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Mit Urgewalt explodiert die Sprache, gleich einem Wortrausch bricht sich der Rhythmus seine Bahn und schafft neue Wirklichkeiten: Wie Fieberschübe komme das Schreiben von Gedichten ein, zwei Mal im Jahr über ihn, sagt Franzobel. Innerhalb kurzer Zeit entstehen dann ganze Zyklen, die zuerst auswuchern zu ungeheuren Gebilden und dann als "Sprachblumen" erblühen. Aus fünfzehn dieser, seit Anfang der neunziger Jahre geschaffenen Eruptionen hat der "sprachmächtige Verbalerotiker" (Ulrich Weinzierl, Die Literarische Welt) erstmals eine Auswahl getroffen.

Produktbeschreibung
Mit Urgewalt explodiert die Sprache, gleich einem Wortrausch bricht sich der Rhythmus seine Bahn und schafft neue Wirklichkeiten: Wie Fieberschübe komme das Schreiben von Gedichten ein, zwei Mal im Jahr über ihn, sagt Franzobel. Innerhalb kurzer Zeit entstehen dann ganze Zyklen, die zuerst auswuchern zu ungeheuren Gebilden und dann als "Sprachblumen" erblühen. Aus fünfzehn dieser, seit Anfang der neunziger Jahre geschaffenen Eruptionen hat der "sprachmächtige Verbalerotiker" (Ulrich Weinzierl, Die Literarische Welt) erstmals eine Auswahl getroffen.
Autorenporträt
Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, erhielt u. a. den Ingeborg-Bachmann-Preis (1995), den Arthur-Schnitzler-Preis (2002) und den Nicolas-Born-Preis (2017), Bayerischer Buchpreis (2017). Bei Zsolnay erschienen zuletzt der Krimi Rechtswalzer (2019) sowie die in zahlreiche Sprachen übersetzten historischen Romane Das Floß der Medusa (2017), Die Eroberung Amerikas (2021) und Einsteins Hirn (2023).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2003

Blutwurst und leckere Mädchen
Mit starkem Leibanteil: Franzobels gesammelte Gedichte

Wie ein Bergstrom gesetzlos herniederzubrausen galt jahrhundertelang als Prinzip erhabener Lyrik. Mittlerweile haben Thomas Bernhard den obsessiven Gedankenfluß und Elfriede Jelinek die Flut des Geredes erfolgreich in das Bett der Prosa kanalisiert und so aus dem Medium der Reflexion eines der habituellen Erregung gemacht. Aus der Vielzahl ihrer Nachfolger ragt Franzobel nicht nur durch seine Produktivität hervor: Fünfzehn Prosabände und zehn Theaterstücke in wenigen Jahren auf den Markt zu bringen ist schon rein physisch keine Kleinigkeit, doch der Sprachstrom des Bachmann-Preisträgers von 1995 reißt auch heikle Kritiker mit.

Zu Recht, sofern man eine kleine Kröte schluckt: die berechnende Mimikry des Autors. Denn Franzobels gesammelte Lyrik, die man bislang nur verstreut in Zeitschriften lesen konnte, beherzigt auch außerliterarische Maximen. "Sex sells" lautet die Faustregel jeder Werbung, "dirty sex sells" diejenige aktueller Kunst. So wirbt denn ein gigabusiges Mona-Lisa-Remake von Otto Mühl auf dem Schutzumschlag, während Franzobel die Sprache seiner "Vergnügungsgedichte" mit schicken Sekreten und Lustmordleichen anreichert.

Kalkül, Kunst und Kompromittierung des Lesers spielen gekonnt zusammen: "Frankfurter in feuchte Muschis tunken. / Zehen lutschen, Frösche mixen, / solche Sachen haben Sie doch auch schon, / wenn auch nur als Regung, davon / will ich ausgehen, mal in sich gespürt. / Oder vielleicht nicht?" Klingt das noch eher nach unterstellter Komplizenschaft, gibt es gleich daneben abstrakte Virtuosität zu bewundern: "Geh fühl die, füll die, / geh fühl dich, gefüllte, / Gefühl, fühl, Gefühl, / geh fühl dich, füll die, / gefüllte Gefühle, gefüllte / Paprika. Aber aufgewärmt." Aus der phonetischen Identität der Partizipien "gefühlte / gefüllte" in österreichischer Lautung ("gfüüde") leitet Franzobel die semantische Identität von Gefühl und Füllung, von Innerlichkeit und Farce einer gekochten Paprikaschote her. Intellektuelle Schärfe erhält dieser Gag durch den Nachsatz "Aber aufgewärmt", da Gefühle nur durch Wiederholung benennbar sind, genau dadurch aber ihren singulären Reiz verlieren.

Der Gestus solcher Texte erinnert von ferne an Ernst Jandl, doch sucht man dessen kreatürliches Mitleid ebenso vergebens wie Jelineks aggressive Mimesis herrschender Sprachverhältnisse. Das Verstörende an Franzobels Kunst ist die Richtungslosigkeit ihrer sprudelnden Fülle. Katholische Moral und gesellschaftliche Sprachregelungen taugen nicht mehr als Widerstände, sondern würzen allenfalls als Ingredienzien einen ziellosen Strudel in des Teufels Kochtopf. Der Katarakt erhabener Lyrik hat einem sprachlichen Mahlstrom Platz gemacht, der nur mehr Bröckelchen individuellen Ekels kleinzureiben hat, um die Homogenität von Welt und Sprache herzustellen.

Franzobel, der ein bürgerliches Leben führt und sich in Interviews mehrfach zu individueller Religiosität bekannt hat, vollstreckt diese Aufgabe mit formaler Präzision: "Blunzengröstl essen, Kistlbrunzen müssen, / Brunzengröstl essen, Blunzenkistl müssen, / Blunzen brunzen, Gröstlkistl essen müssen, / Blunzen brunzen, Kistl müssen Gröstl essen, / Blunzen essen, brunzen müssen, Köstl. Köstl." Kein Skandal ist mehr in Sicht, wenn geröstete Blutwurst und menschliche Notdurft im Buchstabentausch verarbeitet werden - liegt dies an der erreichten Abstraktion oder an der unendlichen Distanz, die die Wiener Aktionisten der sechziger Jahre von der abgebrühten Jetztzeit trennt? Inzwischen sind so viel Blut, Sperma, Urin und Kot über Bühnen und Leinwände gespritzt oder als Farbflecken auf Bildschirme projiziert worden, daß Franzobels Arabesken nur mehr den literarischen Markt als Richter über sich anerkennen müssen und von diesem enthusiastisch freigesprochen werden.

Allein der jüngste und längste Text des vorliegenden Bandes bewahrt noch eine Erinnerung an die Vorzeit des dritten Jahrtausends. "Die Verzückung" ist diejenige der heiligen Teresa von Avila, dargestellt in Berninis berühmter Plastik in Santa Maria della Vittoria in Rom. Das betrachtende Ich des Textes schneidet die Ekstase der von einem himmlischen Pfeil durchbohrten Heiligen, Passagen aus der Beschreibung ihrer Vision und die Beobachtung des Verhaltens eines neunjährigen Mädchens in der Kirche zusammen: "Und ein paar Jahre noch, denke ich, dann wird auch sie, ihr Teiggesicht, / Wie die Teresa da in der Verzückung stehen und schreien, / Vor Verzückung schreien, / Es ist kein leiblicher, sondern ein geistlicher, ein geistlicher Gedankenschmerz, kein Schmalz. / Obwohl der Leib zuweilen Anteil hat, oft sogar starken."

Ein letztes Mal wird da die Süße der Blasphemie kostend versucht, zu der Kunstreiseführer ohnedies seit langem jeden Touristen anleiten - dann ist der letzte Schimmer des Göttlichen von dieser Erde verschwunden. Und wir können weiterreden "über Ohrläppchen und Genitalverbrechen", als wäre da nie etwas gewesen. Der Sprachfluß der Zeit quillt triumphal aus dem Orkus herauf. Wir haben uns köstlich amüsiert. Köstlich.

THOMAS POISS

Franzobel: "Luna Park". Vergnügungsgedichte. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2003. 176 S. geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2003

Blabla frisch von der Leber
Wenn Franzobel franzobelt ist es nicht ganz so schön
„Luna Park” versammelt 144 Gedichte, die in den letzten elf Jahren entstanden sind. Fast ausnahmslos sind sie in Zyklen angeordnet, die sich mit sehr unterschiedlicher Insistenz einem bestimmten Thema widmen. In „Loveparade” geht es, wie zu erwarten, um die Liebe, „Odysseus” greift zurück auf die Epen Homers, und in „Kaltleutgebern” wird eine ermordete junge Frau betrauert. Der übergreifende Titel des Bandes versucht der Kompilation des Disparaten einen Zusammenhang zu stiften. Den Titel der insgesamt sieben Zyklen und dem langen erotischen Einzelgedicht „Die Verzückung” sind daher Begriffe aus der Welt des Rummelplatzes zugeordnet. So steht „Autoscooter” neben „Loveparade”, „Bierzelt” neben „Leibesübungen”.
Was in diesem höchst ungleichen Buch hinterlässt einen guten Eindruck? Zunächst sind da einige überraschend zarte Gedichte. Zu ihnen zählt die kurze Rilke-Variation „Herbst”: „Wie Attila der Hunnenkönig, / daß die Blätter von den Bäumen / fallen, nun den Weg befaulen, stumm, so ist er eingefallen, / wer jetzt noch keine Ahnung hat, erfährt es nimmermehr.” „Rendezvous” schildert die Nöte eines offenbar frisch Verliebten, dem die Zeit zugleich zu schnell und zu langsam vergeht: „Tak das Warten steht dem Stehen vor, / aus ausgemacht ragt Treffen uns, / Tak die Blicke und den Bauch und wo, / ,Was mach ich nur‘ geht mit”. Am Ende steht die bange Frage: „Versetzt zu sein oder dein Kommen, / was wohl schlimmer ist?”
Zart, ergreifend sind auch einige der Gedichte in „Kaltleutgebern”. Ein lyrisches Ich klagt hier um die Ermordete. Ist es ihr Geliebter, ihr Mörder oder ein Mann, auf den beides zutrifft? Auf jeden Fall kann er sich mit dem schrecklichen Geschehen erkennbar nicht abfinden. Verzweifelt spricht er mit der, die nicht mehr antworten kann: „Dann sag, durch welche Augenhöhlen daß ich / schwimmen muß, in welche Luftröhren mich stürzen, / wie viel Monate im Wasser liegen, sag mir, sag, wie ich / kommen kann zu dir? Dann sag.”
Dann gibt es die Gedichte, in denen der Autor seine Vorbilder perfekt kopiert. Er kann jandlen – das vor allem – und schwittern, er kann kalauern wie Morgenstern. Das liest sich immerhin angenehmer als die zahlreichen Gedichte, die krampfhaft und kraftmeiernd franzobeln. In „Schnitt” etwa finden sich die folgenden Verse: „Vom Stuhl / und das in Serie wie Katzenbrut / fliegen die Tränen, heiß und gut. / Denn weinen heißt, ich muß es immer, / zum Abschießen aussehen, und einen Haufen, machen will ich tot. Das Obst / aus dem September reißen. Dich / aus dieser Senke ohne semper idem mich. / Verstehst?”
Nein, nicht im mindesten. Die Verse, die den zitierten vorangehen, sind völlig rätselhaft. Das müsste, zumindest bei der ersten und zweiten Lektüre, nicht weiter schlimm sein, es könnte vielmehr einen Anreiz für immer neue Entschlüsselungsversuche bilden. Leider drängt sich in „Luna Park” aber oft der Verdacht auf, dass die hermetische Ausdrucksweise als Freibrief verstanden wird, drauflos zu schreiben und vor keiner Schwurbeligkeit zurückzuschrecken. „Blabla an Sprachgewalt frisch von der Leber” – diese Zeile lässt sich als selbstironische Erkenntnis der problematischen Aspekte von Franzobels lyrischem Schaffen verstehen.
In dem als „Präambel” bezeichneten kurzen Vorwort erklärt Franzobel, dass ihn „das Gedichteschreiben ein, zwei Mal im Jahr wie Fieberschübe überfällt”. Ein Aspirin, das in solchen Fällen hilft, sollte schleunigst erfunden werden: Etwas weniger spätavantgardistisches Gebolze und Geniegehabe, etwas mehr Kühle und Klarheit – und die Lektüre von „Luna Park” wäre wesentlich erfreulicher.
CHRISTOPH HAAS
FRANZOBEL: Luna Park. Vergnügungsgedichte. Zsolnay Verlag, Wien 2003. 176 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Poiss findet, dass Franzobel nicht nur durch seine Produktivität unter den Nachfolgern von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek hervorsteche, sondern "zu Recht" sogar "heikle Kritiker" mitreiße. Wie auch dieser Band wieder zeige - der mit einem "gigabusigen Mona-Lisa-Remake von Otto Mühl" auf dem Schutzumschlag wirbt, wie man erfährt - müsse man dabei allerdings "eine kleine Kröte" schlucken: die "berechnende Mimikry" des Autors nämlich, der nicht nur wie die Werbung nach der Faustregel "sex sells" vorgehe, sondern nach der des "dirty sex sells", und die Sprache seiner "Vergnügungsgedichte" entsprechend mit "schicken Sekreten" und "Lustmordleichen" angereichert habe. "Das Verstörende an Franzobels Kunst" besteht für den Rezensenten dann auch in der "Richtungslosigkeit ihrer sprudelnden Fülle". Dennoch hat er sich "köstlich amüsiert. Köstlich." Etwa hierbei: "Blunzengröstl essen, Kistlbrunzen müssen, / Brunzengröstl essen, Blunzenkistl müssen, / Blunzen brunzen, Gröstlkistl essen müssen, / Blunzen brunzen, Kistl müssen Gröstl essen, / Blunzen essen, brunzen müssen, Köstl. Köstl."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Sprachfluß der Zeit quillt triumphal aus dem Orkus herauf. Wir haben uns köstlich amüsiert."
Thomas Poiss, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.03

"Als "Luna Park" verheißt sein Buch "Vergnügungsgedichte". Es ist mehr als nur das."
Wolfgang Hirsch, Thüringische Landeszeitung, 20.12.03