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Wir wissen heute viel über die Umstände einzelner Kriege. Aber eine umfassende Einordnung von Kriegen in die Gesellschaft, in der sie stattfinden, steht noch aus. Wie hängen etwa die Muster der Rekrutierung von Kämpfern mit der Gesellschaftsform zusammen, in der sie leben? Wo ist die Kontrolle der bewaffneten Truppen angesiedelt? Inwieweit werden Rollenkontexte durch Kriege beschädigt und wie werden sie geschützt? Wie wird über Kriegsanfang und Kriegsende entschieden? Auf der Basis der soziologischen Gesellschaftstheorie analysiert Barbara Kuchler Zusammenhänge zwischen Kriegsformen und…mehr

Produktbeschreibung
Wir wissen heute viel über die Umstände einzelner Kriege. Aber eine umfassende Einordnung von Kriegen in die Gesellschaft, in der sie stattfinden, steht noch aus. Wie hängen etwa die Muster der Rekrutierung von Kämpfern mit der Gesellschaftsform zusammen, in der sie leben? Wo ist die Kontrolle der bewaffneten Truppen angesiedelt? Inwieweit werden Rollenkontexte durch Kriege beschädigt und wie werden sie geschützt? Wie wird über Kriegsanfang und Kriegsende entschieden? Auf der Basis der soziologischen Gesellschaftstheorie analysiert Barbara Kuchler Zusammenhänge zwischen Kriegsformen und gesellschaftlichen Differenzierungsformen seit der Antike bis heute. Sie arbeitet dabei das typische Profil moderner Kriege heraus, das sich jenseits aller Unterschiede zwischen "alten" und "neuen", regulären und irregulären Kriegen beobachten lässt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Zu reiner Rhetorik wird die Frage, ob Krieg zu etwas gut sei, für Thomas Speckmann beim Lesen des Buches der Bielfelder Soziologin Barbara Kuchler. Dankenswert findet Speckmann, dass die Autorin nicht die reißerische These reitet, sondern Grundlegendes zu erkennen trachtet. Indem Kuchler fragt, wie Krieg im Lauf der Menschheitsgeschichte gewertet wurde, kommt sie laut Rezensent zu interessanten Einsichten. Derjenigen etwa, dass die negative Bewertung des Krieges historisch jung recht ist, oder über die Rolle die Opferperspektive dabei. Dass Krieg negativ zu bewerten sei, daran ist für den Rezensenten nach dieser Lektüre kein Zweifel mehr.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2013

Mit den Siegern kam die Sicherheit

Früher wollte man Kriege gewinnen, heute will man sie vermeiden: Barbara Kuchler und Ian Morris denken über die veränderte Wahrnehmung kriegerischer Gewalt von der Steinzeit bis heute nach.

Kann Krieg zu etwas gut sein? In Deutschland gilt dies seit 1945 als eine rhetorische Frage. Ernsthaft gestellt wird sie allenfalls, wenn Entscheidungen über Interventionen in Krisenregionen auf die politische Tagesordnung kommen. Doch auch dann wird diese Frage meist mit einem Nein beantwortet - eine Reaktion, die zunehmend auch bislang eher interventionsbereite Mächte des Westens wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Frankreich zeigen.

Umso mehr dürfte das neue Werk von Ian Morris die westliche Öffentlichkeit irritieren. Der in Stanford lehrende Historiker stellt die These auf, dass Krieg sehr wohl zu etwas gut sei. Er habe die Menschheit - auf lange Sicht - sicherer und reicher gemacht: "Krieg ist die Hölle; nur dass die Alternativen - wieder auf lange Sicht betrachtet - schlimmer gewesen wären." Um seine These zu belegen, unternimmt Morris einen Ritt durch die kriegerische Geschichte der Menschheit.

Hier macht er vier Langzeitentwicklungen aus, auf denen er seine Argumentation aufbaut. Zunächst hätten Kriege zu zahlenmäßig größeren Gesellschaften höherer Ordnung geführt und diese zu einem verminderten Risiko, dass eines ihrer Mitglieder eines gewaltsamen Todes sterbe. Zum Beleg macht Morris eine einfache Rechnung auf: Schätzungen zufolge wurden in den Gesellschaften der Steinzeit zwischen zehn und zwanzig Prozent aller Menschen durch ihre Mitmenschen getötet. Demgegenüber stellt er das zwanzigste Jahrhundert mit seinen beiden Weltkriegen, einer Reihe von Völkermorden und staatlich inszenierten Hungerkatastrophen. Da 1945 rund zweieinhalb Milliarden Menschen auf der Welt lebten und am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts sechs Milliarden, machen die hundert bis zweihundert Millionen kriegsbedingten Toten "nur" ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung in diesem Zeitraum aus.

Damit ist nach der Gleichung von Morris die Wahrscheinlichkeit für einen Menschen im zwanzigsten Jahrhundert, gewaltsam oder durch die Folgen von Gewalt ums Leben zu kommen, zehnmal geringer als in der Steinzeit. Scheint Morris von dieser Statistik selbst ein wenig überrascht, so bietet er eine Erklärung für sie an, die in der Tat "noch weit mehr überrascht" - allerdings weniger im Sinne von Morris in seiner selbst gewählten Rolle des Advocatus Diaboli, sondern aufgrund ihrer ahistorischen Monokausalität - andere grundlegende Entwicklungen wie die Entstehung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ausblendend: "Was die Welt um so vieles sicherer gemacht hat, war nichts anderes als der Krieg."

Das sei dadurch gekommen, dass vor etwa zehntausend Jahren die Sieger von Kriegen die Besiegten größeren Gesellschaften einzuverleiben begannen, die wiederum nur funktionieren konnten, wenn ihre Herrscher stärkere Staaten entwickelten. Mit das Erste, wofür diese Staaten hätten sorgen müssen, wollten sie an der Macht bleiben, sei die Unterdrückung der Gewalt innerhalb der Gesellschaft gewesen. Die historische Nebenwirkung: der Rückgang gewaltsamer Todesfälle zwischen der Steinzeit und dem zwanzigsten Jahrhundert um neunzig Prozent. Allzu schlicht wirkt auch die Schlussfolgerung aus einer zweiten Beobachtung, die Morris bei der Betrachtung der Menschheitsgeschichte gemacht haben will: Krieg sei zwar die schlimmste Methode zur Schaffung größerer, friedfertigerer Gesellschaften, aber andererseits so ziemlich die einzige, auf die der Mensch gekommen sei. Auch die dritte Langzeitentwicklung, die Morris auszumachen meint, soll seine These untermauern: So wie die vom Krieg geschaffenen größeren Gesellschaften den Menschen ein sichereres Leben beschert hätten, so hätten sie "uns" auch reicher gemacht - durch wirtschaftliches Wachstum und steigende Lebensstandards.

Im Laufe der Zeit - vielleicht erst nach Jahrhunderten - stehe in der durch Krieg geschaffenen größeren Gesellschaft "jeder", die Nachkommen der Sieger wie die der Besiegten, besser da. Das Langzeitmuster sei auch hier unverkennbar: "Durch die Schaffung größerer Gesellschaften, stärkerer Staaten und größerer Sicherheit hat der Krieg die Welt bereichert." Morris glaubt nicht nur, dass Krieg die Menschheit sicherer und reicher gemacht hat, sondern dass dieser sich heute selbst um sein Geschäft bringt - zu destruktiv seien die Waffen geworden, zu effizient die Organisation. Hier hat Morris die klassische Konfrontation zwischen Staaten vor Augen - zusammen mit der gegenseitigen Vernichtungsgarantie der nuklearen Abschreckung des Kalten Krieges. Den asymmetrischen Krieg, der heute die dominierende Kriegsform darstellt und zu einem ganz eigenen Politik- und Geschäftsmodell geworden ist, blendet Morris aus. Nur so ist sein Optimismus zu erklären, dass der "uralte Traum einer Welt ohne Krieg" in Erfüllung gehen könnte.

Wie sehr Morris in seiner Argumentation zu kurz springt, wird bei Barbara Kuchler deutlich. Die Bielefelder Soziologin nimmt ebenfalls die Kriegsgeschichte als Ganzes ins Visier. Doch ihr Anliegen scheint weder die öffentliche Provokation noch die reißerische These als solche. Vielmehr geht sie grundlegenden Fragen nach, um die Rolle des Krieges in der Gesellschaft bestimmen zu können - mit wertvollen Ergebnissen, die überraschen dürften, da sie in der medialen Öffentlichkeit mit ihrem kurzen Erinnerungshorizont allzu rasch wieder in Vergessenheit geraten. So erinnert Kuchler daran, dass die heute geläufige Einschätzung von Krieg als etwas Schrecklichem historisch jung ist und Kriegführung über den größten Teil der Geschichte als ehrenvolles und nützliches Tätigkeitsfeld galt. Folglich stellen auch Autoren, die sich mit Krieg befassen, nahezu die gesamte Geschichte hindurch vorzugsweise die Frage, wie man Kriege gewinnen kann, und nicht - wie heute verbreitet - wie man sie vermeiden, verkürzen oder gar abschaffen kann.

Doch warum ist heute die Wertung, dass Krieg etwas Schlechtes sei, in der Gesellschaft ohne Alternative? Abweichungen hiervon erkennt Kuchler nur in zwei Fällen: Wenn Krieg in Form einer Intervention als kleineres Übel gegenüber dem propagiert wird, was sonst geschehen würde - Eroberungszüge oder Entfaltung brutaler Regimes. Hier gilt Krieg als Mittel zu einem für wichtig gehaltenen Zweck, nicht als Instrument an sich. Oder Krieg wird geschätzt, wenn man als "Kriegsherr" Profite von ihm zu erwarten hat - ein extrem partikularer Standpunkt, der von fast allen Beobachtern für unmoralisch oder kriminell gehalten wird.

Um den sich wandelnden Blick von Gesellschaften auf Krieg verstehen zu können, weist Kuchler auf die von Niklas Luhmann beschriebene Strukturform der modernen Gesellschaft hin, die diese in ein Nebeneinander von etwa einem Dutzend Teilsystemen wie Politik, Wirtschaft, Recht, Bildung und Wissenschaft zerfallen lässt, die sich für die Beteiligung prinzipiell aller Menschen offenhalten. Diese Inklusion bedeutet nach Kuchlers Analyse, dass neue Formen für die Teilnahme von Menschen an Kriegen entstehen - die allgemeine Wehrpflicht, aber auch die Möglichkeit der Selbstrekrutierung für Guerrillakriege oder der Mobilisierung für die "Heimatfront" sowie der planvollen Tötung oder Vertreibung einer politisch unliebsamen Bevölkerung. Damit erwerben Kriege ein Potential für ausufernde Betroffenheiten.

Entscheidender für die Wahrnehmungsveränderung von Krieg erscheint Kuchler noch ein anderer Punkt: Der Inklusionstrend hat zur Folge, dass der Beobachterstandpunkt für gesamtgesellschaftlich vertretbare Wertungen sich mehr und mehr auf die Position der Inklusionsrolle verschiebt. Daher werden auch Kriege - und das ist das historisch Neue - zunehmend aus der Perspektive der Zivilisten, der unschuldig leidenden Opfer oder indirekt Betroffenen beurteilt - statt aus der Sicht der Kriegführenden: "Und unter dieser Prämisse ist die Negativwertung von Kriegen in der Tat unausweichlich." Die Frage, ob Krieg zu etwas gut sein kann, wird zu einer rhetorischen.

THOMAS SPECKMANN

Barbara Kuchler: "Kriege". Eine Gesellschaftstheorie gewaltsamer Konflikte. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013. 413 S., br., 29,90 [Euro].

Ian Morris: "Krieg". Wozu er gut ist.

Aus dem Amerikanischen von Ulrike Bischoff, Susanne Kuhlmann-Krieg und Bernhard Josef. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2013. 527 S., geb., 26,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Die Autorin geht grundlegenden Fragen nach, um die Rolle des Krieges in der Gesellschaft bestimmen zu können - mit wertvollen Ergebnissen, die überraschen dürften.« Thomas Speckmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.11.2013