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Klug, rebellisch und bei aller Dunkelheit durchdrungen von zartem Humor
Leilas finnische Mutter ist zum Islam konvertiert. Seitdem interessiert sie sich nur noch für die korrekte Auslegung des Korans. Sogar Familienfotos sind verboten. Leilas Vater kommt aus dem Maghreb und ist selbst Muslim - aber dieser Fanatismus ist ihm viel zu anstrengend. Und ihre große Schwester Samira ist längst vor dieser verrückten Familie geflohen. Alleine ist es schwer für Leila, zu Hause den Verstand nicht zu verlieren. Dann wird Samira eines Tages schwer verletzt am Fuß einer Treppe gefunden. Ist sie gefallen?…mehr

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Produktbeschreibung
Klug, rebellisch und bei aller Dunkelheit durchdrungen von zartem Humor

Leilas finnische Mutter ist zum Islam konvertiert. Seitdem interessiert sie sich nur noch für die korrekte Auslegung des Korans. Sogar Familienfotos sind verboten. Leilas Vater kommt aus dem Maghreb und ist selbst Muslim - aber dieser Fanatismus ist ihm viel zu anstrengend. Und ihre große Schwester Samira ist längst vor dieser verrückten Familie geflohen. Alleine ist es schwer für Leila, zu Hause den Verstand nicht zu verlieren. Dann wird Samira eines Tages schwer verletzt am Fuß einer Treppe gefunden. Ist sie gefallen? Oder wurde sie gestoßen? Leila versucht herauszufinden, was mit ihrer Schwester passiert ist. Das Leben zwischen den Kulturen ist gefährlich, besonders für Mädchen. Aber Leila weigert sich, Opfer zu sein. Asphaltengel ist einer der beeindruckendsten und hinreißendsten Romane seit langem.
Autorenporträt
Wibke Kuhn, geb. 1972, hat nach ihrem Durchbruch als Übersetzerin von Stieg Larssons Millennium-Trilogie zahlreiche weitere Erfolgstitel ins Deutsche übersetzt.

Johanna Holmström wurde 1981 in Sibbo geboren. Sie gehört der schwedischsprachigen Minderheit in Finnland an. Seit einigen Jahren lebt sie als Journalistin in Helsinki und studiert dort arabische Literaturwissenschaft. Sie hat selbst zwei Töchter und war lange mit einem Araber verheiratet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2014

Das Eis kann jederzeit brechen

Schwedische Krimiautoren sind eine Weltmacht, finnische noch nicht einmal eine Regionalmacht. Nun bringen die Finnen zur Buchmesse einen Stapel Krimis mit. Was für einem Land begegnen wir da?

Es muss kein Nachteil sein, dass Finnland von der Außenwelt noch zweihundertfünf Jahre nach der Abtrennung von Schweden in einem Atemzug mit dem Land des Drei-Kronen-Wappens genannt wird. Dem Buchhandel gilt der Norden als eine weite, von Island bis an die russische Grenze durch das Genre des Schwedenkrimis geeinte Nation. Für den Krimi-Export ist das gut. Doch Finnland zählt nicht mal zu den skandinavischen Ländern. Es ist anders, gebrochener, verwundbarer - und uns so wenig vertraut, dass man bei der Erstbegegnung mit einem finnischen Krimi kaum einen Ortshinweis kennt und keinen Namen behält. "Tiina" und "Liina" hält der Leser für orthographische Patzer.

Die gute Nachricht: Krimis wie Marko Leinos Thriller "In der Falle", der solide vom Drogengeschäft im Nordosten Europas erzählt und, wie es nun Brauch ist, mit einem "Präludium" anläuft, erklären gern die finnische Welt. Zu ihr gehören straffällig gewordene Eishockeyspieler wie der Mann, der zu Beginn des Romans in einen Lieferwagen und von dort auf einen Folterstuhl gepackt wird. Finstere Russen, depressive Mütter, Säufer, entgleiste Schweden, schuftende Balten. Und Ermittler, die "autistisch den Löffel im Milchkaffee drehen".

In deren Büro ist es auffällig kalt. Drogencop Juha Viitasalo meint sogar zu spüren, "wie das Eis unter seinen Füßen bedrohlich knackte". Er fröstelt auch, als er abends das Schattenspiel im Zimmer verfolgt und "einen hungrigen Eisbären in der Zimmerecke" entdeckt. Ja, selbst das Arbeitsklima in Finnland ist kalt, seit es von den Unternehmensberatern auf Opferbereitschaft, Teamspirit und Zieloptimierung getrimmt wird. Kurz und ungut: "Die geistige Atmosphäre war bedrückend, und die natürlichen Begebenheiten taten das ihre, um die genetisch verwurzelte Neigung der Finnen zu Niedergeschlagenheit und selbstzerstörerischem Verhalten zu verstärken." Ohne Johanniskraut im Gepäck fährt man da besser nicht hin.

Vor dem Hintergrund der Euro-Krise, die Finnlands Wirtschaft abschmieren ließ, musste "In der Falle" allerdings zu einem Thriller geraten, bei dem alle, bis zum Kommissar, in der Kreide eines anderen stehen. Zehn Lux heller ist das Land der Kitas, Bibliothekarinnen und Forstwirtschaftsstudenten, von dem Seppo Jokinens "Gefallene Engel" berichtet. Die im Original bereits 2001 veröffentlichte Polizeigeschichte zählt zu einer erfolgreichen Reihe um Kommissar Sakari Koskinen, die sogar noch früher, kurz nach den ersten Maria-Kallio-Bänden Leena Lehtolainens, begann. Im Finnland der "Gefallenen Engel" geht es so alltäglich zu, dass man die Raserei mit dem Moped und den übermütigen (hier komisch misslingenden, weil die Wassertiefe überschätzenden) Kopfsprung in den See als einzige Möglichkeit zur Abwechslung versteht.

Das erklärt die gesellschaftliche Relevanz des Falls von Tampere: Koskinen bekommt es mit toten und lebendigen Rollstuhlfahrern zu tun. Einer von ihnen, ein IT-Consultant, traf seine Frau im Rehakurs, nachdem sie auf dem Radweg von einem Betrunkenen überfahren wurde.

Die Hoffnung, ein Reisejournalist könne uns ausgemaltere Bilder vom heutigen Finnland servieren, zerschlägt sich leider bei Pekka Hiltunens "Das schwarze Rauschen". Die Zentrale der beiden Mädchen, die einen Mörder mit Hackertalent verfolgen, ist im Bankenviertel von London verborgen wie weiland die Zentrale von Justus Jonas unter den kalifornischen Schrottbergen des Onkels.

Immerhin landen wir bei Taavi Soininvaaras Politthriller "Das andere Tier" für einige Seiten in Finnlands mückenumschwirrter Natur: Ein amerikanischer Scharfschütze mit CIA-Vergangenheit, den wir uns vorstellen wie das kantige Mannsbild, dessen Kanone im Kult-Video "Rare Export" den Weihnachtsmann zur Räson bringt, versteckt sich im Nationalpark Patvinsuo nahe der russischen Grenze. Er trauert um seine Frau, die von Fanatikern im Irak hingerichtet wurde, erlegt einen fünfhundert Kilo schweren Elchbullen, auch einen polnischen Kernphysiker, der an einer Konferenz zur Renaissance der Kernkraft teilnimmt.

Und dann ermittelt Arto Ratamo. Das ist der snus-stopfende Nachrichtendienstler mit Titanhüfte, dessen Karriere ("Finnisches Blut") als Ebola-Experte begann. Wenn der Hinweis mit den Gipsbüsten in der Wohnung nicht täuscht, eine Mischung aus Lenin, Elvis und Urha Kekkonen - ein Durchschnittsfinne eben. Er scheint am Übel der Gegenwart zu leiden wie die meisten Krimihelden des Nordens. Ein rasanter, wenn auch großkalibriger Krimi für Kerle.

Über eine Romanfigur, die Journalistin mit dem klangvollen Namen Essi Kokko, kommt das Schicksal der Einwanderer in Finnland zur Sprache. Aus deren Leben erzählt derzeit allerdings niemand authentischer als Johanna Holmström, eine Autorin, die arabische Literaturwissenschaft studierte und laut Klappentext "lange mit einem Araber verheiratet" war. Ihr Thriller "Asphaltengel" braucht keinen Ermittler. Oder anders: Die Polizisten, die sich für die Hintergründe einer Gewalttat interessieren, sind nur Statisten an Samiras Krankenhausbett. Stattdessen versucht die kaum fünfzehnjährige Leila zu enthüllen, wie ihre große Schwester im Koma landen konnte. Der Titel verweist auf die Mädchen, die sich über das Balkongeländer der Siedlungstürme schwingen und "schon tot" sind, "bevor sie auf dem Boden aufschlagen".

Ein absolut aufregendes Buch. Es handelt von der Parallelwelt muslimischer Einwanderer wie vom Rassismus der Finnen, auch vom Hormonlevel auf dem Schulhof, den kein Pisa-Test erfasst. Holmströms Finnland gehört den Teenagern, die sich Modeschmuck kaufen, in den Einkaufszentren abhängen und beim Parcoursklettern die Stadt mit den Füßen "bombardieren". Im Slang Leilas erzählt Holmström von Immigrantenkindern auf der Suche nach einer modernen Identität. Sie müssen sich daheim gegen ängstlich-strenge Eltern, unterwegs gegen Kahlrasierte und im Alltag gegen das Dumpfbackengelaber von Gutmenschen zur Wehr setzen. Nicht zuletzt erzählt sie anhand von Lailas kopftuchtragender Mutter von der Psyche der radikalen Konvertiten im Land. Eine Geschichte, die nachhallt.

Um wie viel leiser, elaborierter geht es hingegen in der "Septembernovelle" von Johan Bargum zu, dem feinsten Finnenkrimi des Herbstes. Und dem raffiniertesten - erklärt Bargum doch auf hundert Seiten das Leben, die Liebe und den Krebs zu potentiellen Mördern. Trotzdem sitzt Olof, der Banker im Ruhestand, nach dem Segeltörn vor Helsinki einem Kommissar gegenüber. Den sehen wir nicht, vermutlich sind wir es selbst. Aber wir erfahren, dass Olof mit Harald hinausfuhr, einem Unternehmer, der bis zur Krise der neunziger Jahre mit Elin liiert war. Dann hat sie Boot und Mann gewechselt. Was passierte auf See, dass Olof allein von der letzten Fahrt vor dem Winter zurückkam? Das ist der Plot dieses eleganten, durch die Geschichte dreier alternder Menschen ruhig wie eine Yacht durch die Schärenlandschaft gleitenden Romans. Wind, Wellen, Felsen im wechselnden Licht und dazwischen die ehrlichste Darmspiegelung der Literaturgeschichte.

Und so rückt auch Skandinavien wieder näher. Denn die beiden letztgenannten Autoren, Holmström und Bargum, schreiben - als Angehörige der wichtigsten Minderheit Finnlands - auf Schwedisch.

MATTHIAS HANNEMANN.

Marko Leino: "In der Falle". Roman. Aus dem Finnischen von Anu Pyykönen-Stohner. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2014. 544 S., br. 9,99 [Euro].

Seppo Jokinen: "Gefallene Engel". Kriminalroman.

Aus dem Finnischen von Gabriele-Schrey-Vasara. Ars Vivendi Verlag, Cadolzburg 2014. 398 S., geb., 19,95 [Euro].

Taavi Soininvaara "Das andere Tier". Politthriller.

Aus dem Finnischen von Peter Uhlmann. Aufbau Verlag, Berlin 2014. 392 S., br., 14,99 [Euro].

Johanna Holmström: "Asphaltengel". Thriller.

Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. Ullstein Verlag, Berlin 2014. 400 S., br., 14,99.

Johan Bargum: "Septembernovelle".

Aus dem Schwedischen von Karl-Ludwig Wetzig. Mare Verlag, Hamburg 2014. 108 S., geb., 18 ,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.10.2014

Die Haut und die Narben
Die finnlandschwedische Autorin Johanna Holmström erzählt in ihrem Roman „Asphaltengel“ drastisch,
wie die Töchter muslimischer Einwanderer dem allgegenwärtigen Sexismus zu entkommen versuchen
VON MEIKE FESSMANN
Wer gelegentlich junge Frauen in der U-Bahn beobachtet, wie sie sich aufgetakelt bis zur Unkenntlichkeit in Feierlaune trinken, der möchte schon gern wissen, was wohl in ihren Köpfen vorgeht. Wie sehen sie sich selbst? Welchen Codes folgen sie? Wie verhalten sie sich untereinander und zu den Männergruppen, auf die sie irgendwo in einem Club treffen werden? Dass die sexuelle Revolution vor allem die Männer befreit hat und im Zuge ihrer Kommerzialisierung Frauen zur Ware degradierte, ist leider mehr als eine zynische These. Man kann es sehen und fast mit Händen greifen: wie das Versprechen auf weibliche Selbstbestimmung von der Kommerzialisierung sexueller Zeichen unterwandert wurde.
  Es ist also beileibe nicht so harmlos, wie es klingt, wenn Johanna Holmström ihren Roman allen Mädchen widmet, „die schon mal in einem viel zu kurzen Rock ausgegangen sind“. In „Asphaltengel“ erzählt die 1981 geborene Autorin, die zur schwedischsprachigen Minderheit in Finnland gehört, von zwei Schwestern, die in einer muslimischen Familie aufwachsen. Ihr Vater stammt aus Tunesien und ist Busfahrer, ihre Mutter eine zum Islam konvertierte Finnin, die den Koran weitaus besser kennt als ihr Mann. Sie hegt den Verdacht, dass islamische Männer sich nur dann auf den Propheten Mohammed berufen, wenn sie ihre Freiheiten verteidigen wollen. Die Pflichten, die der Koran ihnen selbst vorschreibt, sind ihnen dagegen ziemlich egal.
  Für die Mutter ist der Hidschab eine gute Möglichkeit, ihr alterndes Gesicht vor abschätzigen Blicken zu verbergen. Und sie möchte, dass auch ihre Töchter ein Kopftuch tragen. Die aber begehren auf: gegen Mutter und Vater, gegen die Lehrer, gegen alle und alles, das ihre Freiheit beschränkt. In einem Klima aus Rassismus und Sexismus suchen sie ihren eigenen Weg. Er führt quer durch die Hölle der Desorientierung, die nicht nur in der finnischen Gesellschaft das Geschlechterverhältnis bestimmt.
  Samira, die ältere der beiden Schwestern, hat mit achtzehn die elterliche Wohnung verlassen. Als der Vater wieder einmal betonte, da draußen sei Finnland, „hier drinnen ist Maghreb“, hatte sie endgültig genug. Sie zog in ein Frauenhaus und bekam vom Sozialamt eine eigene Wohnung zugewiesen. Doch auch der Vater, ein fröhlicher Hallodri, hat die Familie verlassen. Er ist zu einem Freund gezogen, als ihm die Koranexegese seiner Frau und deren Plauderstunden mit ihren Glaubensschwestern zu viel wurden. Leila, zu Beginn des Romans dreizehn, lebt allein mit der Mutter.
  Es ist ein geschickter Schachzug der Autorin, dass sie den beiden Schwestern getrennte Handlungsstränge widmet, die zeitlich versetzt ineinander greifen. Die pubertierende Leila, die ihre Weiblichkeit unter Hoodies verbirgt, will herausbekommen, was mit der Schwester geschehen ist, die nach einem Treppensturz komatös im Krankenhaus liegt. Von Samiras Versuchen, als Studentin der Soziologie die Welt zu begreifen, erfahren wir in Rückblenden und durch die Erzählungen ihrer Freundin Jasmina, mit der sich Leila trifft.
  So verbindet der Roman den noch eher naiven Mädchenton Leilas, die in der ersten Person spricht, mit dem sehr viel differenzierteren Bewusstsein Samiras. Was es heißt, sich zwischen Mädchengangs, Skinheads und arabischen Männergruppen zu behaupten, erlebt der Leser hautnah mit. Etwa, wenn Samira und Jasmina sich über das Hymen unterhalten und wie erniedrigend es ist, den eigenen Wert nach der Unversehrtheit eines Stücks Haut bestimmen zu lassen. Gemeinsam recherchieren sie über Klitoris-Beschneidungen und die grauenhafte Qual einer zugenähten und mit dem Messer geöffneten Vagina, deren Narbengewebe im Lauf mehrerer Geburten immer schmerzhafter wuchert. Samira bittet die Freundin schließlich, ihr Hymen mit den Fingern zu zerstören. Keinem Mann soll die Ehre zukommen, sie zu entjungfern.
  „Jede verheiratete Frau ist eine Hure“, sagt Jasmina einmal. Wie ein Refrain durchzieht dieser Satz das Buch. Ob sie sich durch eine Ehe zur Handelsware machen oder einfach nur gegenseitig abwerten: die Frauen haben ihre Erniedrigung verinnerlicht. Selbst auf dem Schulhof ist die Hierarchie erbarmungslos. Wessen Stern im Sinken ist, macht keinen Stich mehr. Wenn eine Freundin nicht mehr spurt, wird sie „Nutte“ oder noch infamer „Negerhure“ genannt.
  Dass Jasmina aus einer christlichen Familie stammt, die aus Iran geflohen ist, und nur der Freundin wegen zum Islam konvertierte, erfahren wir erst gegen Ende des Romans. Er macht in vielen Szenen deutlich, dass die Konflikte, die er schildert, nur scheinbar religiöser Natur sind. Sowohl in der brachialen Abwertung des Gegenübers als auch im engen Zusammenhalt von Freunden geht es um Dominanz und Zugehörigkeit. Es sind soziale Konflikte, die „Asphaltengel“ schildert – mit einem Titel, der auf jene Frauen verweist, die nach Gebrauch über die Brüstung eines Balkons geworfen werden. Manche springen auch von selbst.
  Auch wo die physische Gewalt nicht explizit wird, ist sie unterschwellig anwesend. Die Pornographisierung der Sexualität ist in alle Kapillaren der Gesellschaft vorgedrungen. Nach ihrer Entjungferung durch die Freundin sieht sich Samira zum ersten Mal in ihrem Leben Pornos im Internet an. Da begreift sie, dass sie die Schule sind, in der die Jungs gelernt haben, wie Männer mit Frauen umgehen, die sich auf Sex einlassen.
  Dass Sexualität etwas ist, das die Frau erniedrigt, scheint diese Generation gleichsam mit der Muttermilch des Netzes aufzusaugen. Der profanisierte Islam, wie er im Hip-Hop kultiviert wird, trägt das Seine dazu bei. Nicht umsonst zitiert Johanna Holmström neben ihrer Widmung auch den 1996 in Las Vegas ermordeten amerikanischen Rapper 2PAC, der allerdings selbst kein Muslim war. Die Botschaft, der sich die Frauen in „Asphaltangel“ gegenübersehen, ist auf geradezu gewalttätige Weise diffus: sie sollen sexy sein und keusch. Wie schwer es für junge Frauen ist, unter diesen Bedingungen an ihren eigenen Wert zu glauben, macht dieser Roman eindrücklich klar.
Leilas Vater beruft sich gern auf
den Koran, um seine Freiheiten
als Mann zu verteidigen
Auch wo die physische Gewalt
nicht explizit wird, ist sie in
diesem Buch ständig anwesend
Dominanz, Erniedrigung, Zugehörigkeit – die sozialen Konflikte überlagern die religiösen, sie werden hautnah erlebt und in Erzählung und Studium verarbeitet.
Foto: Veit Mette/laif
    
  
  
Johanna Holmström:
Asphaltengel. Roman. Aus dem Finnlandschwedischen von Wibke Kuhn. Ullstein Verlag, Berlin 2014.
400 Seiten, 14,99 Euro. E-Book 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Johanna Holmströms harter Roman "Asphaltengel" hat Sylvia Staude ziemlich beeindruckt. Die Autorin, die arabische Literaturwissenschaft studiert hat und mit einem Muslim verheiratet war, verbreitet keine fröhliche Multikultistimmung. Es leiden eigentlich alle Protagonisten in diesem Roman: der maghrebinische Vater, der sich gegen Beschimpfungen nicht wehrt, die finnische Mutter, die wer weiß was mit ihrer Konversion zu einem orthodoxen Islam kompensiert, die Töchter, die den Druck zu Hause nicht aushalten. Aber auch die autochthonen Finnen sind nicht viel besser dran, so Staude. In der Schule werden die Schwächeren gnadenlos unterdrückt, die Lehrer schauen weg. Staude findet das sehr alltagsnah erzählt und bewundert den Mut der Autorin zur "Beherztheit".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Rasant erzählt und mit lakonischem Unterton.", dpa, Thomas Maier, 24.09.2014 20151112