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"Für mich begann der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa am 18. August 1980. Ja, genau an diesem Tag." Martin Pollack, einem damals nahezu unbekannten Reporter, der über die Streiks der Solidarnosc in der Danziger Leninwerft berichten wollte, wurde die Einreise nach Polen verweigert. Doch die bislang so selbstbewusst-arroganten Beamten am Flughafen von Warschau wirkten ganz anders als gewohnt, verunsichert, ja beinahe ängstlich. Irgendetwas war aus dem Gleichgewicht geraten. Für den vielfach ausgezeichneten Autor, Übersetzer und Reporter Martin Pollack waren es von Anfang an einzelne…mehr

Produktbeschreibung
"Für mich begann der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa am 18. August 1980. Ja, genau an diesem Tag." Martin Pollack, einem damals nahezu unbekannten Reporter, der über die Streiks der Solidarnosc in der Danziger Leninwerft berichten wollte, wurde die Einreise nach Polen verweigert. Doch die bislang so selbstbewusst-arroganten Beamten am Flughafen von Warschau wirkten ganz anders als gewohnt, verunsichert, ja beinahe ängstlich. Irgendetwas war aus dem Gleichgewicht geraten. Für den vielfach ausgezeichneten Autor, Übersetzer und Reporter Martin Pollack waren es von Anfang an einzelne Erlebnisse und persönliche Begegnungen, die große Zusammenhänge und Entwicklungen besser verständlich machen. In seinen Reportagen versteht er es, ein vielgestaltiges Panorama des Übergangs zu schaffen - und ein Manifest gegen das Diktum vom Ende der Geschichte.
Autorenporträt
Martin Pollack, geboren 1944 in Bad Hall, Oberösterreich, studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte. Bis 1998 Korrespondent des Spiegel in Wien und Warschau. Übersetzer u. a. von Ryszard Kapuscinski. Preise u. a.: Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung (2011), Johann-Heinrich-Merck-Preis, Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik (beide 2018). Bei Zsolnay sind u.a. erschienen: Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann (2002), Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater (2004), Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien (2010) und zuletzt Die Frau ohne Grab. Bericht über meine Tante (2019).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2008

Epoche der Bodybuilder

Der Neue Mensch trägt Goldkettchen: Martin Pollacks luzide Reportagen arbeiten den Systemwechsel in Osteuropa, aber auch verdrängte Weltkriegsverbrechen auf.

Beruf Reporter. Kaum einer hat sich dieses Etikett im deutschen Sprachraum so souverän verdient wie Martin Pollack. Dabei erzwang es die Sprachmacht des 1944 im oberösterreichischen Bad Hall Geborenen geradezu, dass er seinen Redakteursposten beim "Spiegel" 1988 aufgab, um jenseits strenger journalistischer Formatierungen aufs Ganze zu gehen. "Anklage Vatermord" (2002) und "Der Tote im Bunker" (2004) heißen seine wichtigsten Bücher; letzteres handelt von Pollacks eigenem Vater, dem SS-Mann, und es ist eine schonungslose Reise in die eigene Biographie. Nun also "Warum wurden die Stanislaws erschossen?", eine Sammlung von Reportagen, die Pollack von 1983 bis in die Gegenwart an verschiedenen Stellen, darunter "TransAtlantik", "Kursbuch", "Literatur und Kritik" und "Spiegel", veröffentlicht hat, aber auch einige Originalbeiträge.

Mit traumwandlerischer Sicherheit wandelt Pollack dabei auf dem schmalen Grat zwischen Literatur und Publizistik. Dass Fragen wie jene des Buchtitels unbeantwortet bleiben, mindert nicht den Erkenntniswert. Es geht Pollack vielmehr darum, ein Verbrechen, das unaufklärbar bleiben muss, trotzdem nicht zu den Akten zu legen. Die polnischen Zwangsarbeiter Stanislaw Medrek und Stanislaw Grzanka waren im April 1945 von sowjetischen Soldaten im Südburgenland erschossen worden, und keiner kann sich bis heute erklären, warum. Durch die langen Gespräche, die Pollack mit den Zeugen solcher Ereignisse geführt hat, durch seine Beschreibungen der Orte und Schauplätze, verdichtet sich ein Lebensraum, in dem bewusst oder unbewusst konstruierte Erinnerungen zu subjektiven Wahrheiten und existentiellen Überlebensstrategien geronnen sind.

Am Rande tabuisierter und rätselhafter, aber dennoch stets präsenter Katastrophen, wie jener der verschwundenen Juden von Prokurava, kristallisieren sich die Lebensgemeinschaften der Abgehängten, die der Reporter zumeist in randständigen Regionen Osteuropas sucht. Wo Familienbande über Generationen den Zusammenhalt von Dorfgemeinschaften prägen, hat der Krieg besonders schlecht heilende Wunden geschlagen. Hier kam man auch besonders langsam den gravierenden Systemwechseln hinterher, von denen der Fall des Eisernen Vorhangs der letzte einschneidende war. Bei all dem, und davon zehren seine Texte in besonderer Weise, war Pollack sehr früh dran. Dass er in den sechziger Jahren in Polen Slawistik und osteuropäische Geschichte studierte, dass er alt genug war, um auf das in West- und Osteuropa sehr unterschiedlich beschaffene Beben von 1968 zu reagieren; dass er heute, mit dreiundsechzig Jahren, noch immer auf der Höhe der Zeit ist - das ist für einen historisch wachen Autor wie ihn ein biographischer Glücksfall.

Pollack, der selbst kein begeisterter Fotograf, dafür aber ein besessener Sammler von Fotografien ist, geht zumeist vom zufälligen und irritierenden Fundstück aus. Seine Reportagen stellen stets unbekannte Personen des Zeitgeschehens in den Mittelpunkt, denen der Autor dank eines ausgeprägten Sinns fürs Habituelle ihre Konturen verleiht und so noch die schaurigsten Täterbiographien plastisch macht. Der Ausgangspunkt für seine Untersuchungen bleibt dabei stets die Heimat Österreich. Pollack erweist sich zudem als luzider Beobachter der neunziger Jahre. Mit einem untrüglichen Sinn fürs Groteske beschreibt er, wie in ganz Osteuropa die Geburtsstunde einer neuen gesellschaftlichen Klasse schlägt. Männer in Trainingsanzügen, große Handys auf Café-Tischen, Goldkettchen, die Epidemie von Wach- und Sicherheitsdiensten als Indiz eines explodierenden Reichtums. Frappiert vermittelt der Autor einen Eindruck davon, wie der Systemwechsel von 1989 soziale Muster und gesellschaftliche Ideale in neuer Weise zusammengewürfelt hat, bis dabei ein Neuer Mensch herauskam. Ebenso beschreibt er die Rasanz, mit der die Intellektuellen und Dissidenten in dieser Entwicklung links liegengelassen wurden. Die Zeichen dieser Übergangszeit, in der für ein paar Jahre alles offen und möglich schien, haben jedenfalls andere verstanden: "Warum sind es immer die Intellektuellen, die auf solchen Schwindel hereinfallen, während die halbanalphabetischen Bodybuilder bestens gewappnet erscheinen für die Probleme der neuen Zeit?"

Seit der Wende ist der Osten Europas in der deutschsprachigen Literatur und Essayistik sehr ausführlich beschrieben worden, meistens von männlichen Reisenden, die ihn zu Fuß erwandert oder mit dem Zug oder Auto bereist haben. Oft schwelgen solche Erkundungen in der Beschwörung von Landschaften und Orten. Das ist bei Martin Pollack anders. Beschreibt er eine Straße, dann knüpft sich daran noch längst keine Diagnose des großen Ganzen. Gegenden geraten nicht zwangsläufig zu Seelenlandschaften und müssen nicht als Verständnisschlüssel zu einem ganzen Kontinent herhalten. Pollacks Texte halten sich ans Detail. Und lassen den Leser eher en passant von einem profunden Wissen profitieren, dass sich auf Flora und Fauna ebenso erstreckt wie auf historische Zusammenhänge. Martin Pollack ist ein Reporter, der im deutschsprachigen Raum seinesgleichen sucht. Daher wirken seine älteren Texte heute noch taufrisch, und die aktuellen wird man auch in Jahren noch mit größtem Gewinn lesen können.

STEFANIE PETER

Martin Pollack: "Warum wurden die Stanislaws erschossen?". Reportagen. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2008, 230 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Paul Jandl zeigt größten Respekt vor den Reportagen des Journalisten Martin Pollack und preist die zwischen 1982 und 2007 entstandenen Texte, die dieser Band versammelt, als herausragende Exemplare ihrer Gattung. Ob sich der Autor mit SS-Sturmbannführer Rolf-Heinz Höppner unterhält, der nach Kriegsende ein unbehelligtes Leben in der BRD führt, oder versucht, die Gründe für den Tod der von russischen Soldaten erschossenen polnischen Zwangsarbeiter zu finden , stets sind es die Spuren von Individuen in der Geschichte, denen der Autor nachgeht, erklärt der Rezensent. Besonders der auf "Klarheit" bedachte Stil Pollacks, der sich niemals vor die Geschichte, die er erzählen will, schiebt, hat es Jandl angetan, und er preist die unspektakuläre, gleichwohl "luzide" Sprache des Autors. Zusammengenommen ergeben die Reportagen aus Österreich und Osteuropa eine überaus packende "Chronologie", die insbesondere den Wendepunkten in der Geschichte ihre Aufmerksamkeit zollt, lobt der Rezensent, der in Pollack eine Ausnahmeerscheinung unter den Journalisten ehrt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Was immer Martin Pollack unternimmt, in welche europäische Gegenden er auch reist, es ist eine Suche nach den Spuren der Menschen. ( ...) (Sein) Stil hat eine erzählerische Klarheit, die nie mit dem Ernst seiner Stoffe konkurriert." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung 11.03.08

"Pollacks Spürsinn für verborgene Zeugnisse einer verleugneten Vergangenheit ist bewundernswert. (...) Wie Pollack indes familiäre NS-Verstrickungen freilegt, ohne dabei seine Zuneigung und Dankbarkeit einzelnen Menschen gegenüber zu verraten, solches Feingefühl sichert ihm, neben der peniblen Tatsachensicherung, jene erzählerische Glaubwürdigkeit, die schon seine vorangegangenen Bücher auszeichnete." Oliver vom Hove, Die Presse, 23.02.08

"Pollack verbindet unaufdringliche Neugier mit profundem Wissen, Empathie mit der unerlässlichen Distanz des um Gerechtigkeit bemühten Journalisten." Die Welt, 03.05.08

"Es sind Schlaglichter auf Gesellschaften, die sich seit dem Zusammenbruch des Kommunismus im Umbruch befinden. Sie holen Verborgenes ans Licht und widmen sich Spuren vergangen Lebens. Martin Pollacks besondere Begabung liegt darin, Widersprüche und Unklarheiten nebeneinander stehen lassen zu können. (...) Eine faszinierende Bilderrätsel-Entschlüsselung, eingebettet in historisches Wissen über jüdisches Leben in der polnischen Provinz unmittelbar vor dessen Zerstörung durch die Nationalsozialisten." Julia Kospach, Österreich, 09.02.08

"Es sind einzelne Stimmungsbilder, Begegnungen und Erlebnisse, die in Umbruchzeiten die grossen Transformationslinien sichtbar machen. Beharrlich und genau schreibt der vielfach ausgezeichnete österreichische Publizist, Schriftsteller und Übersetzer Martin Pollack Reportagen, die dieser Überzeugung Rechnung tragen." Julia Kospach, Der Bund, 26.02.08

"Pollacks Texte lassen den Leser eher en passant von einem profunden Wissen profitieren, das sich auf Flora und Fauna ebenso erstreckt wie auf historische Zusa"Pollacks Texte lassen den Leser eher en passant von einem profunden Wissen profitieren, das sich auf Flora und Fauna ebenso erstreckt wie auf historische Zusammenhänge.... ein Reporter, der im deutschsprachigen Raum seinesgleichen sucht." Stefanie Peter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.10.2008
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