Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 28,92 €
  • Gebundenes Buch

Theodor Oberländer, geboren 1905, gehörte zur akademischen Elite des Nationalsozialismus. Er leitete seit 1933 das Institut für Osteuropäische Wirtschaft in Königsberg und wechselte 1937 in das Amt "Ausland/Abwehr" der Wehrmacht. Bei der Besetzung Osteuropas war er federführend. 1953 wurde er unter Adenauer als Minister ins Kabinett berufen. Er war Anfang 50, als Ost-Berlin ihn in einem Schauprozeß wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilte. 1960 konnte ihn Adenauer deshalb nicht mehr als Minister halten. Philipp-Christian Wachs zeichnet erstmals das Porträt eines Mannes, der die…mehr

Produktbeschreibung
Theodor Oberländer, geboren 1905, gehörte zur akademischen Elite des Nationalsozialismus. Er leitete seit 1933 das Institut für Osteuropäische Wirtschaft in Königsberg und wechselte 1937 in das Amt "Ausland/Abwehr" der Wehrmacht. Bei der Besetzung Osteuropas war er federführend. 1953 wurde er unter Adenauer als Minister ins Kabinett berufen. Er war Anfang 50, als Ost-Berlin ihn in einem Schauprozeß wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilte. 1960 konnte ihn Adenauer deshalb nicht mehr als Minister halten. Philipp-Christian Wachs zeichnet erstmals das Porträt eines Mannes, der die junge Bundesrepublik mitgestaltet, doch ebenso die Schattenseite des neuen deutschen Staates mitverantwortet hat. Sein Leben war Teil der Geschichte beider deutscher Staaten und ihres Umgangs mit der Vergangenheit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2000

Einmal nach oben und zurück
Der einstige Vertriebenenminister Theodor Oberländer war Nazi und Antisemit – aber kein Mörder
PHILIPP-CHRISTIAN WACHS: Der Fall Theodor Oberländer (1905-1998). Ein Lehrstück deutscher Geschichte, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2000. 533 Seiten, 78 Mark.
Theodor Oberländer war wohl der umstrittendste Politiker der jungen Bundesrepublik. Als Vertriebenenminister in der Regierung Adenauers polarisierte er nicht nur die Kommentatoren der westdeutschen Presse, sondern wurde auch zur Zielscheibe vieler Angriffe aus dem sozialistischen Block. In seinem achten Amtsjahr musste er 1960 zurücktreten. Adenauer konnte ihn nicht mehr halten, nachdem er von einem DDR-Gericht als „Mörder von Lemberg” zu lebenslanger Haft verurteilt worden war – ein im Grunde kurioses Detail des deutsch-deutschen Gegeneinanders im kalten Krieg.
Mit seinem Namen ist eine der ersten großen Debatten der jungen Bundesrepublik über die Nazi-Vergangenheit verbunden. Bis in die Gegenwart ist der 1998 im Alter von 93 Jahren gestorbene Oberländer Symbolfigur für den reibungslosen Aufstieg von Altnazis in die Machtelite in der Regierungszeit Adenauers geblieben. Diesem wurde und wird unterstellt, an einer Ahndung von NS-Verbrechen nicht interessiert gewesen zu sein.
Eine nun erschienene solide Studie aus der Feder des jungen Berliner Historikers Philipp-Christian Wachs, bei welcher der Verlag leider das Personenregister eingespart hat, rückt manches an diesem Bild zurecht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Oberländer keineswegs einer der Ideologen des deutschen Vernichtungskrieges im Osten war, als der er immer wieder gebrandmarkt worden war, sondern ein überaus intelligenter Mitläufer.
Zwar nahm Oberländer als 18-Jähriger 1923 an Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle in München teil, doch erst ein Jahrzehnt später trat er der NSDAP bei. Da er den Rassenwahn der Naziführung nicht akzeptierte, überwarf er sich schließlich mit ihnen. Wachs lernte Oberländer noch persönlich kennen und konnte letztlich dessen Vertrauen gewinnen. Er konnte bei seinen Forschungen nicht nur dessen umfangreiches Privatarchiv nutzen, sondern auch Akten der Stasi sowie polnische und sowjetische Materialien. Seine Analyse führt zu dem Ergebnis, dass Ost-Berlin, Moskau und Warschau gegen das frühere NSDAP-Mitglied Oberländer eine systematische Verleumdungskampagne führten, die das Ziel hatte, Adenauer zu treffen und ihn gegenüber den westlichen Regierungen als Nazi-Sympathisanten darzustellen. Gleichzeitig wurden die Heimatvertriebenen diskreditiert; diese forderten damals eine Revision der Nachkriegsgrenzen in Osteuropa – und rührten somit unmittelbar an die Interessen Moskaus und Warschaus.
Oberländer selbst hatte immer von einer Kampagne östlicher Geheimdienste gegen sich gesprochen – ein Großteil der bundesdeutschen Publizisten hatte ihm keinen Glauben geschenkt, ihn mit Spott überhäuft. Wachs gibt ihm zumindest in diesem Punkt recht.
Nachtigall im Einsatz
Die Vorwürfe gegen Oberländer bezogen sich vor allem auf seine Zeit als stellvertretender Kommandeur eines deutsch-ukrainischen Bataillons unter dem Oberbefehl der Wehrmacht mit dem Decknamen „Nachtigall”, das im Sommer 1941 im galizischen Lemberg (dem heutigen ukrainischen Lwiw) zum Einsatz kam. Ihm wurde vorgeworfen, die Ermordung mehrerer Tausend Juden sowie mehrerer Hundert polnischer Intellektueller befohlen zu haben. Ein überaus aktuelles Thema, denn wegen falsch zugeordneter Fotos aus dieser Zeit und dieser Region wurde die Wehrmachtsausstellung geschlossen und neu konzipiert.
Zu den Lemberger Massenmorden lagen bereits mehrere neuere Untersuchungen vor; keiner der Autoren fand Belege für eine Beteiligung Oberländers daran. Wachs bestätigt dieses Ergebnis. Der frühere „Lebensraum-Experte” des ostpreußischen Gauleiters Erich Koch war zwar ein erklärter Antibolschewist und zweifellos auch Antisemit, doch wandte er sich gegen die Unterdrückung, gar Vernichtung der Bevölkerung der von den deutschen Truppen besetzten Gebiete. Vielmehr wollte er sie für den Kampf gegen den Bolschewismus gewinnen.
Wachs ist es gelungen, die Fülle von Materialien nicht nur logisch zu strukturieren, sondern sie auch mit leichter Feder darzustellen. Herausgekommen ist der bewegte Lebenslauf eines Mannes, der wie ein trockener Amtsverwalter aussah, aber einen überaus schillernden Charakter hatte. Er verfügte über einen guten Schuss Opportunismus, hatte aber auch seine Grundsätze. Er trug zwar lange in seiner jeweiligen Position die Politik der Nazis mit, war aber der kein politischer Verbrecher. Wie es im Untertitel zu Recht heißt: Ein Lehrstück deutscher Geschichte.
THOMAS URBAN
Ein Minister der Bundesrepublik im Kampf gegen die Vergangenheit: Theodor Oberländer (li. ) musste als „Mörder von Lemberg” zurücktreten.
Foto: AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen faszinierenden Fall aus der Zeit des Kalten Kriegs scheint Philipp-Chrsitian Wachs hier aufgerollt zu haben. Staadt referiert in seiner weitgehend positiven Rezension erstmal, um wen es hier geht: Theodor Oberländer, Vertriebenenminister unter Adenauer, dem das DDR-Regime 1960 in Abwesenheit einen Schauprozess wegen Vorbereitung eines Angriffskriegs machte. Staadt schildert in Anlehnung an Wachs` Buch, Oberländers Wirken in der Nazi-Zeit, wo er als "Ostwissenschaftler" zum Teil andere Konzeptionen der Bevölkerungspolitik in Osteuropa verfocht als die SS. Kritisch merkt Staadt hier allerdings an, dass Wachs Oberländer, der ein überzeugter Nazi war, ein wenig zu sehr zum Widerstandskämpfer hochstilisiere und gar an die Seite des Grafen Stauffenbergs stellen wolle. Ein Widerstandskämpfer war er aber nicht. Dies müsse man auch dann einsehen, wenn man eingesteht, dass die Vorwürfe der DDR-Justiz gegen Oberländer manipuliert waren. Dennoch bescheinigt der Rezensent dem Buch eine reiche Informationsfülle, vor allem was die juristischen Nachspiele von Oberländers Karriere anging.

© Perlentaucher Medien GmbH