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Gefeierte Sänger - Gottlose Gaukler Sie waren gern gesehene Gäste an den Fürstenhöfen und in den Städten: fahrende Sänger, Tänzer und Tänzerinnen, Possenreißer und Akrobaten. Kein Hochzeitsfest, kein Bankett, keine Kirchweih ohne die Auftritte der "jongleurs", der Gaukler und Fiedler, die Farbe und Bewegung in den grauen Alltag brachten. Wolfgang Hartung schildert eingehend die soziale Rolle dieses vielfältigen Berufsstandes, der trotz seiner Erfolge keinen festen Platz in der hierarchischen Gesellschaft des Mittelalters erlangte: Kirche und weltliche Obrigkeit bekämpften die Spielleute als…mehr

Produktbeschreibung
Gefeierte Sänger - Gottlose Gaukler
Sie waren gern gesehene Gäste an den Fürstenhöfen und in den Städten: fahrende Sänger, Tänzer und Tänzerinnen, Possenreißer und Akrobaten. Kein Hochzeitsfest, kein Bankett, keine Kirchweih ohne die Auftritte der "jongleurs", der Gaukler und Fiedler, die Farbe und Bewegung in den grauen Alltag brachten.
Wolfgang Hartung schildert eingehend die soziale Rolle dieses vielfältigen Berufsstandes, der trotz seiner Erfolge keinen festen Platz in der hierarchischen Gesellschaft des Mittelalters erlangte: Kirche und weltliche Obrigkeit bekämpften die Spielleute als ehrlose Verführer zu Sünde und Unmoral. Dies gilt besonders für die zahlreichen Frauen unter dem fahrenden Volk; ihnen hat der Autor ein ausführliches Kapitel gewidmet.
Autorenporträt
Wolfgang Hartung, lehrt als Professor für Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Duisburg-Essen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.12.2003

Das Lob der Diener Satans
Wolfgang Hartung zieht mit den Spielleuten des Mittelalters
„Was nützen der Welt die Redner, die Gelehrten, die Dichter? Was nützen die Schreiberlinge, die Disputierer, die Musikanten? Oder gar die Pantomimen, die Schmierenkomödianten, die Schauspieler oder aber die Trompeten-, Flöten- und sonstigen Rohrbläser? Wozu brauchen wir Wettläufer, Faustkämpfer, Wagenlenker, Kunstreiter, Stelzenläufer, Seiltänzer und Gaukler?” Die törichte Frage nach dem Nutzen von Kultur stammt von Arnobius Afer aus Sicca Veneris in Nordafrika, der um 300 vom Christenfeind zum Anhänger des neuen Glauben konvertierte. Er bricht mit dieser eifernden Verdammung des zweckfreien Spiels von Geist und Körper mit seiner eigenen intellektuellen Herkunft, der Kultur der Antike. Diese Absage steht am Beginn eines Jahrhunderte währenden Misstrauens der Amtskirche gegen die Kunst schlechthin, die nur in Funktion zu treten hatte, sofern sie dem Heilsplan Gottes unmittelbar von Nutzen oder der Demonstration kirchlicher Macht hilfreich war.
Die schlechtesten Karten hatten dabei jene, deren Kunst „nur” der Unterhaltung und Zerstreuung diente: Schauspieler, Musikanten, Akrobaten, Spielleute – Randständige einer streng geordneten Gesellschaft, die ihren Lebensunterhalt als Fahrende verdienen mussten.
In einer gründlichen und materialreichen Untersuchung zeichnet der Duisburger Historiker Wolfgang Hartung soziale Stellung und Lebensumstände jener histriones und joculatores nach, die auf Marktplätzen wie an Adelshöfen auftraten, von Gaben ihres Publikums abhängig waren und nach weltlichem Recht als „unehrliche Leute” galten, denen also gerichtliche Funktionen und städtische Ehrenämter verwehrt blieben. Existentiell bedrohlicher jedoch als die minderrechtliche Unehrlichkeit war die kirchliche Infamierung: Seit dem Frühmittelalters sah man in den spielmännischen Unterhaltungskünstlern Diener Satans, die den Menschen zu verwerflichem Tun animierten. Doch ebenso, wie gerade die Machteliten der Dienste auch anderer unehrlicher Leute – des Henkers beispielsweise – kaum entbehren konnten, nahmen sie auch die der „minderen” Künstler gerne in Anspruch, und selbst Kirchenfürsten wollten auf die Lobreden musizierender Sänger kaum verzichten. Um nachhaltig im Bewusstsein zu bleiben, ist eine gute Presse unabdingbar. Die Sänger waren sich dieser Macht ihrer Kunst durchaus bewusst.
Spielleute, die situationsbezogene Kurzdichtungen, Lob- und Scheltreden vortrugen, sind schon früh bezeugt. Laut Notker Balbulus ließ sich Karl der Große gegenüber einem in Ungnade gefallenen Grafen Ulrich durch die Verse eines scurra umstimmen. Vor der Schlacht von Hastings 1066 suchte der histrio Taillefer das normannische Heer mit einem Lied über die Heldentaten Rolands und Karls zu motivieren. Doch historiographische oder gar archivalische Zeugnisse, wie etwa die Eintragung im Ausgabenregister des Passauer Bischofs Wolfger von Erla, nach der ein gewisser Walthero cantor de Vogelweide 1203 einen Pelzrock als Entlohnung für seine künstlerischen Darbietungen erhielt, sind eher dünn gesät. So muss Hartung sich vorwiegend literarischer Quellen bedienen – Festschilderungen oder Berichte von Sänger- oder Akrobatenauftritten in höfischen Epen –, deren je eigene Realität als Kunstwerk jedoch höchste interpretatorische Behutsamkeit fordert. In fiktionaler Literatur kommt jeder Person, jeder Information ein spezifischer erzählstragischer Ort zu, weshalb sie sich nur bedingt als Fakten-Steinbruch ausbeuten lässt. Ein Kunstwerk hat, anders als andere Quellen, einen durch Interpretation nur schwer einzuholenden Überschuss als künstlerisches Objekt, was Hartung nicht immer bewusst zu sein scheint.
Trompete oder Dudelsack
Obgleich die Fülle des Gebotenen beeindruckend ist – Hartung erörtert die soziale Herkunft der Spielleute und ihre Stellung in der Gesellschaft, berichtet über ihr Publikum und ihre Versuche, die Gefahren der randständigen Existenz durch Organisation in Korporationen und Bruderschaften zu kompensieren –, bleibt letztlich das Bild vom mittelalterlichen Spielmann merkwürdig unscharf. Angehörige vagierender Unterschichten wie Feuerschlucker und Stelzenläufer werden, kaum differenziert, unter dem gleichen Spielmannsbegriff gefasst wie die auf ihre berufsständische „Meisterschaft” pochenden Literaten in höfischen Diensten. Doch war schon unter den Musikanten der soziale Status nicht nur von ihrer Kunstfertigkeit, sondern auch vom Rang des Instruments abhängig: Trompeten galten als vornehmste Instrumente, während der Dudelsack ein weit geringeres Prestige hatte. Und gar nicht in den Blick gerät die für die Entwicklung der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters so wichtige Frage, inwieweit die Spielleute nicht nur reproduktiv, sondern auch schöpferisch mit der von ihnen vermittelten Literatur umgegangen sind, also auch Dichter waren oder nur die Texte anderer vortrugen. Kulturellen „Nutzen” aber hatte ihre über alle Ausgrenzungsmaßnahmen vor allem der kirchlichen Hierarchie siegreiche Kunst allzumal, rettete und bewahrte sie doch musikalische Formen, literarische Texte, körperliche Fertigkeiten.
NORBERT H. OTT
WOLFGANG HARTUNG: Die Spielleute im Mittelalter. Gaukler, Dichter, Musikanten. Artemis & Winkler, Düsseldorf 2003. 366 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Beeindruckend findet Rezensent Norbert H. Ott die Untersuchung des Duisburger Historikers Wolfgang Hartung über die Stellung und Lebensumstände von den Spielleuten im Mittelalter: Musikanten, Komödianten, Kunstreiter und Seiltänzer, Stelzenläufer und Feuerschlucker - sie alle lebten von der Gunst des Publikums, die sich auf Marktplätzen oder an den Adelshöfen finanziell auszahlen musste - und von der Scheinheiligkeit der Kirche, die die Schausteller zwar als Diener Satans verunglimpfte, sich aber auch gern von ihnen belustigen ließ. Als gründlich und materialreich lobt Ott diese Studie, gegen die er aber auch Einwände geltend macht. So ist ihm insgesamt das Bild vom mittelalterlichen Spielmann zu unscharf geblieben, Unterschiede zwischen den einzelnen Professionen, etwa Feuerschluckern und Literaten in höfischen Diensten, werden nicht gemacht, während die Entwicklung einer volkssprachlichen Literatur gar nicht in den Blick gerate, wie der Rezensent moniert.

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