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Macht und Demokratie in der CDU - Reichart-Dreyer, Ingrid
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Der Zusammenhang zwischen Macht und Demokratie wird am Beispiel der Diskussion zu einem neuen Grundsatzprogramm der CDU untersucht. Es wird gezeigt, wer den Prozess der Meinungsbildung organisierte, wie er ablief und welche Konsequenzen dies für die programmatischen Aussagen und für die Aufgabenerfüllung einer politischen Partei hatte. Dazu wird herausgearbeitet, wie das Parteiverständnis der Agenten die Verfahrenswahl bestimmte und wie über die Organisation der Meinungsbildung die Inhalte determiniert wurden. Abschließend wird darauf eingegangen, wie Parteien ihre Aufgaben, die…mehr

Produktbeschreibung
Der Zusammenhang zwischen Macht und Demokratie wird am Beispiel der Diskussion zu einem neuen Grundsatzprogramm der CDU untersucht. Es wird gezeigt, wer den Prozess der Meinungsbildung organisierte, wie er ablief und welche Konsequenzen dies für die programmatischen Aussagen und für die Aufgabenerfüllung einer politischen Partei hatte. Dazu wird herausgearbeitet, wie das Parteiverständnis der Agenten die Verfahrenswahl bestimmte und wie über die Organisation der Meinungsbildung die Inhalte determiniert wurden. Abschließend wird darauf eingegangen, wie Parteien ihre Aufgaben, die gesellschaftlichen Probleme rechtzeitig zu erkennen und die notwendigen Entscheidungen durch konsensgetragene Lösungsvorschläge vorzubereiten, lösen können.
Autorenporträt
Dr. Ingrid Reichart-Dreyer ist Privatdozentin am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Kitt für die Partei
Wie entstand das Grundsatzprogramm der CDU von 1994?

Ingrid Reichart-Dreyer: Macht und Demokratie in der CDU. Dargestellt am Prozeß und Ergebnis der Meinungsbildung zum Grundsatzprogramm 1994. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2001. 318 Seiten, 58,- Mark.

Parteien sind lernende Organisationen, die professionell den Machterwerb managen. Bei aller Kritik an manch augenfälliger Behäbigkeit der klassischen Mitglieder- und Volkspartei haben sie sich dennoch angesichts unkalkulierbarer Wählermärkte beweglich gezeigt. Die Langsamkeit der Parteien in der Aktualisierung ihrer jeweiligen Grundsatzprogramme hängt mit ihrem Selbstverständnis zusammen. Wenn eine Partei mehr sein will als ein gerade regierender Wahlverein, dann bedarf es eines gemeinsamen Werte-Fundamentes. Wer somit Grundsatzprogramme fortschreiben möchte, muß mit grundlegenden Identitätsdiskussionen rechnen.

Schon dies deutet an, wie sehr die Parteiführung gefordert ist, um solche Aktualisierungsprozesse machttaktisch zu kanalisieren. Es verwundert deshalb keineswegs, daß es zu einem der zentralen Ergebnisse von Ingrid Reichart-Dreyer gehört, Helmut Kohl eine absolut dominante Rolle im Arbeitsprozeß des CDU-Grundsatzprogramms von 1994 zuzuschreiben. Von einem normativen Standpunkt aus kritisiert die Verfasserin allerdings häufig diese Funktionalisierung der Parteiarbeit, die offenbar ihrem Bild von innerparteilicher Demokratie nicht ganz entspricht.

Das alte Programm von 1978 bedurfte nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der deutschen Einheit einer drastischen Überarbeitung. Bundeskanzler Kohl übertrug als Parteivorsitzender zunächst 1991 die Leitung der Programm-Kommission auf Lothar de Maizière. Als dieser der Politik den Rücken kehrte, setzte Kohl den jungen Reinhard Göhner ein - damals Staatssekretär im Justizministerium. Er war aus Sicht Kohls leichter einzubinden als sein ehemaliger Stellvertreter de Maizière. Nicht die Bundesgeschäftsstelle organisierte die Programmarbeit, sondern ein neu eingerichteter Arbeitsstab.

Kohl hegte nach der Zerschlagung des innerparteilichen Widerstandes auf dem Bremer Parteitag 1989 weiterhin Mißtrauen gegenüber der Parteizentrale. Aus dem Kanzleramt heraus hielt er über ein engmaschiges personalisiertes Netz in jeder Phase der Diskussionen um das Grundsatzprogramm die Fäden in der Hand. Dabei griff er praktisch nie aktiv in die Debatte ein, sondern vermittelte eher den Eindruck des Moderators. Gegenüber de Maizière soll Kohl gesagt haben: "Mach mir ein anständiges Programm, mit dem ich die Wahl gewinnen kann." Für den Parteivorsitzenden war die Kommissionsarbeit ein Instrument des politischen Machterhalts. Für die Verfasserin sollte eine Programmarbeit jedoch primär auf das Gemeinwohl zielen und das Ergebnis umfassender Meinungsbildung sein.

Nach Auswertung der Kommissionsakten, der Sitzungsprotokolle und vielen Gesprächen kann die Verfasserin die langwierigen Verfahren in den unterschiedlichsten Partei-Kommissionen intensiv analysieren, die alle der schwierigen Vorgabe folgten, am Ende in ein gemeinsames mehrheitsfähiges Papier einzumünden. Für die Parteienforschung hat sie somit eine wichtige Lücke geschlossen. Denn innerparteiliche Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse werden in der deutschen Politikwissenschaft in den letzten Jahren eher vernachlässigt.

Parteienforschung ist häufig auf Wahlsoziologie begrenzt. Das Buch leidet jedoch daran, daß gleichzeitig zwei Themen behandelt werden. Denn die Autorin möchte gleichzeitig fragen, ob die Grundsatzprogrammarbeit die gesellschaftlichen Probleme in Deutschland hinreichend widerspiegelt. Sie verkennt dabei, daß dies gar nicht die Absicht solcher Grundsatzkommissionen ist. Primär dient die Programmarbeit in den politischen Parteien weniger dem Außen- als dem Inneneffekt. Innerparteilich soll eine Mobilisierung erreicht werden. Unzählige Gremien von der Bundes- bis zur Ortsebene sind zu beteiligen. Mobilisierung über Themen soll den Kitt der Partei ausmachen und die kommenden Wahlchancen erhöhen.

Die Verfasserin baut auf den ersten 90 Seiten ein wissenschaftliches Verständnis von Parteien auf, durch das eine gesellschaftliche Steuerung über Parteiprogramme möglich sein sollte. Die CDU hat - daran gemessen - ihre Chance verpaßt. An so einem hohen Anspruch gemessen, können die Parteien allerdings nur Verlierer im medienpolitischen Wettbewerb sein. Das Idealbild einer Partei kann mit dem Realbild der CDU nicht übereinstimmen, weil die Mediendemokratie längst viele Funktionen der klassischen Parteien übernommen hat. Hinzu kommen Machterhalt-Strategien, die eine ausufernde, höchst kontroverse innerparteiliche Streitkultur gerade zu verhindern haben. Die Wertungen in diesem Buch sind somit kritisch zu kommentieren.

KARL-RUDOLF KORTE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Karl-Rudolf Korte hat die Autorin eine Lücke in der Parteienforschung geschlossen, auch wenn Korte ansonsten nicht allen Schlussfolgerungen der Wissenschaftlerin zustimmen mag. Bewundernswert ihr intensives Studium der Sitzungsprotokolle und Kommissionsakten, die zu einer Neuformulierung eines politischen Grundsatzprogramms dazugehören; fraglich dagegen ihr wissenschaftliches Verständnis von Parteien, wonach Parteiprogrammen eine gesellschaftliche Steuerungsfunktion zugesprochen wird. Diesbezüglich habe die CDU ihre Chance verpasst, schreibt der Rezensent, meint aber, dass dies das Idealbild einer Partei wäre, dem keine gerecht werden könnte. Seiner Meinung nach hat die Arbeit einer Grundsatzkommission mehr "Innen- als Außeneffekt", dient zur Mobilisierung der Basis. Doch auch diesbezüglich trifft die Autorin eine Aussage, wie Korte an anderer Stelle schreibt: Helmut Kohl habe den Arbeitsstab für ein neues Grundsatzprogramm funktionalisiert. Von innerparteilicher Demokratie also keine Spur.

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