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Ein provokantes Buch, in dem deutlich wird, dass die Vielfalt sexuellen Begehrens weitaus größer ist, als uns Erziehung und Gesellschaft gemeinhin glauben machen. Marjorie Garber zeigt, wie präsent und reizvoll die Bisexualität als mögliche Lebensform jenseits der gängigen Etikettierungen sein kann.

Produktbeschreibung
Ein provokantes Buch, in dem deutlich wird, dass die Vielfalt sexuellen Begehrens weitaus größer ist, als uns Erziehung und Gesellschaft gemeinhin glauben machen. Marjorie Garber zeigt, wie präsent und reizvoll die Bisexualität als mögliche Lebensform jenseits der gängigen Etikettierungen sein kann.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2000

Alles, was sich bewegt
Marjorie Garbers Erkenntnisse zur Bisexualität
Seit der ehemalige Insektenforscher Alfred Kinsey Bisexuelle einmal als Menschen kategorisierte, die mit allem verkehrten, was sich bewegt – womöglich in Anlehnung an den Kalauer über die asiatische Küche: verzehrt werde alles mit vier Beinen, außer Tischen –, nennt sich in den USA eine einschlägige Zeitschrift selbstbewusst Anything That Moves.
Die Anglistin Marjorie Garber, die in ihrem Kompendium zur Geschichte der Bisexualität keineswegs verschweigt, dass sie in dem, was sie schreibt, ihre sexuelle Orientierung verteidigt, leistet einen Beitrag zur Dekonstruktion von Geschlechtsidentität. Insofern gehört Die Vielfalt des Begehrens, das im Original den treffenderen Titel Vice versa trägt, zu den „gender studies”, jenem Forschungszweig, der sich dem sozialen, kulturellen Geschlecht – im Gegensatz zum biologischen (sex) – widmet.
Sexualität sei nicht mehr länger, wie Freud einst postulierte, als Triebgeschichte zu begreifen, sondern, in der Nachfolge Michel Foucaults, als Machtgeschichte – etwas, das radikal dem Sozialen und Kulturellen subordiniert ist. Wider Erwarten kann sich die Autorin auf Freud selbst berufen, der in der Traumdeutung die Ansicht vertrat, die „ursprüngliche Bisexualität” werde infolge der kindlichen Erfahrungen und Sozialisation „verdrängt”, normiert, konditioniert und sei eine der Ursachen neurotischer Störungen. „Für den ,späten‘ Freud bedeutete Bisexualität mithin, dass die sexuelle Identität und die Wahl des Sexualobjektes nicht von Natur aus festgelegt sind. ”
Garber beruft sich zwar in ihrem Pamphlet zugunsten eines „Multisexualismus”, das ihr Buch implizit auch ist, unter anderem auf den misogynen Otto Weininger oder auf Wilhelm Stekel, der 1917 Monosexualität für unnatürlich erklärt hatte, da es nur eine Bisexualität gebe, bekennt sich aber letztendlich zu Freud, wenn sie dessen Formel, Kultur verdanke sich der Verdrängung, bündig übersetzt mit: die Gesellschaft basiere auf der Verdrängung der Bisexualität. Offensichtlich muss Freuds komplexe Kulturtheorie auf diese Weise verstümmelt werden, um für ein Thesenbuch brauchbar zu werden. „Da Bisexualität durch ihre bloße Existenz alle Vorstellungen von Vorrangigkeit, Einzigartigkeit, Aufrichtigkeit und Identität dubios macht, bietet sich uns ein schönes Beispiel dafür, wie menschliche Freiheit anders begriffen werden kann – und das in einer Zeit, in der unsere Kultur von Fragen des Geschlechts und der Sexualität geradezu besessen ist. ”
Jetzt wird’s queer
Wenn es eine Biphobie gibt – in Analogie zur Homophobie –, ja, eine regelrechte Dämonisierung ihrer Vertreter ab den späten achtziger Jahren mit der Identifikation von Aids, wie kommt es dann, fragt die Autorin, dass in der Mythologie Ägyptens, Griechenlands, Indiens die Gottheiten wie selbstverständlich bisexuell sind? Bisexuelle würden als „doppelzüngig, feige, zügellos und voller Selbsthass” diskreditiert, und dies nicht allein von Heterosexuellen, so dass Garber es als eine ihrer Aufgaben erblickt, Minderheiten, Randgruppen sichtbar zu machen, um durch Sichtbarkeit Gleichheit zu erstreiten, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Gemeint ist das gesamte Spektrum abweichenden Sexualverhaltens – lesbisch, bisexuell, schwul, transvestitisch etc. – das als queer bezeichnet wird.
Das Verdienst des Buches liegt zweifellos in der Darstellung bisexueller Protagonisten oder Akteure in Literatur, Kultur und Gesellschaft. Geoutet werden etwa Personen aus dem Showbusiness wie Bessie Smith, Joan Crawford, Marlon Brando, Marlene Dietrich, Maria Schneider, David Bowie, Mick Jagger, Madonna, Elton John, Joan Baez, Janis Joplin, Kurt Cobain – wobei die Autorin zwar differenzierend einem Michael Jackson das Etikett des Androgynen verpasst, jedoch unreflektiert lässt, ob das Bi-sein bestimmter Stars, da es die Identifikationsmöglichkeiten stark erhöht, nicht bloß eine profitable Strategie darstellen könnte.
Der Gemeinde zugerechnet werden ferner die Schriftsteller Lord Byron, Henry James, D. H. Lawrence, Hilda Doolittle, Vita Sackville-West, der gesamte Bloomsbury-Kreis um Virginia Woolf, Lytton Strachey, Lydia Bell, Anaïs Nin, Henry Miller, John Cheever, Paul und Jane Bowles, und selbst in Ernest Hemingways Spätwerk Der Garten Eden begegnen wir der Faszination von sexuellem Rollenspiel und -tausch. Von Jules und Jim, 1961, über Performance und Henry and June bis hin zu Basic Instinct, 1992, thematisiert das Kino wenn nicht Bisexualität als Lebens-Stil, so doch immerhin den Reiz der erotischen Dreiecksstruktur – das heißt der Nichtmonogamie.
Wir haben gelernt, dass es weder das homosexuelle noch das heterosexuelle Individuum gibt, auch kein vermeintliches drittes Geschlecht dazwischen, sondern einzig sexuelle Optionen, Praktiken, die vom Standpunkt der jeweiligen Norm aus als deviant bezeichnet werden. ,Wir sind alle bi‘ wäre die falsche Schlussfolgerung aus der Lektion, gleichsam eine affirmative Art der Verdrängung.
Abschied von Ödipus
Wo aber steht Die Vielfalt des Begehrens heute? Selten kam mir ein Buch antiquierter vor, wesentlich älter als jene fünf Jahre, deren es zur Veröffentlichung der deutschen Erstausgabe bedurfte. Wurden nicht spätestens Anfang der siebziger Jahre die Geschlechterrollen, die Monogamie, die Ehe zur Disposition gestellt, um Intersexualismus, Promiskuität, den Abschied von Ödipus auf den Schild der Emanzipation zu hieven? Die Ära der Permissivität scheint mit dem Wissen um Aids bis auf weiteres beendet. Zwar muss niemand mehr sein biologisches Geschlecht als Schicksal akzeptieren, ärztliche Kunst macht’s möglich, umgekehrt muss aber jeder, der mit einem gleichgeschlechtlichen Begleiter auf einer Gesellschaft erscheint, noch immer damit rechnen, insgeheim als schwul bzw. lesbisch taxiert zu werden. Das zur Masche verkommene Selbst-Outing könnte durchaus einmal dem philanthropischen Motiv entsprungen sein, den „Monosexuellen” die Mühe des Spekulierens zu ersparen.
Auf der Schwelle zum dritten Jahrtausend melden sich die Opfer und Kritiker der so genannten sexuellen Revolution zu Wort. Sei es Michel Houellebecq, sei es der Kriegsreporter Jean-Claude Guillebaud, wenn er die Tyrannei der Lust” beklagt. „Die große ,Befreiung der Sexualität‘”, resümiert Wolfgang Dür in seiner empirischen Studie zum One-Night-Stand (in dem Sammelband Neue Geschichten der Sexualität, Wien 2000) der heterosexuellen Variante, „hat zur vollkommenen Desorientierung der Geschlechter geführt. ”
Zu befürchten ist in dem von Jean Baudrillard ausgerufenen Zeitalter der medialen Simulation das Verschwinden des realen Körpers auch in der erotischen Kommunikation, der „Sex” der Geschlechter könnte sich künftig im virtuellen, dafür keimfreien Niemandsland der Netze zwischen Rechner und Rechner abspielen. Im Datenzugang allenfalls. Einen Vorgeschmack davon vermittelte in diesem Jahr die Berufskokainistin Claudia, die Paul Thomas Anderson in seinem Film Magnolia ihren Gesprächspartner fragen lässt: „Jetzt, da wir uns kennen, wärst du damit einverstanden, dass wir einander nie wieder sehen?”
BERND MATTHEUS
MARJORIE GARBER: Die Vielfalt des Begehrens. Bisexualität von der Antike bis heute. Aus dem Amerikanischen von Christina Goldmann und Christa Erbacher-von Grumbkow. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2000. 720 Seiten, 34,90 Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Es ist die Zeit des Bilanzierens. Um die Jahrtausendwende tun es auch Wissenschaftler nicht mehr unter der Spanne "von der Antike bis heute". In diesem Fall ist die Bisexualität dran. Und die Anglistin Garber leistet damit, so Bernd Mattheus, einen Beitrag zur "Dekonstruktion von Geschlechtsidentität." Das geht gegen Freud, denn Sexualität ist nicht mehr als Triebgeschichte, sondern mit Foucault als Machtgeschichte (ergo sozial und kulturell determiniert) zu begreifen. Das geht dann aber doch wieder mit Freud, denn der hat in späten Jahren ähnlich gedacht, beschreibt Mattheus die These der Autorin. Der Rezensent referiert dann das Ergebnis des handfesten Outings, vornehmlich von Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts. Und verliert sich am Ende seiner Kritik ein wenig in den Spiralen von 68 und seinen Gegnern.

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