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7 Kundenbewertungen

"Es ist, als ob Dänemark auf einen solchen Schriftsteller gewartet hätte." Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung
ICH LIEBE EUCH NICHT ELTERN ICH HASSE EUER UNGLÜCK
ICH HASSE EURE KOPFTÜCHER UND EURE KORANE
UND EURE ANALPHABETISCHEN PROPHETEN
EURE INDOKTRINIERTEN ELTERN
UND EURE INDOKTRINIERTEN KINDER
EURE GEBRECHEN UND EURE GEBETE UND EUREN BEISTAND
ICH HASSE DAS LAND DAS EURES WAR
UND DAS LAND DAS UNSERES WURDE
DAS LAND DAS NIE EURES WIRD
UND DAS LAND DAS NIE UNSERES WIRD
WARUM ALSO FLÜSTERST DU IN DAS ENTZÜNDETE OHR
ICH SOLL DIE BÄUME BETRACHTEN?
Yahya
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Produktbeschreibung
"Es ist, als ob Dänemark auf einen solchen Schriftsteller gewartet hätte." Thomas Steinfeld, Süddeutsche Zeitung

ICH LIEBE EUCH NICHT ELTERN ICH HASSE EUER UNGLÜCK

ICH HASSE EURE KOPFTÜCHER UND EURE KORANE

UND EURE ANALPHABETISCHEN PROPHETEN

EURE INDOKTRINIERTEN ELTERN

UND EURE INDOKTRINIERTEN KINDER

EURE GEBRECHEN UND EURE GEBETE UND EUREN BEISTAND

ICH HASSE DAS LAND DAS EURES WAR

UND DAS LAND DAS UNSERES WURDE

DAS LAND DAS NIE EURES WIRD

UND DAS LAND DAS NIE UNSERES WIRD

WARUM ALSO FLÜSTERST DU IN DAS ENTZÜNDETE OHR

ICH SOLL DIE BÄUME BETRACHTEN?

Yahya Hassans Gedichte sind eine Abrechnung. Seine Sprache ist klar und radikal, sein Ton mal zornig und mit intensivem Beat, dann wieder weich und poetisch, seine Bilder sind eindrucksvoll. Yahya Hassan hat in Dänemark eine Debatte über Migration angestoßen, weil er die gängigen Klischees zerschlägt und uns an die Würde des Menschen erinnert. Seine Gedichte haben einen unwiderstehlichen Sog. Sie sind provokant, leidenschaftlich und virtuos. Und gleichzeitig sind sie erschreckend, weil sie uns Yahya Hassans Leben als Migrant in seiner ganzen Härte vor Augen führen.
Autorenporträt
Yahya Hassan, geboren 1995, wächst in einem Migrantenviertel in Aarhus, Dänemark, als Sohn palästinensischer Flüchtlinge auf. Sein Vater verprügelt ihn regelmäßig. Früh wird Yahya Hassan kriminell. In einer Besserungsanstalt für straffällige Jugendliche beginnt er, Gedichte zu schreiben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Veränderung ist möglich, diese Botschaft entnimmt Kersten Knipp der Lektüre von Yahya Hassans Gedichten. Die Kontroversen, die der Band seit seinem Erscheinen auslöst, kann Knipp dennoch verstehen. Bei aller lyrischen Energie der Texte weiß der Rezensent doch um ihren unleugbaren Realitätsbezug. Die Tatsache, dass es sich um Lyrik handelt, keine Debattenbeiträge, verfängt für Knipp nicht. Als Führer durch das soziale Elend der Einwanderermilieus und einen Teil der dänischen Gesellschaftswirklichkeit taugt ihm das Buch. Und den Autor hält er für die vielleicht größte lyrische Entdeckung der letzten Jahre.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.03.2014

Satanische Verse
Zwischen Rap und Sure: Die Gedichte des 19-jährigen Yahya Hassan, der aus einer palästinensischen
Einwandererfamilie stammt, waren in Dänemark das Literaturereignis des Herbstes. Jetzt gibt es sie auch auf Deutsch
VON GUSTAV SEIBT
Der Gedichtband des 19 Jahre alten dänischen Lyrikers aus palästinensischer Familie, der inzwischen auch in Deutschland zu Ruhm gelangt ist, heißt wie er selbst: „Yahya Hassan“. Eine Differenz von Dichtung und Existenz soll es hier nicht geben. Der schmale Band, der in Dänemark in wenigen Wochen eine Auflage von hunderttausend Exemplaren erreichte, ist das wichtigste Ereignis im Leben seines jungen Verfassers, vorerst ist er sein Schicksal. Er hat ihn aus einem Dasein von Ausgrenzung, Gewalt und Kriminalität geführt und zugleich bedroht er schon seine Leben. Islamistische Fanatiker fühlen sich von der Darstellung des religiösen und soziokulturellen Milieus, aus dem der Verfasser stammt, so bloßgestellt, dass sie Yahya Hassan mit Morddrohungen überzogen. Diese sind, wie gerade Dänemark weiß, wo eher läppische Mohammed-Karikaturen zu Attentaten führten, ernst zu nehmen. Ein tätlicher Angriff hat sich schon ereignet.
  Diese schwindelerregende Geschichte von väterlichen Prügeln, religiöser Enge, Erniedrigung von Frauen, den Demütigungen eines disziplinierenden Sozialstaats, Sozialbetrug, Raub, Drogenhandel und plötzlichem literarischen Ruhm, ist überall in Europa erzählt worden ( SZ vom 26. November 2013 ), und schon sie erklärt viel von dem Erfolg des jungen Dichters. Er ist ein Zeuge. Er hat eine Wir/Ihr-Grenze übersprungen. Die Frage, ob sich das, was er erlebt hat und sagt, verallgemeinern lässt, ist zweitrangig vor der individuellen Tatsache, dass er einen Blick auf seine eigene Gruppe vorführt, der von außen kommt und dabei unverhohlene Feindseligkeit verbalisiert.
  Das ist eine Leistung der Selbstverleugnung, die eine gespaltene, dabei harmoniesüchtige Gesellschaft an sich schon honoriert. Schrei die Wut heraus, und dann lass uns darüber reden, auch wenn damit genau das getan wird, was die vielen „Betreuer“ vorschlagen, die Yahya Hassans Gedichte ebenso nachdrücklich verachten wie die „Onkel“ und „Cousins“ seiner eigenen Clans, mit denen der dänische Sozialstaat nicht fertig wird. Die Welt eines gewaltsamen religiösen Patriarchats fusioniert mit dem Betreuungsstaat, wobei die Frau als Gebärmaschine zum Zweck des Sozialbetrugs missbraucht wird: „Sie ist nichts als eine Muslima/ und jetzt ist alleinstehende Kopftuch in Block/ mit fünf Schakalskindern geboren in fünf Jahre/ ohne Kaiserschnitt/ denn die konnten den nicht halal schneiden/ ja jetzt ist sie geschieden auf dänisch/ aber auf islamisch/ muss gehorchen noch immer Vater von Kindern/ obwohl Vater von Kindern hat neu geheiratet/ auf dänisch und auf islamisch/ und hat sich gemacht Vater von neue Kindern/ und hat sich gemacht neu geschieden/ für Betrügen sozial.“
  So etwas laut zu sagen, das ist verletzend, und wäre es auch bei uns. Dabei täuscht das Zitat auf doppelte Weise: Im Original sind diese Gedichte durchgehend in Versalien gedruckt; die angedeutete Nachahmung einer grammatisch reduzierten Einwanderersprache ist nicht typisch für diesen Band. Hassans Gedichte zeigen in ihrer Mehrzahl ein drastisches, aber richtiges Dänisch, das die klangvolle deutsche Übersetzung getreu nachbildet.
  Hier wird nicht „Bildungsferne“ poetisiert oder eine Sprache durch Kreolisierung bereichert, im Gegenteil: Die wenigen Momente von „Kanak-Sprache“ in dem Band sind seine schwächeren und sollen es wohl auch sein; sie sind eine Form von sarkastischer, fremder Rede, die man sich daher auch mit einer Gutturalität vorstellt, die zum Hohn beiträgt: Könnt ihr nischt rischtig reden, aber betrügen sozial könnt ihr.
  Wenn es dabei bliebe, dann wäre dieser Band nur am Rande ein Ereignis der Literatur. Unangenehme Wahrheiten aussprechen, das muss immer mal sein, und dafür gibt es viele Formen von der Reportage bis zum Rap; wenn der Sprecher biografisch beglaubigt ist, dann trägt das zur Wahrheitsfindung bei und sichert ihm den moralischen Respekt des Publikums.
  Aber bei Yahya Hassan ist da noch etwas mehr, das man auch auf einer Literaturseite mit Anerkennung beschreiben kann. Zunächst: Es ist gar nicht so leicht, den Affekt der Wut über eine so lange Strecke aufrechtzuerhalten, ohne zu ermüden. Hassan schafft das, indem er ihn mit anderen Affekten wie Ekel, Trostlosigkeit, Zärtlichkeit verbindet und das Ganze zu einer Klage rhythmisiert.
  Die Situation eines Freitagsgebets zeigt sich dann so: „70 Münder schmatzen/ und mein Körpergeruch und dein Körpergeruch/ ich ziehe den Rotz höher hinauf in den Schädel/ ich scheisse ich rülpse ich erbreche mich/ so ein fauliger Körpergeruch und dein Körpergeruch ist Moschus/ und meine Hängehoden und deine Augenlider/ sind die gleiche Haut/ ist der Name nicht aussprechbar ist er kein Name/ das ist Poesie/ man muss denken bis man den Sinn hat/ sonst ist das nicht Poesie.“ Das uralte Stilmittel, Frömmigkeit mit Leiblichkeit, soziale Normen und Unterschiede mit der allen gemeinsamen körperlichen Existenz zu konfrontieren – der Kern eines jeden Sarkasmus – wendet Yahya Hassan mit beträchtlichem Einfallsreichtum an. Ein einzelner Vers ist das Bild der Armseligkeit des Fanatismus: „Ein langbärtiger Narr predigt von einer Milchkiste herunter.“ Und wenn man beleidigen will, dann in der Form dessen, den man verachtet: „Ein Analphabet hat nichts als seine Sprichworte/ und das Dogma seines dummen Stammes“, was ja selbst als Sprichwort durchgehen kann.
  Wer sich für die Urformen der Dichtung – fast im Sinn von Johann Gottfried Herder – interessiert, der findet hier den Indifferenzpunkt, wo Aussprechen, Erzählen, Metaphorisieren und Rezitieren noch zusammenfallen. Die Vergleiche, die sich aufdrängen, weisen in extrem unterschiedliche Richtungen: einerseits zum Rap, zum Beatgedicht, dem „Geheul“ (Howl) einer rebellischen Jugendkultur, auf der anderen Seite aber zur Litanei, zum Gebet, zur Sure. Ketten von immer gleichen Versanfängen (Selbstanreden wie „du . . ., du. . ., du. . .“), Wortwiederholungen „und“-Reihungen oder Triaden verbinden sich zu langen Parataxen, Hauptsatzfolgen von absichtsvoll hämmernder Monotonie.
  Zu ihr trägt der typografische Auftritt bei, bei dem man sich lächelnd an Heiner Müllers gern zitierten Versalienvers erinnert: WER MIT DEM MEISSEL SCHREIBT HAT KEINE HANDSCHRIFT, was ja auch fürs Gepinsel auf Wandzeitungen gilt. Dänemark ist kein Gefängnis mehr, wohl aber ein Ghetto und eine Betreuungsanstalt, und Yahya Hassan gibt das bekannt in einer Dichtung, die auch das Megafon überleben würde. Der Kern des Ganzen aber ist Blasphemie. Vermutlich kann sich ein säkularer, vor allem nicht-muslimischer Leser oder Hörer dieser Gedichte gar nicht vorstellen, wie verstörend sie in einer religiösen Kultur wirken müssen, die so sehr Reinheit zu ihrem Kern gemacht hat wie der Islam. Schon das Bekenntnis zum Schweinefleisch, das bloße Nebeneinanderstellen von „Freitagsgebet und Fassbier“ sind schier unerträglich.
  Auch hierzulande gab es eine Blasphemie-Debatte, und darum mag hier zum Abschluss ein Gedicht stehen, das in Deutschland besonders wehtut, weil es den empfindlichsten nationalen Punkt berührt, das Verhältnis zu den Juden. Es lautet: „Ich scheisse eine Rose mit Dornen/ Mein Arsch blutet vor Torheit und Rache/ ich bin ein Scheiss Antisemit/ Das floss in mich mit der Vatermilch/ mit den Drohnen über den Olivenbäumen/ mit Sternen und Streifen von weißem Phosphor/ das floss in mich ein an der Klagemauer/ mit dem Jammer seit dem Holocaust/ mit dem Jammer der Palästinenser/ und ich leide mit ihnen.“ Der Titel ist reiner Sarkasmus: „Man grämt sich“. Niemand soll sagen, das lasse ihn kalt, und Gotteslästerung sei nur etwas für zurückgebliebene Frömmler.
Yahya Hassan: Gedichte. Aus dem Dänischen von Annette Helemut und Michel Schleh. Ullstein Verlag, Berlin 2014. 173 Seiten, 16 Euro.
Es ist gar nicht so leicht, den
Affekt der Wut über eine so
lange Strecke aufrechtzuerhalten
Wo Aussprechen, Erzählen,
Metaphorisieren und Rezitieren
noch zusammenfallen
Der junge Autor Yahya Hassan hat in Dänemark mit seinen Gedichten eine heftige Diskussion über die Einwanderung ausgelöst und ist zur Zielscheibe radikaler Islamisten geworden.
Foto: picture alliance / AP
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2014

Etwas ist faul in der Familie Dänemark

Yahya Hassans poetischer Monolog gehört zu den meistverkauften Titeln der dänischen Literaturgeschichte - weil der junge Lyriker einen Schmerzpunkt im konsensseligen Dänemark trifft.

Mit einer Züchtigung der Kinder beginnt es, und es endet mit einem Verbrechen. FÜNF KINDER IN AUFSTELLUNG UND EIN VATER MIT KNÜPPEL ... DANN DAS GERÄUSCH WENN DER SCHLAG TRIFFT: Dies ist der Anfang, die Urszene, aus der sich eine hoffnungslose Geschichte von Gewalt und Gegengewalt entfaltet, in hart geschnittenen Bildsequenzen. Sie zeigen Schlägereien und Vergewaltigungen; ihre Schauplätze sind Moscheen und Kinderheime, Sozialämter und Gefängnisse. Sie erzählen von Drogen und Prostitution, vom Ineinander von Hass und Angst in den Flüchtlingslagern Palästinas und in den Migranten-Gettos der dänischen Vorstädte. Sie tun das in einem Ton, der keinen Slangausdruck und keinen Vulgarismus scheut. Und sie haben, als sie im vergangenen Jahr im renommierten Kopenhagener Verlag Gyldendal erschienen, den achtzehnjährigen Verfasser mit einem Schlag berühmt gemacht.

Yahya Hassan eröffnete mit dem Buch Einblicke in eine Lebenswelt, die für die meisten Dänen gleich um die Ecke liegt und doch fremder ist als das Palästina, aus dem Hassans Familie nach Dänemark floh. Der Band, dessen Titel nur der Name des Autors ist, wurde ein sensationeller Erfolg, einer der meistverkauften Texte der dänischen Literaturgeschichte. Über die Gründe ist viel spekuliert worden. Das Buch berührt einen Schmerzpunkt, in dem sich unterschiedlichste soziale Konflikte treffen. Heftiger als andere westeuropäische Länder sieht sich seit zwei Jahrzehnten das sozial homogene, egalitäre und konsensbetonte Dänemark getroffen von einer Globalisierung, die als Verlust eines durch Traditionsbindung gesicherten Gemeinschaftsgefühls erlebt wird. Was mehr als ein Jahrhundert lang quer durch Generationen, Klassen, politische Gruppen das hervorgebracht hatte, was mit einer nur halb ironischen Redensart "die Familie Dänemark" heißt, zerfiel in beunruhigend unübersichtliche Lebenswelten. Entsprechend rabiat sahen sich folglich gerade hier populistische Bewegungen berufen zum Kampf gegen diejenigen, die sich am leichtesten als Feinde identifizieren ließen. Die Sammelbezeichnung für die durchaus heterogenen Einwanderergruppen heißt "die Muslime" oder, im dänischen Slang, "perker": "Kanaken". Es ist dieser stigmatisierende Ausdruck, mit dem sich Yahya Hassan nun selbst bezeichnet.

Man muss diese Kulturkämpfe vor Augen haben, um zu ermessen, was es bedeutete, dass hier ein staatenloser Palästinenser das Wort ergreift - das dänische Wort, in allen soziolektalen Schattierungen. Den Slang der Pusher und Junkies, der Hehler und Straßengangs in Aarhus und Kopenhagen mischt er mit Bürokratenjargon; Koranverse brechen sich an blasphemischen Provokationen, und der eruptive Schluss, Ziel und Höhepunkt des Bandes, verfällt in eine künstliche Stummelsprache, die alle Stereotypen zugleich verstärkt und unterläuft. Denn Hassan lebt und schreibt in einer doppelten Opposition: gegen ein Dänemark, das junge Männer wie ihn als Feinde wahrnimmt, und gegen die Muslime, die sich als seine Freunde und Verwandten ausgeben. Zu Beginn schildert er, wie in der Schule der Gebrauch des Arabischen, zu Hause aber derjenige des Dänischen geahndet wird. Dabei lässt keine Zeile seines Textes einen Zweifel daran, dass er die Sprache des Landes, zu dem er nicht gehören soll, muttersprachlich beherrscht - wenn es sein muss, roh und rauh und jedenfalls ohne Schonung für das Land, für seine eigenen Leute und für sich selbst, ohne Hoffnung und Heimat. Dieser Schreiber kennt "no direction home".

Als "a piece of vomit" hat Bob Dylan seinen Song-Monolog "Like a Rolling Stone" bezeichnet. Daran erinnern Hassans Texte ebenso wie an Allan Ginsbergs "Howl" oder den jung verstorbenen, wie ein dänischer Rimbaud verehrten Punk-Poeten Michael Strunge. Was Yahya Hassan von ihnen unterscheidet, ist der Verzicht auf Metaphernglanz und rhetorische Verve, seine provozierend ausgestellte Kunstlosigkeit. Die Gattungsbezeichnung "Gedichte" trägt der Band eher behelfsweise. Vielmehr entspricht er dem, was auf Dänisch "knækprosa" genannt wird: ein typographisch zu versartigen Zeilen umbrochener Prosatext. Und doch zeigt sich gerade im Umgang mit diesem Verfahren seine Kunst.

Denn dieser Text ist, sosehr er mit gesprochener Sprache arbeitet, als Lesetext konzipiert; er lebt aus seiner Typographie. Indem er auf jede Zeichensetzung verzichtet und nur Großbuchstaben verwendet, ebnet er alle Tonlagen, Sprechsituationen und Stilniveaus wieder ein. Zugleich erzeugt er eine eigentümliche optische Rhythmisierung - jedenfalls im dänischen Original. Dort bildet fast jede Zeile einen Satz oder Satzteil; der Zeilenschluss markiert eine Atempause im Wörterstrom. Erst aus dieser Spannung zwischen Schriftbild und Syntagmen ergibt sich die suggestive Wirkung des Textes.

Leider ist es dem deutschen Verlag gelungen, diese Wirkung durch Unachtsamkeit weitgehend zu zerstören. Da das silbenreichere Deutsche mehr Raum als das Dänische beansprucht, fallen viele Zeilen deutlich länger aus als im Original, und ein unsinnig enger Satzspiegel gibt ihnen den Rest. So zerbröseln nun Hassans scharf herausgestoßene Zeilensätze in willkürlich umbrochene Halbzeilen, und was im Original wie ein optisches Versmaß erschien, wird zum Wörtersalat. Ausgerechnet dort aber, wo Hassan tatsächlich einmal einen Satz in Kurzzeilen zerhackt, werden die Fragmente zu einer Zeile zusammengezogen, als müsse der verlorene Platz wieder eingespart werden.

Dabei verdankt sich nicht nur die ästhetische, sondern auch die moralische Kraft des Textes dieser Betonung der Schrift als seines Mediums. Der, der hier schreibt, und der, den er sprechen lässt, erscheinen als zwei verschiedene Instanzen. Indem Hassan die machistischen Renommierposen, Schreie und Flüstern, die Flüche und Obszönitäten aufgehen lässt im interpunktionslosen Fluss der Großbuchstaben, schafft er eine Distanz zum Geschehen und zu der Figur, die hier ich sagt. So wird, was immer der Sprecher an sexistischen und rassistischen Ressentiments, an Hass auf Israel und auf die eigene Herkunft formuliert, vom Schreiber weder geteilt noch verurteilt. Er führt es nur vor, macht es anschaulich und begreifbar.

ICH HAB KEIN EMPATHIE, liest man am Ende, EMPATHIE DAS HAB ICH NICHT. Auch der Satz aber ist nur Teil einer großen Rollen-Rede, deren Ziel nichts anderes ist als die Einübung von Empathie. Und wer weiß - vielleicht ist der überwältigende Erfolg ein Hoffnungszeichen dafür, dass diese Schreibkunst tatsächlich zur Überwindung dessen beiträgt, was sie so drastisch zeigt.

HEINRICH DETERING

Yahya Hassan: "Gedichte". Aus dem Dänischen von Annette Hellmut und Michael Schleh. Ullstein Verlag, Berlin 2014. 176 S., 16,- [Euro].

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"Für die Wahrheit der Kunst hat er sein Land verraten, seine Familie, seine Freunde.", Der Spiegel, Tobias Rapp, 10.03.2014