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Die Vielfalt der Geschichte

Produktbeschreibung
Die Vielfalt der Geschichte
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2002

Gentlemen auf Reisen
Trunken, phlegmatisch, steif, roh und rein: Was die Briten vom Deutschen an sich dachten
Nichts sei unter den Deutschen so verbreitet wie die Sitte, Trinkgesellschaften zu bilden, bei denen man sich gemeinschaftlich besaufe und so einander näher komme. Ebenso maßlos wie beim Trinken seien sie auch beim Essen. Kein anderes Volk pflege seine Bäuche mehr als die Einwohner dieses Landes, spottete ein englischer Reisender um 1750. Der Hinweis auf den exzessiven Trinkgenuss, der in keinem zeitgenössischen Reisebericht und Lexikonartikel über Deutschland fehlen durfte, ging auf Tacitus‘ „Germania” zurück und beherrschte seit Jahrhunderten die Vorstellung der Engländer von den Deutschen.
Die Trunksucht war nur eine unter vielen Eigenschaften, die man dem Deutschen im achtzehnten Jahrhundert zuschrieb. Als mindestens ebenso charakteristisch galt sein – klimatisch bedingt – phlegmatisches Naturell, das ihn daran hinderte, sein Land besser zu bewirten und das für die desolate wirtschaftliche Lage in vielen Teilen des Landes verantwortlich gemacht wurde. Hinzu kamen in den Augen der Zeitgenossen ein unüberwindlicher Aberglaube, eine an Steifheit grenzende Förmlichkeit und Titelsucht wie ein ausgeprägter Hang zum Militärischen, der bis heute das Bild vom „hässlichen Deutschen” prägt. Auf kaum mehr Verständnis stieß unter den englischen Reisenden die politische Situation im territorial zersplitterten Reich, jenem Monstrum, in dem absolut regierende Fürsten ihre Partikularinteressen verfolgten und die Steuergelder ihrer in Sklaverei gehaltenen Untertanen verprassten.
Anhand einer reichen Auswahl an Quellen – von Reisebüchern über Pamphlete bis zu Enzyklopädien – trägt Frauke Geyken in ihrer gut lesbaren, bisweilen amüsanten Dissertation gängige Stereotypen zusammen, die sich im achtzehnten Jahrhundert zum britischen Bild des „Deutschen an sich” verfestigten. Dabei war das Reisen einer schmalen Schicht von Adligen und zunehmend auch begüterten Bürgerlichen vorbehalten, die bis zur Jahrhundertmitte Deutschland nur auf der Durchreise nach Italien streiften und vor allem für den ebenso flachen wie langweiligen Norden kaum Interesse aufbrachten. Die Berichte, die junge Gentlemen von ihrer Kavalierstour lieferten, folgten zudem stets vorgegebenen Mustern und griffen auf die seit der Antike überlieferten Klischees und Vorstellungen zurück, statt individuell Erlebtes zu schildern.
Der feste Stereotypenkanon über die Deutschen diente indes nicht nur der Beschreibung des Fremden, sondern auch der Selbstbehauptung der eigenen Identität, wie die Göttinger Historikerin überzeugend darlegt. Vor dem Hintergrund des vermeintlich rückständigen, von Despoten unterdrückten und gebietsweise im „römischen Aberglauben” verharrenden Landes erstrahlte das Bild vom protestantisch-aufgeklärten, freien und prosperierenden Britannien in umso hellerem Glanze. Auch in der Diskussion um die Sukzession des Hauses Hannover und den Einsatz hannoverscher Söldnertruppen in den Schlesischen Kriegen wurden solche Vorstellungen vom deutschen Despotismus gezielt eingesetzt. Die Person des Protestanten Georgs I., der seit 1714 auf dem britischen Thron saß, wie auch sein Herkunftsland Hannover waren kaum von Interesse; sie dienten lediglich der „Konstruktion eines negativen Fremdbildes”, das den „positiven Gegenentwurf von Britishness” ermöglichte.
Erst die neue Innerlichkeit, die sich etwa seit der Jahrhundertmitte nicht nur in der britischen Gesellschaft durchsetzte, eröffnete eine neue Sichtweise auf Deutschland. Als scheinbar authentische, von Menschenhand unberührte Landschaft geriet die Gegend um den Rhein in der Romantik zu einer touristischen Hauptattraktion für britische Reisende. Die vermeintliche Zivilisationsferne des Landes, die zuvor stets bemängelt worden war, galt nun als größere Naturverbundenheit und Unverfälschtheit, seine Einwohner erschienen zwar als roh, aber zugleich rein. Aus Tacitus‘ barbarischen Horden waren Rousseaus „edle Wilde” geworden.
MARION LÜHE
FRAUKE GEYKEN: Gentlemen auf Reisen. Das britische Deutschlandbild im 18. Jahrhundert. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2002. 357 S., 39,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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27.12.2002, Süddeutsche Zeitung, Gentleman auf Reisen: "Eine gut lesbare, bisweilen amüsante Dissertation."

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Trunken, phlegmatisch, steif, roh und rein: So sahen die Briten die Deutschen im 18. Jahrhundert, wie Frauke Geyken herausgefunden hat. In ihrer zur Freude von Rezensentin Marion Lühe "gut lesbaren und bisweilen amüsanten" Dissertation "Gentlemen auf Reisen. Das britische Deutschlandbild im 18. Jahrhundert" hat Geyken anhand einer reichen Auswahl an Quellen - von Reisebüchern über Pamphlete bis zu Enzyklopädien - gängige Stereotypen zusammengetragen, die sich im achtzehnten Jahrhundert zum britischen Bild des "Deutschen an sich" verfestigten. Der Historikerin gelingt es dabei nach Ansicht Lühes, überzeugend darzulegen, dass der feste Stereotypenkanon über die Deutschen nicht nur der Beschreibung des Fremden diente, sondern auch der Selbstbehauptung der eigenen Identität. "Vor dem Hintergrund des vermeintlich rückständigen, von Despoten unterdrückten und gebietsweise im 'römischen Aberglauben' verharrenden Landes", referiert die Rezensentin ein Ergebnis von Geykens Arbeit, "erstrahlte so das Bild vom protestantisch-aufgeklärten, freien und prosperierenden Britannien in umso hellerem Glanze."

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