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B Zur Ambivalenz der deutschen Widerstandsbewegung im Nationalsozialismus S Warum hat der deutsche Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft die gezielte Judenverfolgung in seinem Kampf fast vollständig ausgeklammert? Wie kam es zu diesem politischen und oft auch persönlichen Versäumnis? Diese Fragen stellt die jüdische Forscherin Susanna Keval in den Mittelpunkt ihrer empirischen Studie, die durch einen historischen Überblick und zeitgeschichtliche Dokumente untermauert wird. Die Autorin hat mit Männern und Frauen des deutschen Widerstandes über das Verhalten der…mehr

Produktbeschreibung
B Zur Ambivalenz der deutschen Widerstandsbewegung im Nationalsozialismus S Warum hat der deutsche Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft die gezielte Judenverfolgung in seinem Kampf fast vollständig ausgeklammert? Wie kam es zu diesem politischen und oft auch persönlichen Versäumnis? Diese Fragen stellt die jüdische Forscherin Susanna Keval in den Mittelpunkt ihrer empirischen Studie, die durch einen historischen Überblick und zeitgeschichtliche Dokumente untermauert wird. Die Autorin hat mit Männern und Frauen des deutschen Widerstandes über das Verhalten der Widerstandskämpfer gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern gesprochen. Ihre vielschichtige Interpretation der Gespräche deckt die zeithistorischen und individualbiographischen Hintergründe auf, die zu dieser Ausblendung geführt haben. Damit gibt das Buch nicht nur interessante Einblicke in die Lebensgeschichte deutscher Widerstandskämpfer und Widerstandskämpferinnen, die i n ihrer Jugend gegen das Hitlerregime kämpften. Darüber hinaus zeigt es, dass auch diejenigen, die sich durch ihr Tun von der Masse der Anhänger oder Mitläufer des Hitlerregimes abhoben, mit diesen häufig ganz selbstverständlich religiöse, politische und kulturelle Traditionen teilten. Damit offenbaren die ethnoanalytisch interpretierten Gruppengespräche das Ambivalente, Unspektakuläre und Unordentliche der Widerstandsbewegung. Die zeitlebens um Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit kämpfenden Männer und Frauen müssen sich in ihren Erinnerungen angesichts der nicht erfolgten Solidarität mit den verfolgten Juden ihrer Schuld, Scham und Verzweiflung stellen. Der Leser erfährt dabei die hohe Dramatik der Erinnerungsarbeit und die traurige Stille der individuellen Einsicht.
Autorenporträt
Susanna Keval, Dr. phil., ist Kultur- und Sozialwissenschaftlerin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Methoden ethnoanalytisch orientierter Gruppen- und Einzelforschung, Nationalsozialismus und Widerstand sowie Frauenforschung und Religionssoziologie. Sie ist Mitarbeiterin am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe- Universität Frankfurt am Main und Redakteurin der Jüdischen Gemeindezeitung Frankfurt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2000

Andere Sorgen
Widerstand und Judenverfolgung: Grund zu Vorwürfen?

Susanna Keval: Die schwierige Erinnerung. Deutsche Widerstandskämpfer über die Verfolgung und Vernichtung der Juden. Campus Verlag, Frankfurt am Main und New York 1999. 291 Seiten, 49,- Mark.

Das Verhalten des deutschen Widerstandes gegenüber der nationalsozialistischen Judenpolitik kann trotz einiger Aufsätze von Christoph Dipper aus den achtziger Jahren immer noch als Desiderat der Zeitgeschichtsforschung gelten. Einen ungewöhnlichen Weg, um sich dieser Thematik zu nähern, hat nun Susanna Keval eingeschlagen.

Über elf Wochen hinweg führte die Jüdin und "Angehörige der ,zweiten Generation' der durch die Nationalsozialisten Verfolgten" Gruppengespräche mit zwölf NS-Gegnern der Jahrgänge zwischen 1907 und 1923 aus Frankfurt am Main. Sie hatten der Arbeiterbewegung, der KPD, der Bekennenden Kirche, einer Jugendgruppe der katholischen Kirche, den "Edelweißpiraten" und einer jüdischen Widerstandsgruppe in Polen angehört. Fünf der Gesprächspartner beziehungsweise -partnerinnen waren über einen Elternteil jüdischer Herkunft.

Das Ergebnis bestätigt, dass die Ablehnung der Verfolgung und Vernichtung der Juden auch auf lokaler Ebene "nicht zu den zentralen Anliegen" der Hitler-Gegner gehörte. Diese Beobachtung überraschte Keval wohl, weil sie annahm, dass sich die Befragten als Regime-Gegner auch aktiv gegen die Judenverfolgung hätten stellen müssen. Daher verschob sich die ursprüngliche Frage dieser Frankfurter Dissertation; im Mittelpunkt der Befragungen stand, wie das Unterlassen von Aktionen zugunsten der Juden verarbeitet wurde. Keval erwartete dabei zunächst, dass die Teilnehmer ihr gegenüber Schuld, Trauer, Scham und Bedauern zugeben sollten. Sie fühlte sich vorübergehend als "Anklägerin", die mit dem "versteckten Vorwurf" an die Gesprächsteilnehmer operierte, "nicht genügend Widerstand geleistet zu haben".

Keval erfuhr von den Ängsten der NS-Gegner, von der bereits oft konstatierten Einsamkeit bei oppositionellen Aktivitäten, von antisemitischen Klischees, partieller Wahrnehmung der Verbrechen. Ganz aus dem Konzept brachte sie offensichtlich Hermann Z., dessen Mutter als "Ostjüdin" in einer "privilegierten Mischehe" zunächst relativ unbehelligt gelebt hatte, 1943 jedoch nach einer dreimonatigen Untersuchungshaft nach Auschwitz verbracht und dort ermordet wurde: "Wenn wir gewußt hätten, wie das alles kommt, . . . hätten wir die Mutter vielleicht doch irgendwo versteckt oder was weiß ich . . . Aber wir hatten niemand gehabt, effektiv niemand, wo man denen hätte zumuten können, daß er das macht, weil er ja damit sich selbst in eine riesenhafte Gefahr begeben hat" (Tonbandprotokoll mit der Schilderung der Reaktionen auf die Vorladung der Mutter zur Gestapo).

Über die nicht erfolgte Rettung beziehungsweise den nicht einmal unternommenen Rettungsversuch war Keval "schockiert", aber noch mehr "irritiert" darüber, dass sich Z. nach der Deportation der Mutter den "Edelweißpiraten" anschloss, ohne "seine Identität und Geschichte preiszugeben". Das Judentum war für ihn eine "Nebenerscheinung", und das Schicksal der Mutter hielt er nicht nur während des "Dritten Reiches", sondern sogar in der Nachkriegszeit lange Zeit geheim ("das hab' ich nicht rausgehängt wie 'ne Fahne"). Daher attestiert die Forscherin ihrem Zeitzeugen "starke Zerrissenheit", weil er als Siebzehnjähriger unbedingt zu den "Edelweißpiraten" gehören wollte und dieser "Ersatzfamilie" seine eigene Familiengeschichte verschwieg.

Das Hauptverdienst ihrer sozialwissenschaftlichen Untersuchung sieht Keval darin, zu einer "Wiederkehr des Verdrängten" bei den Gruppenmitgliedern beigetragen zu haben, wenn auch bei der Einblendung des lange Zeit Ausgeblendeten hin und wieder eine "irritierende Kommunikation" entstanden sei und sich die "Grenze der Versprachlichung" bei diesem emotional schwer beladenen Thema über die Gleichzeitigkeit von Widerstand und Schuld beziehungsweise über das Nebeneinander von Hilfe und Verrat gezeigt habe. Immerhin ist ihr durch die Gespräche und die "Verstehensarbeit" Folgendes bewusst geworden: "Sich der Vernichtungspolitik der Nazis entgegenzustellen war eine viel größere Leistung, als gemeinhin angenommen und von der jüngeren Generation erwartet und eingeklagt wird." Wer will da widersprechen?

RAINER A. BLASIUS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen "ungewöhnlichen Weg" habe die Autorin eingeschlagen, um die weitgehend unerforschte Problematik des Verhaltens deutscher Widerstandskämpfer zur Judenverfolgung zu untersuchen, findet Rainer A. Blasius. Die Ergebnisse ihrer Befragung von 12 NS-Gegnern habe sie anscheinend "überrascht" und sich nicht mit den Erwartungen der Autorin gedeckt. Der Rezensent zitiert die Autorin, wenn er von der "irritierenden Kommunikation" spricht, die zwischen den Gesprächspartnern entstanden sei. Als einen Beitrag zur "Wiederkehr des Verdrängten" würde Keval selbst ihre Arbeit einschätzen, so Blasius. Ob er sich dieser Ansicht anschließt, bleibt offen, denn der Rezensent enthält sich einer explizit geäußerten Meinung zu dieser sozialgeschichtlichen Studie.

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