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Am 1. August 1914 begann ein Krieg, der nicht nur das Antlitz Europas, sondern der Welt veränderte. Das Zeitalter der Extreme, des Gemetzels brach an. Der europäische Kosmopolitismus starb auf den Schlachtfeldern. Dieser erste totale Krieg schonte nichts und niemanden: Alle Bürger der beteiligten Staaten, auch Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle, wurden zu Kombattanten. Ernst Piper hat sich intensiv mit den kulturgeschichtlichen Aspekten des Ersten Weltkriegs befasst und entfaltet ein großes geistiges Panorama dieser Zeit.

Produktbeschreibung
Am 1. August 1914 begann ein Krieg, der nicht nur das Antlitz Europas, sondern der Welt veränderte. Das Zeitalter der Extreme, des Gemetzels brach an. Der europäische Kosmopolitismus starb auf den Schlachtfeldern. Dieser erste totale Krieg schonte nichts und niemanden: Alle Bürger der beteiligten Staaten, auch Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle, wurden zu Kombattanten. Ernst Piper hat sich intensiv mit den kulturgeschichtlichen Aspekten des Ersten Weltkriegs befasst und entfaltet ein großes geistiges Panorama dieser Zeit.
Autorenporträt
Piper, Ernst
Ernst Piper, geboren 1952 in München. Studium der Geschichte, Philosophie und Germanistik in München und Berlin. Seit 2006 Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Er hat zahlreiche zeitgeschichtliche Bücher veröffentlicht, zuletzt 'Nationalsozialismus. Seine Geschichte von 1919 bis heute' (2012). Ernst Piper lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.08.2014

Krieg in den Köpfen
Die Jahre 1914 bis 1918 und das Mentalitätsgefüge der europäischen Intellektuellen

In Ernst Pipers Gesamtdarstellung zum Ersten Weltkrieg stehen nicht die diplomatischen, militärischen oder gesellschaftspolitischen Entwicklungen zwischen 1914 und 1918 zur Diskussion. Vielmehr wird versucht, die Spiegelung des Kriegsgeschehens im Mentalitätsgefüge der europäischen Intellektuellen einzufangen. Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler, auch Künstler und Komponisten werden für Piper zu den eigentlichen Seismographen des im August 1914 einsetzenden Erdbebens. Ihre Debatten dienen ihm zur Rekonstruktion jenes bellizistischen Radikalisierungsprozesses, der damals alle kriegführenden Mächte wie ein Fieberwahn erfasste und internationale Gesinnungen der künstlerischen Avantgarde fast über Nacht atomisierte.

Man staunt über die ernüchternde Tatsache, dass es gerade die Vertreter der kulturellen Moderne gewesen sind, die nicht genug bekommen konnten vom Lobpreis des Krieges als rettender Reinigung, die den Kampf feierten und das Morden zum Fest machten, weil sie - geplagt von Luxusphänomenen wie Normalitätsüberdruss und Saturiertheitsekel - der Illusion einer Fundamentalerneuerung der Menschheit nachjagten. Nicht nur futuristische Gewaltapologeten vom Schlage eines Filippo Tommaso Marinetti oder drittklassige Mobilmachungspoeten wie Ernst Lissauer waren besessen vom apokalyptischen Vernichtungsfuror. Auch besonnenere, um Verständnis und Verständigung werbende Autoren wie Gerhart Hauptmann oder Henri Bergson verfielen einem hemmungslosen Kriegstaumel.

Renommierte Buchverlage stellten ihre Produktion sofort auf schlachtenverherrlichendes Schrifttum um, Vertreter des akademischen Lebens und der Universitäten überboten sich in ihrem Bestreben, die eigenen Kampfziele zu legitimieren und das Anliegen des Gegners zu diskreditieren. Nur wenige Intellektuelle sind diesem Trend damals nicht gefolgt. Einer von ihnen war der französische Schriftsteller Romain Rolland, der sein Engagement gegen den Krieg mit Ausgrenzung und Reputationsverlust im eigenen Land bezahlen musste. Den rigorosesten Restriktionen unterlagen die Pazifisten in Großbritannien. Kein Geringerer als der schon damals angesehene Philosoph Bertrand Russell verbüßte infolge seiner kriegskritischen Äußerungen eine mehrmonatige Kerkerhaft.

Pipers Buch, glänzend geschrieben und spannend erzählt, beschreibt diesen Radikalisierungsprozess sehr bewusst als ein gesamteuropäisches Phänomen. Nationale, einseitig auf Deutschland bezogene Engführungen werden so vermieden. Vielmehr wird ersichtlich, mit welcher Erbitterung alle am Kampf beteiligten Mächte ihren kulturellen Propagandafeldzug organisierten. Die Deutschen unterschieden sich hierin von den anderen lediglich durch ein heute kaum mehr nachvollziehbares Maß an Unprofessionalität. Während Frankreich den Kampf von Anfang an als einen Verteidigungskrieg auf dem Boden des eigenen Landes ausgeben und ihn propagandistisch flankieren konnte, gefiel sich die deutsche Seite in trotzig-empörter Zurückweisung jeglicher Kritik am Vorgehen im Westen.

Dort hatte man durch militärisch völlig sinnlose Aktionen - wie die Zerstörung der Stadt Löwen oder die Beschießung der Kathedrale von Reims - einen enormen internationalen Ansehensverlust hinnehmen müssen, der dem britischen Büro für Kriegspropaganda zum willkommenen Ausgangspunkt einer mit allen Mitteln betriebenen Massenmobilisierung gegen die vernichtungswürdigen deutschen Barbaren diente. Demgegenüber wirkten die deutschen Rechtfertigungsversuche - allen voran der Aufruf "An die Kulturwelt" und die "Erklärung der deutschen Hochschullehrer" - hilflos und ungeschickt. Nichts offenbart den Mangel an Verständnis für die Erfordernisse moderner Propaganda deutlicher als der hartnäckige Widerstand deutscher Stellen gegen die Verwendung von Bildmotiven auf Plakaten, zu der man sich erst im zweiten Kriegsjahr zögerlich entschloss.

Glücklos im Vergleich zu den beiden westlichen Alliierten agierte das Deutsche Reich auch bei der Handhabung des 1914 von allen gesellschaftlichen Kräften getragenen Burgfriedens. In Frankreich und Großbritannien war es bei Kriegsbeginn ebenfalls zu einem nationalen Schulterschluss der unterschiedlichen politischen Lager gekommen. Die "zwei Frankreich", das linke, laizistische, und das rechte, traditionalistische, bisher in erbitterter Feindschaft einander befehdend, hatten sich in der Stunde der Gefahr zur "Union Sacrée" zusammengeschlossen - bei Kriegsbeginn waren sofort einige Sozialisten in die Regierung aufgenommen worden. Die Reichsleitung hingegen hatte das positive Votum der SPD zu den Kriegskrediten mit keinerlei politischen Zugeständnissen honoriert - entsprechend fragil blieb der zunächst vorherrschende innere Konsens, er zerbrach bekanntlich 1917.

Während Frankreich und Großbritannien, innenpolitisch damals keineswegs geringer gefährdet als das Reich Wilhelms II., durch Bildung von Koalitionsregierungen auf breitester Grundlage einen Weg aus der Krise fanden, standen in Deutschland die rechten und linken Flügelparteien in gleichermaßen heftiger Opposition zur Reichsregierung. Hier mündete der einst mit so großen Hoffnungen verbundene Burgfrieden in den Bürgerkrieg zwischen einander tödlich verfeindeten Gruppierungen.

Zu den verhängnisvollsten Folgen der nationalistischen Stimmungsmache auf allen Seiten zählte das von Piper erstmals minutiös rekonstruierte Kappen jener internationalen Verbindungen, die während der Vorweltkriegszeit im akademischen Milieu geknüpft und gepflegt worden waren. Walther Rathenau hatte 1912 mit einigem Recht darauf verwiesen, dass sich die Nationen Europas niemals so nahe gewesen seien, dass sie einander niemals so viel besucht und sich so gut gekannt hätten wie in jenen Jahren. Nun wurden die kulturellen Kontakte abgebrochen, die intellektuellen Netzwerke zerschnitten - verdiente und angesehene deutsche Hochschullehrer in England verloren ebenso ihr Lehramt, wie sie in Frankreich und Russland aus allen akademischen Vereinigungen ausgeschlossen wurden. Sogar die Aufführung deutscher Musik war in Paris und Sankt Petersburg für die Dauer des Krieges verboten. Die mit alledem verbundene Hypothek belastete die Generation der Überlebenden auf präzedenzlose Weise. Massenhafte Gewalterfahrung und ein jahrelang hemmungslos entfesselter Vernichtungswille hinterließen bei allen Nationen, Siegern wie Besiegten gleichermaßen, eine latent aggressive Disposition zum Handeln, die den zurückliegenden Waffengang nur als Vorspiel künftiger, viel gewaltigerer militärischer Auseinandersetzungen empfinden ließ. Der Krieg in den Köpfen hatte bei den meisten europäischen Intellektuellen 1918 überhaupt erst begonnen.

FRANK-LOTHAR KROLL

Ernst Piper: Nacht über Europa. Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs. Propyläen Verlag, Berlin 2013. 587 S., 26,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ernst Piper untersucht in seinem Buch "Nacht über Europa" die "Spiegelung des Kriegsgeschehens im Mentalitätsgefüge der europäischen Intellektuellen" vor und im Ersten Weltkrieg, berichtet Frank-Lothar Kroll, dem die gesamteuropäische Neigung zur Gewaltverherrlichung im Nachhinein wie ein Frühwarnsystem erscheint. Vor allem erstaunt ihn die Unbeholfenheit der Deutschen im Vergleich mit den westlichen Alliierten, wenn es um die Begleitung des Kriegs mit Manifesten und Propaganda ging: während England und Frankreich hochprofessionell ihren "kulturellen Propagandafeldzug" organisierten, verweigerten die deutschen Stellen zum Beispiel bis ins zweite Kriegsjahr hinein noch den Gebrauch von Bildern auf Plakaten, verrät der Rezensent. Auch das innenpolitische Zusammenrücken, dass in anderen Ländern wegen der äußeren Feinde gelang, kam in Deutschland kaum zustande, was schließlich 1917 im Bruch des Konsens mündete, weiß Kroll.

© Perlentaucher Medien GmbH
"'Nacht über Europa' ist ein anregendes Buch über die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.", Radio Schweizer Rundfunk und Fernsehen, SRF 2, Raphael Zehnder, 12.02.2014