Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 4,71 €
  • Gebundenes Buch

Noch nie hat Karl-Markus Gauß die Vielfalt seiner Themen so leichthändig ausgebreitet wie in diesem hochaktuellen Buch: österreichische Wahlkämpfe, deutsches Theater, transatlantische Verwerfungen oder ein kroatischer Fluss, der eines Tages in die andere Richtung zu fließen beginnt, die mythische Gestalt des eigenen Großvaters oder der greise Nobelpreisträger, dem das Zollpostamt Salzburg die Herausgabe seiner Bücher verweigert. "Von nah, von fern" ist die ungewöhnliche Chronik eines Jahres und eine europäische Kulturgeschichte.

Produktbeschreibung
Noch nie hat Karl-Markus Gauß die Vielfalt seiner Themen so leichthändig ausgebreitet wie in diesem hochaktuellen Buch: österreichische Wahlkämpfe, deutsches Theater, transatlantische Verwerfungen oder ein kroatischer Fluss, der eines Tages in die andere Richtung zu fließen beginnt, die mythische Gestalt des eigenen Großvaters oder der greise Nobelpreisträger, dem das Zollpostamt Salzburg die Herausgabe seiner Bücher verweigert. "Von nah, von fern" ist die ungewöhnliche Chronik eines Jahres und eine europäische Kulturgeschichte.
Autorenporträt
Karl-Markus Gauß, geboren 1954 in Salzburg, wo er auch heute lebt. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und oftmals ausgezeichnet, darunter mit dem Prix Charles Veillon (1997), dem Johann-Heinrich-Merck-Preis (2010) und dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (2022). Bei Zsolnay erschienen zuletzt Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer (2019), Die unaufhörliche Wanderung (2020) und Die Jahreszeiten der Ewigkeit (2022).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2003

Warum tragen die Nibelungen heute schwarze Hüte?
Triumph des Unwillens: Karl-Markus Gauß‘ brillante Jahreschronik 2002 „Von nah, von fern”
Alfred Polgar, Großmeister der literarischen Kleinform Feuilleton, hat einmal die „kürzeste Linie von Punkt zu Punkt” zum „Gebot der fliehenden Stunde” erklärt. Das war in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als es Chronistenpflicht wurde, dem rasenden Tempo, den flotten Rhythmen des modernen Lebens im beschleunigten Takt des Schreibens nachzukommen. Wer ein Akrobat der Feder oder ein Pianist der Schreibmaschine sein wollte, der musste mit Rennwagen, Flugzeugen und anderen Geschossen Schritt halten, durfte weder Kollisionen noch Abstürze fürchten.
Nicht erst seit Beginn des neuen Jahrhunderts hat sich Erschöpfung breit gemacht. „Nach welchen Gesetzen verteilen sich die Notizen der Menschheit?”, fragte sich der gierige Annalist Walter Kempowski in seinem planetarischen Tagebuch „Alkor” des Sternenjahres 1989: „Wenn was passiert, haben sie keine Zeit, wenn nichts passiert, keine Lust?” Unter den digital beschleunigten Nachrichten- und Informationsfluten sitzen die Chronisten wie eingeklemmt zwischen Glotze und PC.
In annähernder Echtzeit und unter ausfallender Reflexionszeit zappen, surfen schreiben sie fiebrig hin und her und geben Emotionen weiter, die im Zweifelsfall, der aus Zeitmangel ebenfalls ausbleibt, vom Medium selbst vorgekaut wurden. Trunken von Geschichte kollabieren sie am Ende zu jenem Chor, den schon Kempowski anstimmte: „Was für ein Jahr! ... Und wir waren dabei! - Mit Augen und Ohren: ,Wahnsinn!‘, wie die Leute sagen.”
Keine Katastrophe, kein Gewinn
Anders schreibt der österreichische Schriftsteller und Kritiker Karl-Markus Gauß in seiner literarischen Chronik des Jahres 2002: „Das Seltsame an der Beschleunigung ist doch, dass vieles, was wir gestern noch für unmöglich gehalten haben, heute allgemein üblich geworden ist. dass das, was wir gestern fürchteten – oder ersehnten –, gar nichts besonderes mehr ist: nichts besonders Schreckliches und nichts besonders Schönes. Keine Katastrophe und kein wirklicher Gewinn. Die Apokalypsen und die Utopien haben uns enttäuscht. Es hat sich nur einfach ereignet, und wir sind, ohne dass wir es gemerkt hätten, mit unserer Welt anders geworden.”
Wer solch unmerkliche Alterität nüchtern und präzise zu registrieren sucht, muss an der Sache, die er beschreibt, zwar Anteil nehmen, doch darf er weder ihr Teilhaber sein noch in ihr aufgehen. Nahe muss er ihr aus der Ferne kommen, und noch aus dem Abstand heraus die Nähe zu den Dingen bewahren. In der Sozio-Ethnographie nennt man solches Verfahren ein „teilnehmendes Beobachten”. Schon im Titel „Mit mir, ohne mich” brachte der Vorgänger des Gaußschen „Jahresbuchs” die Stellung dieses dickköpfigen, aber feinsinnigen Kritikers gegenüber dem literarischen wie außerliterarischen Zirkusbetrieb zum Ausdruck. „Von nah, von fern” heißt das neue Buch, das die halsstarrige Doppelperspektive in Meisterstücken der kleinen Form und dichten Beschreibung bekräftigt.
Welche Beschreibung für die sonderbaren Erscheinungsformen eines neuen Kannibalismus, den uns das Jahr 2002 neben den Manifesten für Embryonenverbrauch und Alterseuthanasie servierte, könnte dichter sein als Gauß‘ Bemerkungen zur Fernsehübertragung - live auf Channel 4 - der „Eventschächtungen” eines deutschen Chirurgen, der seinen Vor- und Nachnamen der Nibelungensage entlehnte: „Gunther von Hagens ist die Leni Riefenstahl der plastifizierten Körper, ein Meister aus Deutschland, der vom Triumph seines Willens über den Verfall der Materie so berauscht ist, dass er seine Selektionen als pseudosakrale künstlerische Akte inszeniert. Das betont er durch den schwarzen Hut, den er, ohne deswegen Joseph Beuys zu werden, niemals abnimmt, auch nicht, wenn er das Skalpell an der Kinnspitze einer Leiche ansetzt und diese für seine Zuschauer im Saal und zu Hause in der guten Stube mit einem gekonnten Schnitt bis zum Schambein öffnet.”
Der neudeutsche Denkmalkult kommt nicht besser weg, wenn es an passender Stelle heißt: „Die so genannte Kultur der Erinnerung ist ein gefräßiges Maul, die unablässig Vergangenes verschlingt und dabei die Zähne bleckt, eine malmende Moral, die in ihren Schlund reißt, was sie zu ehren behauptet.” Oder, um den gewitzten Polemiker wider den gefräßigen Literaturbetriebs zu erkennen: „Tahar Ben Jelloun hat ein didaktisches Büchlein geschrieben, das ,Papa, was ist der Islam‘ heißt und schon formal so verlogen ist, dass nur ein internationaler Bestseller daraus werden kann.”
Dieses „Jahresbuch” ist ein Feuerwerk aus vollplastisch durchgearbeiteten Sätzen, die so schlagend treffen und sitzen, als wären sie gemeißelt. Deshalb sollte man nicht zu viel daraus zitieren. Man muss es lesen, Seite für Seite und Satz für Satz, um es nicht mit einem Tagebuch oder mit einer Sammlung von Aphorismen und auch nicht mit idiosynkratischen Aufzeichnungen à la Canetti zu verwechseln.
Zwar folgen die Beobachtungen dem chronologischen Gang des Jahres, doch kleben sie nicht am Tag. Die Einnahme einer mittleren Distanz lässt Gauß die Zeit zur gedanklichen wie sprachlichen Durchdringung und bereitet den Raum für Operationen mit Mikroskop und Teleskop. Sein Material, das zwischen großen und kleinen Dingen, zwischen Alltag und Weltgeschehen keinen Unterschied macht, ordnet dieser hellwache, bisweilen „schmerzwache” Annalist, indem er es zu unaufdringlichen Themenblöcken gruppiert. Sie sind wie Staudämme gegen den gefräßigen Dämon Kronos und seine zeitgemäßen Agenten errichtet. Letztere, das sind die im Moderatorenverbund von populistischer Politik und Talk-Shows gedeihenden „,Macher‘”, denen „das unbestimmte, ziellos energische, dieses von jedweder Überlegung befreite Machen” zum ausschließlichen Inhalt ihres so gedanken- wie gefühllosen Tuns geworden ist: „Lasst sie nur machen, sie werden es schon machen, machen, machen.”
Schreibender Landvermesser
Nein, der kratzbürstige Streithammel Karl-Markus Gauß lässt sie nicht „machen”. Er klopft ihnen kräftig und mit Herzenslust auf die Pfoten, zieht den Haiders, Bohlens und Berlusconis dieser Welt die bleckenden Zähne aus den grinsenden Gesichtern. Biographische Skizzen und Porträts gehören zu den Glanzstücken des Buchs: Stets sind es randständige Existenzen und Außenseiter von hybrider ethnischer, sprachlicher oder religiöser Identität: Sonderlinge, die – wie der 1954 in Salzburg als Flüchtlingskind von Donauschwaben der Wojwodina geborene Gauß – aus den weiten Provinzen des Vielvölkerreichs der einstigen k.u.k. Monarchie stammen.
Ihre Geschichten transportieren Nachrichten aus der langen, langsamen Zeit des alten, versunkenen Mitteleuropa, dessen Spuren der schreibende Landvermesser Gauß im neuen Europa der grenzüberschreitenden Mobilität und fiktiven Identität aufgehoben sehen möchte – nüchtern, illusionslos, ohne Nostalgie und Ursprungsgefasel nach Art des „Balkan der starken Gefühle” oder des „ewigen Serbien der Seele”. Mit diesem Buch, das auf Fortsetzungen wartet, hat Gauß seinen Rang als „einer der wichtigsten deutschsprachigen Autoren” (Robert Menasse) bestätigt. Es ist ein Buch, das ein ganzes Jahresfeuilleton – wie es hätte sein können, wenn es hätte sein dürfen – zwar nicht ersetzt, aber aufwiegt.
VOLKER BREIDECKER
KARL-MARKUS GAUSS: Von nah, von fern. Ein Jahresbuch. Zsolnay Verlag, Wien 2003. 263 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Immerhin: Ein ganzes Jahresfeuilleton kann dieses Buch zwar nicht ersetzen, aber aufwiegen sehr wohl, schreibt ein schier überwältigter Volker Breidecker über Karl-Markus Gauß' Jahreschronik "Von nah, von fern". Aus eher mittlerer Distanz folgt Gauß in seinen "Meisterstücken der kleinen Form" dem Gang des Jahres 2002; von Gunther von Hagens Eventschächtungen über den neudeutschen Denkmalkult bis in die Abgründe des Literaturbetriebs hinab reichen Gauß' Polemiken. Zu den Glanzstücken des Buches gehören für Breidecker aber die biografischen Skizzen und Porträts oder die dichten Beschreibungen, die den Rezensenten dann auch veranlassen, Gauß nicht nur als "kratzbürstigen Streithammel" zu würdigen, sondern auch als "dickköpfigen, aber feinsinnigen Kritiker". Zum Beispiel Gauß' wunderbare Bemerkung zur Beschleunigung, die Breidecker zitiert: "Das seltsame an der Beschleunigung ist doch, ... dass das, was wir gestern fürchteten - oder ersehnten -, gar nichts besonderes mehr ist: nichts besonders Schreckliches und nichts besonders Schönes. Keine Katastrophe und kein wirklicher Gewinn."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein hochaktuelles Buch."
Erika Achermann, St. Galler Tagblatt, 06.01.04

"Neues, Überraschendes und Bemerkenswertes beleuchtet Karl-Markus Gauß in seinem Jahrbuch. In "Von nah, von fern" wird spannend erzählt und sorgfältig erörtert."
Johann Holzner, Die Furche, 15.01.04

"Eine eigensinnige Bilanz des Jahres 2002 ... Dieses Buch ist vieles: ein Warnbuch vor dem Ungeist der Zeit, eine Einladung, sich die Welt erklären zu lassen, und ein Stachel, seinen Widerspruchsgeist zu schärfen."
Anton Thuswaldner, Die Presse, 06.09.03

"In seinem neuen, zweiten Journal macht die zornige Polemik zusehends Platz für ruhige erzählende Prosa von schlichter Größe, über das Leben von Käuzen, den Tod von Freunden, den Alltag mit Kindern. Ein Werk, in dem sich Erzählkunst mit der Moral liiert, ohne moralisierend oder gekünstelt zu sein."
Franz Haas, Neue Züricher Zeitung

"Von der gängigen Österreich-Essayistik unterscheidet sich Gauß durch die literarische Gesamtkomposition, die narrativen Formen, den weiten Blick. Die Form des "Jahresbuches" von Gauß läßt sich durchaus als Kunstwerk verstehen: eine zeitgemäße Mischung aus Tagebuch, philosophischem Roman und Kalendergeschichten von heute, die in der narrativen Präzision Johann Peter Hebel um nichts nachstehen. "
Klaus Zeyringer, Volltext

"Eine brilliante Jahreschronik 2002"
Volker Breidecker, Süddeutsche Zeitung, 05.12.03