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Die Heilige Familie als Kern einer christlichen Tradition, welche die elementaren sozialen Codes prägte: Von den Schwierigkeiten der Kirchenväter mit der Josephs-Figur bis zu Freuds ödipalen Familienbanden und gegenwärtigen Diskussionen über die Rolle der Familie.

Produktbeschreibung
Die Heilige Familie als Kern einer christlichen Tradition, welche die elementaren sozialen Codes prägte: Von den Schwierigkeiten der Kirchenväter mit der Josephs-Figur bis zu Freuds ödipalen Familienbanden und gegenwärtigen Diskussionen über die Rolle der Familie.
Autorenporträt
Albrecht Koschorke, geboren 1958, ist Professor für Deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2000

Hört, Kinder, hört, die Nacht ist lang
Das Evangelium nach Albrecht Koschorke / Von Klaus Berger

Es war einmal ein Mann, den baten seine Kinder, er solle ihnen unter dem Weihnachtsbaum die Weihnachtsgeschichte erzählen. Nun kannte sich dieser Mann in der Literatur und Geschichte, zusätzlich in der Kunstgeschichte aus und konnte daher viel erzählen. Doch er war vor allem in der Psychologie Sigmund Freuds sowie in der Soziologie zu Hause. So geriet seine Weihnachtsgeschichte zu etwas ganz Besonderem. Denn er entdeckte, daß über die Heilige Familie, nämlich Jesus, Maria und Josef, noch niemand so recht im Sinne der Psycho- und Soziotheorien nachgedacht hatte.

Eigentlich mußte das aber für diese Theorien längst ein gefundenes Fressen sein: Eine jungfräuliche Mutter, ein Vater, der kein echter Vater war, der zum Trost für entgangene Freuden aber immer einen Stab in der Hand hält, natürlich ein phallisches Symbol. Und da die Weihnachtsnacht offenbar lang war, mußte der Erzähler alle wichtigen sonstigen achtbaren Größen der abendländischen Geschichte elegant mitverarbeiten, als da sind der Zölibat und die Marienverehrung, das evangelische Pfarrhaus und der protestantische Familienvater, das Berufsbeamtentum und Vater Staat, der irgendwie die Rolle des lieben Gottes und des heiligen Josef aufgesogen hat, indem er Alimente noch und noch zahlt.

Am Schluß kommt, wen wundert es noch, der alles entlarvende Schlenker in die Genom-Diskussion. Die Bio-Laboratorien liegen auf der Linie der Mutter Gottes: Sie sind von ihnen unbewußten theologischen Programmen gesteuert, endlich den auf fleischliche Weise gezeugten Menschen abzuschaffen. Die Labore der Genforscher sind mit ihren nicht-sexuellen Produktionsweisen "zölibatäre Maschinen", in denen Technisches und Übernatürliches gewissermaßen zur Synthese kommen und den kreatürlichen Menschen "post-humanistisch" hinter sich lassen, eben "Erlösung aus der Gefangenschaft des Fleisches". Man kann da im Sinne des Autors nur sagen: Wenn der Heilige Geist das vorhergesehen hätte!

Die in diesem Buch vorgelegten gedanklichen Versuche zeigen, was es am Ende bedeutet, wenn man Religion konsequent den Maßstäben der Humanwissenschaften unterwirft und meint, damit die Wirklichkeit zwischen Himmel und Erde erfassen zu können. Es ist das Pathos des "es war nichts anderes als nur", in diesem Falle vor allem: Der Mensch und alle seine Äußerungen sind exklusiv von den sexuellen Problemen und deren soziologischen Folgen her zu beschreiben. Wenn die Theologie nicht sehr bald lernt, sich auf ihre eigene Würde zu besinnen und die eigene Logik der jüdischen und christlichen Religion zu entdecken, dann wird sie binnen kurzem vollständig das Opfer solcher ironischer Reduzierungen werden - und auch diese steht im ganzen durchaus in der Nähe von Oskar Panizzas "Liebeskonzil", der Samisdat-Lektüre verklemmter Priesteramtskandidaten. Nach theologischer Logik dagegen ist die Menschwerdung Gottes keine familiär-sexuelle Beziehungskiste, sondern wirkmächtige, zärtliche Gegenwart des Schöpfergottes. Dabei zeigt das Buch einmal mehr, wie fatal es endet, wenn man auf eine Theologie des Heiligen Geistes verzichtet, die diesen Namen verdient hat, wird er doch als "Abkömmling Gottes" apostrophiert.

Im Zentrum des Buches steht der spielerische Umgang des Autors mit Zwei-zu-eins-Relationen aus den biblischen Beziehungsdreiecken. Da ist dann nach kombinatorischer Logik Maria zugleich Braut Gottes, Mutter Gottes und Braut des eigenen Sohnes. Was Liturgie und Kirchenväter als staunenswertes Geheimnis preisen, wird hier als purer Widersinn serviert, weil der Verfasser nichts von christlicher Symbolik versteht. Diese kann nicht platt fundamentalistisch ausgelegt werden, sondern baut - wie jegliches Gleichnis - auf dem alles entscheidenden einzigen Vergleichspunkt. Wer hier die Haltesignale überfährt, muß dem Christentum eine Fülle absurdester Geschmacklosigkeiten nachsagen.

Wenn man vergißt, daß es zu Weihnachten um Gott geht, kann man sich zu der Behauptung versteigen, die Geschichte des christlichen Monotheismus sei eine Geschichte der Spaltung der Vaterfunktion, verbunden mit der kulturträchtigen Trennung zwischen geschlechtlicher und geistiger Liebe. Es hat seine Gründe, daß der Bibel eine solche Trennung völlig fern liegt. Darauf, daß sie vielleicht ein ganz anderes Menschenbild haben könnte, verschwendet der Autor keinen Gedanken. Es richtet sich eben alles nach europäischer Kulturdogmatik des neunzehnten Jahrhunderts. Das Spirituelle bedeute Abwesenheit von Sexualität. Das ist pure anthropologische Reduktion, wo es um das Verhältnis zwischen Mensch und Gott geht. Und das ist nicht irgendwie spirituell, sondern die Schöpfermacht Gottes bejaht Leben und Leib, darin besteht sie geradezu, auch im Neuen Testament.

Alles, was Koschorke schreibt, ist auf seine Weise unwiderlegbar, wie schon der alte S. Freud es war. Sowie man nur an einer einzigen Stelle genauer hinschaut, gerinnt das Buch zur wortgewaltigen Schlaumeierei, und der Autor wird Opfer der eigenen eleganten Schnelligkeiten. Wo ist in Epheser fünf die Rede von Maria? Seit wann schießt die Pietà - eben auch die an der Neuen Wache in Berlin - die Juden aus, wo doch der gekreuzigte Jesus durch Pilatus ganz eklatant Opfer des römischen Judenhasses wurde? Die Fachexegese wird ignoriert, statt dessen Uta Ranke-Heinemanns "Nein und Amen" zur seriösen Fachliteratur umgedeutet. Die Rolle Josefs, des Davididen, nach Matthäus eins steht deshalb nicht im Widerspruch zur Entstehung Jesu durch den Heiligen Geist, weil in diesem Stammbaum auch schon zuvor Kinder immer wieder einen anderen Ursprung hatten, als die Leute glaubten; mit der Rechtsform der Adoption hat das nichts zu tun. Hier kann der Fachmann nur weinen.

Und wer sich in der Weihnachtsgeschichte ein wenig auskennt, darf fragen, wie Koschorkes Buch aussähe, wenn er auch noch Ochs und Esel in die Beziehungsdreiecke aufgenommen hätte, zumal den Ochsen mit seiner Kastrationsnarbe.

Albrecht Koschorke: "Die Heilige Familie und ihre Folgen". Ein Versuch. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000. 240 S., Abb., br., 25,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angelika Dörfler-Dierken gefällt die These des Konstanzer Literaturwissenschaftlers Albrecht Koschorke, dass die Familienstory von Jesus, Maria und Joseph zum ?grundlegenden abendländischen Code? wurde. Dass er mit Girard und einer modifizierten Version von Freuds Ödipuskomplex operiert, findet sie auch in Ordnung: Damit schlägt Koschorke den Bogen von Bethlehem zum Gegenwartspatriarchat. Worin das Neue des Buchs besteht, verrät sie in ihrer kurzen Kritik nicht.

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