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Der Band enthält eine repräsentative Auswahl aus Liliencrons umfangreichem Gesamtwerk: Gedichte aus allen Lyriksammlungen von den "Adjutantenritten" (1883) bis zu dem von Richard Dehmel herausgegebenen Nachlassband "Gute Nacht" (1909), elf Erzählungen, das seit seiner Erstpublikation 1887 nicht mehr gedruckte zweiaktige Genrebild "Arbeit adelt" sowie - erstmals in einer Liliencron-Edition - den vollständigen Text des Versepos "Poggfred" in der Fassung der ersten Buchausgabe von 1896. Liliencron hat dieses Epos als sein Hauptwerk angesehen. Ein Nachwort des Herausgebers und ein Glossar mit den…mehr

Produktbeschreibung
Der Band enthält eine repräsentative Auswahl aus Liliencrons umfangreichem Gesamtwerk: Gedichte aus allen Lyriksammlungen von den "Adjutantenritten" (1883) bis zu dem von Richard Dehmel herausgegebenen Nachlassband "Gute Nacht" (1909), elf Erzählungen, das seit seiner Erstpublikation 1887 nicht mehr gedruckte zweiaktige Genrebild "Arbeit adelt" sowie - erstmals in einer Liliencron-Edition - den vollständigen Text des Versepos "Poggfred" in der Fassung der ersten Buchausgabe von 1896. Liliencron hat dieses Epos als sein Hauptwerk angesehen. Ein Nachwort des Herausgebers und ein Glossar mit den nötigsten Sacherläuterungen beschließen das Buch. Detlev von Liliencron = Friedrich Adolf Axel Freiherr von Liliencron; geb. 3. Juni 1844 in Kiel; gestorben 22. Juli 1909 in Alt-Rahlstedt (ab 1937 ein Teil von Hamburg)
Autorenporträt
Dr. Walter Hettche, geb. 1957 in Offenbach am MainStudium der Germanistik und Anglistik an der Universität München1983 Staatsexamen1985 Promotion über Heinrich von Kleists LyrikAkademischer Oberrat am Institut für Deutsche Philologie der Universität MünchenPublikationen zur deutschen Literatur des 18.-20. Jahrhunderts (Gleim, Hölty, Goethe, Stifter, Storm, Fontane, Raabe, Liliencron, Britting, Eich u. a.)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2009

Ein ganzer Kraftkerl für die Kunst

Propheten rechts, Propheten links, das Weltkind in der Mitten: Eine neue Auswahl aus seinem Werk zeigt den Dichter Detlev von Liliencron als einen Begründer der Moderne.

Von Heinrich Detering

Vor bald hundert Jahren ist er gestorben, am 22. Juli 1909. Selbst Liebhaber der Lyrik kennen Detlev von Liliencron heute oft allenfalls noch aus den Bennschen Versen, die sich bei Nennung seines Namens unfehlbar einstellen: "Damals war Liliencron mein Gott, / ich schrieb ihm eine Ansichtskarte."

Freundlich und ironisch klingt das, Erinnerung an eine vergangene und überwundene Liebe. Aber was sollten die Poeten der Morgue und der expressionistischen Ekstasen, was sollten erst recht dann die Generationen der Zwischen- und Nachkriegszeiten auch anfangen mit einem Dichter der Kaiserzeit, der bis an sein Lebensende ein Royalist blieb, der gern als aristokratischer Draufgänger und säbelrasselnder Frauenheld auftrat und dessen Novellen, bei unbestrittener literarischer Eleganz, mit Vorliebe Kriegsszenen des neunzehnten Jahrhunderts schilderten? Es war begreiflich, dass Zeiten, die ganz andere Kriege zu erleben begannen, Liliencrons Dichtung befremdlich fanden, verständlich sogar, dass ihr Verfasser mit nachlassender Leseerfahrung in den Ruf eines aus der Mode gekommenen lyrischen Haudegens geriet, dessen Schatten in der Ferne des Fin de Siècle verblasste.

Wären da nicht beharrlich die Stimmen von Lesern gewesen, die ganz anderes in Liliencrons Dichtungen wahrnahmen und auf die Dauer nicht zu überhören waren: Diesen gewissen "Hauch von Genie" bewundere er an Liliencron, schrieb Hofmannsthal, "so wundervoll, so überaus wundervoll". Aber Hofmannsthal und ein preußischer Hauptmann, wie passte das zusammen? Und Rilke, der nicht müde wurde zu betonen, dass er ohne Liliencrons Vorbild und Förderung nie seinen Weg gefunden hätte? Und gar Karl Kraus, der die Verse dieses Dichters, der in so vieler Hinsicht doch ganz und gar sein Antipode sein musste, zu Vorbildern eines poetisch genauen Sprachgebrauchs erklärte? Es waren Leser wie diese, die zuerst hinter der derben Geste die Schattierungen dieser Dichtung entdeckten, hinter dem Kraftkerl die Kunst. Dieser Liliencron war einer der wenigen, mit denen in Deutschland die Lyrik der Moderne begann.

Schon zum Vorzeigepreußen taugte der 1844 in Kiel geborene Hauptmann der Kriege von 1866 und 1870/71 denkbar schlecht. Wegen notorischer Spielschulden verarmt, war er 1875 in die Vereinigten Staaten ausgewandert und hatte sich dort unter anderem als Pianist und Klavierlehrer durchgeschlagen, hatte nach seiner Rückkehr dann diverse Verwaltungsämter in seiner Heimat bekleidet, ehe er 1885 wegen erneuter Schulden aus dem Staatsdienst entlassen und wohl oder übel zum freien Schriftsteller wurde. Als Inselvogt hatten die Behörden ihn auf das entlegene Pellworm versetzt; als "Tanzbaron" machte er dort Epoche. Ein preußischer Offizier sah anders aus als dieser verarmte Adlige. Und obendrein schrieb er auch noch Gedichte.

Schon 1883 war sein Debüt erschienen, unter dem Titel "Adjutantenritte". Doch wer da vom dichtenden Hauptmann Kriegspathos und Patriotismus erwartet hatte, fand sich mit sehr anderen Themen und Tonfällen konfrontiert. "Schwalbensiciliane" war eines der Gedichte überschrieben, und genauso klang es dann auch, artistisch und sanft beschwingt, mit einer irritierenden Mischung aus Zartheit und lakonischer Präzision. In eindringlicher Beobachtungsschärfe entwickelt Liliencrons Poesie von diesem Beginn an das, was seine Zeitgenossen "Sekundenstil" nannten. Sein berühmt gewordenes Gedicht über eine Fahrt mit dem Vierergespann gibt dafür das schönste Beispiel. "Four in hand" heißt es, und es erzeugt ein bewegtes Bild aus nichts als minutiös protokollierten Sinneseindrücken, fragmentierten Details, die sich zum flüchtigen Mosaik fügen, in zwei makellos knappen und lakonischen Strophen: "Vorne vier nickende Pferdeköpfe, / Neben mir zwei blonde Mädchenzöpfe, / Hinten der Groom mit wichtigen Mienen, / An den Rädern Gebell. // In den Dörfern windstillen Lebens Genüge, / Auf den Feldern fleißige Eggen und Pflüge, / Alles das von der Sonne beschienen, / So hell, so hell."

In seinen Gedichten findet Liliencron immer neue Formeln für die Feier des Flüchtigen und für die Flüchtigkeit dieser Lebensfeier. "Acherontisches Frösteln" lautet eine Überschrift, und ein Kehrvers wie "Flußüberwärts singt eine Nachtigall" resümiert die Mischung aus Melancholie und Süße, die eine lyrische Generation (und was für eine!) bezaubert hat. Sein humoristisches Versepos "Poggfred" eröffnete er mit den Versen: "Dies ist ein Epos mit und ohne Held, / Ihr könnts von vorne lesen und von hinten." Wird endlich doch ein "Siegesfest" besungen, dann kontrastiert das Gedicht den obligatorischen Jubel der ersten Strophe ("Flatternde Fahnen / Und frohes Gedränge. / Fliegende Kränze / Und Siegesgesänge") mit einer hart gegenläufigen zweiten: "Schweigende Gräber, / Verödung und Grauen. / Welkende Kränze, / Verlassene Frauen."

Keine Frage, dass Liliencron sein soldatisches Image weiterhin hingebungsvoll bediente. Aber es war doch nur eine der Rollen, in denen er, halb Dichter, halb dreidimensionales Gesamtkunstwerk, öffentlich auftrat, Rollen in einem ganz buchstäblichen Sinne. Derselbe, der beharrlich versicherte, noch sein letzter Seufzer werde ein "Es lebe der Kaiser!" sein, stellte sich in einem Brief vom Januar 1900 übermütig so vor: "Haremswächter, Seiltänzer, Bauchredner, höherer Magiker, Flohtheaterbesitzer, Wahrsager, Zirkusdirektor, Feuerfresser, Messerschlucker, Lebende-Kaninchen-Verschlinger, Doktor Eisenbart, Schlangenmensch, vereidigter Brettlspringer, Akrobat, Verwandlungskünstler, der nicht Dagewesene am Reck, Clarinettenvirtuose, Champion of the World!"

Als Rezitator auf Vortragstournee, als Selbstdarsteller an den diversen Treffpunkten der Münchner wie der Berliner Moderne muss er eine eindrucksvolle Figur gewesen sein. Zwischen den ätherischen Propheten der Kunstreligion und den ekstatischen "Kosmikern", den George-Jüngern und dem irrlichternden Wedekind gab er den robusten und kerngesunden Vitalisten: Propheten rechts, Propheten links, das Weltkind in der Mitten.

Tatsächlich hatte die Welt einen Akrobaten wie ihn noch nicht gesehen. Der nicht Dagewesene schrieb gewissermaßen mit links Verse, die sich geschmeidig in den schwierigsten Formen bewegten; er schrieb sie jederzeit und mit leichter Hand, in Briefen und Büchern wie fürs "Überbrettl". Und wie die Rondelle und Sizilianen, Ritornelle, Balladen, Sonette und Ghaselen, so machte er auch Verse, die kunstvoll unbeholfen und in schlitzohriger Treuherzigkeit hopsten oder humpelten: ein moderner Artist, der, wenn es ihm beliebte, jederzeit wieder "naiv" werden konnte. Das Wort vom "multiplen Ich" hat er, ausgerechnet und mit vollem Recht er, mit Nachdruck auf sich selbst bezogen.

Dass ihm Lyrik und Kurzprosa so leicht fielen, verführte ihn manchmal zu sorgloser Produktivität; sein Genie war nicht zu haben ohne das Genialische. Die beständige Geldnot des Zechers, des notorischen Frauenhelden und Spielers, der nicht selten ums schiere Überleben dichten musste, tat ein Übriges. Weil ihm alles so leicht fertig wurde, wurde manches zu leichtfertig. Seine Vorliebe für die rasch hingetuschte Skizze entsprang aber auch aus tiefem Misstrauen gegenüber den lyrischen Ölgemälden der wilhelminischen Prunkpoesie. Wenn das kalkuliert Flüchtige gelang, wurde es zum zartesten Ausdruck des Impressionismus, den die deutschsprachige Poesie hervorgebracht hat.

Weltgewandert und neugierig, schrieb dieser Dichter über Gegenstände, die vielen Zeitgenossen kaum vom Hörensagen bekannt waren. "Auf dem Broadway" heißt eines seiner Gedichte; von der Schockerfahrung der kapitalistischen Metropole ist es so durchdrungen, dass Liliencron ihm rasch eine zweite, aller Ortsangaben entledigte und ganz auf das eskapistische Heimwehmotiv gestimmte Fassung nachschob. Daheim in Deutschland nahm er die sprachlichen Konsequenzen von Medien wahr, die sich gerade erst zu entwickeln begannen. So in "Durchs Telephon", einem Gedicht über verratene Liebe, rätselhaft in seiner elliptischen Motivfügung wie in seiner ganz neusachlich anmutenden Kühle und plausibel erst, wenn man es sich durchs Telefon gesprochen vorstellt, abgerissen und eilig und mit dem wütenden Einhängen des Hörers im letzten Vers, einem Wort nur: "Schluss!" Im Jahr 1903 ließ Liliencron das drucken; mit einem verblüffenden Gespür für das, was in der modernen Luft lag.

So nah der sensible Vitalismus dieses Lyrikers in mancher Hinsicht Nietzsche steht - er gibt sich doch demonstrativ untragisch, alltagszugewandt, leichtfüßig und lieber zu salopp als zu pompös und wurde ebendeshalb von einer skeptischen neuen Generation geliebt. Denn mochte das Image des Autors schneller als erwartet anachronistisch geworden sein, seine Darstellungskunst war es nicht. Im Gegenteil. Wer verfolgen will, wie aus der naturalistischen Sinnlichkeit und Beobachtungsschärfe die Formkunst von Impressionismus und Symbolismus hervorging, der kann das hier anschaulicher studieren als irgendwo sonst in der frühen Moderne. In einem ganz wörtlichen Sinne hätte es ohne diesen Liliencron wohl wirklich keinen Rilke gegeben (und wenn doch, dann möchte man sich das Ergebnis lieber nicht vorstellen).

Das heimliche Emblem dieser sinnlichen, aller neuromantischen Metaphysik fernen Poesie ist der Schmetterling. "Behaglich treibt der Schmetterling", wenn die Natur in der Sommerhitze brütet. Wenn in dem Gedicht "Die Musik kommt", einer der Glanznummern des Liliencronschen Repertoires, die Militärkapelle mit Tschingderassabum durch die staunende Kleinstadt marschiert ist, dann schließt als Nachzügler ein gaukelnder Schmetterling den Zug ab, freundliches Gegenbild zum wilhelminischen Pomp, der sich mit seinem Erscheinen vollends zu einem ästhetischen Spiel verflüchtigt, in dem es "munter durcheinander schmetterlingt". Auch wenn sich nach einem kläglich leblosen Gottesdienst die Türen der Dorfkirche endlich öffnen, erscheint wieder das luftige Leitmotiv: "Amen, Segen, Türen weit, / Orgelton und letzter Psalter. / Durch die Sommerherrlichkeit / Schwirren Schwalben, flattern Falter." Und wie sie schwirren und flattern, das machen die Alliterationen hörbar; für einen Moment werden Schmetterling und Gedicht eins.

Der Abscheu vor den abgenutzten Vokabeln der Goldschnittpoesie und vor jeder Art von falschen Tönen lässt den heimlichen Ästhetizisten die Reize der Umgangssprache entdecken, den Jargon, den derben Scherz ebenso wie die unverhofft zarte Wendung. Lieber reimt er "Lilienkrone" auf "Pferdebohne", als dass er den Namen seines Geschlechts neuromantischen Effekten dienstbar machte. Und doch, wie die Naturalisten, die ihn gern zu den Ihren gezählt hätten und zu denen er höflichen Abstand hielt, so hatten auch die Konservativen an ihm einen, auf den sie nicht bauen konnten, weder politisch noch literarisch. Ein ohnehin übersichtlich bemessenes kaiserliches Stipendium für den allzeit Verschuldeten - ein "Gnadengehalt" nannte es der Hof - drohte man ihm wegen "Liebäugelns mit der Sozialdemokratie" wieder zu entziehen, ein Vorgang, über den Thomas Mann sich öffentlich als einen Vorgang mokierte, der "als Dokument für den deutschen Kulturstand zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts aufbewahrt zu werden verdient bis in fernste Zeiten". Ebendarum aber wurde sein sechzigster Geburtstag 1904 zu einer Art nationaler Feier. Über zweitausend Gäste versammelten sich in Hamburg zu seinen Ehren; in Weimar richteten Richard Dehmel und Harry Graf Kessler eine Feier im Nietzsche-Archiv aus, und Zeitschriften wie die "Jugend" veröffentlichten Sondernummern. Im Rückblick fällt auf, dass es da weniger die alten Eliten waren, die ihn feierten, als vielmehr eine neue Generation, die Arbeiterbewegung und die jungen Dichter.

Zum Jahrhundertjubiläum nun macht der Münchner Germanist Walter Hettche in einer erfrischenden, das Kanonische klug mit Neuentdeckungen verbindenden Leseausgabe Liliencrons Dichtung umfangreich wieder zugänglich, philologisch präzise und ohne gelehrten Ballast. Eine Auswahl aus den acht Gedichtbänden, ein sentimentales Dramolett aus New York und gut hundert Seiten der schönsten Prosastücke - was will man mehr? Vom "Poggfred" - "diesem göttlichen Feuilleton von einem Epos, diesem leichtesten, glücklichsten, kecksten, freiherrlichsten Gebilde der modernen Literatur", wie Thomas Mann damals schrieb - bringt Hettche die erste Fassung vollständig, schon dies ist rühmenswert.

"Vielleicht nach hundert Jahren Schicht / Zieht ein Professor dich ans Licht", hat Liliencron geschrieben. Tatsächlich ist nun, ein Jahrhundert nach seinem Tod, der Dichter Liliencron wieder zu entdecken, dieser sanfte Haudegen, kaiserliche Modernist und champion of the world. Es ist ein Vergnügen.

Detlev von Liliencron: "Ausgewählte Werke". Herausgegeben von Walter Hettche. Wachholtz Verlag, Neumünster 2009. 592 S., Abb., geb., 28,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jens Malte Fischer empfiehlt den von Joachim Kersten und Friedrich Pfäfflin herausgebenen, mit einem ausführlichen Dichter-Porträt und leserfreundlichen Sachkommentaren versehenen Band allen Lesern mit Interesse für den Literaturbetrieb um 1900, für Karl Kraus natürlich und für den nahezu vergessenen Detlev von Liliencron sowieso. Liebevoll erscheint ihm die Edition, die ihm die Beziehung der beiden Literaten zueinander in ihrer ganzen Bedeutung nachvollziehbar macht. Nicht allzu umfangreich, wie Fischer anmerkt, bietet der Briefwechsel einen "fesselnden" Einblick in den literarischen Betrieb der Zeit, in Liliencrons prekäre finanzielle Lage und Krausens Zuwendung und Sympathie.

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