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Philosophie kokettiert, ob vorsichtig oder verwegen, mit einem Standpunkt jenseits aller Kontingenzen des Hier und Jetzt. Wie Grundzüge dieser Flucht aus der Beliebigkeit aussehen, ist der Gegenstand dieses Buches.

Produktbeschreibung
Philosophie kokettiert, ob vorsichtig oder verwegen, mit einem Standpunkt jenseits aller Kontingenzen des Hier und Jetzt. Wie Grundzüge dieser Flucht aus der Beliebigkeit aussehen, ist der Gegenstand dieses Buches.
Autorenporträt
osef Mitterer, _1948 in Westendorf/Tirol, ist Professor für Philosophie an der Universität Klagenfurt. In seinen Arbeiten rekonstruiert er die dualistischen Voraussetzungen der Erkenntnistheorie und Sprachphilosophie und entwickelt eine non-dualistische Alternative des Denkens ohne dichotomische Unterscheidungen wie jene zwischen Beschreibung und Objekt, Aussage und Gegenstand.Seine beiden Bücher Das Jenseits der Philosophie und Die Flucht aus der Beliebigkeit erscheinen 2011 in Neuausgaben bei Velbrück Wissenschaft.Einige Aufsätze: Abschied von der Wahrheit in: Delfin (1988), Der König von Frankreich lebt oder die Wirklichkeit auf Reisen in: Konkursbuch 21: Reisen (1989) und Über Interpretation in Alexander Riegler / Stefan Weber (2010): Die Dritte Philosophie. Kritische Beiträge zu Josef Mitterers Non-Dualismus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2001

Flucht im Kreisverkehr
Sie wollen der Beliebigkeit entgehen? Lesen Sie Josef Mitterer!

Welch verheißungsvolle Devise: Flucht aus der Beliebigkeit. Freilich: Wohin? Ins Utopia der ewigen Wahrheiten und absoluten Sicherheiten?

Wer Juristen kennt, Richter zumal, der weiß, daß nicht zuletzt sie es sind, die sich derartiges erträumen. Hans Kelsen, der bedeutendste Rechtstheoretiker deutscher Rede und Schreibe des letzten Jahrhunderts - als Jude von den Nationalsozialisten vertrieben, mußte er sich später allerdings englisch ausdrücken -, dieser unübertroffene "Reine Rechtslehre(r)" schrieb in seinem epochalen Werk 1934: "Es ist die Illusion der Rechtssicherheit, die die traditionelle Rechtstheorie - bewußt oder unbewußt - aufrechtzuerhalten strebt."

Davon hat sie nicht abgelassen. Bis heute. Der in den Staaten und England lehrende Ronald Dworkin treibt die Wahrheits- und Sicherheitsillusion sogar so weit, daß er ernsthaft behauptet, in jedem nur denkbaren Rechtsfall - und sei es der allerschwierigste - gäbe es nur die eine, allein richtige Entscheidung. Die müsse der Richter lediglich finden. Wo immer der suchen mag, im Flachland purer Beliebigkeit wird er nicht fündig werden, ungeahnte Hilfe dagegen finden wird er in dem so schmalen wie inhaltsreichen Buch des Klagenfurter Philosophen Josef Mitterer. Ein Buch, das gerade auch Juristen den Weg weist ins Land ihrer Sehnsucht. Könnte man meinen. Und würde alsbald bitter enttäuscht.

Unsicherer Kantonist

Das gilt freilich nicht für jene, die von Mitterer bereits dessen 1993 publizierte Schrift "Das Jenseits der Philosophie" kennen. Darin stritt er "wider das dualistische Erkenntnisprinzip". Dieses basiert auf einer der tückischen Dichotomien, deren Würgegriff (Putnam) die allermeisten gefangenhält. Alle braven Common sense-Menschen freilich spüren ihn gar nicht. Sie atmen frei in der lauen Luft des Alltagsverstandes. Soll man sie denn darob schelten? Die Juristen unter ihnen schon, weil sie nicht nur sich, sondern uns allen etwas vormachen. Durch Verbreiten des trügerischen Scheins der Sicherheit. Die aber wäre nur zu haben in einem "Jenseits des Diskurses", wo allein und verbindlich entschieden werden könnte, wer im Recht ist.

So zum Beispiel im Streit der Realisten und Konstruktivisten, mit und ohne die schmückenden Beiworte "naiv" oder "radikal". Die Dekonstruktivisten als Glücksritter der Beliebigkeit sollte man ja vielleicht schon auf Erden zum Teufel jagen. Mitterer weiß gewiß ein Lied davon zu singen. Schließlich wurde er schon "als Konstruktivist, als Dekonstruktivist, als radikaler Lingualist, als Idealist, Rationalist, Relativist und so weiter eingestuft". Der Rezensent bekennt, solche Leute mag er. Aber was für einer ist Josef Mitterer nun wirklich? Im Zweifel dies alles zusammen und noch ein bißchen mehr. Also ein zutiefst unsicherer Kantonist? Richtig. Wie alle, die hauptsächlich nur das eine tun: denken, nachdenken und vordenken. Dann erübrigt sich auch die Frage: "Sind Ernst von Glasersfeld und Heinz von Foerster Philosophen oder Psychologen, Kybernetiker oder Kognitionswissenschaftler oder einfach Denker?" Einfach Denker, die es schaffen, auch das Komplizierte zwar nicht einfach, aber doch durchschaubar zu machen.

Wie Josef Mitterer in seinem glänzenden Diskurs über das Diesseits und Jenseits aller Diskurse. Das "Jenseits" ist dabei die gefährlichere Hälfte der Dichotomie. In der anderen tummeln wir uns alle tagtäglich: im "Diesseits des Diskurses". Hier reden wir über die Dinge und fragen - vermeintlich unschuldig -, wie sich unsere Beschreibung der Dinge zu diesen verhält. Jetzt fehlt nur noch, das Wörtchen "wirklich" hinzuzusetzen. Und schon ist es passiert. Wir sitzen in der dualistischen Falle. Ohne es auch nur zu bemerken. Die Philosophen leben geradezu von diesem Fallen-Dasein. Die Juristen auch. Die hier nur deshalb eigens genannt werden, um eine Antwort zu geben auf die Frage, die offensichtlich die Philosophen immer wieder umtreibt.

Seht her, ich habe recht!

Ein vor über zwanzig Jahren von Hermann Lübbe zusammengescharter Arbeitskreis formulierte sie so: "Wozu Philosophie?" Darauf ist zu erwidern: Um uns allen zu helfen. Josef Mitterer tut das bemerkens- und bewundernswert klar und klug. Wobei er es immer wieder schafft, auf engstem Raum - manchmal genügen ihm dafür ein bis zwei Seiten - hochkomplexe und obendrein stark traditionsbelastete Sachverhalte gerade auch für den philosophischen Laien durchsichtig zu machen. Und dies zudem so, daß es das hellste Vergnügen bereitet, lesend seinen Spuren zu folgen durch den erkenntnistheoretischen Dschungel. Den es freilich nur in einer Welt gibt, die noch ihrer Wiedervereinigung harrt. Die erst erfolgt sein wird, wenn wir uns der Dichotomien entledigt haben. Und unter diesen primär der - so könnte man in Abwandlung eines Wortes von Mitterer sagen - Basisdichotomie, die, wie die meisten, so zählebig ist, weil hinsichtlich ihrer ein "Basiskonsens" besteht. Mit der verhängnisvollen Folge, daß es bestenfalls wenige sind, die diesen Konsens nicht unbefragt akzeptieren.

Zu ihnen gehört Josef Mitterer. Er zeigt akribisch auf, wie diese Dichotomie vom Diesseits und Jenseits der Diskurse funktioniert und was sie leistet. Sie ermöglicht erst die Probleme und hält sie am Leben, von denen die meisten Philosophen dann ihr Leben lang zehren. Und wir anderen uns redlich herumplagen. Schließlich reden wir nicht nur alle über Gott und die Welt, wollen vielmehr obendrein wissen, ob das, was wir da sagen, auch wahr ist. Vor allem, ob stimmt, was die anderen behaupten. Und natürlich, wie man das alles - je nachdem - beweisen oder widerlegen kann.

Sind es Philosophen, die sich da streiten, ob sie ihre wechselseitigen Geltungsansprüche zu Recht erheben, dann müßte gerade ihnen eigentlich - wie Mitterer - auffallen, daß noch keiner ihrer grundlegenden Streite dauerhaft beigelegt werden konnte. Darunter nicht zuletzt der zwischen Realisten und Konstruktivisten. Vermutlich mangelt es an einem krisenfesten Kriterium. Daß es dennoch eine solche objektive Instanz gibt, ziehen naturgemäß diejenigen nicht in Zweifel, die sich stolz darauf berufen, um alsdann lautstark zu verkünden: Seht her, ich habe recht.

Nur: Wohin, bitte, soll man denn schauen? Jetzt wird es schwierig. Oder ganz leicht. Denn jetzt werden die wahrhaft Sehenden von denen unterschieden, die blind sind. Beispielsweise wertblind. Oder gar wertordnungsblind. Denn die sehen beispielsweise nicht - überhaupt nicht oder wenn doch, dann anders - die vom Grundgesetz angeblich aufgerichtete objektive Wertordnung. Sie fragen sich bereits, wie das Grundgesetz so etwas überhaupt anstellt: das Aufstellen einer subjektunabhängigen Ordnung.

Niemand wird behaupten wollen, das ginge nur die Juristen an. Kruzifixe hängen an vielen Orten. Und ob man Soldaten Mörder nennen darf, ist unter Hinweis auf Tucholsky allein nicht zu beantworten. Im übrigen belegen die unlängst von Gerd Roellecke in dieser Zeitung geschriebenen Kolumnen "Karlsruhe hat gesprochen" eindrucksvoll die flächendeckend wertordnungsgesättigte Rechtsprechung unseres allerhöchsten Gerichts.

Wer aber die Wertordnung auf seiner Seite weiß, braucht sich um Wahrheit oder Richtigkeit seiner Behauptungen nicht mehr zu sorgen. Er braucht beides nicht zu beweisen. Denn daß er im Recht ist, steht immer schon im vorhinein fest. Wer das nicht sieht, ist eben blind.

Diesem Vorwurf sieht der Andersdenkende sich häufig ausgesetzt. Wie soll er sich reinwaschen? Indem er seinerseits sagt und zeigt, wie es wirklich ist. Und wie macht er das? Nicht anders als sein Gegner auch. Der Mechanismus funktioniert ganz einfach und immer auf dieselbe Weise. Mitterer führt ihn vor anhand eines allerdings äußerst harmlosen Beispiels. Auch ihm hat es der Tisch angetan. Das philosophische Mustermöbel schlechthin. Vermutlich, weil sie alle daran sitzen und, mit oder ohne Computer, auch auf ihm schreiben. Bei Mitterer ist der Tisch Gegenstand eines Diskurses darüber, ob er hölzern ist oder aus Kunststoff besteht.

Löcher für Holzwürmer

Wie gelingt es nun dem Verfechter der Holztischthese, sein bestreitendes Gegenüber zu überzeugen? Indem er hinüberwechselt vom Diesseits des Diskurses in dessen Jenseits. Dort steht fest und unverrückbar der Tisch, wirklich und wahrhaftig aus Holz. Der - wie es sich gehört - "typische Holzmaserung aufweist und Holzwurmlöcher hat". Daß der Tisch des Rezensenten nur die Maserung hat, aber keine Löcher, läßt er besser weg, um die Beweisführung nicht unnötig zu verkomplizieren. Gleichviel. Unser Holztischvertreter kann jetzt wohlgemut dem Kunststoffsympathisanten entgegenhalten: "Der Satz ,Der Tisch ist aus Kunststoff' ist falsch, weil der Tisch typische Holzmaserung aufweist und Holzwurmlöcher hat."

An solche Wiederholungen muß sich der Leser von Mitterer vielleicht erst gewöhnen. Sie stören aber nicht. Variationsreich spielt der Autor die möglichen diesseitigen und jenseitigen Diskurse durch. Denn - das ist der Clou - auch im Jenseits wird heftig diskutiert. Kein Wunder, ist doch das "Jenseits des Diskurses . . . nichts weiter als das eigene Diesseits noch einmal". Nur mit anderen Worten. Man entsinne sich der vorher fehlenden Holzwurmlöcher. Sie tauchen erst auf in der Beschreibung des Tisches, die ihn solchermaßen zum wirklichen Tisch macht. Wir sind mithin in der "Situation, in der wir das Objekt der Beschreibung von der Beschreibung des Objekts nicht unterscheiden können". Aus diesem Kreisverkehr führt kein Weg heraus. Für den Rezensenten am liebsten auch keiner aus einer ellenlangen Zitatenkette. Die angemessenste Besprechung bestünde ohnehin darin, das ganze Buch abzuschreiben. Vom Vorwort über die Einleitung bis zu den zwei Anhängen, alles Kabinettstücke für sich.

Statt dessen nur noch dies, nämlich zwei Zitate, speziell für Wahrheitsapostel und Wirklichkeitsfanatiker: "Die Wirklichkeit ist kein statisches Konstrukt im Jenseits mit Richterfunktion, sie wird durch den Verlauf unserer Diskurse ständig neu bestimmt." Merke: unserer Diskurse. Und so schließt der Hauptteil des Buches, ein herrlicher Traktat, gänzlich fußnotenlos, mit dem scheinbar resignativen Satz: "Die Flucht aus der Beliebigkeit endet dort, wo sie beginnt." Doch wer so schreibt, hat nicht resigniert. Die Leser müssen es auch nicht. Wir können nicht fliehen. Das müssen wir jetzt auch gar nicht mehr wollen.

WALTER GRASNICK

Josef Mitterer: "Die Flucht aus der Beliebigkeit". Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2001. 128 S., br., 22,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eigentlich, meint Walter Grasnick, könnte eine angemessene Rezension dieses Bandes nur darin bestehen, "das ganze Buch abzuschreiben". Das bleibt uns erspart, nicht aber eine rhapsodische und ausführliche Besprechung, die zur Reformulierung der Argumente von Josef Mitterer jedoch kaum in der Lage scheint. Was genau das "dualistische Erkenntnisprinzip" ist, gegen das der Philosoph anschreibt, wird nie so ganz klar. Man versteht aber soviel, dass Mitterer keiner ist, der an letztbegründete Objektivierbarkeit der Erkenntnis, an einen sicheren Hafen jenseits der Beliebigkeit glaubt. Und diese Ansicht verteidigt Mitterer, wenn man dem Rezensenten glaubt, "bemerkens- und bewundernswert klar und klug". Der Rechtsdiskurs hat in dieser Besprechung ebenso einen merkwürdigen, eigentlich erläuternd gemeinten Auftritt wie ein Tisch mit Holzwürmern, der möglicherweise auch aus Plastik ist. Grasnick tut so, als würde man schon verstehen, worauf er damit hinauswill, dafür dass man's versteht, tut er jedoch recht wenig. Aber loben kann er: alle Kapitel, vom Vorwort bis zu den Anhängen, sind, findet er, "Kabinettstücke für sich". Der Hauptteil: "ein herrlicher Traktat". Das Buch als ganzes: "das hellste Vergnügen".

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