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Ob das Ehrenwort namhafter Politiker oder der Schandpranger im Internet, Ehre spielt auch heute noch eine Rolle im öffentlichen Leben. Doch wie entwickelte sich der Begriff?Scharfsinnig, anschaulich und mit vielen konkreten Beispielen, zeichnet Dagmar Burkhart die unterschiedlichen Ausprägungen der Ehre und ihres Gegenstücks, der Schande nach und entwirft so eine Kultur- und Sittengeschichte vom Mittelalter bis heute. Diese spiegelt auch den deutschen Sonderweg des Begriffs der Ehre wider, in dessen Namen so viel Entehrendes geschah.

Produktbeschreibung
Ob das Ehrenwort namhafter Politiker oder der Schandpranger im Internet, Ehre spielt auch heute noch eine Rolle im öffentlichen Leben. Doch wie entwickelte sich der Begriff?Scharfsinnig, anschaulich und mit vielen konkreten Beispielen, zeichnet Dagmar Burkhart die unterschiedlichen Ausprägungen der Ehre und ihres Gegenstücks, der Schande nach und entwirft so eine Kultur- und Sittengeschichte vom Mittelalter bis heute. Diese spiegelt auch den deutschen Sonderweg des Begriffs der Ehre wider, in dessen Namen so viel Entehrendes geschah.
Autorenporträt
Dagmar Burkhart, geb. 1939, Balkanologin, Slawistin und Volkskundlerin, lehrte als Professorin an der Universität Mannheim.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2007

Bitte, gehen Sie doch vor!
Nach Ihnen, mein Lieber: Dagmar Burkhart über Ehrensachen

Wie entstehen gute Manieren? Die Antwort des kolumbianischen Aphoristikers und programmatischen Reaktionärs Nicolás Gómez Dávila (1913 bis 1994) lautet lapidar: "aus der Übertragung der Umgangsformen gegenüber Höhergestellten auf den Umgang unter Gleichen".

Mit diesem Spruch eröffnet die Kulturanthropologin Dagmar Burkhart ihre "Geschichte der Ehre". Er gibt ihr die Gelegenheit, am bekannten Beispiel des Vortritts auszuführen, welche Welten zwischen den guten Manieren von gestern und dem Ehrverhalten von vorgestern liegen. Was in der modernen Gesellschaft eine Frage der Höflichkeit ist, ist in der Ständegesellschaft eine Frage der Ehre: Vortritt bedeutet Vorrang, und wer ihn verwehrt, lässt es nicht einfach an Anstand vermissen, sondern bricht, wie Brünhild vor dem Dom zu Worms, einen Machtkampf vom Zaun.

Den langen Weg von dieser homogenen, an subtiler und brachialer Symbolik reichen Ehrkultur bis zur modernen Widersprüchlichkeit von rationalistischer Ehrverachtung und übersteigertem Ehrgefühl nachzuzeichnen, nimmt sich die Autorin vor. Entstanden ist ein sprachlich solides und mit bloß zweihundert Seiten handliches Buch, das jedoch thematisch weit ausufert und seinen faszinierenden Stoff einfach nicht in den Griff bekommen will.

Die Probleme beginnen schon beim Aufbau. Nach einer Einleitung, die das semantische Feld der Ehre grob absteckt, folgt ein knapp hundertseitiges Kapitel zur Geschichte der Ehre in Deutschland vom Mittelalter bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, dessen innere Gliederung den Blick auf die langfristigen Konstanten und Variablen des Ehrverhaltens eher verstellt als erhellt. So kommt das auf dem Umschlagbild groß angekündigte Thema des Duells in drei verschiedenen Unterkapiteln zur Sprache, wodurch der Eindruck entsteht, die Duellkritik habe erst mit der Aufklärung richtig eingesetzt. Anschließend widmet sich die Autorin der "Entwicklung des Ehrbegriffs seit 1945", wiederum in nationaler Perspektive, wobei sie zu Beginn die bei diesem Thema zentrale Theoriediskussion nachreicht und danach im Galopp durch Politik, Justiz, Wirtschaft, Kultur, Sport, Medien, Kirche und Nation prescht - und die Frage nach der Funktionalität der Ehre in der Nachkriegsgesellschaft fast auf der Strecke lässt. Erst ganz zum Schluss geht der Blick über Deutschland hinaus und überfliegt, eine absteigende zivilisatorische Kurve ziehend, Russland und die "Honour and Shame"-Gesellschaften der islamischen Welt; hier erst sieht Burkhart den Moment gekommen, den Zusammenhang von Ehre und Geschlecht anzusprechen, als sei er in der westeuropäischen Kultur irrelevant.

Die Schwierigkeiten beim Aufbau verweisen auf tiefer greifende Defizite methodischer und inhaltlicher Art. Warum die Autorin bei der Universalität ihres Themas eine größtenteils nationalgeschichtliche Betrachtung wählt, bleibt ihr Geheimnis. Generell hält sie sich mit Erläuterungen zu ihrem Vorgehen zurück und zieht es vor, alle möglichen Aspekte zu streifen, die mit der Ehrthematik in Berührung kommen. Dabei spricht sie auch eine Vielzahl literarischer Werke an, interpretiert aber kaum eines. Überrascht stößt man auf ein "erstes Handbuch für Hofleute" aus der Feder des Enea Silvio Piccolomini, das bei der Einführung des Hofzeremoniells an der Kurie wichtig gewesen sein soll, aber nicht einmal Spezialisten des Humanistenpapstes bekannt ist. Wenn dann auch noch Baldassare Castiglione, der in seinem berühmten Dialog über den "Hofmann" unterschiedliche Rollenideale diskutieren lässt, ohne selber Position zu beziehen, als "Ideologe" etikettiert wird, stellen sich vollends Zweifel ein, ob die Autorin die Literatur kennt, die sie bespricht.

Dagmar Burkharts Interesse für die Ehrthematik liegt die Überzeugung zugrunde, dass "eine Wiederentdeckung der Ehre", wie sie Peter Berger zitiert, "in der künftigen Entwicklung der modernen Gesellschaft sowohl empirisch plausibel als auch moralisch wünschenswert ist". Zwischen den Zeilen lässt sich lesen, dass der Autorin dabei namentlich die "innere Ehre" im bürgerlichen Sinn einer autonomen Selbstachtung und Selbstdisziplin vorschwebt; so stellt sie für die Frühe Neuzeit die Diagnose einer "Überschätzung äußerer Ehre" und zollt den Aufklärern Applaus für ihre "Neubewertung" des Gegensatzes von Geburts- und Tugendadel "aus rationaler Einsicht in das Wesen des Ehrbegriffs".

Damit scheint sie sich unter die Apostel der "Neuen Bürgerlichkeit" einreihen zu wollen, die die Lösungen für morgen in Illusionen von gestern suchen. Politisch mag das minder problematisch, ja manchmal gar erheiternd sein, wissenschaftlich dagegen ist es bedenklich. Indem Dagmar Burkhart der individualistischen Ideologie einer in aufrichtiger Selbstprüfung wurzelnden Ehrenhaftigkeit aufsitzt, ist sie außerstande, den Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Ehrkultur zu analysieren. Die von der "äußeren Ehre", der Reputation, abgekoppelte "innere Ehre" ist zugleich Untersuchungsobjekt und analytische Kategorie, was jeder kritischen Befragung den Boden entzieht.

Die bürgerliche Doktrin der inneren Ehre hat nicht, wie es ihre alten und neuen Anhänger gern hätten, zu einer Befreiung aus dem Korsett der ständischen Zeremonialkultur geführt, sondern zu ihrer Übersteigerung durch Internalisierung. Lessings Dramen sind dafür exemplarisch, und es verwundert wenig, dass seine "Emilia Galotti" mit ihrer solipsistischen Ehrdoktrin beim aristokratischen Theaterpublikum Gelächter ausgelöst hat. Der "Bienenfabulator" Mandeville war der Sache auf der Spur, traf aber nicht den Kern, als er die innere Ehre als Schimäre qualifizierte, "erfunden von Moralisten und Politikern". Am Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft wandelte sich die Ehre weniger von einem kollektiven zu einem individuellen als von einem transparenten zu einem latenten Kontrollinstrument. Umso wirksamer konnte sie die neuen Machtverhältnisse zementieren.

Insgesamt ist Dagmar Burkharts "Geschichte der Ehre" ein Warnsignal, das anzeigt, was der Kulturanthropologie droht, wenn sie mit dem hegemonialen Anspruch einer Dachwissenschaft auftritt. Sie kann dabei zu einem Gemischtwarenladen ohne eigenes Sortiment verkommen, der sein Angebot von allen möglichen Produzenten bezieht, es aber keiner gründlichen Qualitätskontrolle unterzieht. Das breite Publikum kümmert das vielleicht wenig, Feinschmecker aber werden sich anderswo verköstigen.

CASPAR HIRSCHI

Dagmar Burkhart: "Eine Geschichte der Ehre". Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007. 248 S., 11 Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Caspar Hirschi ist das Buch ein "Warnsignal": Was einer sich als Dachwissenschaft verstehenden synthetisierenden Kulturanthropologie droht, sieht er in der Arbeit von Dagmar Burkhart realisiert: Eine methodisch wie inhaltlich defizitäre Wissenschaft. Hirschi erkennt die Problematik "schon beim Aufbau" des Buches, einer nur schwer nachvollziehbaren Gliederung, die sich in ihm rätselhaft erscheinenden methodischen Prämissen und inhaltlichen Fragwürdigkeiten spiegelt. Ob die Autorin beispielsweise die Literatur kennt, "die sie bespricht", möchte Hirschi gar bezweifeln. "Bedenklich" wird es für ihn, wenn die Autorin der "Doktrin der inneren Ehre" aufsitzt und Untersuchungsobjekt und analytische Kategorie miteinander verschmelzen. Die angepeilte Analyse des Übergangs von der ständischen zur bürgerlichen Ehrkultur erscheint Hirschi unter diesen Voraussetzungen geradezu unmöglich.

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