Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 10,00 €
  • Gebundenes Buch

1956 erschienen, nun erstmals auf Deutsch: eine Geschichte Siziliens, blutig, tragisch und burlesk, dargestellt von einem der größten italienischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. In "Salz, Messer und Brot" erzählt Sciascia finstere und groteske Geschichten, die alle an einem einzigen, halb fiktiven, halb realen Ort spielen. Man begreift, warum Sciascia durch dieses erste Buch schlagartig berühmt wurde. Es enthält bereits alle Qualitäten seines späteren Werks: die genaue Beobachtung einer begrenzten Wirklichkeit, die Schaffung von Figuren anhand einiger weniger Charakteristiken, die…mehr

Produktbeschreibung
1956 erschienen, nun erstmals auf Deutsch: eine Geschichte Siziliens, blutig, tragisch und burlesk, dargestellt von einem der größten italienischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. In "Salz, Messer und Brot" erzählt Sciascia finstere und groteske Geschichten, die alle an einem einzigen, halb fiktiven, halb realen Ort spielen. Man begreift, warum Sciascia durch dieses erste Buch schlagartig berühmt wurde. Es enthält bereits alle Qualitäten seines späteren Werks: die genaue Beobachtung einer begrenzten Wirklichkeit, die Schaffung von Figuren anhand einiger weniger Charakteristiken, die ruhige Kühnheit im Benennen himmelschreiender sozialer Zustände, die knappe, dadurch umso effektvollere Prosa.
Autorenporträt
Leonardo Sciascia geboren 1921 in Sizilien und dort 1989 verstorben, war zuerst Volksschullehrer, danach freier Schriftsteller, zeitweilig Parlamentsabgeordneter. Seine bekanntesten Bücher sind die Mafia-Romane 'Der Tag der Eule' und 'Tote auf Bestellung'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2002

Der Rückzug der Vernunft
Schuld sind die da oben: Leonardo Sciascias engagierte Prosa

Wer kennt schon Racalmuto. Nichts, keine denkwürdige Katastrophe, kein großes Verbrechen, niemand, der es berühmt gemacht hätte. Doch ist nicht gerade dies der Ort der Literatur? Sie hat einen Blick für unten und innen; auf den einzelnen, in Ansehung der Person, und hebt ihn heraus aus der Unansehnlichkeit, in die ihn das Große und Ganze abdrängt. Das ist ihre Art von sozialer Gerechtigkeit.

So gesehen ist dies nicht zuletzt der Ort des sizilianischen Geschichtenerzählers Leonardo Sciascia (1921 bis 1989). Ihm gilt der größte Teil seiner nuancierten literarischen Schwarzweißaufnahmen. Seine Einstellung hat er bereits in seinem ersten Buch gefunden, das soeben unter dem etwas aufgespreizten Titel "Salz, Messer und Brot" auf deutsch erschienen ist. Es hat ihn sofort berühmt gemacht. Das ist erstaunlich, denn literarische Feinkost wird hier wenig geboten. Das Anziehende, Gewinnende spricht eher aus seinem Werkstattcharakter. Wir sind in der Nachkriegszeit; verloren haben den Krieg alle, zumal die kleinen Leute. Und hier kommt Racalmuto ins Spiel. Es ist der Geburtsort Sciascias; hier war er Volksschullehrer bis 1956. Den vergessenen Ort literarisiert sein Buch und gibt ihm eine Geschichte der Vergessenen. Doch Sciascia begnügt sich nicht mit naturalistischer Genremalerei: Er schreibt mit offener Absicht.

Genaugenommen teilt dies bereits eine subtile Namensverschiebung des Ortes mit. Um Literatur zu werden, muß sich Racalmuto zu Regalpetra wandeln. Beides sind sprechende Namen. Zwischen ihnen spielt sich das "Elend" ab, dessen "Anatomie" Sciascias Erzählen sein will. Muto benennt die Ursache. Die meisten in Racal-muto leben schlecht, weil sie, wenn es nötig gewesen wäre zu reden, stumm geblieben sind: aus Unmündigkeit, Ohnmacht oder weil niemand für sie das Wort ergriffen hat. Die Folge: Regalpetra. Wo nicht gesprochen wird, versteinern die Verhältnisse, so daß niemand mehr etwas sagt, das sie verändern könnte. Schuld sind "die da oben", konkret "König" (Racal/Regal) Philipp II., der den Ort 1576 zur Grafschaft erhob, de facto aber der Herrschaft von Don Girolamo unterwarf. Die Regime wechselten; geblieben sind Herren und Leidtragende.

Diesen Teufelskreis von Schweigen und Herrschen, Obrigkeit und Untertanengeist wollen Sciascias Bücher sprengen. Dafür nehmen sie eine Stimme von "unten" an - nicht nur um zu sagen, was andere nicht wagen oder können. Sciascia will mehr. So wie dieses erste Buch erzählt, möchte es Zeugenaussagen vor dem Gerichtshof des sozialen Gewissens machen. Regalpetra ist das Exempel für ein Sizilien, das seinerseits Metapher für eine fortschreitende ideelle Versteppung und Verwüstung Europas ist. Dazu der Tonfall der fünfziger Jahre; im Hintergrund Existentialismus, Neorealismus, die "Fahrraddiebe" von Vittorio de Sica oder Fellinis "Nächte der Cabiria". In diesem Sinne war auch Sciascia engagiert; es brachte ihn bis zum Abgeordneten im italienischen Parlament.

Alle seine Bücher stellen sich, so heißt es in seinem ersten, "als Geschichte einer kontinuierlichen Niederlage der Vernunft" dar. Sciascia versteht sich als Aufklärer im Lichte Siziliens: an dessen Unvernunft sollt ihr die Vernunft erkennen. Die neun Aufnahmen, die sein erster Band zeigt, sind wie Salz auf die großen Wunden von Entrechtung und Entwürdigung. Dazu gehört etwa die faschistische Kindheit des Autors. Sie erinnert an die Unmündigkeit von so vielen, die wenig oder nichts waren, aber durch die "Partei" glauben konnten, einmal auf der anderen Seite zu stehen. Mussolinis koloniale Eroberung Äthiopiens lehrte sie Selbstachtung.

Anderes mehr kam unter das Vergrößerungsglas von Regalpetra. Kinderarbeit, die die Schule an den Rand drängt; Familien, denen durch die Rekrutenaushebung der Lebensunterhalt einbricht; die elende Arbeit in den Schwefelgruben und Salzbergwerken und dazu die erbärmlichen Tageslöhne. Vom weit offen stehenden Notausgang der Emigration ist die Rede; von der Gabe der Politiker, 1923 eine Wasserleitung zu beschließen, 1938 die Rohre zu beschaffen und sie 1950, recht und schlecht, zu verlegen; und vom verstörten Wunsch nach einem schönen Begräbnis als dem Höhepunkt des Lebens.

So weit, so gut für einen, der auszog, Vernunft an ihren Mangelerscheinungen zu lernen. Fünfzig Jahre danach scheint ein anderes Motiv erheblicher: Sciascia hat auf seine Weise versucht, nach dem Weltkrieg wieder die Sprache zu finden. Wie konnte man jetzt noch authentisch der Aufklärung das Wort reden, wo sie soeben ihren größten Zusammenbruch erlitten hatte? Schreiben, engagiertes zumal, hatte ein enormes Glaubwürdigkeitsproblem.

Vor allem deswegen ist Sciascias erstes Buch interessant: Es schafft einen Stil. Nachdem alle Überbauten versagt hatten, mußte die Wirklichkeit von Grund auf neu ermittelt werden, gleichsam auf dem Wege eines Indizienbeweises, der jede Einzelheit in Betracht zieht. Der Erzähler zieht sich zurück in Chroniken, Archive, Register und Statistiken. Neunmal nimmt Sciascia seinen Befund wieder auf. Dazu paßt die nüchterne, ebenerdige Sprache, die sich am Faktischen sättigt. Gattungsfragen sind nebensächlich. Die Dinge sollen für sich selbst sprechen.

Andererseits unterläuft Sciascia diese dokumentarische Grauschraffur seines Erzählberichts demonstrativ. Nicht nur, daß er massiv "ich" sagt. Er stellt sich beharrlich als einer von ihnen dar, Sympathisant (und Sympathieträger) in einem; emotionalisiert unverhohlen, ironisiert und holt mit kräftigen bodennahen Vergleichen aus. Und er appelliert etwa in der Art: man müsse "angemessene Gesetze für diesen Ort" machen. Der Erfolg bei Wohlmeinenden und Gleichgesinnten war ihm damit sicher. Woanders machte er sich dadurch politisch und ideologisch angreifbar. Gegen die Verhältnisse zu sein ist wohlfeil, vor allem, wenn er, so die Kritik, selbst nirgends einen Ausweg zeigt. Im Grunde trifft ihn der Vorwurf, mit dem schon Max Nordau Mallarmé erledigen wollte: er sei ein Poet ohne Hände. Auch in kritischer Hinsicht haben seine frühen Erzählungen also ihren Wert. Sie erinnern daran, daß engagierte Literatur entlang einer sensiblen Grenze operiert: je unverblümter das Engagement, desto schlechter in der Regel die Literatur. Doch Sizilianer haben Erfahrung im Überlebenskampf. Sciascia nannte sich deshalb einen "unreinen Schriftsteller" und schrieb weiter.

WINFRIED WEHLE

Leonardo Sciascia: "Salz, Messer und Brot". Sizilianische Geschichten. Aus dem Italienischen übersetzt von Sigrid Vagt. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2002. 234 S., br., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensentin Ursula Pia Jauch kennt und schätzt Leonardo Sciascia bereits aus dem Italienischunterricht an einem Schweizer Gymnasium. Nun sind Erzählungen dieses 1921 "in einem kleinen Marktflecken im gottverlassenen Hinterland von Agrigento" geborenen und 1989 verstorbenen Autors erstmalig in deutscher Übersetzung erschienen. In den verschiedenen Erzählungen werde anhand eines Dorfes mit fiktiven Namen ein Portrait einer sizilianischen Dorfgemeinschaft erstellt, deren Alltag von Armut, Korruption, Gewalt und Ausweglosigkeit geprägt ist: "Sizilien eben, bitter und von Gott verlassen", fasst Jauch zusammen.

© Perlentaucher Medien GmbH