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Sein oder Glücklichsein? Aus der Praxis und in die Praxis eines selbsternannten Lebensberaters. Ein ironischer Zeitroman über den ganz normalen Wahnsinn.
Was tun, wenn einen die Frau samt halbwüchsiger Tochter verlässt, wenn der einträgliche Job eines "Betriebsphilosophen" bei einem großen Automobilhersteller flötengeht, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht? Der tragikomische Held in Leben Sie wohl? dreht den Spieß kurzerhand um und wird Lebensberater. Dass sich so etwas nicht ohne turbulente Verwicklungen bewerkstelligen lässt, kann man sich denken. Gekonnt parodiert Michael Springer…mehr

Produktbeschreibung
Sein oder Glücklichsein? Aus der Praxis und in die Praxis eines selbsternannten Lebensberaters. Ein ironischer Zeitroman über den ganz normalen Wahnsinn.
Was tun, wenn einen die Frau samt halbwüchsiger Tochter verlässt, wenn der einträgliche Job eines "Betriebsphilosophen" bei einem großen Automobilhersteller flötengeht, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht? Der tragikomische Held in Leben Sie wohl? dreht den Spieß kurzerhand um und wird Lebensberater. Dass sich so etwas nicht ohne turbulente Verwicklungen bewerkstelligen lässt, kann man sich denken. Gekonnt parodiert Michael Springer die zeitgeistige Suche nach dem Glück. Chaotisch und charmant saugt sein (Über-)Lebenskünstler die kleinen und größeren Krisen seiner Patienten in sich auf, ehe er selbst auf der Couch eines westöstlichen Gurus landet.
Autorenporträt
Michael Springer, Jahrgang 1944, aufgewachsen in Henndorf bei Salzburg, studierte Theoretische Physik in Wien und war Redakteur der Zeitschrift Neues Forum. Er lebt heute als freier Schriftsteller, Übersetzer und Redakteur in Aachen. Von ihm sind u.a. die Romane Was morgen geschah (1979) und Leonardos Dilemma (1986) erschienen. Leben Sie wohl? ist 1999 bei Zsolnay erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2000

Problembewusstseinsindustrie
Michael Springer schwört nicht nur auf die Urschreibtherapie

Der Leser erfährt seinen Namen nicht. Doch als die Sprechstundenhilfe nach den Lebensdaten fragt, hätte sich der Erzähler fast verplappert: "Ich gab ehrlich Auskunft, nur aus dem verräterischen Familiennamen machte ich ein Geheimnis und nannte mich ,eh . . . Schmidt'." Das ging noch einmal gut. Der doppelt falsch titulierte "Herr E. Schmied" hofft zu verbergen, dass er Wang-li, den Meister ostasiatischer Seelenheilkünste, nur aufsucht, um seiner getrennt lebenden Ehefrau und Mitpatientin beim Guru auf die Spur zu kommen. Übrigens sind "derlei Teufelskreise (TK) bei konspirativen Therapien (KT) typisch: KT TK". Aber auch der Leser von Michael Springers Roman soll aus einem Eigennamen keine voreiligen Schlüsse auf die Individualität der Figur ziehen: "Ich" dagegen ist nur ein Personalpronomen, das jeder frei nach Herzenslust benutzen mag. Ein ungeschützter Titel ist auch die Berufsbezeichnung "Lebensberater", die sich der Erzähler nach einer abgebrochenen Karriere als "Firmenphilosoph" und Ehemann zulegt. Von Haus aus eher Heiltheoretiker als -praktiker, wird er zum risikofreudigen Existenzgründer, nachdem seiner alten der Boden entzogen wurde, und er inseriert sein halbseidenes Beratungsangebot im Stadtmagazin. "Meine Wohnung eignete sich, seit Frau und Kind mich verlassen hatten, dafür ganz gut."

"Ich . . .": Kein guter Anfang für eine talking cure, es sei denn, der Ratsuchende litte, wie in diesem Fall, an chronischer Unsicherheit und gewänne durch einen dilettierenden Seelenklempner die verloren geglaubte Fassung wieder. Einen professionelleren Eindruck als die Sanduhr, die das Ende der Sitzung anzeigt, hätte ein Alarmwecker gemacht, gehört doch zu den alternativen Behandlungstechniken die "Assoziative Traum-Paraphrasierung" (ATP), eine geniale Inversion der klassischen Analyse, die den Klienten mit "randomisierender Unaufmerksamkeit" konfrontiert: "Ich entspanne mich während des Zuhörens, dämmere, assoziiere frei, meditiere, schlafe ein und wache auf."

Die bunte Vielfalt zeitgenössischer Therapiekultur ermuntert dazu, neue Methoden wie Kochrezepte zu kreieren, sei es die "Individuelle Gruppentherapie", die "Urschreibmethode" oder die "Perambulatorische Kleingruppentherapie", eine Art Freizeitwanderclub für Stadtneurotiker. Der aktive und der passive Part der therapeutischen Interaktion sind dabei nicht festgelegt. Immer wieder rutscht dem frisch gebackenen Single im Einzelgespräch ein Sterbenswörtchen über seinen unlängst begrabenen Ehetraum heraus. Wenn er sich privat mit einem Klienten fürs Theater verabredet, landet er prompt in einer feministischen Laienaufführung seiner Frau. Als er endlich selber - aus Neugier und Eifersucht - auf Meister Wang-lis Liege ruht, muss er losheulen wie ein Kind.

Die Ratsuchenden bleiben anonym, wobei der "Vollständigkeitsfanatiker", der "Gebildete" und der "Unsichere" einer grotesken Charakterstudie Elias Canettis entstammen könnten. Und wo dessen Peter Kien einst an die zum Appell angetretenen Buchrücken eine flammende Rede richtete, da erscheinen Springers modernem Ohrenzeugen die Menschen umgekehrt als "wandelnde Biografien" und "die Mietshäuser der Großstädte als Buchregale, in denen die lebenden Bücher geschichtet liegen". Wer sie aufschlägt und ihnen Gehör schenkt, erhält als Gegengabe das Stimmengewirr eines Käfigs voller Narren nach dem Muster nachmittäglicher Fernsehunterhaltung. Wo "Es" war, soll "Wir alle" werden. Die einzige nichttherapeutische Beziehung unterhält der Protagonist zu seiner Tochter, aber auch das nur, um seine illusionären Hoffnungen nach einer ehelichen Wiedervereinigung zu nähren.

Springers satirische Streiche sind gut geführt und verniedlichen doch nie den Therapiezwang, der als die schwerste aller Neurosen erscheint, zum Gegenstand billigen Spottes, wie es in der einschlägigen Schmunzelliteratur gang und gäbe ist. Soziale Atomisierung und der süchtigmachende Voyeurismus der Massenmedien bleiben als Ursache seelischer Zivilisationskrankheiten unbestritten: "Jeder macht alles allein: Er schnürt die Laufschuhe und zieht seine immergleiche Spur durch den Stadtwald; er setzt die Kopfhörer auf und lauscht der Befreiungsmusik unterdrückter Ethnien in optimaler Wiedergabe."

Doch kennt der Autor auch die heilsame Wirkung einer wohl dosierten Schocktherapie. Neben vielen intelligenten und mit sprachspielerischem Witz formulierten Beobachtungen über den normalen Alltagswahnsinn stößt die essayistische Selbstbeschreibung des "Gebildeten" unangenehm auf, die sich dem Klammergriff der leichten Muse mit provozierender Sprachgewalt entwindet: "Eine Polin putzt bei mir, und im dunklen Flur stößt man auf einen Fettsteiß aus Ghana, während die Nase den steifen Geruch von feuchten Lappen und keimkillenden Bodenmitteln meldet." Der Verfasser dieses misanthropen Manifests, ein ehemaliger linker Aktivist und "Globalrezensent", der heute eine Confiserie führt, verkörpert auf zugespitzte Weise die verbreitete Bewusstseinsspaltung überaufgeklärter Wohlstandsbürger und das larmoyante Leiden gealterter Achtundsechziger am eigenen Zynismus.

"Wie kann einer glaubwürdig leiden, dem nichts fehlt?" Die mit Leichtigkeit und Ironie gestellte Grundfrage ist eine geschickte Falle, in die unser behagliches Unbehagen in der Kultur tappen soll. Springer gibt nicht die Spottdrossel für eingebildete Kranke, sondern pfeift mit den Spatzen einen bekannten Protestsong von den Dächern: Was uns kaputt macht, ist die Zivilisation, die im Mikrobereich wie im Weltmaßstab gleichermaßen pathogen ist. Die darauf reagierende Problembewusstseinsindustrie wird als geschwätzige Verdrängung von Schuld und Einsamkeit entlarvt; doch tief im Seelengrund träumen ihre Kunden von der Generalabrechnung mit einer Gesellschaft, in der aller Privatisierung zum Trotz die Glücksfantasien restlos kollektiviert sind.

RICHARD KÄMMERLINGS

Michael Springer: "Leben Sie wohl?" Roman. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1999. 208 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Springer zeichnet mit seiner Geschichte nach Ansicht Richard Kämmerlings` ein gelungenes Bild der "Problembewußtseinsindustrie", in der sein Protagonist als Therapeut auch eigene Neurosen in den Griff zu bekommen versucht. Dabei begebe sich Springer jedoch nicht auf das Niveau der "einschlägigen Schmunzelliteratur". Kämmerlings lobt Springers Verzicht auf arroganten Spott und hebt vielmehr seine Fähigkeit zu intelligenten und witzigen Beobachtungen hervor. Als Beispiel führt er die Beschreibung eines misanthropischen, "gebildeten" Achtundsechzigers an, der eine Polin für sich putzen lässt. Dabei beschränkt sich Springer jedoch nicht auf das Hypochondrische, so Kämmerlings, sondern wirft auch einen Blick auf die möglichen Ursachen dieser Form des Leidens, die er in den Geißeln der Zivilisation ausmacht. Manche der Charakterporträts Springers hält der Rezensent für so gelungen, dass er sich bisweilen sogar an Elias Canetti erinnert fühlt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Springers satirische Streiche sind gut geführt und verniedlichen doch nie den Therapiezwang, der als die schwerste aller Neurosen erscheint, zum Gegenstand billigen Spottes, wie es in der einschlägigen Schmunzelliteratur gang und gäbe ist. (...) Intelligent und mit sprachspielerischem Witz" Richard Kämmerlings, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.03.2000