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Kein anderer Schriftsteller war sich der Bedeutung von Bildern für ein Leben so bewusst wie Arno Schmidt: »Mein Leben?!: ein Tablett voll glitzernder snapshots«, schrieb er in seinem Roman »Aus dem Leben eines Fauns«. Was also wäre adäquater, als Arno Schmidts Leben mit einer Bildbiographie nachzuzeichnen, die mosaikartig das Panorama einer eigenwilligen Schriftstellerexistenz zusammensetzt. Einführende Texte von Bernd Rauschenbach geben einen Überblick über die Stationen von Schmidts Leben - die Kindheit in Hamburg, die Jugend in Schlesien, Kriegszeit und Nachkriegselend, die wiederholten…mehr

Produktbeschreibung
Kein anderer Schriftsteller war sich der Bedeutung von Bildern für ein Leben so bewusst wie Arno Schmidt: »Mein Leben?!: ein Tablett voll glitzernder snapshots«, schrieb er in seinem Roman »Aus dem Leben eines Fauns«. Was also wäre adäquater, als Arno Schmidts Leben mit einer Bildbiographie nachzuzeichnen, die mosaikartig das Panorama einer eigenwilligen Schriftstellerexistenz zusammensetzt. Einführende Texte von Bernd Rauschenbach geben einen Überblick über die Stationen von Schmidts Leben - die Kindheit in Hamburg, die Jugend in Schlesien, Kriegszeit und Nachkriegselend, die wiederholten Wohnortwechsel, bis Arno Schmidt in Bargfeld in der Lüneburger Heide die »ihm gemäße Landschaft« findet.Für diese erste umfangreiche Bildbiographie über Arno Schmidt hat die Herausgeberin Fanny Esterházy in Archiven nachgeforscht und Unbekanntes und Verblüffendes zutage gefördert: Fotos, Zeichnungen, Dokumente aller Art, Bücher und Manuskripte, Notizen und Briefe, Zeitungsartikel, Alltägliches und Kurioses. Ergänzt und erläutert wird das vielfältige Material durch Textpassagen aus Arno Schmidts Werk, Auszüge aus den Tagebüchern von Arno und Alice Schmidt sowie Kommentare von Kollegen und Freunden.
Autorenporträt
Arno Schmidt wurde am 18. Januar 1914 in Hamburg geboren. Nachdem er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, arbeitete er zunächst als Dolmetscher, von 1947 an als freier Schriftsteller. Nach Stationen in Cordingen, Kastel an der Saar und Darmstadt zog er 1958 mit seiner Frau Alice nach Bargfeld (Kreis Celle), wo er bis zu seinem Tod zurückgezogen lebte. Von 1949 an, als seine Erzählung Leviathan in Buchform erschien, entstanden Romane, Dialoge zur Literatur für den Rundfunk, Essays und biographische Arbeiten, darunter sein Hauptwerk Zettel's Traum, 1334 DIN-A3-Seiten stark und über zehn Kilo schwer. Aufgrund des komplexen Layouts konnte es 1970 nur als Faksimile des Typoskripts erscheinen; erst seit 2010 liegt es in gesetzter Form vor. Arno Schmidt starb am 3. Juni 1979 in Celle. Zwei Jahre nach seinem Tod gründeten seine Frau Alice und Jan Philipp Reemtsma die Arno Schmidt Stiftung. Fanny Esterházy, geboren 1959, lebt und arbeitet als freie Lektorin, Übersetzerin und Herausgeberin in Wien. Bernd Rauschenbach, geboren 1952 in Berlin, ist Germanist und Literaturwissenschaftler. Bis 2018 war er als geschäftsführender Vorstand für die Arno Schmidt Stiftung tätig. Mit Susanne Fischer ist er Herausgeber u. a. der Bargfelder Ausgabe der Werke Arno Schmidts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2016

Mutters Bücherverbrennung fand nicht statt

Eine Bildbiographie setzt aus entlegenen Quellen das Leben Arno Schmidts zusammen. Und widerlegt aufs schönste seinen Spruch, man müsse vom Autor nichts außer seinem Werk kennen.

Ein Soldat sitzt auf ein paar gefällten Baumstämmen im Wald. Er trägt Uniform, ist aber, selten genug beim Militär, allein zu sehen, und wenn das Foto mit Selbstauslöser aufgenommen wurde, war er in diesem Moment sogar ganz allein. Dafür spricht auch die Intimität des Moments, die einem Kameraden vielleicht nicht einfach zu vermitteln gewesen wäre. Denn der Soldat beugt sich leicht zur Seite und betrachtet eine bunt bedruckte Pappe. Sie zeigt das Signet der Schokoladenherstellers Sarotti mit den drei berühmten, Turban tragenden Schwarzen.

Das Foto ist zu Beginn der vierziger Jahre in Norwegen aufgenommen worden, es zeigt den jungen Autor Arno Schmidt als Soldat. Was er damals schrieb - etwa die Erzählungen "Der Garten des Herrn Rosenroth" oder "Die Fremden" -, schrieb er säuberlich in gebundene Kladden ab und schenkte sie seiner Frau Alice, die zu Hause in Schlesien auf ihn wartete. Sie wurden erst nach Schmidts Tod als "Juvenilia" in der großen Werkausgabe publiziert. Handschriftlich aber hatte der junge Schmidt bereits auf die jeweils erste Seite dieser Hefte einen Erscheinungsort notiert - den "3 Mohren Verlag".

Das Foto findet sich ebenso wie die faksimilierten Titelblätter der Juvenilia in einer üppigen Bildbiographie, die nun, fast vierzig Jahre nach Schmidts Tod, als Edition der mit dem Autor befassten Stiftung im Suhrkamp Verlag erschienen ist. Hält man beides zusammen, den Soldaten und seine literarischen Gehversuche, dann ist das ein erhellender Moment unter sehr vielen, die dieser Band erlaubt. Denn gerade Schmidts Frühwerk ist ohne den Einfluss von E. T. A. Hoffmanns Texten kaum denkbar, und so wie der ältere Autor dort immer wieder die Grenze zwischen belebter und unbelebter Materie verwischt, so dient dem jüngeren die Pappschachtel zum Ausgangspunkt einer "Privatmythologie", wie es in der Bildbiographie heißt, die eben auch ein Verlagshaus für den in der Realität der NS-Zeit ungedruckten Schriftsteller bereitstellt.

Schmidt-Leser haben einen Hang zum Kompletten (das Spätwerk ab "Zettel's Traum" immer ausgenommen, was speziell im Fall von "Abend mit Goldrand" ein Versäumnis ist), und der erstreckt sich oft genug auch auf die Biographie des Autors, die speziell in diesem Fall vom Werk auch gar nicht zu trennen ist, nur dass Schmidts bekanntes Diktum, da der Autor das Beste schon in seinem Werk gäbe, solle man sich "den traurigen Rest" besser gar nicht erst ansehen, hier aufs schönste widerlegt wird.

Sehr nüchtern, aber gestützt auf all das Material, das mit dem Tod von Alice Schmidt auf die Stiftung gekommen und dort in jahrzehntelanger Arbeit ausgewertet worden ist, nutzen die Herausgeberin Fanny Esterházy und der Textautor Bernd Rauschenbach die Gelegenheit, Arno Schmidts sehr suggestiver Sicht auf die Dinge seines Lebens eine andere gegenüberzustellen. Das fängt mit den Eltern Clara (1894 bis 1973) und Friedrich Otto (1883 bis 1928) Schmidt an: Vor allem die Mutter, die Arno Schmidt gern als promiskuitiv und schlicht diffamierte, erweist sich hier als interessierte Leserin der wenigen Bücher ihres Sohns, die den Weg über die innerdeutsche Grenze zu ihr nach Quedlinburg fanden (während Schmidt verbreitete, sie hätte seine Werke geradewegs in den Ofen gesteckt).

Nach dem frühen Tod ihres Mannes zog Clara Schmidt mit ihren beiden Kindern ins schlesische Lauban. Arno machte dort 1933 Abitur und begann eine kaufmännische Lehre. Private und professionelle Aufnahmen zeigen die Umgebung, in der sich Schmidt damals bewegte, Bilder des engen Freunds Heinz Jerofsky fehlen ebenso wenig wie die der angeschmachteten, auf dem Foto überraschend herbe Johanna Wolf, die dann in einigen Romanen Schmidts als unerreichbare oder nur sporadische Geliebte wiederkehrt, bis er sie schließlich viel später in der Erzählung "Caliban über Setebos" mit zerstörerischer Kühle als eine Frau beschreibt, die längst allen Zauber verloren hat.

Auch Schmidts Soldatenzeit zeichnet der Band nach, die Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft zur Jahreswende auf 1946, die 1937 geschlossene Ehe mit seiner damaligen Kollegin Alice Murawski und die in Armut verbrachten ersten Jahre als freier Schriftsteller, bis dem Paar die Übersiedlung ins eigene Haus gelang. Die wichtigsten Weggefährten werden porträtiert, darunter Berühmtheiten wie Wollschläger oder Rühmkorf, aber auch Personen, die wie der Antiquar Bläschke oder der Lehrer Michels Fixsterne in der Schmidtwelt sind, jenseits dieser Grenzen aber fast unbekannt. Das Buch zeigt die Schauplätze der Romane und der unausgeführten Projekte, oft genug anhand von Schmidts eigenen Aufnahmen. Und es sind die knappen Einführungen Bernd Rauschenbachs, die das Gebotene so ökonomisch wie effektiv in einen Rahmen stellen, dass man erstaunlich wenig davon als überflüssig ansehen würde.

Eine umfassende Biographie zu sein beansprucht der Band nicht, dies bleibt weiterhin ein Desiderat. Bis dahin aber stellt er Material zur Verfügung, das zum Teil völlig unbekannt, zum Teil an entlegenem Ort oder in längst vergriffenen Büchern publiziert worden ist. Der Band zeigt einen Autor und sein Umfeld, der sich, je länger man ihn unter dieser Perspektive betrachtet, dem üblicherweise gezeichneten Bild des schrulligen Sonderlings immer weniger entspricht. Stattdessen führt das Buch vor, wie sich aus dem Biographischen Fingerzeige auf das Werk gewinnen lassen, denen man sofort nachgehen möchte.

TILMAN SPRECKELSEN

Fanny Esterházy (Hrsg.): "Arno Schmidt". Eine Bildbiographie.

Mit einführenden Texten von Bernd Rauschenbach.

Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung im Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 460 S., Abb., geb., 68,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Schmidts Bücher sind Spiegel- und Vexierbilder seines eigenen Lebens und zugleich scharf gezeichnete Portraits Westdeutschlands in den 1950er-Jahren ... Die sorgsam komponierten Stücke der Bildbiographie erhellen die Zusammenhänge aufs Schönste. Und sie führen hin zum Werk, machen Lust auf die Lektüre der Wortmusiken von Arno Schmidt.« Claus-Ulrich Bielefeld DIE WELT 20170204