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Der Sturz Napoleons 1814 war ein Wendepunkt in der europäischen Geschichte. Nach einem Vierteljahrhundert revolutionärer Erhebungen war er die wichtigste Voraussetzung für die Restauration der alten Monarchien, die von Paris aus ihren Siegeszug durch Europa antrat. Volker Sellin schildert die entscheidenden Wochen nach der militärischen Niederlage Frankreichs und der Absetzung Napoleons durch den Senat im April 1814. In dem Konflikt zwischen dem Senat, der von der Souveränität der Nation ausging, und Ludwig XVIII., der dem Prinzip der dynastischen Legitimität verpflichtet war, konnte sich der…mehr

Produktbeschreibung
Der Sturz Napoleons 1814 war ein Wendepunkt in der europäischen Geschichte. Nach einem Vierteljahrhundert revolutionärer Erhebungen war er die wichtigste Voraussetzung für die Restauration der alten Monarchien, die von Paris aus ihren Siegeszug durch Europa antrat. Volker Sellin schildert die entscheidenden Wochen nach der militärischen Niederlage Frankreichs und der Absetzung Napoleons durch den Senat im April 1814. In dem Konflikt zwischen dem Senat, der von der Souveränität der Nation ausging, und Ludwig XVIII., der dem Prinzip der dynastischen Legitimität verpflichtet war, konnte sich der König durchsetzen, weil er weitgehende liberale Zugeständnisse machte. Die Restauration der Bourbonen hatte also ein Janusgesicht, das die gesamte Epoche der Restauration nicht nur in Frankreich prägen sollte. Die dramatischen Ereignisse von 1814 zeigen, wie neben strukturellen Bedingungen das Handeln einzelner Persönlichkeiten wirksam wurde: Denn ohne Napoleon und Zar Alexander, ohne Met ternich, Talleyrand und Ludwig XVIII. wäre die Geschichte Europas anders verlaufen.
Autorenporträt
Dr. Volker Sellin ist em. Professor für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg und Autor programmatischer Beiträge zur Mentalitätsgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2001

Wer achtzehn sagt, macht das Verfassungsspiel
Der König raubt der Revolution letzten Stich: Volker Sellin zeichnet den restaurativen Buben Ludwig XVIII. als Gründerfigur für ein Europa der Reformhäuser

"Die Revolution war zuerst demokratisch, dann oligarchisch, dann tyrannisch: Heute ist die Revolution monarchisch, aber noch immer geht sie ihren Gang. Die Kunst des Fürsten besteht darin, auf ihrem Boden zu herrschen und sie durch Umarmung vorsichtig zu ersticken." Mit dieser zeitgeschichtlichen Diagnose, die in eine politische Therapie mündet, gibt Joseph de Maistre im Juli 1814 der wenige Wochen zuvor geglückten bourbonischen Restauration eine Deutung, in der Volker Sellin die politische Signatur des neunzehnten Jahrhunderts erkennen will. Restauration - kein Gegenbegriff zu Revolution, sondern eine besondere "Form der Revolution von oben".

Sellins Plädoyer, die Zeit nach dem Wiener Kongreß nicht als Widerruf der Revolutionsära zu verstehen, hat die jüngere Geschichtsschreibung längst eingelöst. Restauration als Epochenbegriff verschweigt schon lange nicht mehr die Reformbereitschaft der Monarchen und ihrer Regierungen. Gleichwohl bietet Sellin eine eigenwillige Sicht auf den Reformweg des neunzehnten Jahrhunderts. Frankreich präsentiert er als das Ursprungsland der Revolution in beiderlei Gestalt - zunächst die "Revolution von unten", dann die monarchische Restaurationsrevolution, die verändert, um den Kern der alten Ordnung bewahren zu können: den Vorrang des fürstlichen Herrn vor den anderen Verfassungsinstitutionen.

Reform nicht als Werk der Volkssouveränität, sondern auf der Grundlage monarchischer Legitimität - in dieser Leitidee sieht Sellin die politische Mitgift des Bourbonen Ludwig XVIII. an das Europa des neunzehnten Jahrhunderts, dargeboten in Gestalt der französischen Charte constitutionelle von 1814. Sie begründete den Verfassungstyp der konstitutionellen Monarchie. In Italien ordnet er ihm das Statuto albertino zu. In Deutschland stellt er die vormärzlichen Verfassungen in diese Traditionslinie, dann die Ablehnung der nationalen Kaiserkrone, die das deutsche Revolutionsparlament 1849 schaffen wollte, durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV., der ein staatlich vereintes Deutschland nicht aus den Händen von Repräsentanten des Volkes entgegennehmen wollte, und schließlich den Verfassungskompromiß des Kaiserreichs, der die Machtfrage zwischen monarchischer und parlamentarischer Herrschaft unentschieden der Zukunft überantwortete.

Sellin inszeniert sein Europa der Restauration als einen "unaufhörlichen Drahtseilakt" zwischen dem Änderungswillen der Zeit und dem "Bedürfnis nach Kontinuität und Sicherheit der Herrschaft". Das Grundmuster für diesen Balanceakt, den Jacob Burckhardt als Versuch beschrieben hat, den revolutionären "Geist der ewigen Revision" mit den "Revisionsgelüsten" der Wortführer der Unbeweglichkeit zu versöhnen, findet er bei Ludwig XVIII.

Sellin modelliert Ludwig zur verfassungspolitischen Gründerfigur des kontinentaleuropäischen Wegs zum modernen Staat. Ob die Forschung diesem neuen Angebot im Arsenal europäischer Gründungsmythen folgen wird, bleibt abzuwarten. Daß es jetzt unterbreitet wird, ist wohl kein Zufall. Das entstehende "Haus Europa" fordert historische Fundamente. Sellin bietet eines, auf dem die Nationen sehr unterschiedliche Gebäude errichtet haben: ein Europa der Vielfalt, das gleichwohl einer gemeinsamen Leitidee verpflichtet ist. Geschichte als gesellschaftliche Konstruktion, die Zukunftshoffnungen der Gegenwart in der Vergangenheit wiederfindet, ohne ihr die Fremdheit zu nehmen, ist in Sellins Buch unübersehbar. Der Autor spricht nicht davon, doch er offeriert einen historischen Entwurf für ein gemeinsames Europa, in dem die nationalen Eigenheiten und Sonderwege ihren Platz finden.

Sein originelles Bild des neunzehnten Jahrhunderts gründet in einer minutiösen Analyse europäischer Politik in den "sechzehn dramatischen Monaten zwischen Dezember 1812 und April 1814". In dieser kurzen Zeitspanne verlor Napoleon die militärische und auch die politische Grundlage seiner Macht, weil er die Angebote seiner verbündeten Gegner, mit einem Frankreich in den Grenzen vor der revolutionären Expansion Frieden zu schließen, im glücklosen Vertrauen auf seine Überlegenheit als Feldherr verwarf.

Detailliert führt Sellin an den Quellen vor, daß die Alliierten keineswegs die Legitimität Napoleons als Kaiser von Frankreich bestritten. Erst als sie sahen, daß mit ihm eine friedensfähige Neuordnung Europas nicht zu erreichen wäre, setzten sie sich die Absetzung Napoleons und seiner Dynastie zum Ziel. Sie konnte nur als Willensakt der französischen Nation geschehen. Darin stimmten die europäischen Monarchen überein. Sie zollten dem Geist der Zeit ihren Tribut.

Doch wie setzt eine Nation ihren Herrscher ab, wenn nicht durch eine gewaltsame Revolution mit all ihren Unwägbarkeiten? Die Lösung hieß: Senatsrevolution. Der Senat, ein Verfassungsorgan, erklärte Napoleon und seine Familie für abgesetzt, weil die Herrschaft des Kaisers zur Tyrannis entartet sei und Napoleon vielfachen Verfassungsbruch verübt habe. Nicht das Kaiserreich, seine Institutionen und seine Politik wurden für illegitim erklärt, sondern nur Napoleons Handeln der letzten Jahre. Mit der Absetzung des Kaisers und seiner Familie durch den Senat, mit dem die Alliierten über Talleyrand in engster Verbindung standen, verband sich das Versprechen an die französische Nation, das Werk der Revolution nicht anzutasten. Der in nur wenigen Tagen erstellte Verfassungsentwurf garantierte die bestehende Rechtsordnung und die Gültigkeit des Verkaufs der Nationalgüter, die Gleichheit der Besteuerung und des Zugangs zu öffentlichen Ämtern, und selbstverständlich auch die grundlegenden Freiheitsrechte. Der neue König sollte der alten Dynastie der Bourbonen entstammen.

Das neue Frankreich, das die Senatsrevolution plante, stellte sich also in eine doppelte Tradition: in die monarchischlegitimistische und zugleich in die revolutionäre. Der neue König aus der angestammten Dynastie sollte nicht mehr König von Frankreich, sondern König der Franzosen sein, nicht mehr König von Gottes Gnaden, sondern als Geschöpf der Nation vereidigt auf die Verfassung, der er sich unterzuordnen hatte. Darauf ließ sich Louis-Stanislas-Xavier, wie der Senat den Thronkandidaten ansprach, nicht ein. Er trat sofort, als er von England aus französischen Boden betrat, als Ludwig XVIII. auf, der als Monarch in Besitz nimmt, was seiner Familie zusteht.

Nicht die Verfassung schafft den König, sondern der König gewährt eine Verfassung - nach diesem Grundsatz handelte Ludwig. Wie er den Verfassungsentwurf des Senats Artikel für Artikel prüfen und modifizieren ließ, legt Sellin erstmals eingehend dar. Die neue Verfassung, die als Charte constitutionelle zum Vorbild für andere europäische Staaten wurde, entstand als Willensakt eines Königs, der seine Krone nicht als Werk der Volkssouveränität entgegennehmen wollte.

Restaurativ an diesem Akt der Inthronisation und der Verfassungsstiftung ist jedoch nur die Form, in der Ludwig XVIII. beides inszenierte, die "politische Metaphysik", um mit Lord Castlereagh zu sprechen. Der Inhalt der Verfassung ist liberal, er bestätigt, was aus der Revolution hervorgegangen war. Der Monarch tritt vor die Nation als König von Gottes Gnaden, der die Legitimität der gestörten Ordnung wiederherstellt, indem er das revolutionäre Werk der Nation anerkennt und damit unangreifbar zu machen verspricht. Der Monarch präsentiert sich als Vollender der Revolution - er schließt sie, indem er legitimiert, was sie geschaffen hat. Geraubte Revolution nennt Sellin das Ergebnis. Damalige Akteure sprachen von der "glücklichen Revolution", der "Revolution im guten Sinn" - eine Verheißung an die Nation, ihr die Reformen zu geben, welche die Zeit verlangt, ohne die Ordnung zu gefährden.

DIETER LANGEWIESCHE

Volker Sellin: "Die geraubte Revolution". Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. 360 S., br., 68,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieter Langewische ist von Volker Sellins Studie über jene sanfte Revolution zwischen Dezember 1812 und April 1814 in Frankreich, die die Entmachtung Napoleons und die Wiederherstellung der Monarchie mit Ludwig XVIII. zur Folge hatte, beeindruckt. Detailliert, geradezu minutiös habe der Autor diese 14 Monate analysiert und komme im Ergebnis zu ungewöhnlichen, aber für den Rezensenten nicht zu unerwarteten Ergebnissen. Frankreich sieht er als Ursprungsland der Revolution, und zwar in doppelter Hinsicht: als Land der Revolution von unten und als Land der monarchischen Restaurationsrevolution. Ludwig der XVIII. erscheint bei Sellin, referiert der Rezensent, als verfassungspolitische Gründerfigur des kontinentaleuropäischen Wegs zum modernen Staat. Für Langewische ist klar, dass diese "eigenwillige Sicht" ein neues Angebot im Arsenal europäischer Gründungsmythen ist, das neue "Haus Europa" fordere schließlich historische Fundamente. Sellins Sicht erscheint dem Rezensenten originell, denn darin fänden nationale Eigenheiten und Sonderwege ihren Platz. Ob die Forschung Sellins Thesen allerdings annehmen wird, lässt der Rezensent offen.

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