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Im Spiegel Mexikos, mit den Augen Laura Diaz' erzählt Carlos Fuentes in seinem späten Meisterwerk die Geschichte seines Jahrhunderts. Eine junge Frau voller Unruhe und Begehren, verheiratet mit einem Revolutionär, bekannt mit Frida Kahlo und Diego Rivera. Als Fotografin dokumentiert sie in ihren Bildern den Wandel Mexikos auf den Irrungen seiner Historie - bis in unsere Tage. - "Im Grunde ist dieser Roman die Autobiographie von Carlos Fuentes." "Frankfurter Rundschau"

Produktbeschreibung
Im Spiegel Mexikos, mit den Augen Laura Diaz' erzählt Carlos Fuentes in seinem späten Meisterwerk die Geschichte seines Jahrhunderts. Eine junge Frau voller Unruhe und Begehren, verheiratet mit einem Revolutionär, bekannt mit Frida Kahlo und Diego Rivera. Als Fotografin dokumentiert sie in ihren Bildern den Wandel Mexikos auf den Irrungen seiner Historie - bis in unsere Tage. - "Im Grunde ist dieser Roman die Autobiographie von Carlos Fuentes." "Frankfurter Rundschau"
Autorenporträt
Fuentes, Carlos
Carlos Fuentes, am 11. November 1928 in Panama geboren, studierte Jura und schlug zunächst die diplomatische Laufbahn ein, um sich dann vor allem dem Schreiben und der Literatur zuzuwenden. In den 70er Jahren war er mexikanischer Botschafter in Paris, lehrte in Harvard und lebte in den USA. 1987 erhielt Carlos Fuentes die höchste Auszeichnung der spanischsprachigen Welt: den Cervantes-Preis. 2008 wurde ihm der Premio Internacional Don Quijote de la Mancha verliehen. Carlos Fuentes starb am 15. Mai 2012 in Mexiko-City.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2001

Spionin des Lebens
Carlos Fuentes über die Zeit mit Laura Díaz · Von Max Grosse

Zwar lügen die Dichter seit je; aber als der Himmel noch offenstand, konnten sie sich immerhin auf den Hauch göttlicher Eingebung berufen, der sie anwehte, wenn die Muse ein Einsehen hatte. Schlimmer noch ist es um die Wahrhaftigkeit der Romanschreiber bestellt. Als Medium des Unwahren schlechthin täuscht ihre Prosa Wirklichkeiten nur vor, mischt heimtückisch Geschehenes, Mögliches und gänzlich Erfundenes, so daß die Leser nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht, oder sie gar wie Don Quijote über der Lektüre ihren Verstand ganz verlieren. Daher ist die Rechtfertigung der Romanfiktion zu einem wesentlichen Teil dieser selbst geworden: Eine alte Quelle, ein hinterlassener Briefwechsel, ein Augenzeuge verbürgen die Authentizität der Erfindung und verankern sie draußen in der Welt. Carlos Fuentes setzt gleich in den ersten Sätzen seines jüngsten Romans "Die Jahre mit Laura Díaz" zwei scharfe Hiebe zum Gegenangriff wider die Fiktionsverächter: "Ich kannte die Geschichte. Nicht die Wahrheit." Die Geschichte mag erzählen, was geschah; erst der Roman jedoch erklärt, wie die Individuen erlebten und erinnern, was ihnen zustieß.

Fuentes bündelt die mexikanische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts im Brennpunkt einer Frauenfigur, die nicht nur auf ihre Familie und ihre Liebhaber ausstrahlt, sondern das ganze Weltgeschehen indirekt beleuchten soll. Anders als in den früheren Werken "Der Tod des Artemio Cruz" oder "Christoph Ungeboren" drängt sich der epische Totalitätsanspruch vor die Gestaltung von Bewußtseinsvorgängen und vor das Spiel mit den vielfältigen Registern der Sprache in Anlehnung an Faulkner und Joyce. Diesmal zeigt sich Fuentes vor allem als Konkurrent des von ihm stets rückhaltlos bewunderten Balzac, dem er augenzwinkernd seine Reverenz erweist: Eine französische Urgroßmutter von Laura Díaz wird als Patentochter des Finanziers Nucingen eingeführt, den wir aus der "Menschlichen Komödie" kennen, während der aus Deutschland gebürtige Urgroßvater Heine Kelsen als Geschäftsfreund von Johann Buddenbrook auftritt. Eine solche Ahnenreihe scheint die bruchlose Fortsetzung einer Tradition des behaglichen, detailverliebten und bei aller Weitschweifigkeit trotzdem linearen Erzählens zu versprechen. Allerdings dämpft Fuentes die altvertraute Stimme des gottgleich allwissenden Erzählers und schafft Abstand, indem er seine Leser hinter die Kulissen der Fiktion blicken läßt.

Ein doppelter Rahmen deutet nämlich an, wie archivarische Spurensuche und dichterische Einbildungskraft bei der Schaffung des Romans zusammenwirken. Alle 26 Kapitel sind mit einer Ortsangabe und einer Jahreszahl überschrieben. Sie vergegenwärtigen jeweils einen Lebensabschnitt von Laura Díaz, nur das erste und das letzte Kapitel heben sich davon durch Schauplatz, Zeit und Erzählhaltung ab. Während Lauras Leben stets in der dritten Person geschildert wird, tritt am Anfang des Romans ein zunächst anonymer Ich-Erzähler auf, der 1999 in Detroit, der Wiege der Fließbandarbeit und des automobilen Zeitalters, einen Dokumentarfilm über die Wandbilder von Diego Rivera dreht und auf eigene Faust das Elend der heruntergekommenen Industriestadt fotografiert. Auf einem Fresko Riveras im Detroit Institute of Arts entdeckt er in der Masse der mexikanischen Arbeiter das Gesicht von Laura Díaz, das ihn auch dann nicht losläßt, als er auf einem Streifzug durch verrufene Viertel Opfer eines Überfalls wird: "Stürzend vermochte ich mich noch zu fragen, ob sich das Leben einer toten Frau genau so erleben läßt, wie sie es gelebt hat, ob man die Geheimnisse ihres Gedächtnisses entdecken, sich wie sie selbst daran erinnern kann. Ich habe sie gesehen, ich werde mich an sie erinnern. An Laura Díaz."

Damit verschwindet das Ich des Erzählers in dem Augenblick von der Bildfläche, als er sein Bewußtsein verliert, welches noch im Erlöschen das Romanprojekt wie einen Schnappschuß fixiert. Ein Jahr später und fünfhundert Seiten weiter gibt er sich in Los Angeles, dem Zentrum der kinematographischen Illusionen und dem anglo-hispanischen Schmelztiegel der Jahrtausendwende, als Lauras Urenkel Santiago zu erkennen. Während seiner Genesung hat er also jene Familiensaga rekonstruiert, die wir gerade gelesen haben. Fuentes eignet das Buch seines Herkommens seinen Nachkommen zu, er lobt seine Großmütter als "die besten Romanautoren der Welt". Die erfundene Laura Díaz wurzelt im Humus der Familienerinnerungen, und ihr Name reimt sich auf Berta Macías - so hieß Fuentes' Mutter.

Das Prinzip der Ringkomposition bestimmt nicht nur den Rahmen, sondern ebenso die Einzelkapitel, die häufig abrupt mit einer überraschenden Äußerung einsetzen, für die allmählich ein Zusammenhang geschaffen wird. Auch die Lebensbahn von Laura Díaz beschreibt insofern einen Kreis, als diese in einem Herrenhaus in der Provinz Veracruz aufwächst, dann fast ihr ganzes Leben in Mexico-Stadt verbringt, um 1972 zum Sterben in den Urwald bei ihrem Geburtsort zurückzukehren. Diese mythische Verschmelzung mit einer als "weiblich" vorgestellten Natur entspricht ganz ihrem sanften Naturell, denn die grundsympathische Laura ist eher eine Beobachterin oder ein Medium, in dem sich der Zeitgeist offenbart, als eine Akteurin, die selbst in das Geschehen eingriffe. Ihre vier Geliebten könnten gegensätzlicher nicht sein, sie repräsentieren unterschiedliche Milieus und Ideale. Alle jedoch versuchen sie auf ihre Weise, die Banalität des Alltags zu überschreiten.

Die Ehe schließt Laura Díaz mit dem ernsten Gewerkschaftsfunktionär Juan Francisco López Greene, einem Mann ohne Sinn für Privatheit, der völlig in seiner öffentlichen Rolle aufgeht. In einer ergreifenden Sterbeszene erlebt er sich zwischen Rasierspiegel und Toilette als gescheiterten Verräter an der Sache der Arbeiter; der revolutionäre Traum vergeht wie Rasierschaum. Mit dem ironischen Dandy Orlando Ximénez wirbelt Laura durch die elegante Gesellschaft der dreißiger Jahre - als man die Mexikanische Revolution überstanden hatte, war Frivolität Trumpf. Der Husserl-Schüler und Diplomat Jorge Maura vertritt die Exilanten der spanischen Republik, der Kommunist Harry Jaffe jene US-Intellektuellen, die vor der Hexenjagd der McCarthy-Zeit in Mexiko Zuflucht fanden. Über diese Exilkreise führt Fuentes in seinen mexikanischen Roman die Jahrhundertthemen des heißen und des kalten Krieges, des Faschismus und des Widerstandes ein. Der kompromißlos leidenschaftliche Maura zieht sich später als Einsiedler auf die erkaltete Lava der Insel Lanzarote zurück und sehnt die mystische Selbstaufgabe in Gott herbei, nachdem er seine jüdische, wie Edith Stein zum Katholizismus konvertierte Ex-Geliebte Raquel nicht vor der Ermordung in Buchenwald hat bewahren können. Auch Jaffe erweist sich als ein zwiespältiger Charakter, Opfer und Verräter zugleich.

Die gewaltige Aufgabe, das zwanzigste Jahrhundert in seiner Gewalttätigkeit und Widersprüchlichkeit zu veranschaulichen, führt leider zum weitgehenden Verzicht auf Sprachkomik und auf ironische Distanzierung. Fuentes bewährt sich vor allem als großartiger Marionettenspieler. Immer behält er alle Fäden in der Hand, nie hinterläßt er lose Handlungsstränge, meisterhaft versteht er es, das Gewimmel der zahlreichen Romanfiguren zu einem riesigen Fresko anzuordnen, das wie Balzacs Romanwerk pure Lebensenergie abstrahlt und wie die Wandbilder Riveras nichts so fürchtet wie den Schrecken der Leere. Aber während Rivera den Fortschritt, den Leninismus und die Wissenschaft vergötzte, huldigt Fuentes eher dem Zweifel, dem Individualismus und der Kunst. Der Gebrochenheit der Männer steht die Gelassenheit von Laura Díaz gegenüber. Als sie den ausgebrannten Schriftsteller Harry Jaffe beerdigt hat, wird sie in ihrem letzten Lebensjahrzehnt eine erfolgreiche Künstlerin - allerdings keine flamboyante Selbstdarstellerin wie die Malerin Frida Kahlo, der sie einst assistiert hatte, sondern eine Fotografin, die sich zurücknimmt und ihre Umwelt genau mit der Kamera beobachtet.

Fuentes hat einmal bemerkt, Frauen verfügten eher als Männer über die Fähigkeit, in mehreren Zeiten zu leben, da sie aus dem Fenster schauen, als spionierten sie eine andere Welt aus. Eine solche Spionin ist Laura Díaz, zu solchen Spioninnen macht Fuentes seine Leser.

Carlos Fuentes: "Die Jahre mit Laura Díaz". Roman. Aus dem mexikanischen Spanisch übersetzt von Ulrich Kunzmann. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2000. 559 S., geb., 49,90 DM.

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