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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.2011

Hängt die Wäsche weg!

Der Regisseur Hans Neuenfels hat seine Autobiographie geschrieben: Eine Kampfschrift, ein Roman, ein Muss

Bisher war, wenn der Regisseur Hans Neuenfels durchgenommen wurde, eigentlich immer nur die Vokabel "Altmeister" im Schwange, manche sprachen auch vom letzten Mohikaner. Nun gut. Das Theaterhandwerk hat ja tatsächlich noch etwas Zünftiges, das sich lehren und erlernen lässt. Und etwas Aussterbendes, Indianisches, auf verlorenem Posten Kämpfendes, das haftet dem ebenfalls an. Wie der etwas jüngere Regisseurskollege Armin Petras einmal pathetisch sagte, sitzt das Theater, sofern es etwas bewirken will, immer in Distanz. Sitzt uns nie direkt auf dem Schoß, nie mit am Tisch der Gesellschaft, sondern immer irgendwo zwischen Tisch und Stuhl, Baum und Borke.

Aber jetzt ist urplötzlich ein neues Wort aufgetaucht, ein seltsam versöhnliches, umärmelndes, unbedingt altmodisches. Plötzlich nennen alle den Neuenfels, der kürzlich siebzig wurde und der heute Abend in Frankfurt am Opernhaus mit Othmar Schoecks "Penthesilea" seine 138. oder 139. Regiearbeit vorstellt, einen "Recken". Als wäre er Gawein, Ritter der Tafelrunde, oder Prinz Eisenherz mit Zauberschwert und Bubikopf oder sonst wie ein Kumpel aus Kinderzimmertagen. Und genau so ist es wohl auch. Der wahre Grund für diesen Wortetausch wird sein, dass wir alle gerade das "Bastardbuch" verschlingen (oder soeben verschlungen haben). Scheint schwer verdaulich zu sein.

Die Autobiographie von Neuenfels liegt zurzeit auf den Nachttischen der Kulturschaffenden in dieser Republik, 512 Seiten dick, 760 Gramm schwer. Sie springt uns abends an, legt sich mit ins Bett, kuschelt sich ein, krallt sich fest, und geht uns mit ihrer impertinenten Distanzlosigkeit mächtig auf die Nerven und an die Nieren. Da müssen wir jetzt durch.

Es ist ja so, dass jeder Mensch, der bereit ist, sein Leben aufzuschreiben und in Buchform zu veröffentlichen, einen gesunden, kleinen Überschuss an Eitelkeit braucht. Am Anfang, wenn man das "Bastardbuch" zu lesen beginnt, denkt man: Der Neuenfels hat davon vielleicht etwas zu viel mitbekommen. Aber dann merkt man, er ist gar nicht nur egozentrisch oder eitel, er muss, bei all diesen schonungslosen Selbstbezichtigungen, auch ein Masochist sein. Oder ein Psychopath, der sich das Leben vom Halse schreibt, um nicht unterzugehen darin und zu ertrinken. Oder einer mit Borderline-Syndrom, der es nicht aushalten kann, dass da notwendigerweise immer eine unsichtbare dünne Grenze bestehen bleibt zwischen dir und mir, zwischen dem, der schreibt, und dem, der liest. Oder, oder. Diese Selberlebensbeschreibung ist allerdings verführerisch gut geschrieben. Farbenreich und flüssig, voll Poesie, voller Überraschungen. Man weiß nur manchmal nicht genau, weil dauernd die Zeitebenen springen, vor und zurück: Welcher Neuenfels von den vielen Neuenfelsen spricht denn da gerade?

"Ich bin neun und neugierig und heiße Neuenfels. So lautete die erste Eintragung in mein Tagebuch, und ich summte diese Zeile vergnügt vor mich hin, wenn bei leicht angelehnter Terrassentür die Melodien durch den Raum schwebten." Lyrisch geht das los, idyllisch, in Krefeld im Hause des Oberregierungsrats Arthur Neuenfels, wenn Mutter Mimy zum Kaffeeklatsch ins Eigenheim bittet und den einzigen Sohn zum Kuchenholen losschickt. Aus alten Tagebüchern lässt sich Wort für Wort zitieren. Aber wie kann einer auch noch Wort für Wort die Dialoge von damals wiedergeben? Wie sich so genau erinnern, dass ihm als struwwelpeterigem Kleinkind die Eltern wie zwei Fremde vorkamen und das Daheim wie ein Exil erschienen sei?

Zum Beispiel: Hans, lernt Hans in der Schule, kommt von hänseln. Da will der neugierige Neuenfels nicht länger Hans heißen. ",Du heißt nach deinem Onkel, meinem jüngsten Bruder, der im Krieg gefallen ist.' ,Ein schönes Erbe', hörte ich mich sagen und ging. ,Ich habe ihn besonders geliebt', rief meine Mutter mir nach. Das auch noch, dachte ich und trat gegen meinen Stoffdackel, dass seine gerade genähte Bauchfalte platzte." Was für eine schöne Geschichte! Und was für ein superaltkluges, klassikerbelesenes, theatralisches, abscheuliches Kind!

Es ist also bald klar, dass in dieser Autobiographie auch ein erfundener Roman steckt, ein klassischer Entwicklungsroman, der von der Herkunft, dem Werdegang, den Zweifeln und Kämpfen eines Künstlers auf dem Weg zu sich selbst berichtet, nur dass manchmal, nein öfter, die beiden Ichs der Geschichte, der Autor und seine Figur, miteinander identisch sind, dergestalt, dass es sich bei dem "Bastardbuch" sowohl um eine Dokumentation handelt als auch um Belletristik, irgendetwas dazwischen, zwischen Baum und Borke. Und da Neuenfels, sobald er das Elternhaus verlässt und das Schauspielstudium an der Folkwangschule in Essen beginnt, alles, was ihm auf seinem weiteren Weg begegnet, auf dieselbe Weise zugleich poetisiert und knallhart kritisiert, deshalb ist dieses Buch außerdem auch noch ein Fortsetzungs-Thriller mit dem Schauplatz "westdeutsche Theaterlandschaft 1968 ff.". Und es ist auch ein praktisches Hand- und Nachschlagebuch über die Geschichte des Theaters in der Bundesrepublik. Und eine verzweifelte, leidenschaftliche Kampfschrift gegen das, was heute unter den Jüngeren als Regietheater firmiert: distanziert, auswechselbar, utilitaristisch.

Andere Schriftsteller hätten aus diesem Stoff, mit diesen vielen bunten, skurrilen und rührenden Figuren aus der Wirklichkeit, vielleicht drei oder vier Bücher oder Romane gemacht. Neuenfels, auf dem Theater bekannt als Meister der spielerischen Verdichtung, wie wir zuletzt in seiner "Lohengrin"-Inszenierung in Bayreuth wieder besichtigen konnten, hat einfach aus dem wahren Stoff seines Lebens ein einziges Buch perfekt inszeniert.

Eine Schlüsselszene berichtet davon, wie er, als junger Schauspielstudent in Essen, eines Nachts zufällig zum Voyeur wird und dabei den Regisseur in sich entdeckt: "Weil das Nacherlebte eines Geschehnisses ebenso stark zu werden imstande war, wie das Geschehnis selbst und es sich sogar übertrug." Eine andere, glitzernde, hochvirtuose Szene erzählt, wie er frech unter falschem Namen vorspricht in Wien am Max-Reinhardt-Seminar und, als er auf Anhieb aufgenommen wird, sagt: "Ich möchte auch Regie studieren", woraufhin ihn Otto Schenk, der in der Kommission sitzt, sanft zurückweist.

In den Wort für Wort nacherfundenen Zwiegesprächen mit dem Maler Max Ernst, für den der Student Neuenfels ein Jahr lang als Sekretär in Paris arbeitete, geht es um Tod, Kreativität, Unsterblichkeit, Liebe, Krieg, Selbstbehauptung und letzte Dinge. Und in den Wort für Wort nacherfundenen Dialogen mit den Theaterkollegen und -konkurrenten, mit Anna Viebrock und Einar Schleef, Gielen und Fassbinder, Treusch und Wildgruber, Gobert und Palitzsch und vor allem mit seiner Frau, der großen Schauspielerin Elisabeth Trissenaar ("zwei s, zwei a"), die er Sissi nennt und mit der er mehr als siebzig Produktionen gemeinsam erarbeitet hat bis zum heutigen Tag, geht es im Grunde auch immer wieder genau darum und um nichts anderes: Wahrheit, Krieg, Tod. Und Liebe. Ja, man kann aus diesem "Bastardbuch" sogar eine erstaunliche, fast utopische Liebesgeschichte herauslesen, wenn man einzig nur die Stellen aus dem Register herausfischt, an denen die Trissenaar vorkommt.

Dann trifft man auch noch auf andere interessante Figuren, etwa den Sohn Benedict oder den struwwelpeterigen Hirtenhund Eugen, mit dem der Sohn als Theaterkind notgedrungen ein symbiotisches Verhältnis eingeht.

Neuenfels beginnt seine Laufbahn von der Pike auf, in Luzern und Trier als Dramaturg, er arbeitet sich mit einem Fleiß, der an Besessenheit grenzt, nach oben, und aus dem Kreis der Kollegen und Freunde bildet sich eine Truppe heraus, die mit ihm weiterzieht und -kämpft, für die Wahrheit, die in den Stücken liegt, wo sonst, und für die richtige Lösung, dieses Wahre sicht- und spürbar zu machen. Er zieht von Stuttgart nach Frankfurt nach Bochum nach West-Berlin. Eckt an, wird ausgebuht, abgesetzt, gekündigt und vertrieben, aber auch gefeiert und gefördert. Es wird viel geraucht und getrunken dabei, es wird viel ausprobiert, verworfen und durchgesetzt, auf, hinter, vor der Bühne. Die Zeit ist im Umbruch, das Theater verändert sich. Neuenfels stellt fest: Regisseure der älteren Generation, die vor ihm da waren, Schuh oder Drese oder Barlog, hatten, "bei allen Unterschieden", doch ein gemeinsames Selbstverständnis: "Sie empfanden sich als einen akzeptierten und normalen, aber hochrangigen Wert innerhalb der Gesellschaft, und je älter sie wurden, desto heftiger forderten sie ihn ein."

Seine eigene Generation, die der Achtundsechziger, ist die Generation der Bastarde. Sie fühlen sich nicht besonders wertvoll, haben keinen Stammbaum, gehören nicht dazu: "Die Komödianten kommen, hängt die Wäsche weg, und jetzt, da die Gesellschaft sich um nichts schert, ist es vortrefflich, zur klassischen Klasse des Bastards zu gehören." Längst ist inzwischen eine neue, junge, rotzige, pragmatische Generation von Theatermachern am Ruder, die dazugehören und Karriere machen, aber zugleich auf Distanz bleiben will und Wahrheit, wenn überhaupt, außerhalb der Stücke sucht. Auch die müssen jetzt erst mal durch dieses Buch durch.

ELEONORE BÜNING

Hans Neuenfels: "Das Bastardbuch. Autobiografische Stationen". Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, 512 Seiten, 24,99 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2011

Die Akribie des Zufalls
Der Theater- und Opernregisseur als begnadeter Erzähler: „Das Bastardbuch – Autobiographische Stationen“ von Hans Neuenfels
Das künstlerische Lebenswerk des Hans Neuenfels hätte keiner selbstbiographischen Notation bedurft, um sich seiner haltbaren Ausstrahlung zu versichern. Und doch mag er, seit Jahrzehnten der solideste Unruhestifter in der Opern- und Theatersphäre, gut daran getan haben, sich ausschweifend zu erinnern. „Das Bastardbuch“ war für den Siebzigjährigen wohl die schiere Notwendigkeit, um all das archivgelagerte Lebensmaterial in eine Form und mit intellektueller Leidenschaft zur Sprache zu bringen. Für den Leser ist das Buch eine Fundgrube bundesrepublikanischer Theaterzeiten mit ihren Haupt- und Nebendarstellern – und eine fesselnde, zuweilen verstörend intensive Lektüre.
Das beginnt schon mit dem seltsamen Titel und zwei Motto-Signalen – zwei Distanznahmen. Zum einen Goethes Iphigenie: „Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd“, zum anderen, ihr vorangestellt, der Gedanke von Djuna Barnes, dass es „nicht gut“ sei, „zu sehr bewegt zu sein von längst verlorener Vertrautheit“. So ruft sich der Autor von Anfang an zur Ordnung. Was ist ein Bastardbuch? Das Thema wird zu Beginn intoniert, indem Neuenfels eine literarische Hunde-Saga auffächert. Man kann ihn da wohl selbst erkennen, wenn er von Kleists „natürlichen Kindern“ als dessen Bastarden redet: „Die Abzweigungen von dem sogenannten Normalen waren ihm Lust und Gesetz, in denen er die Unbedingtheit suchte, das Verbotene, das allein seiner Vorstellung von der Liebe nahekommen konnte, das Spontan-Einmalige, das auch das Gesellschaftlich-Räudige ausmacht, das Strittige, das nach Auflösung fiebert.“ Der melancholische Kleist-Liebhaber Neuenfels sieht sich als das streunende, widerständige, „anrüchig“ heimatlose Tier?
Beobachtung und Erzählung, Emotion und Reflexion halten sich die Waage, die Beschreibungslust kann in einen Rausch verfallen, die Erinnerung sprudelt: Inniges Gedenken der Eltern des 1941 in Krefeld gutbürgerlich Geborenen, frühe Gedichte im „beginnenden Wirtschaftswunder“, neun Jahre humanistisches Gymnasium für den Bildungshungrigen, mit Latein, Griechisch und dem Brief an den Studienrat, dass er die Mathematik „aus gesundheitlichen Gründen nicht ertragen kann“: Beim Anblick einer Logarythmentafel „bekomme ich Tachykardie“.
Begegnung mit der Dichtung, Glück und Zufall des Zusammentreffens mit dem Maler Max Ernst. Die „Akribie des Zufalls“ fasziniert ihn, „diese tausend Fädchen und Rädchen, die ineinandergreifen und sich verbinden“. Der blutjunge Neuenfels geht mit Max Ernst nach Paris, ist ein Jahr lang sein Sekretär und erinnert sich wörtlich – und kostbaren Inhalts – an Gespräche mit dem rückhaltlos bewunderten Künstler.
Schauspieler und Regisseur sein, das ist früh das Lebensziel. Neuenfels landet an der Folkwangschule Essen und wechselt nach Wien ans Max-Reinhardt-Seminar. Die Schilderung, wie er, der tumbe rheinische Parsifal, unter dem Namen Franz Freudenfels den Monolog des Kriegsheimkehrers Beckmann aus Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ vorspricht und so die Aufnahmeprüfung besteht, gehört zu den hinreißenden Partien des Buchs: „Ich verlagerte mein Körpergewicht auf das rechte Bein, zog die linke Schulter etwas hoch, damit der Arm baumeln konnte, schlurfte ein paar Schritte, hustete bis zur Atemlosigkeit und bis die Augen voller Tränen waren und begann. Den Kopf hielt ich nach oben gereckt . . .“. Unter den Juroren befindet sich der Schauspieler-Regisseur Otto Schenk. Erst Wien, das Ungeheuer der Künste und der Dekadenz, die „Versuchsanstalt für Weltuntergänge“ des Karl Kraus, macht aus Neuenfels denjenigen, der er werden muss. In Wien lernt er die Schauspielerin Elisabeth Trissenaar kennen, die Ehefrau seit fünfzig Jahren.
Nie arrogant oder prahlerisch, nicht übersättigt vom Ruhm – Hans Neuenfels zahlt, wie im Gespräch oder auf der Bühne, auch in dem randvollen Lebensbuch mit barer Münze, er trägt keine Posen, ist aber dünnhäutig und verletzbar. Das zeigt sich gerade im „Kapitel ohne bestimmten Ort“, da wird psychiatrischer Bastard-Erfahrungen gedacht, da erinnert er sich, wie er „den Wert der Trivialität“ aufspürte, das Phänomen „des Banalen, des Alltäglichen, jener Schmiere, die zwischen den eisigen Höhepunkten eine gleitende, wärmende Verbindung schafft“. Ausgerechnet hier springt er voraus in den Sommer 2010 und den Bayreuther „Lohengrin“, mit des Gralsritters Forderung an Elsa „Nie sollst du mich befragen . . . woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art!“ Neuenfels redet mit ihr: „Das ist die Chance deines Lebens, Elsa! Jedermanns Chance! Da kannst du dich finden, da wachsen dir Flügel.“ Aber die verbotene Frage muss sie doch stellen, „weil die Liebe es erzwingt. Sonst ist sie Hörigkeit“.
So gleiten das Leben und die Erinnerungen an eigene Arbeit und fremde Texte wie im Traum ineinander. Aber die Erinnerung an vergangenes Leben, an Orte, Freunde, Stücke, Bücher, Bilder hat bei Neuenfels nie etwas Nostalgisches oder gewollt Rechtfertigendes, sein Denkfeld und seine stupende Sprachmächtigkeit sind Gegenwart. Darin findet sich nichts fein säuberlich geordnet wieder, es wird vehement aus dem Gedächtnis – und aus dem wohlsortierten Archiv heraus – erzählt im inneren Monolog und Dialog, durchmischt mit Exkursen, Erlebnissen, in denen plötzlich Nebensächliches bedeutend wird, Diskursives jäh die freche Dimension von Klatsch und Tratsch kreuzt, Scharfsinniges seinen Unterhaltungswert gewinnt.
Schwer, das verzweigte Bühnenwerk des Hans Neuenfels, mit dem er das „Regietheater“ in Deutschland ankurbelte, in den Blick zu nehmen, die Entwicklungslinien oder Sprünge seines Interpretationshandwerks. Da hilft nur das 40-seitige Inszenierungsverzeichnis. Die Bühnenarbeit beginnt 1964 mit „Faust“ von Lenau am Wiener Naschmarkt, enthält pro Jahr rund vier Stücke und gerät zum ersten Mal 1974 zur Oper, skandalkühn zu Verdis „Troubadour“. Sieben Jahre später, mit Verdis „Aida“ in Frankfurt, schreibt er Operngeschichte. Und bleibt in ihr gegenwärtig bis heute.
Neuenfels ist der Skandalregisseur des deutschen Theaters genannt worden – etwa durch den Berliner „Idomeneo“ mit den abgeschlagenen Prophetenköpfen oder die Chor-Ratten des Bayreuther „Lohengrin“. Seine einzige Wahrheit ist aber die Genauigkeit der Arbeitsprozesse, der Stückanalysen, der an Bild- und Traumphantasien gebundenen Interpretationen, die von Textaposteln gern als Provokationen wahrgenommen werden. Der Charismatiker Neuenfels ist der intellektuelle Theaterpoet der 68er-Generation. Mit seinem „Bastardbuch“ hat er ein halbes Jahrhundert deutscher Theatergeschichte aufgeschrieben – er hat ihr Grenzgängertum, ihre „Atmosphäre“ eingefangen. WOLFGANG SCHREIBER
HANS NEUENFELS: Das Bastardbuch. Autobiographische Stationen. Edition Elke Heidenreich bei C.Bertelsmann, München 2011. 512 Seiten, 24,99 Euro.
Traumhaft fließen Erinnerungen
an das Leben ineinander – an
Orte, Personen, Bücher, Bilder
Der Bühnenkünstler als Autor: Hans Neuenfels. Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Famos" findet Rezensentin Irene Bazinger diese Autobiografie des Regisseurs Hans Neuenfels. Bazinger schätzt vor allem, dass Neuenfels seine Lebensstationen "ebenso persönlich wie sachlich" betrachte und dabei stets die Kunstwerke fokussiere, denen er sich gewidmet habe. Die von Neuenfels geschilderten Anekdoten ("wunderbar witzig") und Rückblicke auf die zahlreichen Skandalgeschichten seiner Laufbahn haben die Rezensentin zwar prächtig unterhalten. Was ihr aber am meisten Bewunderung abnötigt, sind Neuenfels' "strukturelle ästhetische Überlegungen" zu den einzelnen Inszenierungen seiner Karriere. Durchweg beeindruckend seien Intellekt und Eloquenz des chronisch unangepassten Regisseurs, der überdies mitreißend zu erzählen verstehe. Und auch über die ergänzende Ausstattung des Buches - Werkverzeichnis, Register, Bildteil - hat die Kritikerin nur Gutes zu berichten.

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