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„Endlich, das darf man durchaus sagen, endlich ist Olivier Roys vor 4 Jahren in Frankreich erschienenes Buch auf Deutsch übersetzt. Es wird helfen, einige wirre Vorstellungen über die Ursachen des islamisch drapierten Terrorismus seit dem 11. September zu entsorgen. … Olivier Roy widerlegt die These, der Terrorismus finde seine Wurzeln im kulturellen Gegensatz von Christen und Muslimen. Er zer- pflückt den Setzkasten von Vorurteilen über islamistische politische Bewegungen, die eben gerade nicht die Brutstätte terroristischer Gewalt sind. Und er schreibt gegen den gern verbreiteten Unfug an,…mehr

Produktbeschreibung
„Endlich, das darf man durchaus sagen, endlich ist Olivier Roys vor 4 Jahren in Frankreich erschienenes Buch auf Deutsch übersetzt. Es wird helfen, einige wirre Vorstellungen über die Ursachen des islamisch drapierten Terrorismus seit dem 11. September zu entsorgen. … Olivier Roy widerlegt die These, der Terrorismus finde seine Wurzeln im kulturellen Gegensatz von Christen und Muslimen. Er zer- pflückt den Setzkasten von Vorurteilen über islamistische politische Bewegungen, die eben gerade nicht die Brutstätte terroristischer Gewalt sind. Und er schreibt gegen den gern verbreiteten Unfug an, vom Islam selbst samt Koran ginge eine Bedrohung für die westliche Zivilisation aus.“

(Michael Thumann, ZEIT)

Autorenporträt
Olivier Roy ist Forschungsdirektor am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) und unterrichtet an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales und an der Sciences Po in Paris. Er hat zahlreiche Bücher und Aufsätze über den politischen Islam, den islamistischen Terrorismus sowie den Mittleren und Nahen Osten veröffentlicht. Sein Buch "Der islamische Weg nach Westen" (2006) wurde zu einem häufig zitierten Standardwerk. Olivier Roy ist ein weltweit gefragter Islamismus-Experte.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Oliver Roys Befund, der islamische Fundamentalismus stelle selbst eine Verwestlichung des Islam dar, ist für Jörg Später zunächst erstaunlich, er zeigt sich aber mehr und mehr von der Argumentation des Autors überzeugt. Roy macht "kulturelle Entwurzelung" und "Entterritorialisierung" für diese Entwicklung verantwortlich und sieht im Islamismus vergleichbare Tendenzen wie bei den Evangelikalen in den USA oder der Neuen Linken in Europa am Werk, so der Rezensent interessiert. Nach Ansicht des Autors ist ein verstärktes Streben nach Tradition immer schon ein Zeichen von Modernisierung und Verwestlichung, eine Auslegung, die der Rezensent zwar nicht "zwingend", aber durchaus bedenkenswert findet. Insgesamt lobt er die vielen klugen Einsichten des Autors und attestiert ihm, mit seinem Buch das Wesentliche an der modernen Entwicklung des Islam aufzuzeigen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2006

Die „moderne” al-Qaida
Ein erstaunlicher Befund: der Islamismus als Verwestlichung
Kann sich der Islam reformieren, ist er mit der Demokratie, dem Säkularismus, dem Westen überhaupt vereinbar? Diese Fragen werden in der öffentlichen Debatte über den Islam nach dem 11. September 2001 immer wieder gestellt. Olivier Roy, Forschungsdirektor am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) in Paris, hält sie in seinem neuen Buch schlicht für verfehlt. Denn eine Modernisierung des Islam, präziser: eine Verwestlichung, habe im Zuge der Globalisierung von Migration, freiem Markt und allgemeinem Bildungssystem bereits stattgefunden. Verwestlichung heißt dabei nicht zwangsläufig Reform und Säkularisierung, so wie ein solcher Prozess analog der christlichen Reformation beschrieben worden ist. Eine säkularisierte und liberale Auffassung des Islam sei bloß eine Möglichkeit von Religiosität unter Muslimen. Eine andere, nicht weniger verwestlichte ist in Roys Augen der Neofundamentalismus, das Bemühen, die Gesellschaft zu „re-islamieren”, eine religiöse Wiedergeburt zu initiieren (nicht zu verwechseln also mit dem politischen Islamismus, der nach der Macht im Staat strebte und gescheitert ist).
Worauf gründet sich dieser auf den ersten Blick erstaunliche Befund? Wie kann man einen Neofundamentalismus, dessen Frucht unter anderem al-Qaida ist, und der die vermeintlich materialistische und degenerierte westliche Gesellschaft ablehnt, selbst als verwestlicht bezeichnen? Roys Schlüsselbegriffe heißen „Dekulturation” und „Entterritorialisierung” des Islam. Dekulturation beschreibt eine Entwicklung kultureller Entwurzelung und Privatisierung des Glaubens, wie sie für muslimische Minderheiten in Europa kennzeichnend sein soll. Entterritorialisierung bedeutet die Lösung von den Kulturen und Krisen des Nahen Ostens und eine Veränderung der Beziehung zur Religion. Die Verwestlichung des Islam findet also insofern statt, als vor allem unter den Muslimen in Europa, und hier insbesondere unter den Jugendlichen, ein allen kulturellen und nationalen Besonderheiten entkleideter Islam neu gedacht worden ist.
In dieser Konstruktion einer virtuellen Umma, der muslimischen Glaubensgemeinschaft, wird der Islam zu einem individuellen Identitätsentwurf und einem persönlichen Glauben. Dies bildet auch den gemeinsamen Nenner zwischen Säkularisten und Neofundamentalisten: Der Islam wird als bloße Religion gesehen und nicht als Kultur. Halal zum Beispiel ist eine Art, ein Tier zu schlachten, und nicht eine Art, es zu kochen oder zuzubereiten. Es ist nicht mit einer bestimmten Kultur verbunden und lässt sich deshalb auch perfekt mit dem modernen globalen Fast Food vereinbaren. Bei Roy geht es also nie um Religion als Dogma, sondern immer um Religiosität als historisch-gesellschaftliche Aneignung von Religion.
Roys Blick ist der des Religionssoziologen und nicht der des philologischen Islamwissenschaftlers, wie er in Deutschland oft vorherrscht. In Frankreich - das lassen auch die Arbeiten Gilles Kepels vermuten - dominiert die Rodinson-Schule. Maxime Rodinson hatte Ende der sechziger Jahre einen Paradigmenwechsel in der westlichen Islamforschung eingeleitet, als er in seinem Buch „Islam und Kapitalismus” argumentierte, dass das Ausbleiben einer dynamisch-kapitalistischen Entwicklung im islamischen Orient nicht mit dem Islam selbst erklärt werden könne. Er wies die Lehre vom homo islamicus als Ideologie zurück und forderte, sich fortan in der Betrachtung der islamischen Welt der Analyse von Sozialstrukturen zu widmen.
Der politischen Inhalte beraubt
Auch Roy kann den kulturalistischen Annäherungen an den Islam wenig abgewinnen. Ihn erinnert der Neofundamentalismus weniger an Mohammed und das Mittelalter als an Evangelikale in den USA und die Neue Linke der siebziger Jahre in Europa. Die Parallelen, die er herausarbeitet, sind erhellend, aber auch bezeichnend: Roy interessiert immer mehr die Form als der Inhalt, also die Muster von Religiosität und Radikalität als die politischen Ideen ihrer Protagonisten. Der Begriff Verwestlichung ist bei Roy somit der politischen Inhalte beraubt, er bezeichnet lediglich gesellschaftliche Verhaltensmuster.
Roy bedient sich dabei einer redundant vorgetragenen Argumentation (einen Plot hat das Buch nicht - in jedem Kapitel wird jeweils die gesamte Argumentation ausgebreitet): Je mehr der Islam als Lösung beschworen werde, desto deutlicher sei dies ein Zeichen für den Siegeszug der Säkularisierung; der Ruf nach Gemeinschaft bedeute, dass die Individualisierung erfolgreich war; je mehr das Bedürfnis nach Tradition in den öffentlichen Raum getragen werde, desto deutlicher zeige dies an, dass die Modernisierung sich bereits durchgesetzt habe. Man dürfe also den äußeren Anschein nicht überbewerten - eine mögliche, allerdings keineswegs zwingende Interpretation.
Insgesamt besticht Roy mit einem Meer von scharfsichtigen Beobachtungen, die das Neuartige einer Bewegung wahrnehmen. Er fordert den stereotypen und denkfaulen Islamdiskurs heraus: Die virtuelle Umma stützt sich weder auf ein Territorium oder eine Kultur noch auf eine soziale Basis. Sie ist das, was die Menschheit für den Kosmopoliten, die Nation für den Nationalisten und das Proletariat für den Kommunisten ist. Sie ist eine vorgestellte Gemeinschaft, mit der den Anforderungen der Moderne begegnet wird. Mit klassischen Modernisierungstheorien, die mit Gegenüberstellungen von „traditionell” und „modern” operieren, kann man einen globalisierten Islam nicht begreifen.
Der Islam ist inzwischen in der Tat eine westliche Religion und nicht Ausdruck einer ethnokulturellen Gemeinschaft. Roy empfiehlt daher eine politische Integration der Muslime analog der Christdemokratie. Oder besser noch: analog dem Wandel der Grünen von einer linksradikalen Protest- zur staatstragenden Regierungspartei. Und schließlich die gesellschaftliche Integration durch Anerkennung der Muslime auf einer pluralistischen Basis.
JÖRG SPÄTER
OLIVIER ROY: Der islamische Weg nach Westen. Globalisierung, Entwurzelung und Radikalisierung. Pantheon Verlag, München 2006. 350 Seiten, 12,90 Euro.
An Evangelikale und gar an die Neue Linke in den 70er Jahren fühlt sich Olivier Roy beim fundamentalistischen Islam erinnert: Im Bild eine Demonstration von iranischen Frauen gegen eine Lockerung des Schleiergebots.
Foto: AFP
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