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Am 8. April 2002 wird die achtjährige Scarlett Peters zum letzten Mal gesehen. Drei Jahre danach wird Jonathan Krumbholz, ein vierundzwanzigjähriger, geistig zurückgebliebener Mann, wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Sechs Jahre später bekommt Polonius Fischer, Kommissar bei der Mordkommission in München, von einem Schulfreund der Verschwundenen einen Brief. Er will Scarlett auf der Straße erkannt haben. Ist dem Zeugen zu trauen? Ist Scarlett gar nicht tot - obwohl ihre Mutter für sie ein Grab auf dem Neuen Südfriedhof gekauft hat? Hat die Polizei sich geirrt? Friedrich Ani erzählt…mehr

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Produktbeschreibung
Am 8. April 2002 wird die achtjährige Scarlett Peters zum letzten Mal gesehen. Drei Jahre danach wird Jonathan Krumbholz, ein vierundzwanzigjähriger, geistig zurückgebliebener Mann, wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Sechs Jahre später bekommt Polonius Fischer, Kommissar bei der Mordkommission in München, von einem Schulfreund der Verschwundenen einen Brief. Er will Scarlett auf der Straße erkannt haben. Ist dem Zeugen zu trauen? Ist Scarlett gar nicht tot - obwohl ihre Mutter für sie ein Grab auf dem Neuen Südfriedhof gekauft hat? Hat die Polizei sich geirrt? Friedrich Ani erzählt in seinem Kriminalroman mit atemloser Spannung die Geschichte eines realen Falles, der alle Sicherheiten in Frage stellt. Polonius Fischer ist zutiefst irritiert: Haben seine Kollegen wissentlich nach einem Sündenbock für einen Mord gesucht, um einen Fall abzuschließen, der die Öffentlichkeit bewegt hat wie kein zweiter?
Autorenporträt
Friedrich Ani, geb. 1959 in Kochel am See, arbeitete als Reporter, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Friedrich Ani lebt in München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Richard Kämmerlings entdeckt in der Krimiliteratur eine "neue Universalität" und stellt drei Krimiautoren und ihre jüngsten Bücher vor, die, jeder auf seine Weise, die Genregrenzen ausweiten. In Friedrich Anis "Totsein verjährt nicht" macht sich der schon durch zwei vorhergehende Bände etablierte Kommissar Polonius Fischer, ein ehemaliger Mönch, daran, einen sechs Jahre alten Mord an einem kleinen Mädchen wieder aufzurollen, weil er glaubt, dass der Falsche dafür verurteilt wurde, umreißt der Rezensent den Plot. Anis Spezialität für moralisch ambivalente Handlungs- und Motivketten erfasst in diesem Band den Kommissar, der diesmal selbst gewalttätig wird, erklärt Kämmerlings. Diese "genreuntypische" Wendung birgt in den Augen des Rezensenten ein hohes erzählerisches Risiko, wird aber dadurch abgesichert, dass nun ein Bogen durch alle drei Polonius-Fischer-Bände gespannt und das Trauma aus dessen Kindheit enthüllt wird, das die widersprüchliche Figur der Hauptperson determiniert, so Kämmerlings. Dabei findet er das fesselndste Element an diesem Protagonisten, dass er durch die Verbrechen, mit denen er konfrontiert wird, stets in neue Glaubenszweifel gestürzt wird.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.01.2010

Die Grausamkeit des Gottsuchers
Friedrich Anis Kriminalroman „Totsein verjährt nicht”
Er sei der Philosoph unter den deutschen Krimiautoren, heißt es über Friedrich Ani. Aber das stimmt nicht ganz, exakter wäre es, ihn einen Metaphysiker zu nennen. Die Inbrunst, mit der sich Anis Kommissare nach dem Licht der Wahrheit und Erkenntnis sehnen, hat nichts mit der kalten analytischen Philosophie unserer Tage zu tun. Die Wahrheitssuche dieser Ermittler hat etwas entschieden Jenseitsverliebtes. Neben Tabor Süden, dem Melancholiker, und Jonas Vogel, dem blinden Seher, trifft das vor allem auf Polonius Fischer zu, den Ex-Mönch, der seine Benediktinerzelle gegen ein Büro in der Mordkommission eingetauscht hat: Er will den Urgrund des Verbrechens entbergen, nicht bloß die schnöde logische Struktur.
Polonius Fischer ist aber qua Herkunft nicht nur der jenseitsfreundlichste, er ist auch der inbrünstigste unter den Krimi-Kommissaren von Friedrich Ani. In „Totsein verjährt nicht” hat er es mit einem Fall zu tun, der wie dazu gemacht zu sein scheint, die routinierte, diesseitige Wahrheit aller Pragmatiker in Zweifel zu ziehen. Gerichtsverwertbare Fakten, sagte Fischer manchmal vor jungen Kollegen, mochten als Grundlage für ein unanfechtbares Urteil dienen, als Teleskop zum Erkennen eines Lichtjahre entfernten, blutenden Sternes taugten sie nicht im Geringsten. Die blutig leuchtende Wahrheit – mit dem bloßen Augenschein ist ihr nicht beizukommen, und deshalb läuft Fischer Sturm gegen die praktische Vernunft der Mordkommission.
Was ruiniert die Nerven des mönchischen Kommissars? Zum einen die persönliche Extremsituation: Seine Freundin liegt im Koma – niedergeschlagen von Unbekannten, die zuvor einen Taxifahrer getötet haben. Zum anderen erhält Fischer einen Brief, der einen sechs Jahre zurückliegenden Fall in ein seltsames Licht taucht. Ein damals achtjähriges Mädchen war spurlos verschwunden, ihre Leiche wurde nie gefunden. Wurde sie ermordet? Verurteilt hat man einen geistig Zurückgebliebenen aus der Nachbarschaft, mit dem die kleine Scarlett kurz vor ihrem Verschwinden gespielt hatte. An dieser simplen Wahrheit hatte der Kommissar immer schon gezweifelt und war von dem Fall abgezogen worden. Aber der Brief bringt alles erneut in Schieflage: Ein sechzehnjähriger Junge, damals ein Freund von Scarlett, will das Mädchen mitten auf dem Marienplatz erkannt haben. Polonius Fischer entdeckt eine Serie von Schlampereien, die aus dem gerichtlich bestätigten Tathergang eine manipulierte Bequemversion machen.
Racheengel in trister Spelunke
Wer findet den Schuldigen, wenn das Gesetz so kläglich versagt? Ani verwandelt seinen Ex-Mönch in einen Racheengel, den die lieblose Wurschtigkeit um ihn herum erzürnt und der blind zu sein scheint für die Gewaltspirale, die ihn selbst erfasst hat. Zur allmählichen Entgleisung des Kommissars passt die Spelunkentristesse, in der die Zeugen festhängen. Im „Pilsstüberl” mit seinen gelblichen Gardinen dudeln Spielautomaten ihre öde Erkennungsmelodie. Und im „Torbräu” verfluchen einsam grantelnde Säufer das „Xundheitsschutzxetz”. Ani, geboren 1959 in Kochel am See, lässt seine Kriminalromane in einem München spielen, das in etwa so leuchtet wie die graue Haut von Kettenrauchern. Dieser schlecht gelüftete, verdruckste Vorstadtmikrokosmos wird bevölkert von Schlampen mit spitzen Kussmündern, stumpfen Alk-Müttern und Männern, die grinsend ihre seelische Verrohung zur Schau stellen.
Manchmal fragt man sich, ob „Totsein verjährt nicht” mit mankellmäßigen Lustschaudern den sozialen Niedergang zelebriert – wäre da nicht der Kommissar, der das Augenmerk auf etwas Anderes, Abgründigeres lenkt. Der große Einsame mit dem Hut – immer muss er seinen Stetson tief in die Stirn ziehen, um gegen den kalten Wind anzukommen – betritt eine Grauzone, in der Gesetz und Gewalt, Gerechtigkeitsstreben und alttestamentarischer Zorn auf ziemlich unheimliche Weise ineinander übergehen. Der Mann, der ein Kruzifix im Vernehmungsraum hängen hat und gern Psalmen zitiert, wird gewissermaßen zum Opfer seiner eigenen archaischen Wucht. Und etwas Ähnliches geschieht dem ganzen Roman. „Hab Erbarmen mit mir”, fleht eine Verdächtige, aber erhört wird sie nicht. Wenn Ani zeigen wollte, wie leicht das inbrünstig Gottsucherische ins Gnadenlose kippt, ist ihm das gut gelungen. JUTTA PERSON
FRIEDRICH ANI: Totsein verjährt nicht. Roman. Zsolnay Verlag, Wien 2009. 285 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2009

Hat der Autor ein Motiv?

Über den Grund des Vergnügens an kriminalistischen Gegenständen: Wie Friedrich Ani, Wolf Haas und Heinrich Steinfest die Unterhaltungsliteratur transzendieren.

Von Richard Kämmerlings

Mit dem Gesetz nimmt man es bei der Münchner Mordkommission nicht so genau. Das Kruzifix-Urteil jedenfalls findet im Dezernat keine Anwendung, auch wenn das Verhältnis von Staat und Religion gerade hier an einem empfindlichen Punkt berührt wird. Im Vernehmungsraum von Polonius Fischer, dem P-F-Zimmer, hängt ein Eichenholzkreuz an der Wand, und obwohl der Kommissar jeden Zeugen oder Verdächtigen fragt, ob ihn der Christus störe, bleibt dieser immer hängen, so als wüssten all die Schuldigen und Nichtschuldigen intuitiv, dass in Fischers imposanter Gestalt weltliche und geistliche Ordnung zusammenfallen. Tatsächlich aber geht der tragische Riss zwischen Strafgesetz und Gerechtigkeit mitten durch ihn hindurch: Das ganze Gewicht der gefallenen Welt lastet auf den Schultern des Ermittlers.

Mit dem Ex-Mönch Polonius Fischer hat der Münchner Friedrich Ani einen Charakter geschaffen, der die neue Universalität des Kriminalromans eindrucksvoll verkörpert. Zwar war dieser immer schon ein Medium für alle möglichen Fragen jenseits des reinen Whodunnit; Soziales, Politisches, Theologisches und Moralisches gehören seit den Kindsmorden des Bürgerlichen Trauerspiels zum Kriminalfall dazu. Doch selten zuvor hat die crime story - sei es als Polizei-, Detektiv- oder Gerichtsmedizinergeschichte - einen so großen Raum unter den populären Erzählungen eingenommen. Wer die Welt nur aus dem Fernsehen kennt, müsste glauben, unser Gemeinwesen sei heillos in einem Morast von Verbrechen versunken.

Während im Alltag die Konfrontation mit der gesetzlosen Sphäre eine Ausnahmesituation ist, kommen die fiktionalen Darstellungen der Gegenwart gar nicht mehr ohne Kriminalität aus. Die Meisterwerke des Fernsehens haben dabei längst epische Qualität angenommen. Eine Comédie humaine der Gegenwart wie "The Wire" noch als "Polizei-Serie" zu bezeichnen klingt beinahe absurd; Ähnliches gilt für die deutsch-dänische Koproduktion "Kommissarin Lund". Kein Wunder, dass angesichts solcher audiovisueller Konkurrenz bei der Lektüre so mancher Gegenwartsromane der Eindruck entsteht, "Realismus" sei kein Anspruch an Weltwissen und Beobachtungsschärfe mehr, sondern nur eine altmodische, dem Publikum vertraute Erzählhaltung.

Die deutschsprachige Literatur hat die Möglichkeiten der kriminalistischen Form lange ignoriert. Doch seit einigen Jahren treten Autoren hervor, die den Krimi als literarische Gattung selbstverständlich ernst nehmen: Friedrich Ani, Jahrgang 1959, Wolf Haas, Jahrgang 1960, und Heinrich Steinfest, Jahrgang 1961, gehören in vorderer Reihe dazu. Unterhaltungsliteratur schreiben alle drei höchstens in dem Sinne, in dem Friedrich Schiller einst den "Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen" erläuterte: Der Zweck der Schönen Künste, so heißt es in seinem Aufsatz von 1792, sei "Vergnügen auszuspenden und Glückliche zu machen. Spielend verleihen sie, was ihre ernstern Schwestern uns erst mühsam erringen lassen; sie verschenken, was dort erst der sauer erworbene Preis vieler Anstrengungen zu sein pflegt." Pure "Sinnlichkeit", also Thrill und Sex und Schenkelklopfen, verstand Schiller unter Vergnügen nicht.

Es kann kein Zufall sein, dass diese drei Krimiautoren, die alle in diesem Herbst einen neuen Roman veröffentlicht haben, beinahe gleich alt sind. Ihre Prägung als angehende Schriftsteller erlebten sie in den Achtzigern, als die deutsche Gegenwartsliteratur sich - vor der Postmoderne, also vor Süskinds "Parfüm", vor Ransmayrs "Letzter Welt" und vor der Popliteratur - überwiegend in Wahrnehmungsexerzitien und erzählerischer Magersucht erging und ebenso wortreich wie blutarm nachweisen wollte, dass Romanschreiben gar nicht mehr möglich ist. Der Krimi mag da als Tarnkappenflieger des Realismus unter dem Radar der Literaturüberwachung eine naheliegende Alternative gewesen sein, die auch später, als die Deutschen längst zum Erzählen und zur Unterhaltung zurückgefunden hatten, einen bequemen Standort am Rande des kritischen Betriebs erlaubte.

Wolf Haas hat es mit seinen Krimis um den Privatdetektiv Simon Brenner am weitesten aus der Genre-Ecke heraus geschafft. 2003 hatte Haas in "Das ewige Leben" seiner Serie ein scheinbar unumstößliches Ende gesetzt, in dem nicht etwa die Hauptfigur, sondern den Erzähler eine verirrte Kugel traf. Das war ein konsequenter Showdown, war doch das Alleinstellungsmerkmal dieser Romane nicht der streng logische, aber unwahrscheinlich verwickelte Plot, sondern dessen Präsentation in einer mundartlich anmutenden, sentenzenreichen Kunstsprache, die einem schwadronierenden Kneipenphilosoph alle Ehre machen würde. Der kauzige, eher intuitiv vorgehende Brenner wurde erst in der bewundernd-jovialen Suada des Erzählerkumpels zum Original mit Kultstatus.

Wenn Haas nun in seinem jüngsten Roman "Der Brenner und der liebe Gott" (F.A.Z. vom 26. September) wie selbstverständlich weitererzählt und den inzwischen zum Privatchauffeur und Kindermädchen abgestiegenen Brenner einen Sündenpfuhl aus Korruption und Bauspekulation trockenlegen lässt, dann setzt er damit auch eine selbstironische erzähltheoretische Pointe. Denn nur wenn der Autor selbst jener Gott ist, den der Brenner kurz vor dem Ableben in der Jauchegrube von Angesicht zu Angesicht sieht, dann kann er den Erzähler aus dem Jenseits munter weiterquasseln lassen. "Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen." Figuren können sterben, die Stimme hat das ewige Leben.

Friedrich Ani ist der ernsthafteste unter den dreien, auch derjenige, der die Fälle am schärfsten zu moralischen Streitfragen zuspitzt. Gerade seine falschen Fährten führen mitten hinein in soziale Abgründe. In "Idylle der Hyänen" (2006), dem ersten Polonius-Fischer-Buch, stellt sich eine Kindesentführung als Versuch einer Seelenrettung vor der lieblosen Mutter heraus; Mord und Vergewaltigung könnten hier Tötung auf Verlangen gewesen sein. Ani konfrontiert den ruhig beobachtenden Menschenkenner Fischer mit Grenzfällen, in denen die polizeilichen Ermittlungstechniken vor der Vielschichtigkeit der menschlichen Handlungsmotive kapitulieren müssen. Verbrechen aus Mitleid, aus übergroßer Aufmerksamkeit für das Geschehen "hinter blinden Fenstern" sind ein ewiger Stachel für die Beamten vom Dezernat 111, die intern nur "die zwölf Apostel" genannt werden, weil Fischer ihnen wie einst im Kloster vorliest.

In "Totsein verjährt nicht", dem neuen Roman, rollt Fischer den sechs Jahre zurückliegenden Fall eines verschwundenen Mädchens wieder auf, der ihm seinerzeit entzogen worden war. Ein geistig behinderter Mann war nach fragwürdigen Ermittlungen verurteilt worden. Unter starker Anspannung - seine Freundin, eine Taxifahrerin, liegt nach einem Raubüberfall im Koma - versucht Fischer im Alleingang den vermeintlichen Justizirrtum zu revidieren. Anders als in den Vorgängern liegt die moralische Ambivalenz nicht beim Täter, sondern beim obsessiven Polizisten, der sich zunehmend isoliert und sogar gewalttätig wird. Anis genreuntypisches Verfahren, seinen Helden im dritten Buch in ganz neuem Licht zu zeigen, ist riskant. Doch schlägt er zugleich einen Bogen über alle drei Bände, da erst jetzt das zuvor stets nur angedeutete Kindheitstrauma Fischers vollständig aufgedeckt wird.

Einmal liest Fischer der versammelten Mordkommission aus einem Roman von Per Olov Enquist vor. Von einer Antenne an einer Holzhütte in Västerbotten ist da die Rede, mit dem "ein Gesang von schwarzen, toten Sternen" aufgezeichnet wird, eine "Himmelsharfe". Dass das Schweigen des Alls nicht ewig währen wird, ist die leise Hoffnung dieses modernen Hiob, für den jedes Verbrechen die Frage nach der Rechtfertigung Gottes neu aufwirft.

Spielerischer und ausgelassener geht es bei Heinrich Steinfest zu, der in seinem neuen Buch "Gewitter über Pluto" die Krimiform nur von ferne zitiert, um sie dann in der Kollision mit James-Bond-Plot und Science-Fiction genüsslich in die Luft zu jagen. Schon die groteske Ausgangskonstellation - der erfolgreiche Pornodarsteller Lorenz Mohn fängt ein neues Leben an und eröffnet einen Strickwarenladen - ermöglicht einen ironischen Diskurs über E- und U-Kunst; der Regisseur seines letzten Streifens will einmal für Polanski gearbeitet haben. Das Geld für seine Existenzgründung hat Lorenz bei einer mysteriösen Dame mit Verbindungen zur Unterwelt geliehen. Als in dem Laden (der "Plutos Liebe" heißt) eine Leiche auftaucht, scheint ein normaler Kriminalfall mit schrulligem Kommissar etc. seinen Lauf zu nehmen - doch nach Cameo-Auftritten von Ermittlern aus früheren Büchern versandet der Fall.

Oder besser gesagt, er hebt total ab: Außerirdische Agenten von einem bislang unbekannten, erdähnlichen Planeten jenseits des Pluto treten auf, die allerlei merkwürdige Geschäfte zu erledigen haben und dabei eben auch über Leichen gehen. Die geheimnisvolle Alte entpuppt sich als Kopf eines weltumspannenden Alien-Netzes, in dem sich der in der Wolle gefärbte Pornostar versehentlich verfangen hat. Dass die Lösung des Falles ganz real aus dem Jenseits kommt, ist noch eine der harmlosen Volten in Steinfests Wundertüte. Während der Erzähler überdeutlich Zaunpfähle als Feldzeichen seiner demiurgischen Allmacht einrammt, wird geleugnet, dass es sich um einen Roman handelt: "Es geschieht, was geschehen muss, und niemand kann etwas daran ändern."

Der Autor eines Kriminalromans trägt die schwere Last, für den Sinn und die logische Kohärenz seiner Welt selbst verantwortlich zu sein. Indem er Ursachen und Wirkungen koppelt, kann er dem Verbrechen einen Grund, dem Täter ein Motiv, ja sogar dem Bösen eine Rolle im Weltgefüge geben. Wenn Friedrich Ani mehrere Verbrechen rein zufällig zeitgleich und am selben Ort geschehen lässt, droht das Sinn-Universum zu implodieren. Bei Wolf Haas garantiert allein die Grammatik noch die rationale Struktur einer im Kern verrotteten Welt: Alles wird ihm zur Senkgrube. In Steinfests völlig losgelöster Zitatenfahndung schließlich ist an die Stelle detektivischer Beweisführung die hermeneutische Unterstellung getreten: "Was verlangen Sie?", fragt einmal sein Kommissar, "Ich bin Kriminalist. Ich lebe von Zusammenhängen. Ich kann nicht vor die Leute hintreten und sagen, das alles sei nur geschehen, weil jemand ein Faible für die äußeren Planeten hat. Und dass wir alle an den Fäden reiner Willkur hängen. Nein, ich suche ein Motiv. Ich suche es, weil ich daran glaube. In einer Welt ohne Motive hätte ein Polizist keinen Platz."

Wo moralisches Chaos herrscht, ist das principle of charity, das jeder Äußerung einen Vorschuss an Sinn gewährt, die letzte Bastion der Humanität. Ein Polonius Fischer, der nie Verhöre, sondern nur "Gespräche" führt, verkörpert die Ordnung der Dinge, die Steinfest in seinem anything goes schon aufgegeben hat. Deswegen ist ein erpresstes Geständnis für Fischer der schlimmstmögliche Umschlag polizeilicher Vernunft in den Mythos.

Jeder Leser ist ein Kriminalist, der annehmen muss, dass die Welt seines Buches einen Sinn hat. Wenn alle Steinchen des Puzzles zusammenpassen, dann mag er ein Glücksgefühl des Zusammenhangs aller Dinge empfinden, das die gottverlassene Wirklichkeit nur im Wahn oder im Rausch bietet. Doch wenn er bei der Suche nach Motiven feststellt, dass das Erzählen reiner Willkür entspringt, kann das ebenso verstörend wie befreiend sein.

Friedrich Ani: "Totsein verjährt nicht". Roman. Zsolnay Verlag, Wien 2009. 288 S., geb., 19,90 [Euro].

Heinrich Steinfest: "Gewitter über Pluto". Roman. Piper Verlag, München 2009. 432 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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