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B Die Geschichte der weiblichen Sexualität in neuer Perspektive S Madonna war der erste weibliche Popstar, der sich als Sex-Subjekt inszenierte. Sexuell offensive Frauen sind in der Popkultur längst zur Selbstverständlichkeit geworden - jedoch galt das gesteigerte sexuelle Begehren bei Frauen lange als Krankheit: Diagnose "Nymphomanie". Carol Groneman schreibt die Geschichte der Nymphomanie als Geschichte der weiblichen Sexualität im Spiegel der jeweiligen Zeit und Gesellschaft. Dass die Nymphomanie im 19. Jahrhundert als Krankheitsbild wahrgenommen wurde, das in der medizinischen Literatur…mehr

Produktbeschreibung
B Die Geschichte der weiblichen Sexualität in neuer Perspektive S Madonna war der erste weibliche Popstar, der sich als Sex-Subjekt inszenierte. Sexuell offensive Frauen sind in der Popkultur längst zur Selbstverständlichkeit geworden - jedoch galt das gesteigerte sexuelle Begehren bei Frauen lange als Krankheit: Diagnose "Nymphomanie". Carol Groneman schreibt die Geschichte der Nymphomanie als Geschichte der weiblichen Sexualität im Spiegel der jeweiligen Zeit und Gesellschaft. Dass die Nymphomanie im 19. Jahrhundert als Krankheitsbild wahrgenommen wurde, das in der medizinischen Literatur breiten Raum einnahm, sagt wesentlich mehr über die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts aus als über die sogenannte "Krankheit". Denn in einer Zeit, in der Frauen sexuell passiv zu sein hatten, enthüllte die unkontrollierte und unersättliche sexuelle Gier der Nymphomanin alle Widersprüchlichkeiten dieses Geschlechterkonzepts. Die Autorin definiert Nymphomanie als Metapher für die Fantasien un d Ängste, Befürchtungen und Gefahren, die sich im Laufe der Jahrhunderte im Zusammenhang mit der weiblichen Sexualität entwickelt haben. Sie beleuchet das Phänomen anhand von medizinischen Fallschilderungen, Gerichtsprotokollen, psychologischen Tests und populären Quellen. Sie zeigen, welch verschlungene Wege der Begriff der Nymphomanie im Lauf der vergangenen zweihundert Jahre genommen hat.
Autorenporträt
Carol Groneman ist Professorin für Geschichte am John Jay College of Criminal Justice, an der City University of New York. In ihren Büchern und Artikeln beschäftigt sie sich mit der Rolle von Frauen in der Gesellschaft und im Arbeitsleben. Über das Thema Nymphomanie forscht sie seit über zehn Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Keine Leidenschaft ist wie die
Von der Unmöglichkeit, nein zu sagen, ohne sich abzuschminken: Die Nymphomanie hat viele Väter / Von Klaus Ungerer

Mrs. S., eine Witwe von zwanzig Jahren, begab sich in Behandlung: In der Gegenwart von Männern könne sie nur schwer an sich halten. "Ich habe Angst, wahnsinnig zu werden", sagte sie, "meine lasziven Gefühle müssen die Folge einer Krankheit sein." Ihr Arzt untersuchte die Genitalien, riet zu Sitzbädern und Eisbeuteln, er legte Blutegel an die Gebärmutter, um den Säftehaushalt zu regulieren. Nach ein paar Wochen war die "hochachtbare" Dame geheilt. Ihre Geschichte aber übergab Dr. Bostwick 1855 in Form einer Abhandlung der interessierten Nachwelt. Das Bürgertum des neunzehnten Jahrhunderts hatte die Idee des Funktionierens verinnerlicht. Selbstredend also fand die Frau ihre Bestimmung in der Produktion von Nachwuchs. Ergo mußte in ihr eine Passivität wohnen, die sie ans Heim und auf die Matratze band. Sexueller Genuß oder gar Begehren waren besorgniserregende Fehlfunktionen des Gebärapparates. So wurde sie zur Patientin. Diagnose: Nymphomanie.

Dieses Jahrhundert erlebte das Erblühen diverser medizinischer Zweige, die auch um die Lösung des Nymphomanieproblems konkurrierten. Schädel wurden vermessen, Begriffe debütierten, die dem Leiden auf die Schliche zu kommen suchten: "Störung des psychosexuellen Hirnzentrums", "anaesthesia sexualis", "paranoia erotica". Richtig gräßlich wurde es, als auch die Chirurgie sich für Nymphomaninnen zu interessieren begann, sie opferte Eierstöcke und Gebärmütter dem erstrebten Seelenfrieden. Carol Gronemans Buch "Nymphomanie" kennt selbst den Fall eines neunjährigen Mädchens, das unter Masturbationsverdacht geriet. Die Eltern ließen ihrer Tochter, nicht unüblich, die Klitoris entfernen. Noch wurde die Nymphomanie als weitgehend körperliches Phänomen verstanden. Die Hoffnung auf eine einfache Reparatur flackerte ab 1929 noch einmal auf. Man hatte "männliche" und "weibliche" Hormone ausgemacht, die Gabe von Testosteron sollte die Beschwerden der betroffenen Frauen lindern. Erster Euphorie folgte die Ernüchterung: Undankbare Probandinnen mochten sich beklagen, man habe sie "ihrer Sexualität beraubt". Dann stellte sich heraus, daß Testosteron die Libido ebensogut steigern wie dämpfen konnte.

Dann ließen sich die Hormone gar nicht mehr so eindeutig den Geschlechtern zuordnen. Der Körper behielt seine Geheimnisse für sich, es war an der Zeit, sich der Seele zu erinnern. An ihr gab es noch eine Menge herumzuklempnern. Wo Penisneid war, sollte Kinderwunsch werden. Das Mädchen mußte lernen, seine Erregbarkeit von der Klitoris auf die Vagina umzuleiten, wohin sie nach Meinung männlicher Analytiker gehörte. Versagte die Heranwachsende vor dieser Aufgabe, so geriet sie auf die schiefe Bahn, wurde Nymphomanin, Lesbierin, Frauenrechtlerin.

Was die Psychologen sich so zurechtgewienert hatten, verblieb nicht in akademischen Zirkeln. Ehehandbücher und Familienzeitschriften öffneten sich dankbar der neuen Mythologie und verbreiteten eine Vulgärversion von Freud. Viel Unsinn geriet so ins Allgemeingut, ein Fortschritt aber war doch erreicht. Die Frau durfte jetzt Lust empfinden. Wurde diese dem Manne zu viel, so fand auch er seine Zuflucht beim großen Umdeuter: Die Nymphomanin war in Wirklichkeit frigide. Machte der Mann vor ihr schlapp, so war sie selber schuld.

Deutungsmuster zur Nymphomanie kamen und gingen: Angst, Machtgier, inzestuöse Begierde, latente Homosexualität, Narzißmus, Selbsthaß, Entfremdung der Gesellschaft, Nähe und Distanz. Je länger das Phänomen gewendet wurde, desto mehr bröckelte es auseinander. Ja, gab es die Nymphomanie denn überhaupt? Jahrzehntelang rang die American Psychiatric Association (APA) um eine Definition und um diagnostische Kriterien - 1987 ließ sie den Begriff fallen.

Auch andere Disziplinen waren hartnäckig vernarrt in die Idee. Die Justiz übernahm ihre Einstellung zu mißbrauchten Frauen von Medizinern wie dem englischen Gynäkologen C. H. F. Routh. 1887 veröffentlichte er eine Abhandlung über "Those Cases of Nymphomania Which Lead Women to Make False Charges Against Their Medical Attendants". Hier warnte er die Ärzteschaft vor den Anschlägen lüsterner Verführerinnen. Diese schreckten nicht einmal davor zurück, Väter und Brüder der Vergewaltigung zu bezichtigen: "Wenn sie solche haarsträubenden Geschichten über diejenigen erfinden können, die sie am meisten lieben und verehren sollten, dann sind sie auch imstande, andere, weitaus haarsträubendere Geschichten über ihre Ärzte zu erfinden und zu glauben."

Die lügenhafte Nymphomanin fand Eingang in die Rechtstheorie und hielt sich dort lange. Zum Beispiel in John Henry Wigmores Standardwerk über die Beweisaufnahme "Evidence in Trials at Common Law". Mannigfaltig seien die psychischen Komplexe der Frauen, wußte Wigmore seit 1940 anzugeben und gönnte sich einen eigenen Abschnitt über Nymphomanie als "abnormer Geisteszustand von Klägerinnen". Auch zu dieser Zeit mochten noch genügend Mediziner sekundieren. Psychiatrische Gutachten seien bei Vergewaltigungsklägerinnen dringend erforderlich, schrieb der Psychiater Karl Menninger an Wigmore, weil "bei Frauen Vergewaltigungsphantasien extrem häufig, ja wahrscheinlich universell sind". Stand Aussage gegen Aussage, so konnte die Klägerin eine Nymphomanin sein, sexsüchtig und lügenhaft, und konnte ihre Gruppenvergewaltigung selbst betrieben haben. Beschuldigte eine Tochter den Vater, so glaubte man gerne an die erotisch motivierte Zügellosigkeit ihrer Phantasie. Nur sehr zögerlich sollten Justiz und Öffentlichkeit sich bereit finden, den Inzest als eine Realität zu akzeptieren.

Während die Gesellschaft den Blick in ihre dunkelsten Winkel ertragen lernte, geriet die Vorstellung von der Nymphomanie allmählich in Gefahr. In Amerika brachte vor allem der "Kinsey-Report" von 1948 und 1953 sie ins Wanken. Zwölftausend Bürger des Landes hatten ihr Sexualverhalten einem Fragebogen anvertraut und Erschütterndes offenbart. Der Sex, den das Volk betrieb, war von dessen moralischer Rhetorik grundverschieden: früher, öfter, tabuloser. Mit dieser Erkenntnis flogen einem die Bonmots nur so zu. "Was ist eine Nymphomanin?" fragte Alfred Kinsey. "Jemand, der mehr Sex hat als man selbst." Nun ging der Mannstollheit allmählich die Puste aus. Der Ruf nach sexueller Befriedigung ertönte im Sprechchor der Frauenbewegung, und die Männer konnten froh sein, wenn sie dabeisein durften. Nymphomanie aber, gestanden Psychologen der siebziger Jahre, lasse sich gar nicht quantifizieren, nur schwerlich könne Promiskuität als Krankheit definiert werden.

Was das Werk an Bereicherung zu bieten hat, ist so überragend nicht. Über weite Strecken gibt Groneman eine Geschichte wieder, die schon anderswo geschrieben steht. Es ist die Geschichte von der sexuellen Befreiung der Frau. In diesem langen Kampf diente die Nymphomanie der Reaktion als Waffe, mit der abweichendes Verhalten stigmatisiert wurde. Die meiste Klarheit bezieht Gronemans Argumentation aus den Gerichtsakten und medizinischen Berichten des vorvergangenen Jahrhunderts. Je näher aber die Zeiten rücken, desto mehr weitet und verliert sich der Blick der Historikerin. Um ihr Thema zu fassen zu bekommen, klaubt sie ihre Belege immer wahlloser aus Zeitungsartikeln, Ratgeberkolumnen, Talk-Shows, Spielfilmen, Pornofilmen zusammen und muß am Ende bekennen, daß der Begriff der Nymphomanie "amorph geworden" sei. Damit ist der Standardannahme Genüge getan, daß wir in ach so unübersichtlichen und wertfreien Zeiten leben. Was aber hätte uns ein Passant von 1830 über die Nymphomanie erzählen können? Doch wohl auch nicht viel Konkretes.

Carol Groneman: "Nymphomanie". Die Geschichte einer Obsession. Aus dem Englischen von Sonja Schuhmacher und Rita Seuß. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2001. 238 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Diagnose Nymphomanie" hieß es im 19. Jahrhundert, wenn eine Frau auf Lust aus war, oder ein Mädchen vermeintliche Symptome dafür zeigte. Dann ließen die Eltern schon mal die Klitoris entfernen. Das Deutungsmuster wurde bis in die 1920er Jahre ausgebaut und verfestigt und hielt sich weit darüber hinaus - die American Psychatric Association ließ den Begriff erst 1987 fallen. Klaus Ungerer zeichnet die Geschichte des Konzeptes nach, ohne das Buch zu besprechen und attestiert am Schluss Groneman, nicht viel Neues zu liefern, denn letztlich schreibt sie noch mal eine "Geschichte von der sexuellen Befreiung der Frau". In der Analyse von Gerichtsakten des 19. Jahrhunderts ist sie am besten, so Ungerer, fürs 20. Jahrhundert "klaubt sie ihre Belege immer wahlloser zusammen".

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