungarischer Jude vor den Nazis fliehen mußte. Zusätzlich, so erfährt man stichwortweise, verdingte er sich als Rotarmist, Mathegenie, Atomphysiker und Geheimnisträger. Kurzum: Julas Vater besitzt eine Biografie voller historischer Untiefen, die allein Stoff für vier Bücher böte.

Kugler aber begnügt sich damit, sporadisch einige nüchtern gehaltene Briefe des Vaters einzustreuen, die stilistisch zwar einen hübschen Kontrast zum blumigen Tonfall der Tochter abgeben, insgesamt aber zu viele Fragen offenlassen. Als Jula schließlich entdeckt, daß ihr Vater gar nicht in der blauen Villa mit dem französischen Kindermädchen gelebt hat, wie er ihr als Kind vorgeschwärmt hatte, wird die Geschichte plötzlich spannend - und ist im selben Augenblick auch schon vorbei. Kugler wird ihrem großen Thema vor lauter Plänkelei nicht gerecht.

GISA FUNCK

Lena Kugler: "Wie viele Züge". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 121 S., geb., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gelungen findet die Rezensentin Monika Schattendorfer diesen Roman einer 26-jährigen Berlinerin, die den Versuchen einer Frau nachspürt, ihre deutsch-jüdische Familiengeschichte zu entwirren. Gelungen vor allem deshalb, weil er sich den üblichen Kategorien "Kinder der Opfer, Kinder der Täter" entzieht. So nennt sie den Roman "ein mutiges und beherztes Unterfangen". Lena, die Protagonistin, wurde durch den "familiären Schweigekompromiss über Jüdisches und Deutsches" außen vor gehalten und begibt sich nun auf Vater-Spurensuche. Die hat aber vor allem zum Ergebnis, dass es eine durch Fakten abgesicherte Wahrheit sowieso nicht geben kann, so die Interpretation von Schattendorfer.

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