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Keine Frage, das Ende des verbrecherischen NS-Regimes war für Europa eine Befreiung. Aber die Hälfte Europas - und eben auch die Hälfte Deutschlands - kam vom Regen in die Traufe, eine menschenverachtende Diktatur löste die andere ab. Es ist das große Verdienst von Hubertus Knabe, diese dunkle Seite des Kriegsendes und das damit verbundene Leid der deutschen Bevölkerung mit diesem umfassenden, neue Quellen erschließenden Bericht in Erinnerung zu rufen.

Produktbeschreibung
Keine Frage, das Ende des verbrecherischen NS-Regimes war für Europa eine Befreiung. Aber die Hälfte Europas - und eben auch die Hälfte Deutschlands - kam vom Regen in die Traufe, eine menschenverachtende Diktatur löste die andere ab. Es ist das große Verdienst von Hubertus Knabe, diese dunkle Seite des Kriegsendes und das damit verbundene Leid der deutschen Bevölkerung mit diesem umfassenden, neue Quellen erschließenden Bericht in Erinnerung zu rufen.

Autorenporträt
Hubertus Knabe, geboren 1959 in Unna, ist wissenschaftlicher Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im ehemaligen Zentralgefängnis der Staatssicherheit. Von 1992 bis 2000 war er in der Forschungsabteilung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (Gauck-Behörde) tätig. Zahlreiche Buchveröffentlichungen über die DDR und Osteuropa.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2005

Zweierlei Kriegsenden
Hubertus Knabe ist fixiert auf die Gewalt der Roten Armee

Hubertus Knabe: Tag der Befreiung? Das Kriegsende in Ostdeutschland. Propyläen Verlag, Berlin 2005. 390 Seiten, 24,- [Euro].

Im Erleben der Menschen und im Urteil des Historikers nehmen sich Wendepunkte der Geschichte mitunter gegensätzlich aus. Ihre Befreiung aus der Unmündigkeit durch die "Aufklärung" etwa erlebten viele Zeitgenossen eher als Zusammenbruch aller vertrauten Gewißheit. So ist es denn auch nur aus einem sehr flachen Blickwinkel ein Widerspruch, in dem Epochendatum 1945 heute die Befreiung unseres Landes von seinen übelsten Verderbern zu sehen, obwohl die meisten Deutschen die Niederlage ganz und gar nicht so empfanden. Deshalb ist bereits der gedankliche Ansatz von Hubertus Knabe widersinnig, den Richard von Weizsäcker des Jahres 1985 (und seine geschichtsbildprägende Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes) mit dem Stalin des Jahres 1945 (und dem brachialen Vorgehen seiner Truppen und Geheimpolizeien) zu widerlegen - um so mehr, als die Westdeutschen damals auch noch in der Kategorie des "Zusammenbruchs" dachten. Ihnen bot die Weizsäcker-Rede an, den 8. Mai "heute" als Tag der Befreiung aufzufassen. Sie unterschlug nicht die "schweren Leiden", die mit dem Kriegsende "erst begannen und danach folgten". Doch wandte sich der damalige Bundespräsident seinerzeit vornehmlich an die Bürger der alten Bundesrepublik, welche "die kostbare Chance der Freiheit" nutzten, die den Landsleuten im Osten versagt geblieben sei. Fünf Jahre vor der unabsehbaren Wiedervereinigung ging es nicht um gesamtdeutsche Identitätsfindung.

Im überlebten Jargon des Historikerstreits verkündet jetzt der Autor: "An einem einfachen Wort" - Befreiung - "entscheidet sich, wie die später Geborenen die Nachkriegsgeschichte Deutschlands und Europas lesen werden." Behalte das Weizsäcker-Diktum Bestand, dann sei im deutschen historischen Gedächtnis für die Opfer des Kommunismus "kein Platz mehr" - eine erstaunliche Prognose des wissenschaftlichen Direktors der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im zentralen Stasi-Untersuchungsgefängnis, die der steigenden Besucherzahl kaum Herr wird. Der Leser hat es also nicht mit einer zeitgeschichtlichen Untersuchung zum "Kriegsende in Ostdeutschland" zu tun, wie der Titel verspricht, sondern mit einem geschichtspolitischen Bilderbogen. Das einzige, was man Knabe zugute halten kann, ist sein Versuch, konkret zu werden und den Leser nicht mit Erinnerungskulturpalaver zu quälen, das mittlerweile hörbar am intellektuellen Grenznutzen entlangschrammt. Der Verfasser begnügt sich jedoch mit einer analysefreien Aneinanderreihung einer sowjetischen Gewalttat gegen Deutsche an die andere und einer politischen Erpressung in Ostdeutschland an die nächste. Dank der Nichtberücksichtigung maßgeblicher Standardwerke kann er so tun, als purzelten die Denkblockaden der political correctness nun endlich reihenweise.

Knabe weiß natürlich (enthält es seinem Publikum aber vor), daß die Zeitgeschichtswissenschaft von zweierlei extrem unterschiedlichen Kriegsenden in Ost und West spricht; daß die Erforschung des maßlosen stalinistischen Terrors eine ganze internationale Wissenschaftlergemeinde in Lohn und Brot setzt; daß polnische Forscher die Verbrechen bei der Vertreibung der Deutschen unter die Lupe nehmen; und daß kaum jemand bezweifelt, daß Ostdeutschland von Anfang an einer kommunistischen Diktaturdurchsetzung zum Opfer fiel, die im Zusammenspiel von sowjetischen Offizieren und moskaudeutschen Kollaborateuren bewerkstelligt wurde.

Kriegsende und politischer Neubeginn waren mehr als das von Hubertus Knabe angerichtete Haché von Blut und Gewalt. Militärische Gegebenheiten und Entscheidungen, interalliierte Spannungen und innersowjetische Gegenläufigkeiten, wirtschaftliche Zwangslagen, politische Hoffnungen und Blauäugigkeiten, menschliche Beharrungskraft und Anpassung, kulturelle Annäherungen und Abgrenzungen von Siegern und Besiegten - all das kommt nicht vor. Der monothematischen Fixierung auf die Gewalt, die 1945 mit der Roten Armee nach Westen kam (Klappentext: "Die Hälfte Europas kam vom Regen in die Traufe"), entspricht die Voraussetzungslosigkeit, mit der Knabe das Unheil hereinbrechen läßt. Pflichtschuldige Standardformeln ersetzen Hinweise zu der erwähnenswerten Vorerfahrung, wie Deutschland den Osten ausplünderte, ausmordete und über 30 Millionen Bürger aus ihrer Heimat vertreiben wollte. Daß dies geschah, "bevor wir selbst Opfer unseres eigenen Krieges wurden" (so Richard von Weizsäcker), bleibt ebenso ausgeblendet wie die Grundtatsache, daß Hitler von den Westalliierten und der Sowjetunion nur gemeinsam zu besiegen war und die Befreiung vom Nationalsozialismus im Osten deshalb nicht sogleich auch die Grundlagen von Freiheit und Selbstbestimmung schuf, die 45 Jahre später ein demokratisches Gesamtdeutschland ermöglichten. Der intellektuellen Genügsamkeit des Autors entspricht die handwerkliche Sorglosigkeit. Entgegenstehende Forschungsmeinungen werden ignoriert, Zahlenkaskaden nicht belegt; reichlich Fehler gibt es, auch viel Halbwissen, aus Hannah Arendt wird Hannah "Ahrendt".

Ein Beitrag zur Einordnung des Kriegsendes in Ostdeutschland 1945, der persönliches Erleben nicht mit historisch-politischer Deutung verwechselt, müßte aufnehmen, was an Erträgen längst vorliegt. Das war offenbar nicht beabsichtigt. Und so erweist Knabes Buch auch dem Andenken der Opfer des Kommunismus keinen guten Dienst. Die vordergründige Politisierung ihres Leidens beschädigt ihre Würde.

KLAUS-DIETMAR HENKE

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Malte Oberschelp urteilt zwiespältig über das Buch von Hubertus Knabe: Einerseits hat es historische Erkenntnisse zu bieten und ist auf dem neuesten Stand der Forschung, andererseits könnte es der radikalen Rechten Argumentationsfutter liefern, wenn es um die Beurteilung des 8. Mais 1945 geht. Knabe ist eben nicht nur Historiker, der bravourös die stalinistische Willkür im Ostdeutschland der Nachkriegszeit nachzeichnet, die ostdeutschen Lager als "Teil des stalinistischen Gulag" beschreibt und den angeblichen Vorgang der "Entnazifizierung" als staatlichen Terror entlarvt, dem eher zufällig auch Nazis zum Opfer fielen, urteilt Oberschelp, er ist dabei leider auch Ideologe und kann sich nicht verkneifen, den "Vorwurf der Relativierung" durch seine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus geradezu herauszufordern.

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