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Brisanter Debattenbeitrag gegen die Wegsperr-Mentalität
Gefängnisse sind trotz aller Reformen nach wie vor Schulen des Verbrechens. Bernd Maelicke, ein renommierter Experte auf dem Gebiet der Kriminal- und Sozialpolitik, positioniert sich seit Jahren entschieden als Gegner populärer Forderungen nach größerer Härte im Umgang mit Straftätern. Auf Basis langjähriger Erfahrungen und zahlreicher biografischer Fallbeispiele zeigt er das dramatische Missverständnis im deutschen Strafvollzug: Der Freiheitsentzug resozialisiert nicht, die Einflüsse der Gefängnis-Subkultur dominieren. Bei den meisten…mehr

Produktbeschreibung
Brisanter Debattenbeitrag gegen die Wegsperr-Mentalität

Gefängnisse sind trotz aller Reformen nach wie vor Schulen des Verbrechens. Bernd Maelicke, ein renommierter Experte auf dem Gebiet der Kriminal- und Sozialpolitik, positioniert sich seit Jahren entschieden als Gegner populärer Forderungen nach größerer Härte im Umgang mit Straftätern. Auf Basis langjähriger Erfahrungen und zahlreicher biografischer Fallbeispiele zeigt er das dramatische Missverständnis im deutschen Strafvollzug: Der Freiheitsentzug resozialisiert nicht, die Einflüsse der Gefängnis-Subkultur dominieren. Bei den meisten Straffälligen, insbesondere jungen, verspricht nicht Wegsperren Erfolg, sondern allein verlässliche soziale Beziehungen. Resozialisierung findet wesentlich nach der Entlassung statt. Unverantwortlich hohe Rückfallquoten sind Folgen der Systemmängel der Kriminalpolitik. Maelicke fordert eine differenzierte Debatte zu einem Thema, das Politiker nur in Wahlkampfzeiten, Medien nur bei Skandalen interessiert.
Autorenporträt
Maelicke, Bernd
Professor Bernd Maelicke, Jahrgang 1941, ist Jurist und Sozialwissenschaftler. Von 1990 bis 2005 verantwortlich für den Strafvollzug in Schleswig-Holstein, ist er seit 2005 Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft (DISW) in Lüneburg und berät bei Resozialisierungsprojekten. 2012 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Rezensionen
"Ein Motivationsbuch für eine rationale Kriminalpolitik und eine spannende Lektüre nicht nur für Fachleute." Süddeutsche Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.12.2015

Wider
das Wegsperren
Der Jurist Bernd Maelicke plädiert eindringlich
für eine sinnvolle Resozialisierung von Straftätern
VON MARTIN HAGENMAIER
Warum bewirken Gefängnisstrafen nicht, dass die Bestraften beim nächsten Mal von Straftaten die Finger lassen? Warum hat man bei Gefängnissen stets dieses Dilemma-Gefühl? Bernd Maelicke hat innovative Konzepte für Täter und Opfer von Straftaten verfasst und ist stets auf der Suche „nach etwas Besserem als dem Strafvollzug“. Der Experte für Sozial- und Kriminalpolitik hat nun ein Buch darüber vorgelegt, womit er sich sein ganzes Leben lang beschäftigt. Maelicke erzählt in Geschichten seinen eigenen Weg darin und seine Begegnungen mit diversen Weggefährten, zu denen auch seine Frau Hannelore als Expertin für den Frauenvollzug gehört.
  Er schreibt über sich selbst und sein Leben als Kriegskind, das beim Großvater aufwuchs und dort fast auf die schiefe Bahn geraten wäre. Mit zwölf Jahren war er Mitglied einer Jugendbande. Das Jugendamt war schon dabei, für ihn eine Heimeinweisung vorzubereiten, da betrat eines Tages eine „wunderschöne Frau“ seinen Klassenraum und fragte nach ihm. Es war seine Mutter, sie nahm ihn mit und alles änderte sich. Maelicke wurde kein Gefängnisinsasse, sondern Jurist in verschiedenen Funktionen bis hin zum Professor, der sich zeitlebens um die Probleme der Strafgefangenen und des Strafvollzuges kümmerte. Er konnte in Schleswig-Holstein 15 Jahre lang an verantwortlicher Stelle Strafvollzug gestalten.
  Eine rationale Kriminalpolitik war sein Ziel. Das hieß: Innovation im Zuge eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Die Erfahrung „auf dem steinigen Weg der Umsetzung von Innovationen“ bündelt sich in folgenden Sätzen: „Eine rationale Kriminalpolitik befindet sich in einem ständigen Dilemma: Neuerungen müssen öffentlich kommuniziert werden, damit sie die Zustimmung von Gesellschaft und Politik erhalten. Andererseits können Ausbrüche, Flucht von Gefangenen, Geiselnahmen, Selbstmorde, korrupte Beamte, verbotene Beziehungen zwischen Beamten und Gefangenen – um nur stichwortartig besondere Vorfälle zu nennen – nahezu täglich in Gefängnissen geschehen und jeden rationalen Kommunikationsprozess gefährden. Tatsächlich sind solche ,besonderen Vorkommnisse‘ sehr selten, aber jeder, der im Vollzug arbeitet, muss mit ihnen rechnen.“
  Die, um die es Bernd Maelicke eigentlich geht, werden in Timo S., einem „typischen Drehtürinsassen“ geschildert. Solche Timos machen den größeren Teil der Gefängnisinsassen und viele Seiten im Buch aus. Wer eindrucksvoll geschildert bekommen möchte, was alles auf dem Weg in den und im Knast passiert und warum das die Resozialisierung geradezu verhindert, der hat das richtige Buch in der Hand. „Auch auf den Strafvollzug bezogen ist die Realität anders als die Wirklichkeit. Es gibt viele unterschiedliche Realitäten, die weit entfernt sind von dem, was die Bürger, die Medien oder die Politiker glauben.“ Und in dieser Realität steckt eine, die niemand in der Hand hat, wenn viele bestrafte Männer im gleichen Haus leben. „Die Hölle im Knast, das sind die anderen Häftlinge.“ Sie spielen die Vollstrecker, die man in der Gesellschaft so nicht mehr kennt. Sie üben Gewalt aus, mal konkret „mit der Faust in die Fresse“, mal auch im übertragenen Sinne durch Bedrohung, Unterstellen, Verpfeifen. Da haben viele Männer viel Angst.
  Trotz vieler Innovationen – Schleswig-Holstein hatte die europaweit niedrigste Haftrate – lautet Maelickes Fazit: „Es hat sich viel zu wenig geändert – noch immer fehlt es an gesellschaftlicher und politischer Unterstützung.“
  Das Knastdilemma besteht vor allem aus den zahllosen Rückfällen, mit anderen Worten: hohe Kosten, wenig Wirkung. Da fragt der Leser nach Modellen für einen Ausweg aus diesem Dilemma. Der Autor bietet die Sozialtherapie an: „Einerseits die Konzentration der Sozialtherapie vor allem auf junge Gefangene und solche mittleren Alters, bei denen mit den Mitteln der Sozialtherapie weitere schwere Straftaten möglichst verhindert oder zumindest reduziert werden können.“ Die zweite Strategie sei „die schrittweise Einführung von Qualitätsstandards der Sozialtherapie in den Regelvollzug. Dazu gehören Wohngruppen, Betreuungsbeamte, therapeutische Gemeinschaften, Einzel- und Gruppentherapien, offener Vollzug, begleitete Übergänge, Entlassungsurlaub und nachgehende Betreuung.“ So könne eine Rückfallreduzierung von bis zu 20 Prozentpunkten erzielt werden.
  Die begleitend notwendige Differenzierung und Individualisierung von Strafrecht und Strafvollzug beschreibt der Autor am Fall Uli Hoeneß: „Noch dominieren irrationale Strafbedürfnisse und die Angst der Mächtigen vor dem Vorwurf einer Klassenjustiz, die einseitig die Interessen der Amigos vertritt. Eine solche Differenzierung und Individualisierung im Strafrecht und in der Straf-Vollstreckung müsste allerdings auch für alle Täter (und auch für Opfer) gelten, also auch für die Intensiv- und Wiederholungstäter, die die große Mehrheit in den Gefängnissen ausmachen.“ Viele wissenschaftliche Untersuchungen hätten nachgewiesen, „dass eine wirkungsvolle Resozialisierung – also die Vermeidung weiterer Rückfälle – ein Höchstmaß an Individualisierung aller stationären und ambulanten Maßnahmen erfordert und keinen Reso-Automaten, der alles gleich macht.“
  Man könnte das aus evangelischer Sicht mit der Gerechtigkeit Gottes vergleichen. Nicht, dass allen das Gleiche zuteil wird, sondern dass man allen individuell gerecht wird, das heißt Gerechtigkeit und hat Zukunft. Wie begrenzt dieser Ansatz auf der Welt umzusetzen ist, ist allen klar. Aber man sollte auf dem Weg zu etwas Besserem als dem Gefängnis die Anfänge, die es in dieser Richtung gibt, stetig fortentwickeln.
  Bernd Maelicke beschreibt in einem Modellprojekt aus Köln, wie das funktionieren könnte. Dort wurde die „durchgehende Betreuung“ realisiert. Die Rückfallquote sank bei 24 Teilnehmern auf 13 Prozent. Das Modell wurde nach dreieinhalb Jahren mangels Förderung beendet, obwohl es auch rechnerisch weit billiger war als jedes Gefängnis.
  Zum Schluss gibt er einen kurzen Ausblick auf „Restorative Justice“, die heilende Gerechtigkeit, die zum Ziel hat, Menschen ohne Strafe durch den verantwortlichen Ausgleich und die Wiedergutmachung von Fehlhandlungen zu einem besseren sozialen Leben zu führen. Das wäre dann etwas Besseres als das Strafrecht.
  Um den Zielen von Bernd Maelicke näher zu kommen, müssten sich viele Menschen für dieses Problem interessieren. Nur dann kann die politische Unterstützung entstehen, die für eine rationale Kriminalpolitik notwendig ist. Nach der Lektüre des Buches stellt sich die Frage des Untertitels „Wegsperren oder Resozialisieren?“ nicht mehr. Das Buch ist ein Motivationsbuch für eine rationale Kriminalpolitik und eine spannende Lektüre nicht nur für Fachleute.
Martin Hagenmaier ist Dr. theol. und Kriminologe. Er arbeitete als Seelsorger in der forensischen Psychiatrie und im Strafvollzug. Er schreibt zum Umgang mit (auch psychisch kranken) Straftätern, Abschiebungshaft und Kriminalpolitik.
In der Gesellschaft
dominierten noch immer
„irrationale Strafbedürfnisse“
  
  
  
Bernd Maelicke,
Das Knastdilemma.
Wegsperren oder resozialisieren? Eine Streitschrift.
Verlag C. Bertelsmann 2015, 256 Seiten, 19,99 Euro.
Als E-Book: 15,99 Euro.
Dicke Mauern, dicke Gitter: Strafvollzug in Deutschland im 21. Jahrhundert, hier die Justizvollzugsanstalt Bochum.
Foto:  Marius Becker/dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Martin Hagenmaier empfiehlt das Buch des Juristen Bernd Maelicke nicht nur Experten. Damit die Hagenmaier notwendig erscheinende politische Unterstützung für eine rationale Kriminalpolitik in Gang kommt, legt er uns diese "spannende" Lektüre ans Herz. Wenn der Autor darin ausgehend von seiner eigenen Biografie auf den Strafvollzug zu sprechen kommt, seine Erfahrungen mit rationalen Kommunikationsprozessen, Resozialisierung und Gewalt im Knast, wartet Hagenmaier gespannt auf die Lösungsvorschläge des Autors. Was Therapie und Wohngruppen bewirken können, beschreibt ihm der Autor anhand von Modellprojekten. Wegsperren oder Resozialisieren ist für den Rezensenten am Ende keine Frage mehr.

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