Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 3,50 €
  • Broschiertes Buch

1991, kurz nach Beginn des bis heute andauernden Krieges, brach in Somalia der Staat vollständig zusammen. Jutta Bakonyi zeigt, wie seitdem die Gesellschaft jenseits zentralstaatlicher Regulierung funktioniert, und welche Macht und Herrschaftsstrukturen sich herausgebildet haben. Die Untersuchung des Handels mit der Droge Khat, des Währungs- und Finanzmarkts sowie der internationalen Entwicklungshilfe verdeutlicht, welche Wirtschaftsstrukturen jenseits des Staates entstanden sind.

Produktbeschreibung
1991, kurz nach Beginn des bis heute andauernden Krieges, brach in Somalia der Staat vollständig zusammen. Jutta Bakonyi zeigt, wie seitdem die Gesellschaft jenseits zentralstaatlicher Regulierung funktioniert, und welche Macht und Herrschaftsstrukturen sich herausgebildet haben. Die Untersuchung des Handels mit der Droge Khat, des Währungs- und Finanzmarkts sowie der internationalen Entwicklungshilfe verdeutlicht, welche Wirtschaftsstrukturen jenseits des Staates entstanden sind.
Autorenporträt
Jutta Bakonyi, Dr. phil., ist gegenwärtig für den Zivilen Friedensdienst in Kenia tätig.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2011

Die Menschen verhungern, aber die Wirtschaft floriert
Somalia ist ein gescheiterter Staat. Heißt das auch, dass nichts mehr funktioniert? Nein. Der Kapitalismus funktioniert bestens.
Wer Geld hat, kann in Somalia alles bekommen. Jutta Bakonyi zeigt, wie es in dem Land aussieht, wo die „freie Marktwirtschaft“ wütet
Ende der neunziger Jahre, als in Kenia die Handys noch so groß und schwer waren wie Briketts, konnte man leicht verzweifeln. Man musste in Nairobi in den Garten gehen, hinter einen bestimmten Busch, denn nur dort hatte man eine Funkverbindung. Im Geschäftszentrum funktionierte das Telefon, ebenso im Nationalpark, in weiten Teilen der Stadt aber lief man oft lange herum, bis die Antenne Empfang anzeigte. Und zu allem Überdruss kostete die Gesprächsminute ins Ausland dann noch umgerechnet drei, vier Euro, manchmal sogar mehr.
In solchen Momenten träumte man von somalischen Zuständen. Das Land am Horn von Afrika hatte schon um die Jahrtausendwende das beste Handynetz Afrikas. Es gab überall Empfang, und die Preise waren sensationell günstig: Egal, in welches Land man von Somalia aus telefonierte, die Minute kostete umgerechnet 50 Cent.
Wie konnte das sein? Wie konnte es in einem Land, das nach der Vertreibung des Diktators Siad Barre 1991 komplett zusammengebrochen war, ein funktionierendes Handynetz geben? In einem Land, das als Staat aufgehört hatte zu existieren? Es gab keine Regierung mehr, kein Parlament, keine Verwaltung, keine Gerichte, kein Gesundheitswesen, keinen öffentlichen Dienst. Dafür aber bekriegten sich ein halbes Dutzend Clans, jede Menge Subclans und ungezählte Milizen.
Mehr als 300000 Menschen sollen damals schon ums Leben gekommen sein und mehr als zwei Millionen Menschen waren ins Ausland geflohen. Dafür aber bekamen die Zurückgebliebenen kostengünstige Handys, und auch Festnetzanschlüsse wurden in der umkämpften Hauptstadt Mogadischu angeboten. Zwischen Antrag und Installation verging meist nur ein Tag.
Und das Staunen von Nairobi aus wurde noch größer, wenn man frühmorgens an den Wilson Airport fuhr und all die kleinen Flugzeuge sah, die in Richtung Somalia abhoben. Sie alle hatten Khat an Bord, eine milde Droge, die in Kenia wächst und auch heute noch in das Bürgerkriegsland exportiert wird. Da jeder Somalier nachmittags ein Bündel Khat haben möchte, wird die Pflanze bis in die hintersten Ecken des Landes geliefert, und zwar innerhalb von 24 Stunden nach der Ernte, denn danach verliert Khat seine berauschende Wirkung. Der Khat-Vertrieb von Kenia ans Horn von Afrika war und ist die am besten funktionierende Lieferkette in der ganzen Region.
Schon seit der Jahrtausendwende ist also deutlich geworden, dass. wenn ein Staat kollabiert, die Wirtschaft durchaus weiter existieren kann. Somalia ist zwar das Musterbeispiel für einen gescheiterten Staat, für Elend und Gewalt, aber das, was sich dort seit 1991 entwickelt hat, ist Kapitalismus in seiner reinsten Form. Es ist die freieste und radikalste Marktwirtschaft, die es auf der Welt wohl gibt. Jeder, der zahlen kann, bekommt das, was er will. Am besten zu sehen ist das in Mogadischu, wo die Händler versprechen, dass sie in kürzester Zeit alles besorgen können – und mit alles meinen sie wirklich alles. Es gibt ein informelles Bankensystem, ein informelles Schulsystem und eine informelle Gesundheitsversorgung. Jeder Bereich, für den eigentlich der Staat zuständig wäre, ist in Somalia privatisiert, vor allem die Sicherheit. Wer in Mogadischu von einem Stadtviertel ins andere möchte, braucht teure, schwer bewaffnete Leibwächter. Wer eine Telefonfirma oder ein Geschäft besitzt, muss Sicherheitsleute engagieren, und wer einen Hafen oder einen Flugplatz betreibt, benötigt eine kleine Privatarmee. Unternehmer müssen zwar keine Steuern zahlen, ihre Ausgaben für die Sicherheit aber belaufen sich auf 20 bis 40 Prozent ihres Einkommens.
Klar ist in einem solch radikalen System aber auch, dass derjenige, der kein Geld hat, vor die Hunde geht. Was nicht zuletzt die ungezählten Hungertoten in Somalia belegen.
Nun weiß man zwar seit Jahren, dass der gescheiterte Staat Somalia über ein erstaunliches Wirtschaftswachstum verfügt, aber das wurde die meiste Zeit nur als Phänomen beschrieben. Mit ihrer Studie „Land ohne Staat“ hat die Wissenschaftlerin Jutta Bakonyi nun erstmals eine umfassende Analyse vorgelegt, wie es dazu kommen konnte.
Bakonyi beschreibt anhand der Geschichte Somalias, welche Funktion der Staat für die Menschen einst hatte. Die meisten von ihnen lebten als Nomaden auf dem Land und fühlten sich von der Zentralregierung, die Siad Barre in den siebziger und achtziger Jahren aufgebaut hatte, vor allem gegängelt. Der Staat war also nicht für die Bürger da, sondern die Bürger waren froh, wenn sie nichts mit dem Staat zu tun hatten, erschwerte er ihnen doch nur das Leben.
Diese Haltung ist in vielen Ländern Afrikas zu finden, wo jeder Behördengang eine Tortur ist, wo Polizisten mehr Gangster als Gesetzeshüter sind und wo sich Politik vor allem als Klüngelwirtschaft mit entsprechend hoher Korruption darstellt. Die Organisation des sozialen Lebens in Somalia oblag dem Clan, dem man angehörte, und dessen ausgefeiltem System von Rechtsprechung und gegenseitiger Hilfe. Vor allem der Norden Somalias erhob sich dann gegen Siad Barre, was zu dessen Sturz und schließlich in den Krieg führte. Dass daraufhin der komplette Staat zusammenbrach, verwundert nicht, denn durch die Plünderung der Herrschenden war das ganze Gebilde schon so hohl, dass es für den Kollaps nicht mehr viel brauchte.
Das Spannendste an Bakonyis Analyse aber ist, wie sich anschließend Herrschaft in den einzelnen Teilen Somalias organisierte, wie es ermöglicht wurde, dass die Wirtschaft zumindest in Teilen funktionierte und welch verheerende Folgen es immer wieder hatte, wenn Nachbarstaaten wie Äthiopien oder zuletzt Kenia in den Konflikt eingriffen und funktionierende Herrschaftssysteme in einzelnen Regionen zerstörten – vor allem weil radikale islamische Gruppen die Macht übernahmen. Die Islamisten waren allerdings vielen Bewohnern willkommen. Boten sie ihnen doch zumindest etwas Sicherheit, Bildung, Justiz und Gesundheitsversorgung.
Somalia ist bis heute ein Flickenteppich aus vielen Regionen, in denen unterschiedliche Clans, Subclans und Milizen herrschen. Nicht selten sind Geschäftsleute die stärksten Figuren, sie haben die Macht und das Geld. Auch das Piratenwesen an der Küste Somalias erklärt sich aus dem System der radikalen Marktwirtschaft. Die Menschen holen sich durch die Entführungen einen kleinen Anteil am Welthandel, der vor ihrer Nase durch den Golf von Aden fährt. Und die Lösegeldsummen sind so hoch, dass dies inzwischen auch der Infrastruktur des Landes zugutekommt. Es werden Häuser und Hotels gebaut, Geschäfte und Straßen. Ähnliches geschieht auch im kriegerischen Ostkongo, wo von Milizen enorme Mengen an Bodenschätzen geplündert und ins Ausland verkauft werden.
Vor allem dieser gewaltige wirtschaftliche Vorteil, den viele Herrscher in Somalia haben, erklärt auch, warum bislang jeder Versuch gescheitert ist, wieder einen zentral regierten Staat zu errichten. Warum dieses Bemühen sogar kontraproduktiv sein kann. Denn wann immer eine neue Regierung in Somalia Fuß fassen wollte, hat dies neue gewaltsame Konflikte provoziert.
Doch Bakonyis Studie - die leider in weiten Teilen sehr umständlich und unnötig kompliziert geschrieben ist - macht auch das klar: Die Herrschenden profitieren zwar von der Abwesenheit eines funktionierenden Staates, die meisten Menschen aber haben bitter darunter zu leiden. MICHAEL BITALA
Jutta Bakonyi
Land ohne Staat – Wirtschaft und Gesellschaft im Krieg am Beispiel Somalias
Campus Verlag, Frankfurt 2011. 396 Seiten, 39,90 Euro.
Ein Bild aus Somaliland, das sich 1991 von Somalia abgespalten hat; die Leute wussten, warum. Foto: Didier Ruef/LUZphoto/fotogloria
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
06.12.2011, Süddeutsche Zeitung, Die Menschen verhungern, aber die Wirtschaft floriert: "Man weiß seit Jahren, dass der gescheiterte Staat Somalia über ein erstaunliches Wirtschaftswachstum verfügt ... Mit ihrer Studie hat die Wissenschaftlerin Jutta Bakonyi nun erstmals eine umfassende Analyse vorgelegt, wie es dazu kommen konnte."

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Höchst instruktiv findet Rezensent Michael Bitala diese Studie über die wirtschaftliche Entwicklung Somalias, die Jutta Bakonyi vorgelegt wird. Die Autorin analysiert für ihn den erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung dieses afrikanischen Landes, das nach der Vertreibung des Diktators Siad Barre 1991 völlig kollabierte und heute als gescheiterter Staat gilt. Bakonyi zeigt seines Erachtens überzeugend, wie Somalia als Staat zusammenbrechen konnte, die Wirtschaft des Landes aber in Form eines radikalen Kapitalismus weiter existierte. Die Autorin verdeutlicht für ihn auch, dass unter diesen Bedingungen nur die Herrschenden profitieren, die Masse der Menschen aber in Hunger und Elend versinkt. Sein Fazit: eine erhellende Studie, die zu seinem Bedauern recht "umständlich und unnötig kompliziert" geschrieben ist.

© Perlentaucher Medien GmbH
Die Menschen verhungern, aber die Wirtschaft floriert
"Man weiß seit Jahren, dass der gescheiterte Staat Somalia über ein erstaunliches Wirtschaftswachstum verfügt ... Mit ihrer Studie hat die Wissenschaftlerin Jutta Bakonyi nun erstmals eine umfassende Analyse vorgelegt, wie es dazu kommen konnte." (Süddeutsche Zeitung, 06.12.2011)

"Mit Land ohne Staat hat Jutta Bakonyi nach langer Forschungsarbeit ein Buch vorgelegt, dass sich in Punkto Wissenschaftlichkeit, Relevanz und Originalität von allem abhebt, was an Monographien zu Somalia auf dem deutschsprachigen Markt erhältlich ist. Die Autorin verbindet auf kreative Art theoretische Ansätze aus Soziologie, Politikwissenschaft, Development Studies und Ethnologie." (Informationszentrum 3. Welt, 01.11.2012)