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'In einem aufrüttelnden Buch, das Zahlen und Fakten nennt und Wege aus der Krise weist, rechnet der Sozialdemokrat Ottmar Schreiner mit dem Versagen der Politik ab, notwendige Reformen sozialverträglich zu gestalten, auch mit den krassen Versäumnissen der eigenen Partei. Er warnt vor den Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die die wachsende Gerechtigkeitslücke heraufbeschwört, und verweist auf den Wert der Gleichheit, den das Grundgesetz nicht geringer achtet als den der Freiheit. Mit Blick auf die deutsche Geschichte erinnert er daran, dass eine tiefgreifende soziale Spaltung…mehr

Produktbeschreibung
'In einem aufrüttelnden Buch, das Zahlen und Fakten nennt und Wege aus der Krise weist, rechnet der Sozialdemokrat Ottmar Schreiner mit dem Versagen der Politik ab, notwendige Reformen sozialverträglich zu gestalten, auch mit den krassen Versäumnissen der eigenen Partei. Er warnt vor den Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die die wachsende Gerechtigkeitslücke heraufbeschwört, und verweist auf den Wert der Gleichheit, den das Grundgesetz nicht geringer achtet als den der Freiheit. Mit Blick auf die deutsche Geschichte erinnert er daran, dass eine tiefgreifende soziale Spaltung der Gesellschaft zum Totengräber der Demokratie werden kann. Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf wird soziale Gerechtigkeit das entscheidende Thema sein. Schreiners Buch geht alle an, die sich um die Zukunft unseres Landes Sorgen machen.
Autorenporträt
Ottmar Schreiner, geboren 1946 in Merzig/Saarland. Seit 1969 Mitglied der SPD, für die er seit 1980 im Bundestag sitzt. Er war von 1990 bis 1997 sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, 1997/98 deren stellvertretender Vorsitzender und 1998/99 Bundesgeschäftsführer seiner Partei. Seit 2000 ist er Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragenund seit 2001 Mitglied des SPD-Bundesvorstands.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2008

Bildungsapartheid beim Niedriglohnweltmeister
Ottmar Schreiners polemisches Lehrbuch über die Entsozialdemokratisierung der SPD
Beirren ließ er sich nie, auch Anfang September nicht, als der SPD-Vorstand Franz Müntefering zum neuen Parteichef nominierte. Ottmar Schreiner stimmte als einziger dagegen. Das war kurz bevor sein Buch erschien. Die Agenda 2010 klagt der SPD-Sozialexperte an, ihre Architekten Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Frank-Walter Steinmeier und auch die SPD selbst. Die Politik der Agenda 2010 führt, so befürchtet Schreiner, „zur Entsozialdemokratisierung der SPD und damit zur politischen Selbstentsorgung einer außer sich geratenen Partei”.
Schreiner ist linke parteiinterne Opposition und in seiner sehr emotionalen und ungemein genauen Analyse trägt die SPD viel Schuld am Niedergang der Sozialstaats. Die Folgen der Reformen am Arbeitsmarkt, in der Renten- und Steuerpolitik haben eine Spirale nach unten in Gang gesetzt. Die Politik spaltet die Gesellschaft, sie spricht vom Druck der Globalisierung, der aber so stark nicht ist. Wenige Reiche werden immer reicher (jedenfalls vor dem Kollaps des Finanzmarkts, den Schreiner hellsichtig kritisiert). Auf der anderen Seite stehen immer mehr Arme. Mit Hartz IV droht jedem, der ein Jahr ohne Job ist, und seiner Familie der Absturz in die „Kellerklasse” der Gesellschaft. Ein menschenwürdiges Leben ist mit Hartz IV nicht möglich, auch nicht für die Kinder, die zudem im Schulsystem keine Chance haben, es herrscht „Bildungsapartheid”. Die Mittelschicht, mit Steuern zu schwer belastet, rutscht ab, die Altersarmut kehrt zurück, die neuen Arbeitsmarktinstrumente stoppen die wachsende Ungleichheit im Land nicht. Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Mini-Jobs führen zu geringfügiger Beschäftigung. „Geht diese Entwicklung so weiter, ist Deutschland bald Niedriglohnweltmeister.”
Schreiners „Gerechtigkeitslücke” ist ein polemisches Lehrbuch, das auch seine Kritiker lesen sollten. Man kann ihm Einseitigkeit vorwerfen, weil er zum Beispiel die positiven Seiten der Agenda oder den Abbau der Arbeitslosigkeit nur am Rand erwähnt. Er schlägt Reformen der Reformen vor, die eher rückwärts gewandt wirken. Fehlt dem Autor, der so viel weiß, die Gestaltungskraft? Oder will er vielmehr Menschen mit den bewährten und sicheren Methoden des alten Sozialstaats in die Gesellschaft zurückholen, um mehr zu
verhindern als den sozialen Abstieg? „Der sozialen Erosion”, so warnt Ottmar Schreiner, „folgt eine politische Erosion.” HEIDRUN GRAUPNER
OTTMAR SCHREINER: Die Gerechtigkeitslücke. Wie die Politik die Gesellschaft spaltet. Verlag Propyläen, Berlin 2008. 271 Seiten, 19,90 Euro.
„Wie selbstbewusst können
Menschen von ihrer Freiheit Gebrauch machen, wenn sie um ihren Arbeitsplatz fürchten
oder mit einem Armutslohn
abgespeist werden (. . .)
Sozial schwache Bürger sind nicht wirklich freie Bürger.”
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2008

Schreiner, der Magier
Er bringt die "Gerechtigkeitslücke" zum Verschwinden

Ottmar Schreiner hat ja recht: Seit Beginn der neunziger Jahre ist der Wohlstand in Deutschland zunehmend ungleich verteilt. Am Wachstum waren die abhängig Beschäftigten weit geringer beteiligt als die Kapitalgesellschaften und ihre Eigentümer. So seien die Einkünfte aus Vermögen und Beteiligungen in den vergangenen zehn Jahren von 29 auf 36 Prozent aller privaten Einkommen gestiegen. Da die Lohnerhöhungen in dieser Zeit weitgehend von der Inflation aufgezehrt wurden, "ist der Zuwachs an Wirtschaftskraft allein den Beziehern von Gewinneinkommen und Vermögen zugute gekommen", schreibt Schreiner. Dabei unterschlägt er allerdings, dass der Staat durch Steuererhöhungen ebenfalls erheblich stärker am Wirtschaftswachstum partizipierte als die Lohnempfänger. Wahr ist, dass Niedrigqualifizierte und Familien von dieser Entwicklung besonders hart getroffen wurden, dass die Durchlässigkeit der sozialen Schichten abgenommen hat und Bildung nicht mehr der Garant für Aufstieg ist, dass die Rentenreformen der vergangenen Jahre stets auf reale Rentenkürzungen hinausliefen.

Den größten Teil seines Buches verwendet der bekannteste Lafontainianer in der SPD auf die Beschreibung dieser "Gerechtigkeitslücken" in allen ihren Facetten. Deren Vertiefung lastet er vor allem seiner eigenen Partei an. Mit den Hartz-Gesetzen habe die SPD den von der Arbeiterbewegung erkämpften "Gesellschaftspakt" gebrochen - den sozialen Frieden, der auf der Anerkennung sozialer Eigentumsrechte der Lohnabhängigen beruhte. Dem Sündenregister der Schröders, Steinmeiers und Gabriels in der SPD stellt er daher in jedem Kapitel seine Ablassbedingungen gegenüber: "Bausteine" für eine andere Sozial-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Rentenpolitik.

Wären Schreiners "Bausteine" Politik geworden, gäbe es heute den flächendeckenden Mindestlohn, einschließlich deutlich höherer Mindestrente - also das bedingungslose Grundeinkommen, das nur nicht so hieße - plus staatlicher Beschäftigungsgarantie, plus Bildungsurlaub, plus großzügige Vorruhestandsregelungen, plus flächendeckende Ganztagsbetreuung der Kinder von der Wiege bis zur Sekundarstufe und noch manches andere. Deutschland hätte dann nicht 1600 Milliarden Euro Schulden und eine Arbeitslosenquote von zehn Prozent, sondern von beidem vielleicht das Doppelte. Die "Reichen" aber, denen Schreiner das Fell über die Ohren ziehen möchte, wären über alle Berge. Wie hätte die Bundesregierung wohl Investoren und Kapital ins Land locken sollen, wenn nicht durch jene Vergünstigungen, die er als himmelschreiende Ungerechtigkeiten anprangert?

Es ist denn auch weniger als die halbe Wahrheit, die uns hier als soziales Skandalon serviert wird. Schreiner schreibt zwar viel von der Konzentration großer Vermögen, schweigt aber von dem zunehmenden Anteil des Steueraufkommens, das von den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung - darunter auch von abhängig beschäftigten Managern - in die Staatskasse eingezahlt wird. Er lässt die Kosten der deutschen Einheit unter den Tisch fallen und verliert kein Wort darüber, wie der Staat von den Schulden herunterkommen soll, die er vor allem durch soziale Wohltaten angehäuft hat. Schließlich lässt der Magier Schreiner vor unseren Augen auch das Problem der Alterung der Gesellschaft und deren Folgen für die Sozialkassen verschwinden: Weil ja nicht mehr so viele Kinder und Jugendliche von den Erwerbstätigen mitzuversorgen seien, steige deren Gesamtbelastung erst 2030 wieder über das Maß von 1970 hinaus an. Noch besser ginge es uns, darf man daraus schließen, wenn wir überhaupt keine Kinder mehr in die Welt setzten.

Die Neoliberalen mögen sich darin geirrt haben, alles Heil von der Privatisierung und Ökonomisierung staatlicher Aufgaben zu erwarten. Genauso falsch aber lagen und liegen die Gewerkschaften und ihr Freund Schreiner mit ihrem Credo der "nachfrageorientierten Politik". Was passiert, wenn der Staat - Hand in Hand mit der Notenbank - den Konsum ankurbelt, hat die Welt gerade durch einen großen Knall vernommen. Die amerikanische Immobilienblase, deren Platzen eine weltweite Finanzkrise auslöste, hat ihre Ursache genau in jener wunderbaren Geldvermehrung, die Schreiner nun der deutschen Politik als Wachstumsmotor empfiehlt. Nur gut, dass er nicht zum Zuge kam, sonst wäre jetzt auch noch eine deutsche Immobilienblase geplatzt.

STEFAN DIETRICH

Ottmar Schreiner: Die Gerechtigkeitslücke. Wie die Politik die Gesellschaft spaltet. Propyläen Verlag, Berlin 2008. 271 Seiten, 19,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So lange der Autor bloß theoretisiert, ist Stefan Dietrich beruhigt. Wären Ottmar Schreiners Visionen von "nachfrageorientierter Politik" und Invitro-Konsum allerdings Wirklichkeit geworden, so mutmaßt der Rezensent schaudernd, hätten wir in Deutschland jetzt auch eine geplatzte Immobilienblase. Als magisches Planspiel findet Dietrich das Buch allerdings durchaus unterhaltsam. Direkt verzaubert verfolgt er Schreiners Kritik an der eigenen Partei, seine Vorschläge für eine andere Sozial-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Rentenpolitik und die Ausblendungen mit deren Hilfe der Autor ein "soziales Skandalon" konstruiert. Die Kosten der deutschen Einheit, das Problem der Überalterung, die hohe Staatsverschuldung - bei Schreiner sind sie, wie das Kaninchen, einfach verschwunden. Wie das Kaninchen, ahnt Dietrich, sind sie aber nicht wirklich weg.

© Perlentaucher Medien GmbH