Marktplatzangebote
6 Angebote ab € 3,00 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Ein Hotelzimmer in Amsterdam: Ben wartet auf die Urne mit der Asche seiner Mutter Marlene. In einem Brief an seinen vierjährigen Sohn versucht er zu erklären, wie es dazu kam, dass sich sein Leben plötzlich verändert hat. Vor vierzig Jahren erfuhr Ben, dass sein eigener Vater entführt und ermordet wurde, im kolumbianischen Rebellengebiet, wo er im Auftrag eines deutschen Magazins unterwegs war. Danach änderte sich für Bens Mutter alles. Doch erst nach Marlenes Tod erkennt Ben, in welchem Ausmaß seine Mutter sich in Lebenslügen verstrickt hatte und dass die Geschichte seiner Familie eine große Illusion ist.…mehr

Produktbeschreibung
Ein Hotelzimmer in Amsterdam: Ben wartet auf die Urne mit der Asche seiner Mutter Marlene. In einem Brief an seinen vierjährigen Sohn versucht er zu erklären, wie es dazu kam, dass sich sein Leben plötzlich verändert hat. Vor vierzig Jahren erfuhr Ben, dass sein eigener Vater entführt und ermordet wurde, im kolumbianischen Rebellengebiet, wo er im Auftrag eines deutschen Magazins unterwegs war. Danach änderte sich für Bens Mutter alles. Doch erst nach Marlenes Tod erkennt Ben, in welchem Ausmaß seine Mutter sich in Lebenslügen verstrickt hatte und dass die Geschichte seiner Familie eine große Illusion ist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2016

Erwachsenwerden ist ein einsames Geschäft
Wenn die Väter fehlen: Philipp Bloms Roman "Bei Sturm am Meer"

"Schiffbruch mit Zuschauer" nannte der Philosoph Hans Blumenberg die Möglichkeit, die eigene laufende Lebenskatastrophe aus verschiedenen Blickwinkeln von außen zu betrachten. Das klingt in der Theorie wunderbar. Falls einem nicht schon das Wasser bis zum Halse steht.

Bei Philipp Bloms Hauptfigur Ben ist der Pegel schon ziemlich hoch - er hat allen Grund zur Klage. Seine Frau Xenia, eine vielbeschäftigte Wissenschaftlerin, hat kein Verständnis mehr für seine ständige Abwesenheit. Zur Strafe unterbindet sie sogar den Kontakt zum gemeinsamen kleinen Sohn. Dann stirbt auch noch Bens Mutter Marlene, und makabrerweise geht deren Urne in der Post verloren. Zeit für Ben, in dieser Wartehalle des eigenen Lebens in einem Amsterdamer Hotelzimmer an seinen kleinen Sohn zu schreiben. Lesen soll der diesen Brief des Vaters aber erst, wenn er 44 Jahre alt ist, so alt wie Ben jetzt. Bis es so weit ist, wünscht man sich, Ben möge noch mehr in Richtung Sohn unternehmen als nur die Anstrengung, von ihm verstanden zu werden. Mit der Vaterrolle ist es nämlich so eine Sache in dieser deutsch-holländischen Familie, die Blom mit großer erzählerischer Souveränität vor uns ausbreitet.

Dass man so hineingezogen wird in diese vielen auf Lügen gebauten Leben, ist einer raffinierten Romankomposition zu verdanken, die mit Perspektivwechsel und verschiedenen Zeitebenen arbeitet. Anders ist dieses komplizierte Konstrukt namens Familie ja selten zu haben. Und so macht es jetzt auch Blom, der als Historiker bekannt wurde mit Büchern wie "Die zerrissenen Jahre 1918-1938" oder "Der taumelnde Kontinent", in dem er die These vertrat, alles fürs zwanzigste Jahrhundert Wichtige sei in den wenigen Jahren von 1900 bis 1914 erfunden und massenwirksam entfaltet worden. Als Schriftsteller kann Blom seinen Thesen Kraftstoff geben. "Bei Sturm am Meer" ist bereits sein dritter Roman. Und auch hier bestimmen uralte Dinge noch die nächste und übernächste Generation.

Bens Vater Henk war Reporter beim "Spiegel", ein intellektueller Überflieger in der Hamburger linken Szene, theoriegläubig und im Herzen Trotzkist. Jederzeit erwartete er die große Revolution, auch wenn er wohl nur eine ungefähre Vorstellung davon hatte. Henk verkehrte auch mit Ulrike Meinhof und der RAF. Bevor die Bande allzu eng wurden, entwich er nach Kolumbien, wo sich seine Spur verlor. Es hieß, er sei von Rebellen entführt und ermordet worden.

Damals war Ben etwa so alt wie sein Sohn jetzt. Hier wie dort ist der Vater eine große Leerstelle, die mit falschen Bildern gefüllt wird; in Bens Fall mit heroischen. Der Fluch der Wiederholung ist das geheime Strukturprinzip des Romans, das Anschreiben dagegen möglicherweise ein Abwehrzauber. Blom untersucht, was Erwachsenwerden heißt, dieses "einsame Geschäft", wie er einmal formuliert. Hybris lenkt die visionären Väter, die dennoch vor der Verantwortung flüchten. Doch die Geschichte dieser falsch gelebten Träume beginnt freilich viel früher: Mit Elly, Bens Großmutter, die als deutsche Frau eines wohlhabenden Holländers jahrelang geächtet wird und ihren Unmut über die Heimatlosigkeit in späten Jahren mit Alkohol betäubt - das sind die berührendsten Passagen bei Blom. Er bringt die tote Atmosphäre dieses traurigen Hauses, wo Museales den Menschen erdrückt, auf den Punkt.

Die Gelähmtheit von dort setzt sich fort mit Marlene, Bens Mutter, die nach der Entführung ihres Mannes Henk immerzu Liebhaber um sich scharte. Sie ist eine maskenhafte Frau, die sich noch auf dem Sterbebett vom Chefarzt mit Kusshand verabschiedet. Dass Blom seinen strauchelnden Protagonisten Ben vor diesem Hintergrund entwickelt, mit außerordentlichem Blick fürs Dramatische, kommt auch dem Roman zupass. Bens Leidenschaft für Bilder der Renaissance eröffnete ihm bereits eine Karriere in der Marketingwelt der Dessous. Später kuratiert er in vielen großen Museen. Diese Wahrnehmungskompetenz für Kippmomente schleicht sich nun auch in seinen Bericht, den unerwartete Ereignisse in der erzählten Gegenwart kreuzen. Unter anderem taucht eine Frau namens Clara auf, die Bens Vater gekannt haben will. Und so wird Ben allmählich Handelnder statt nur Erinnernder. Wie ein Blinder in einem antiken Drama erschließt er sich Stück für Stück die Vergangenheit, um seine eigene Rolle im Leben zu finden, und der Roman nimmt Kurs aufs Dunkle. Dass dabei auch der linke Intellektuelle eine leichte Umschreibung erfährt, ist eine melancholische Randnotiz.

Das Verlassen der fixierten Erzählposition sorgt nicht nur für Spannung, sondern ist zugleich Klebstoff für die gebrochenen Biographien, die Blom in seinem Desillusionstheater elegant miteinander verschränkt. Es dürfte kein Zufall sein, dass Ben dabei nie weit weg ist vom Meer. In Amsterdam, wo er Malunterricht nimmt, in Den Haag, wo er mit Xenia wohnte, und in einem Bild aus dem achtzehnten Jahrhundert, das Familienerbe ist. Es zeigt ein Schiff, das auf einen Felsen gelaufen ist. Die Masten stehen mit dramatischer Schlagseite "gegen den zornigen Himmel". Männer stehen am Strand, um das Wrack zu erreichen. Allerdings ist nicht klar, ob sie Gutes wollen oder Böses. Der studierte Kunstgeschichtler Ben weiß von den Strandräubern, die damals Schiffe, die in Seenot gerieten, täuschten und ausraubten. In dieser Unentschiedenheit liegt auch die Kraft des Romans. Blom wirft Fragen auf, statt fest konturierte Typen zu hämmern. Und die eine oder andere Lebenslüge mag gerade der nötige Kitt fürs Leben sein, für ein Durchhalten, das Philipp Blom hier meisterlich umkreist.

ANJA HIRSCH

Philipp Blom: "Bei Sturm am Meer". Roman.

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2016. 221 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Blom verfügt über eine breite Palette an stilistischen Mitteln, darunter interessante Rhythmuswechsel. Eine lakonisch geschilderte Ausgangssituation - die Großmutter erscheint nicht zu ihrem eigenen Begräbnis, da ihre Urne auf dem Postweg verlorengegangen ist - lässt er langsam in eine Selbstreflexion übergehen, die oft quälend ist, aber nie in Larmoyanz abgleitet." Thomas Leitner, Falter, 27.07.16

" 'Bei Sturm am Meer' fordert den Leser heraus, über sich selber nachzudenken. Stück für Stück kristallisiert sich das Geschehene heraus. Spannende Lektüre." Claudio Campagna, NDR Kultur, 31.07.16

"Bloms Sprache ist mitreißend, er hat wunderbare Romanfiguren geschaffen. (...) Ein tiefgründiger, packend erzählter Roman über zerplatzte Träume und lebenslange Lügen." Petra Noppeney, Westfälische Nachrichten, 04.08.16

"Ein Mehrgenerationenroman mit hoher Sogkraft. Philipp Blom erzählt mit viel Sensibilität und Tiefenschärfe von den Wurzeln großer Lebenslügen." Roana Brogsitter, BR5 Neues vom Buchmarkt, 10.08.16

"Philipp Bloms Roman - eine facettenreiche Familiengeschichte mit Abgründen - entwickelt einen Sog, dessen gepflegt elegischer Suggestionskraft man sich schwerlich entziehen kann." Günter Kaindlstorfer, WDR5 Bücher, 10.09.16

"Blom beweist auch in seinem Roman, dass er vertrackteste Erzählfäden souverän und raffiniert zusammenführen kann." Julian Schütt, srf2 52 beste Bücher, 16.10.16

"Blom erzählt auf so bedrückende wie lakonisch heitere Weise von großen Lebensaufbrüchen und herben Enttäuschungen." Thorsten Jantschek, Deutschlandradio, 21.12.16…mehr