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Eine junge Generation von israelischen Historikern macht sich auf, die Geschichte ihres Staates neu zu schreiben. Diese nach der Shoa geborenen Wissenschaftler stellen die etablierte Sicht auf die Entstehungsgeschichte Israels und den israelisch-arabischen Konflikt in Frage. Ihre Kontroverse hat die Mauern der Universität rasch überwunden und wurde in den israelischen Medien zum leidenschaftlich diskutierten Thema. Der Band versammelt die wichtigsten Beiträge zu dieser Debatte, die existentielle Fragen der israelischen Geschichte und Gegenwart betreffen, zugleich aber auch allgemeine, gerade…mehr

Produktbeschreibung
Eine junge Generation von israelischen Historikern macht sich auf, die Geschichte ihres Staates neu zu schreiben. Diese nach der Shoa geborenen Wissenschaftler stellen die etablierte Sicht auf die Entstehungsgeschichte Israels und den israelisch-arabischen Konflikt in Frage. Ihre Kontroverse hat die Mauern der Universität rasch überwunden und wurde in den israelischen Medien zum leidenschaftlich diskutierten Thema. Der Band versammelt die wichtigsten Beiträge zu dieser Debatte, die existentielle Fragen der israelischen Geschichte und Gegenwart betreffen, zugleich aber auch allgemeine, gerade bei uns höchst aktuelle Probleme der zeitgenössischen Geschichtsschreibung berühren.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.07.2000

Wenn der Zionismus politisch korrekt wird
In Israel streiten sich Historiker über eine neue Geschichtsschreibung, die bisweilen Tabus bricht
BARBARA SCHÄFER (Hrsg. ): Historikerstreit in Israel. Die „neuen” Historiker zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2000. 283 Seiten, 68 Mark.
Die israelische Demokratie hat schon glanzvollere Zeiten gesehen. Ehud Barak führt eine Regierung an, deren Koalitionäre die „nationale Einheit” versprachen und die sich nun einer nach dem anderen aus ihrem Ministeramt verabschieden. Religiöse und kompromisslose Abgeordnete torpedieren Baraks Politik des Verhandlungsfriedens. Nur noch eine nostalgische Reminiszenz ist in diesem Klima das Jahr 1999, als der israelische Souverän den dogmatischen Hardliner Benjamin Netanyahu entließ und ein Zeitalter des Friedens und der Demokratie angebrochen zu sein schien. Vorbei, alles beim Alten?
In dieser politischen Realität, in welcher das Wort eines Rabbis mehr Gewicht haben kann als parlamentarische Werte, leben auch die „neuen Historiker”, die für eine Demokratisierung der israelischen Geschichtsschreibung und für eine Neubewertung des Zionismus eintreten. Die Debatte über die Ideale des Zionismus kommt nicht von ungefähr. Die „neuen Historiker”, die sich zugute halten, den Prozess der Öffnung forciert zu haben, versuchen schon seit fast zwei Jahrzehnten, die israelische Öffentlichkeit aufzurütteln. Von Anfang an konzentrierten sie sich dabei auf die „alten Historiker” des Zionismus. Ihnen unterstellen sie, mit ethnozentrischem Blickwinkel nur der Glorie des Zionismus gedient zu haben. Ins Visier der jüngeren Historiker geriet zunächst der „Unabhängigkeitskrieg”, der auf die Staatsgründung folgte. In der Sprache der neuen Historiografie wird dieser schnörkellos „Krieg von 1948” genannt, womit die mit dem Begriff der „Unabhängigkeit” einhergehenden Konnotationen unterdrückt werden sollen.
Die Themenpalette der neuen Historiker ist breit. Sie reicht von der Debatte, den jüdisch-demokratischen Staat in einen „Staat aller seiner Bürger” umzuwandeln, über die Bewertung des Verhaltens der zionistischen Führung während des Holocausts bis hin zu den Versäumnissen bei der Integration der orientalischen Einwanderer. Der Herausgeberin des Bandes über den „Historikerstreit in Israel”, Barbara Schäfer-Siems vom „Institut für Judaistik an der Freien Universität Berlin”, ist es zu danken, diese inner-israelische Debatte nun auch einem breiteren deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht zu haben. Das von ihr vorgelegte Buch umfasst eine Auswahl von Kongressaufsätzen, die bereits auf Hebräisch erschienen sind. Mit Beiträgen von Benny Morris, Ilan Pappe, Uri Ram, Dan Michman und Amnon Raz-Krakotzkin melden sich darin die Hauptprotagonisten des Historikerstreites zu Wort, der in Israel auch als „Postzionismus-Debatte” bekannt ist.
Als Orientierungshilfe im Labyrinth des Streites hat die Herausgeberin zwei sehr unterschiedliche Analysen ausgewählt: Eingeleitet wird der Band mit einer Abhandlung des Zionismusforschers Yoav Gelber, der die Einflussfaktoren der zionistischen Geschichtsschreibung seit den 20er Jahren nachzeichnet. Er deutet das Phänomen der „neuen Historiker” als israelische Variante der amerikanischen „political correctness”. Dagegen spricht sein Kollege, Daniel Gutwein, der „neuen Historiografie” ab, eine wissenschaftliche Schule begründet zu haben. Im Ideengut der selbsternannten neuen Historiker sieht er vielmehr ein Instrument im Richtungskampf des „Establishments”, mit dem das israelische Gedächtnis individualisiert werden soll. Diese „Privatisierung des Gedächtnisses” verurteilt er als Versuch, das einheitsstiftende „nationale Gedächtnis” seiner Legitimität zu berauben.
Vernichtungstrieb
Den „neuen Historikern” wäre allerdings unrecht getan, würden sie allein auf ihre politischen Ambitionen reduziert. Gerade Historiker wie Ilan Pappe und Benny Morris haben versucht, das „Bermudadreieck” zwischen Wissenschaftlichkeit, politischer Standortbestimmung und öffentlichem Vergangenheitsverständnis zu meistern. Morris, der Schöpfer des Begriffs der „neuen Historiker”, hat in dieser Frage für ein positivistisches Wahrheitsverständnis und eine „objektive” Geschichtsschreibung geworben. Als sein schärfster Gegner stellte Pappe 1993 in einem viel beachteten Zeitungsinterview dieser Position entgegen: „Es gibt keine Geschichte, es gibt nur Historiker. ” Als Geschichtswissenschaftler verfolgt er das Ziel, den häufig widersprüchlichen historischen Perspektiven, etwa von jüdischen Israelis und Palästinensern, mit einer unbelasteten Terminologie eine Stimme zu geben.
Dieser Streit über die Grenzen der „objektiven” Geschichtsschreibung lenkt den Blick auf so manche politische Motivation, welche die neuen Historiker umtreibt. Weit reichende Ambitionen werden hier sichtbar – zum Beispiel wenn sich der Historiker Amnon Raz-Krakotzkin aus Beerscheva von der neuen Geschichtswissenschaft nichts weniger als die Klärung prinzipieller kultureller und politischer Fragen verspricht. Uri Ram möchte den „Historikerstreit” als Aufbruch in die multikulturelle Zivilgesellschaft deuten. Und Ilan Pappe will die „kolonialistischen” Folgen des zionistischen Projektes betrachten.
Allerdings: In ihrem ungebrochenen Glauben an die politische Einflussmöglichkeit der Geschichtsschreibung gleichen die „neuen” Historiker den bekämpften „alten” stärker, als ihnen lieb sein mag. Zeitweise war ihr Schlagabtausch mit den Vätern derart heftig, dass beide Seiten alle akademische Zurückhaltung fahren ließen.
Es liegt nahe, diesen zionistischen Historiker-Streit als Israels nachgeholte 68er-Revolte unter nahöstlichen Vorzeichen aufzufassen. Auch wenn der Part der Revolutionäre nur von einzelnen Akademikern gespielt wird, so sind doch die Provokation und der Tabubruch perfekt: Als Ilan Pappe 1993 vortrug, er hätte auf die israelische Staatsgründung verzichtet, wenn er nur vorher um den hohen Preis der Entwurzelung des palästinensischen Volkes gewusst hätte, da ließ der Aufschrei der alten Pioniere nicht auf sich warten. Der renommierte Schriftsteller Aharon Megged, der 1967 bei der Eroberung des Tempelberges dabei war, prangerte in tiefer persönlicher Verletztheit den „israelischen Selbstmordtrieb” der neuen Historiker und Postzionisten an. Ihnen warf er vor, sich mit den Palästinensern zu solidarisieren – in einer Zeit, da diese doch offen danach trachteten, Israel zu vernichten.
Eine kurze Dokumentation dieser in israelischen Zeitungen und Zeitschriften ausgefochtenen Phase des Historikerstreites hätte den Aufsatzband sehr bereichert. Denn an der Frage der moralischen Qualität des Zionismus scheiden sich bis heute die Geister. Zwar sind die radikalen Töne weitgehend verstummt. Gleichwohl hat sich so mancher Mitstreiter den anfänglichen Gestus des Glaubenskämpfers bewahrt. Der Zionismus hat in seiner über hundertjährigen Geschichte eine Vielfalt und innere Dynamik entfaltet, die außerhalb Israels, und nicht zuletzt in Deutschland, häufig unterschätzt wird. Der Mangel an Informationen und Dokumentationen zu innerisraelischen Debatten, deren Qualität an den vorliegenden Band heranreicht, hat hieran seinen Anteil.
JULIA BRAUCH
Die Rezensentin promoviert an der FU Berlin über Israel.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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06.01.2001, Frankfurter Rundschau, Geschichte des auserwählten Volkes: "Barbara Schäfer und ihrem hervorragenden Übersetzerteam ist es gelungen, die Ansätze und die Kernpunkte der inzwischen auf äußerst reflektiertem Niveau geführten Debatte in sieben klug ausgewählten Aufsätzen von 'alten' und 'neuen' Historikern transparent zu machen."

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Das Buch, dessen Beiträge zuerst auf Hebräisch veröffentlicht wurden und jetzt von der Judaistikprofessorin Barbara Schäfer auf deutsch herausgegeben worden ist, leistet in den Augen des Rezensenten Joachim Schlör zweierlei: Zum einen reflektiere es "die intellektuelle Vielfalt und die wissenschaftliche Intensität", mit der in Israel die eigene Geschichte erforscht wird - ein Ansatz, den er sich auch von den arabischen Nachbarn Israels wünscht. Darüber hinaus stellen die Beiträge "Grundfragen der Geschichtsforschung am israelischen Beispiel". Den Begriff "Historikerstreit" findet Schlör in diesem Fall zwar ungünstig gewählt, angesichts der Brisanz der Thematik aber verzeihlich. Kernbereiche des geschichtlichen Diskurses in Israel sind die "Araberfrage" und der Umgang mit der Erinnerung an die Shoah, so Schlör.

© Perlentaucher Medien GmbH
Geschichte des auserwählten Volkes
"Barbara Schäfer und ihrem hervorragenden Übersetzerteam ist es gelungen, die Ansätze und die Kernpunkte der inzwischen auf äußerst reflektiertem Niveau geführten Debatte in sieben klug ausgewählten Aufsätzen von 'alten' und 'neuen' Historikern transparent zu machen." (Frankfurter Rundschau, 06.01.2001)