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Musiker, Schriftsteller, Schauspieler, Crooner - Nick Cave ist Kult. Reinhard Kleist hat sich der realen Figur angenommen und spielt in "Nick Cave - Mercy on me" mit Leben und Werk des Ausnahmekünstlers und schafft eine einzigartige Erzählung. Expressiv im Strich begleitet Kleist das Leben von Cave und entwirft ein Panorama aus Leidenschaft, Abhängigkeit und Tod. Reinhard Kleist at his best.
Nach "Der Traum von Olympia" der nächste große Wurf des erfolgreichsten deutschen Comic-Künstlers.

Produktbeschreibung
Musiker, Schriftsteller, Schauspieler, Crooner - Nick Cave ist Kult. Reinhard Kleist hat sich der realen Figur angenommen und spielt in "Nick Cave - Mercy on me" mit Leben und Werk des Ausnahmekünstlers und schafft eine einzigartige Erzählung. Expressiv im Strich begleitet Kleist das Leben von Cave und entwirft ein Panorama aus Leidenschaft, Abhängigkeit und Tod. Reinhard Kleist at his best.

Nach "Der Traum von Olympia" der nächste große Wurf des erfolgreichsten deutschen Comic-Künstlers.
Autorenporträt
Reinhard Kleist, geboren 1970 in Hürth, studierte Grafik und Design in Münster. Seit 1996 lebt und arbeitet er in Berlin. Reinhard Kleist veröffentlichte zahlreiche Comics, u. a. bei den Verlagen Ehapa, Landpresse, Reprodukt, Edition 52 und Carlsen. Neben seinen Comicarbeiten schuf der Berliner Künstler Illustrationen für Bücher und Plattencover. Reinhard Kleist wurde für seine Comics bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Max und Moritz-Preis für ¿Cash ¿ I see a darkness". Mit ¿Der Boxer" gewann er den Deutschen Jugendliteraturpreis. Vor der Biografie des jüdischen Boxers schuf Reinhard Kleist die Comic-Biografie ¿Castro" und brachte im Vorfeld dazu das Reisetagebuch ¿Havanna ¿ eine kubanische Reise" heraus. Für ¿Der Traum von Olympia" erhielt er u. a. den Jahres-LUCHS 2015 und den Gustav-Heinemann Friedenspreis 2016. Nachdem er 2017 seine Comic-Biografie ¿Nick Cave" veröffentlichte, in der er das bewegte Leben des Musikers nacherzählte, erhielt Reinhard Kleist den Max und Moritz-Preis als Bester deutschsprachiger Künstler (2018). In ¿Knock Out!" setzt er sich zum zweiten Mal mit einem außergewöhnlichen Boxerleben auseinander. Mit ¿Starman - The Ziggy Stardust Years¿ hat er dem englischen Jahrhundertmusiker David Bowie ein erstes zeichnerisches Denkmal gesetzt ¿ Fortsetzung folgt mit ¿Low¿ über Bowies Berlin Jahre.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2017

Am Anfang war ein Schrei

Aggressiv, exzessiv, meditativ - Reinhard Kleist hat dem Musiker Nick Cave eine großartige Graphic Novel gewidmet

Als sich Nick Cave kürzlich anlässlich eines Konzertes in Israel sehr deutlich über die Boykottkampagne englischer Musiker wie Roger Waters und Brian Eno gegen Israel äußerte, war das bloß vernünftig und gerade deshalb schön. Die Liste der Israel-Boykott-Kampagne BDS (was für Boycott, Divestment und Sanctions steht), die sich vor allem über die israelische Politik gegenüber den Palästinensern erregt, stinke zum Himmel, sagte Cave und fügte hinzu, dass er sich wie ein Feigling vorgekommen wäre, wenn er in diesem Punkt nicht Stellung bezogen hätte. Seine Haltung hat er dann mit dem bewiesen, was er am besten kann, nämlich mit zwei Konzerten in Israel. Er liebe das Land und die Israelis, sagte er zur Begründung seiner Parteinahme. Auch das klang eher hell als dunkel und war auf alle Fälle meilenweit von jenem Eskapismusvorwurf entfernt, der Cave wie viele andere Künstler und Musikerinnen begleitet hatte, die in den achtziger Jahren nach dem Ende des Punks auf den Trümmern dieses heftigen Ausbruchs versuchten, etwas Neues zu starten.

Caves Musik, die er in den ersten Jahren mit Bands wie The Boys Next Door und The Birthday Party entwickelte, seine Songs und seine Auftritte kreisten rücksichtslos nur um sich selbst und kümmerten sich wenig um die Menschen um sie herum und schon gar nicht um die Welt, lautete der pauschale Vorwurf. Und natürlich war das nicht nur aus der Luft gegriffen, wie man an einem weniger moralisierenden Kommentar einer Medizinstudentin ablesen kann, die in den achtziger Jahren im damaligen West-Berliner Szenelokal "Risiko" beim Anblick von Nick Cave und Blixa Bargeld nur meinte, die hätten bestimmt noch nie den Müll runtergebracht - wobei sie in sich hineinlachte. Und wahrscheinlich liegt man auch nicht ganz falsch, wenn man dieses gesunde, eher schüchterne Lachen auch bei Kylie Minogue vermutet, als sie in der Mitte der neunziger Jahre mit Nick Cave und den Musikern der Bad Seeds, noch heute Caves Band, zusammentraf, um den Welthit "Where the Wild Roses Grow" aufzunehmen. Das Gefälle jedenfalls zwischen dem hellwachen australischen Weltstar und den damals schwer von ihrem Lebensstil, der tagelangen Schlaflosigkeit und harten Drogen gezeichneten Musikern um Cave wird kaum geringer gewesen sein als im West-Berlin der Achtziger.

Womit man dann auch mittendrin ist in der großartigen Geschichte "Nick Cave - Mercy on Me", die der Comic-Autor Reinhard Kleist Nick Cave zu dessen sechzigstem Geburtstag gewidmet hat. Elisa Day, die Cave in seinem Duett mit Kylie Minogue im Lied ermorden ließ, tritt nämlich in Kleists Graphic Novel persönlich auf und beschimpft Cave für die Misshandlungen, die er ihr angetan hat. Sie ist damit nicht das einzige Opfer aus Caves gewaltgetränkten Liedern, das sich durch Kleist zu Wort melden kann und sein Missfallen unmissverständlich zum Ausdruck bringt. Auch Euchrid Eucrow, der stumme, im Laufe der Geschichte gelynchte Held aus Caves 1989 erschienenem Roman "Und die Eselin sah den Engel", taucht auf und meldet Bedenken an gegen die Behandlung durch Cave.

Es sind aber nicht nur die Malträtierten oder von Cave in den Tod geschickten Figuren seiner Lieder und Bücher, die Kleist in Caves Lebensgeschichte zurückholt. Gegen Ende der mehr als 300 Seiten langen Erzählung steigt auch die Blueslegende Robert Johnson in Caves Auto und lässt etwas erahnen von der lebenserhaltenden Wirkung, die nicht nur Nick Cave mit seinen Liedern in die Welt setzen will. Johnson, der 1938 mit 27 Jahren in den Vereinigten Staaten unter ungeklärten Umständen verstorben ist, gehört zu jenen Größen der Musikgeschichte, denen Cave sich nicht nur verpflichtet fühlt, sondern denen er zu der verdienten Unsterblichkeit verhelfen will, die gerade Johnsons Gitarrenspiel irgendwo zwischen den immer wiederkehrenden Wolken aufheben soll.

Mit Johnson, um in Kleists Geschichte zurückzukehren, will Cave unbedingt nach Genf fahren, denn dort soll es, erzählt Cave, eine Einrichtung geben, mit der man an den Anfang des Lebens beziehungsweise sogar der Erde zurückkehren könne. Und vielleicht könne man auf diesem Weg auch etwas mehr über sich selbst erfahren, das eigene Schaffen, woher es komme und was diese Lieder zum Leben erwecke, meint Cave. Auch wenn das Genfer Cern, eines der größten Zentren für physikalische Grundlagenforscher, wahrscheinlich keine Ahnung von den Schöpfungsgründen der Lieder und Texte von Nick Cave haben wird, trifft Kleist mit diesen Cave in den Mund gelegten Worten doch einen Kern zumindest des Künstlers. Es kann Cave mit seinen Themen und Fragen nicht tief genug gehen. So wie ihm die Bibel oder Shakespeare mit ihren Worten und Themen gerade recht sind, so kommen ihm eben auch die Fragen nach dem Anfang der Erde im Zusammenhang mit seinem Schreiben adäquat vor.

Das ist natürlich größenwahnsinnig, aber der Künstler ist nach Cave eben auch ein Gott. Und Caves großes Glück mit seinem Biographen ist, das Reinhard Kleist das Kunststück fertigbringt, diesen Größenwahn in die Welt seines Comics zu setzen, ohne sich romantisch oder ironisch darüber zu erheben. Kleist nimmt diesen Impuls so ernst, wie es nötig ist, um aus Cave eine Figur seines Comics zu machen, die mit den anderen Figuren auf einer Ebene ins Gespräch kommen kann. Und daraus schöpft diese Biographie mindestens so viel Kraft wie aus Caves biographischen Daten oder seinen Texten. Kleist erzählt in kontrastreichen Schwarzweißstrichen ein Leben, zu dessen Quellen die tatsächlichen Daten genauso werden wie die von Cave geschaffenen fiktiven Figuren.

Daraus wird dann eine Geschichte, die in einem kleinen Ort in Australien beginnt und über Melbourne und London auch in das West-Berlin der achtziger Jahre führt. In Berlin hört Cave dann einen Schrei. Er versetzt ihn in die bis heute existierende Sphäre, in der er nach jener Synthese aus biblischen Themen, klassischer Bluestradition und immer wieder hereinbrechenden, auch zerstörerisch-katastrophischen Tönen sucht. Der Schrei kommt von Blixa Bargeld, dem Sänger der Einstürzenden Neubauten. Cave und Bargeld werden in der Folge Freunde, und sie spielen auch eine Zeitlang zusammen bei den Bad Seeds. Die apokalyptischen Finstermänner, als die viele sie sahen, sind sie dann schon relativ bald nicht mehr. Mit dem "Ship Song", 1990 auf dem Album "The Good Son" von den Bad Seeds veröffentlicht, gelingt ihnen sogar ein Gassenhauer, bei dem man mitwippen kann.

Ihre Energie ziehen Cave und Blixa Bargeld wie in den Anfangsjahren aus einer vor allem bei den öffentlichen Auftritten sichtbaren Aggression, die eben auch eine Aggression gegen das Publikum ist. Kleist fängt sie in einer wunderbaren Zeichnung ein, die Cave zeigt, wie er ein Mikrofon wegschleudert und dazu vor sich hin sagt: "Leckt mich! Ich habe keinen Bock mehr!" Es ist dies eine Haltung gegenüber dem Publikum, die nicht der Arroganz entspringt. Diese Aggression ist tatsächlich eine Abwehr jeder Anbiederung, bevor die Anbiederung überhaupt stattgefunden haben kann. Nick Cave scheint andauernd sagen zu wollen, dass jeder abhauen solle, der etwas von ihm will, und ist doch tief davon überzeugt, dass es eine paar Leute gibt, die diese Lieder brauchen, so wie er Robert Johnson und Blixa Bargelds Schrei brauchte.

Kleist löst diese Spannung nicht auf, er transformiert sie eher in die manchmal aggressive und manchmal auch meditative Strichführung seiner Zeichnungen. Groß ist das auch deshalb, weil Kleist nicht eine Sekunde Zweifel daran aufkommen lässt, dass hier zwar ein großer Künstler durch Bars, Straßen und die Schweizer Berge zieht, dieser Künstler aber Leichen nicht nur in seinen Liedern zurückgelassen hat. Denn natürlich ist Nick Cave, da er sechzig Jahre alt geworden ist, ein Überlebender wie William S. Burroughs oder Keith Richards Überlebende sind. Wer so extrem und so lange mit harten Drogen umging wie die drei Genannten, der hinterlässt zwangsläufig Spuren realer Verwüstungen, die für viele Betroffene bestimmt nicht schmerzlos waren. Und wenn man sich fragen will, was Kunst ist, dann kann man eine Antwort darin finden, wie Kleist diese Tatsachen, Widersprüche und Härten in das Leben von Nick Cave einzeichnet, ohne auch nur eine Facette zu beschönigen oder einen Künstlermythos zu entwerfen, dem Künstler eben extreme Personen sind, die auch extreme Dinge tun dürfen.

Nichts dergleichen findet man hier. Kleist folgt mit seinen Zeichnungen und seinen Texten, die sich oft auch auf Songtexte von Cave beziehen oder ihnen entnommen sind, mit der Geste eines teilnehmenden Beobachters, dessen Teilnahme jedoch zeitlich verschoben ist. Kleist, der jünger als Cave ist, ist kein Zeitgenosse der Exzesse, aber ein genauer Leser und Hörer. Und als solcher ist ihm auch eine Geschichte aus Caves Leben nicht entgangen, die dessen oft kritisierten Hang zu ausweglosen Tragödien nicht als Pose erscheinen lassen kann. Cave hat in seinen Liedern, aber auch in seinem Roman oft den Mythos von Elvis Presleys bei der Geburt gestorbenem Zwilling behandelt. Und Cave selbst ist Vater von Zwillingen, von denen einer 2015 bei einem Sturz von einer Klippe ums Leben kam. Wie Kleist in einem Interview erzählt, sei es ihm bei der Nachricht kalt den Rücken heruntergelaufen, denn tragischer gehe es nicht, wenn ein Topos des Werkes in das Leben des Künstlers trete.

Und während Kleist diese Geschichte in seinem Werk ausspart, hält er sich mit den großen Mythen, die der Künstler Nick Cave in seinem Werk ausbreitet, nicht zurück. Allerdings folgt er den Schöpfungsmythen sehr real, sozusagen materialistisch. Denn was Cave antreibt, ist ein unbedingtes Schreibenwollen, überall klimpern die Schreibmaschinen, werden Zettel herausgerissen und Worte gesucht, die den Dämonen dieses Lebens einen Ausdruck geben können, der von anderen dann zu anderen Zeiten wieder aufgenommen und weitergereicht werden kann, wie Robert Johnsons Gitarrenspiel. Dass dieser Lauf der Töne nicht unterbrochen wird, das schafft Reinhard Kleist allein mit Bildern und Worten in Schwarzweiß. Mehr geht nicht.

CORD RIECHELMANN

Reinhard Kleist: "Nick Cave - Mercy on Me". Carlsen, 328 Seiten, 24,99 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2017

Wo die wilden Rosen blühen
Klingt nach einem guten Plan: Reinhard Kleist hat eine Comic-Biografie
zu dem Dunkelrocker Nick Cave vorgelegt. Ging sein Plan auf?
VON THOMAS VON STEINAECKER
In ökonomisch schwierigen Zeiten sind Biografien für Verlage eine verhältnismäßig sichere Kiste. Das gilt insbesondere für den Comic, der angeblich boomt, auch wenn es im deutschsprachigen Raum kaum einen Zeichner gibt, der von Buchverkäufen tatsächlich leben kann. Ähnlich wie bei Klassiker- oder Bestseller-Adaptionen ist das Risiko bei Bild-Biografien berühmter Persönlichkeiten meistens überschaubar. Die Fans wollen ohnehin jedes Produkt über ihr Idol haben, die Interessierten freuen sich darüber, ihre Bildungslücke durch eine Art visuellen Schnellkurs, als der der Comic immer noch häufig gilt, zu schließen; ein paar Fakten, fühl- und konsumierbar gemacht durch gezeichnete Szenen und damit voll im Trend der populären Doku-Fiction. Allerdings lauert hier die biografische Falle: In einer Epoche, die das Individuum abfeiert, ist die Vorstellung angenehm, wir seien Herr im eigenen Haus und unserer Handlungen, im Nachhinein betrachtet ebenso folgerichtig wie folgenreich gewesen; Biografie als säkulare Heilsgeschichte. Dass es zunehmend schwerer fällt zu definieren, was ein Ich überhaupt ausmacht, wird dabei ebenso unter den Tisch gekehrt wie die unbequeme Erkenntnis, dass Konzepte wie Authentizität oder Echtheit in Wahrheit das Ergebnis ausgefeilter Konstruktion darstellen.
Unter den deutschen Comic-Künstlern ist der Berliner Zeichner und Autor Reinhard Kleist der unangefochtene Meister im biografischen Genre. Sein „Johnny Cash. I See A Darkness“ wurde 2006 zu einem der international bekanntesten deutschsprachigen Comics. Den Erfolg allein mit Cashs Comeback zu erklären, das damals mit den späten American-Recordings in vollem Gange war, greift zu kurz. Das Buch war keine konventionelle Biografie, sondern entzifferte die unheimliche Ikonografie des „Man in Black“ und spann sie gleichzeitig lustvoll weiter. So liegt eine gewisse Logik darin, dass sich Kleist nach einer eher traditionellen Lebensbeschreibung Castros und zwei außergewöhnlich bewegenden biografischen Pionierarbeiten über einen jüdischen Boxer im Dritten Reich und eine 2012 auf der Flucht im Mittelmeer ertrunkene Leichtathletin nun dem australischen Sänger, Songschreiber und Dichter Nick Cave zuwendet.
Wie Johnny Cash ist es Cave früh gelungen, sich selbst zur Kunstfigur zu stilisieren. Dabei zapft er ähnliche Bild-Reservate an: Western, Horror, Altes und Neues Testament. Bei seinen Auftritten umgibt den kettenrauchenden, wortkargen Cave mit seinem schwarzen Anzug und dem langen zurückgekämmten Haar eine Aura des Düsteren, als entstamme er selbst dem Szenario eines seiner Songs, die von grausamen Mördern, schönen Huren und der Hoffnung auf Erlösung durch Jesus Christus handeln. Was Caves Songs neben seiner markanten Stimme und der mal mitreißend-wilden, mal berührend balladesken Musik seiner Band The Bad Seeds auszeichnet, sind die ausgefeilten Texte, die bereits beim ersten Hören starke Bilder im Kopf entstehen lassen. „Take a little walk to the edge of town / And go across the tracks / Where the viaduct looms / Like a bird of doom / As it shifts and cracks“, heißt es etwa in „Red Right Hand“.
Dazu passt, dass sich auch die Eckdaten von Caves Leben lesen, als hätte ein Schriftsteller den Auftrag erhalten, sich den Prototypen eines Rockmusikers auszudenken: Im australischen Kaff Warracknabeal geboren, gründet der rebellisch veranlagte Jugendliche mit einem Faible für Dostojewski zusammen mit ähnlich schillernd-abgehalfterten Gestalten 1978 die Punkband The Boys Next Door, aus der, als man der Karriere wegen nach London geht, The Birthday Party wird. Ihre Auftritte sind bald legendär, nicht allein wegen ihres Lärmpegels, sondern weil sie regelmäßig in Schlägereien enden. 1982 zieht man weiter ins wilde West-Berlin, wo jeder, wie es im Comic heißt, „auf der Flucht vor der Realität ist“. Cave trifft auf einen Seelenverwandten: Blixa Bargeld.
Es ist die Geburt der Band Nick Cave and The Bad Seeds, die für Cave den Durchbruch bedeutet und mit ihrer Mischung aus Punk, Rock und Blues, sowie nicht zuletzt mit ihrer schwarzromantischen Ästhetik stilbildend wird. Aber das exzessive Rock’n’Roll-Leben hat seinen Preis: Cave ist heroinabhängig; während er seinen ersten Roman schreibt, „Und die Eselin sah den Engel“, klinkt er sich zunehmend aus der Wirklichkeit aus, zerstreitet sich mit seiner australischen Muse Anita Lane und seinen immer noch schlechter gelaunten Bandkollegen, muss in die Entzugsklinik – und kehrt mit tiefen seelischen Narben zurück, deretwegen ihn seine Fans natürlich nur umso mehr lieben.
Ein ausgefuchster Erzähler wie Reinhard Kleist wird schnell darauf gekommen sein, dass diese Geschichte, erzählt man sie ungebrochen, hart am Rockstar-Klischee von schnellem Aufstieg, tiefem Fall und glorreicher Rückkehr entlangschlittert. Also haben vier der fünf Kapitel Figuren aus Caves düsterem Geschichten-Kosmos als Erzähler, etwa die ermordete Schönheit Elisa Day aus dem Hit „Where the Wild Roses Grow“ oder der zum Tode Verurteilte aus „The Mercy Seat“, die dieselben Episoden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Im abschließenden fünften Teil unternimmt Cave schließlich eine surreale Autofahrt nach Genf zum Cern, um symbolisch mehr über den „Anfang der Schöpfung“ zu erfahren, was stark an die angenehm abgedrehte Pseudo-Doku „20 000 Days On Earth“ über einen fiktiven Tag im Leben Caves erinnert.
Klingt eigentlich nach einem guten Plan, nur: Warum wirkt das Buch so seltsam substanzlos? Auf inhaltlicher Ebene halten sich die Erkenntnisse über Caves Leben in Grenzen. Es ist anzunehmen, dass dem Projekt allein dadurch Grenzen gesetzt waren, dass Cave jedem Detail seine Zustimmung geben musste. „Mercy On Me“ liefert denn auch gerade mal jene Geschichten, die man ohne größere Mühe im Internet findet, ohne dabei überraschende oder gar differenzierte Einblicke in Caves Charakter zu bieten oder am offiziellen Bild zu kratzen. Dass der Comic, der ohne Jahreszahlen auskommt, dann ohne erkennbaren Grund Mitte der 1990er endet und damit Caves überraschende Verwandlung in eine einigermaßen bürgerliche Existenz ausblendet, irritiert zusätzlich.
Immer wieder fällt der Satz, Cave wolle um jeden Preis schockieren und anders sein – eine Antwort darauf, warum, bleibt der Comic schuldig. Was aber noch schwerer wiegt, ist die visuelle Ebene. Natürlich sind Kleists schwarz-weiße Tuschebilder erneut großartig gezeichnet und komponiert; aber die Hauptfigur beherrscht schon als kleiner Junge die lässige Pose so perfekt, dass den Leser manchmal das ungute Gefühl eines bloßen Fan-Comics beschleicht. Das große Potenzial der Neunten Kunst, eine Kontextualisierung oder gar dekonstruierende Analyse der Ikonizität Caves, bleibt ungenützt. Der Mehrwert der Sequenzen mit Caves Auftritten tendiert im Vergleich zu Videos oder Fotos gleich null. Nur ab und zu blitzt auf, was dieser Comic hätte sein können. Regelmäßig wird die Biografie von Cave-Songs unterbrochen, die Kleist in hinreißende Kurz-Comics verwandelt. Hier nimmt er sich jene Freiheiten, die er sich bei der Bebilderung der biografischen Szenen zu selten gestattet. Wie wundervoll der Einfall, in „The Letter“ Cave zum Astronauten zu machen, der seiner Geliebten aus dem Orbit ein Papierflugzeug zuwirft. Und wie bedauerlich, dass das Buch unentschlossen zwischen braver Biografie und mutiger Bebilderung des Cave’schen Kosmos laviert.
Reinhard Kleist: Nick Cave: Mercy On Me. Carlsen Verlag, Hamburg 2017. 328 Seiten, 24,99 Euro.
Wie Johnny Cash ist es Nick Cave
früh gelungen, sich selbst
zur Kunstfigur zu stilisieren
Wundervoll ist Cave als Astronaut,
der seiner Geliebten aus dem
Orbit ein Papierflugzeug zuwirft
Zwischen Ezra Pound und Elvis Presley: der Dichter/Sänger Nick Cave und seine Idole.
Foto: Carlsen
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Für Rezensent Michael Pilz ist Reinhard Kleist längst ein Virtuose der Grafischen Biografie. Entsprechend begeistert nimmt der Kritiker die neue Graphic Novel über Nick Cave zur Hand, in der Kleist nicht nur das Wunder vollbringt, Caves Songs in Panels messerscharf zum Klingen zu bringen, sondern auch nie der Gefahr aufsitzt, die bloße Biografie nachzuerzählen: Privates wird diskret ausgeblendet, schnöde Realität weicht der Fantasie, schwärmt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Reinhard Kleist setzt mit seinem Comic dem West-Berlin der 80er Jahre ein Denkmal" rbb kulturradio 20171221