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Wie gingen westdeutsche und japanische Historiker nach dem Zweiten Weltkrieg mit der jüngsten Vergangenheit um? Sowohl in Japan als auch in Deutschland schien die gesamte nationale Geschichte neu interpretiert werden zu müssen. Sebastian Conrad vergleicht die geschichtswissenschaftlichen Diskurse in Deutschland und Japan nach 1945 im Rahmen von drei Themenfeldern: Die Geschichtsschreibung leistete mit ihren Deutungen der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag zur Konstruktion einer nationalen Identität, aber auch zur 'Vergangenheitspolitik' und Vergangenheitsbewältigung in den fünfziger Jahren;…mehr

Produktbeschreibung
Wie gingen westdeutsche und japanische Historiker nach dem Zweiten Weltkrieg mit der jüngsten Vergangenheit um? Sowohl in Japan als auch in Deutschland schien die gesamte nationale Geschichte neu interpretiert werden zu müssen. Sebastian Conrad vergleicht die geschichtswissenschaftlichen Diskurse in Deutschland und Japan nach 1945 im Rahmen von drei Themenfeldern: Die Geschichtsschreibung leistete mit ihren Deutungen der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag zur Konstruktion einer nationalen Identität, aber auch zur 'Vergangenheitspolitik' und Vergangenheitsbewältigung in den fünfziger Jahren; und schließlich beleuchtet diese Studie einen wichtigen Teil der Geschichte der Geschichtswissenschaft. Dabei öffnet sich der Blick auf die zentrale Rolle der Nation im historiographischen Diskurs. Wie ließ sich die Einheit der Nation noch begründen und die Kontinuität der nationalen Geschichte retten? Wie konnte die Nation in einer veränderten Weltordnung positioniert werden? Wie ließ sich
mit einer jüngsten Geschichte umgehen, deren verbrecherischer Charakter die Legitimität der nationalen Geschichte in Frage stellte? Neben zahlreichen Unterschieden zeigen sich verblüffende Ähnlichkeiten der geschichtswissenschaftlichen Diskurse in Japan und Deutschland.
Autorenporträt
Sebastian Conrad ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2000

Wie man Schuld relativiert

Dass die Geschichtsforschung eine objektive Wissenschaft sei, behauptet kein guter Historiker. Aber dass die Objektivität die Zielrichtung angebe, so wie die Möhre, die an einem Stock dem Pferd vors Maul gehalten wird, demselben Richtung und Ansporn gibt, das setzen die Historiker voraus. Auch deshalb gilt die wissenschaftliche Methode in der Geschichtsforschung so viel. Dass die gewählte Methode selbst Programm sein könnte, ist eine unbequeme Einsicht, zumal wenn es sich um Methoden handelt, denen eigentlich zugute gehalten wird, der objektiven Betrachtung zu dienen.

Sebastian Conrads Dissertation über die deutsche und die japanische Historiographie nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein sperriger Text, schwer zu lesen und inhaltlich anspruchsvoll. Aber der die Bundesrepublik betreffende Kern seiner Arbeit ist brisant und einfach: Conrad unterstellt der westdeutschen Geschichtsschreibung, dass sie eben nicht objektiv gewesen sei, sondern sich in ihren Untersuchungen der historischen Ursachen des Krieges von dem unterschwelligen Bedürfnis nach nationaler Rehabilitierung und einer Relativierung der Schuld habe leiten lassen. (Sebastian Conrad: "Auf der Suche nach der verlorenen Nation". Geschichtsschreibung in Westdeutschland und Japan 1945 - 1960. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999. 485 S., br., 58.- DM.)

Erstaunlicherweise gaben sich die maßgeblichen japanischen Zeitgeschichtsforscher nach dem Krieg überhaupt keine Mühe, ihr Land zu exkulpieren. Das lag, so Conrad, daran, dass sich die japanischen konservativen Historiker mit der unmittelbaren Vergangenheit nicht befassen wollten und das Feld den marxistischen Historikern überließen. Diese neigten dazu, den japanischen Faschismus für eine Folge der unvollkommenen Modernisierung des japanischen Feudalismus zu halten. Mehr als westdeutsche Historiker, schreibt Conrad, hätten die marxistischen Wissenschaftler die Traditionen ihres Landes samt seiner Vorkriegsgeschichte für Japans schmähliche Rolle im Weltkrieg verantwortlich gemacht: "Die Auseinandersetzung mit der nationalen Vergangenheit", schließt der Autor, "wurde in der japanischen Geschichtswissenschaft nach dem Krieg sehr viel kritischer geführt als unter westdeutschen Historikern."

Aber diese Kritikfreudigkeit brach ab, als es mit der Dominanz der marxistischen Zeitgeschichtsforschung in den späten fünfziger Jahren zu Ende ging. Nun schwenkte die japanische Historiographie auf eine Linie ein, die auch in der Bundesrepublik schon verfolgt worden war: Man interpretierte die Geschichte so, dass die eigene Nation mitunter sogar als ein Opfer des Krieges dastand. Der Marburger Historiker Ludwig Dehio zum Beispiel setzte 1948 auf den "deutsch-christlichen" Kern des Abendlandes. Dessen Samen in der Welt zu verbreiten, sei den Vereinigten Staaten aufgetragen: "Zu dieser Entwicklung", schrieb Dehio, "die Sieger und Besiegte in eine seelische Einheit verschmolz, haben sie beide Unentbehrliches beigetragen, die Sieger das weite Gefäß, die Besiegten aber aus der Tiefe ihres Leidens das Kostbarste seines Inhalts."

Nicht alle Historiker mochten die Deutung der Geschichte in Gefäßen suchen. Die Struktur- und Sozialgeschichte strebte nach einer sachlichen, nicht bloß an die Person Hitlers gebundenen Erklärung für das, was gefällig doppeldeutig - mal auf den Krieg, mal auf die Niederlage bezogen - "die Katastrophe" genannt wurde. Längst bekannt ist, dass die deutsche Sozialgeschichte anfänglich von Historikern wie Werner Conze oder Theodor Schieder betrieben wurde, die methodisch an die Volkstumsforschung anknüpften. Conrad geht aber noch weiter: Die deutsche Ausprägung der Strukturgeschichte sei stets in der Frage befangen geblieben, ob und unter welchen Umständen die Handlungsfreiheit des Individuums gegenüber äußeren Zwängen bewahrt bleibe. Die deutsche Strukturgeschichte sei mithin mehr Ergänzung denn Widerpart des herkömmlichen, auf das Verstehen bauenden Historismus gewesen.

Darüber hinaus habe sie zur Rehabilitierung der Deutschen und ihrer Geschichte beigetragen. Gleich nach dem Krieg wurde ein neuer Wissenschaftszweig begründet: die Zeitgeschichte, deren ausdrückliche Aufgabe es war, die zwölf Jahre der Diktatur zu erklären. Insofern strukturgeschichtliche Ansätze in der Zeitgeschichte verfolgt wurden, schreibt Conrad, hätten sie darauf gezielt, die Nazizeit aus der deutschen Geschichte herauszulösen. Viele westdeutsche Historiker seien bemüht gewesen, "die deutsche Vergangenheit in den Kontext einer gemeinsamen europäischen Geschichte zu stellen und dadurch zu rehabilitieren".

Andere betrachteten die deutsche Barbarei als Resultat einer fehlgeschlagenen Modernisierung. Diese Historiker wollten die Nazizeit nicht wegreden, aber Conrad zeigt, dass bei vielen der Verweis auf die Wirkungsmacht anonymer Strukturen damit einherging, die Ereignisse vor 1933 oder spezifisch deutsche Traditionen daneben ziemlich unwichtig erscheinen zu lassen. So trug der strukturgeschichtliche Ansatz dazu bei, dass die zwölf Jahre des "Dritten Reiches" als schicksalhafter Betriebsunfall erscheinen konnten, für den letztlich das ganze Abendland verantwortlich war.

Auch die strukturgeschichtliche Methode, so Conrads Fazit, sei kein reiner Fortschritt gewesen. Vielmehr erlaubte sie den Historikern, ihr Land auf eine intellektuell honorige Weise in ein besseres Licht zu setzen. Das Anliegen ist verständlich, aber nicht unbedingt wissenschaftlich.

FRANZISKA AUGSTEIN

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