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Wie kann man ein Bild verstehen? Indem man die Erinnerung und das Gedächtnis befragt, die in einem Bild am Werk sind, das »Nachleben«, so die Antwort Georges Didi-Hubermans. Im Anschluß an diesen aus seiner Sicht zu Unrecht aufgegebenen Begriff Aby Warburgs nähert sich Didi-Huberman dem Phantomcharakter der Bilder, ihrer Fähigkeit zu spukhafter Wiederkehr.Aby Warburg hat das »Nachleben« der Bilder als erster zum zentralen Motiv seiner anthropologischen Erforschung der westlichen Kunst gemacht. In seiner meisterhaften Studie untersucht Didi-Huberman dieses Motiv im Hinblick auf seine Logik,…mehr

Produktbeschreibung
Wie kann man ein Bild verstehen? Indem man die Erinnerung und das Gedächtnis befragt, die in einem Bild am Werk sind, das »Nachleben«, so die Antwort Georges Didi-Hubermans. Im Anschluß an diesen aus seiner Sicht zu Unrecht aufgegebenen Begriff Aby Warburgs nähert sich Didi-Huberman dem Phantomcharakter der Bilder, ihrer Fähigkeit zu spukhafter Wiederkehr.Aby Warburg hat das »Nachleben« der Bilder als erster zum zentralen Motiv seiner anthropologischen Erforschung der westlichen Kunst gemacht. In seiner meisterhaften Studie untersucht Didi-Huberman dieses Motiv im Hinblick auf seine Logik, seine Quellen und seine philosophischen Hintergrundannahmen. Indem er Warburg mit Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud ins Gespräch bringt, wirft er einen faszinierenden Blick auf das paradoxe Leben der Bilder zwischen Zeitgebundenheit und Ewigkeit.»Das fruchtbare und originelle Denken von Georges Didi-Huberman hört nicht auf, uns zu beflügeln.«Le Figaro
Autorenporträt
Didi-Huberman, GeorgesGeorges Didi-Huberman, Philosoph und Kunsthistoriker, unterrichtet an der Ecole des Hautes Études en Sciences Sociales (EHSS) in Paris. Er ist Träger des Hans Reimer-Preises der Aby Warburg-Stiftung und war Fellow am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (IKKM) in Weimar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2010

Beschwingter Auftritt für eine alte Hausgöttin

Das Nachleben der Bilder ist eine bewegte Angelegenheit: Georges Didi-Huberman vertieft sich in Aby Warburg und erweist sich dabei als dessen überzeugender Erbe.

Der Kontinent mit Namen Warburg beginnt auseinanderzubrechen: Die Gesamtausgabe ist noch nicht zur Gänze veröffentlicht - es soll aber auch noch 35 000 unpublizierte Briefe geben -, da plant man in London das von ihm in Hamburg begründete und nach ihm benannte Forschungsinstitut, die weltberühmte Warburg Library, räumlich zu verlagern und in das Bibliothekssystem der Londoner Universität so einzugliedern, dass der immer wieder gerühmte offene Zugang und die Aufstellung der Bücher zu inspirierenden Nachbarschaften aufgegeben würde.

Die Sekundärliteratur über Warburg ist derart stark angewachsen, dass man mehr als gesättigt die neuesten Publikationen erst einmal beiseiteschiebt. Eins aber geht immer: ein neues Buch von Georges Didi-Huberman. Er hat sich nicht nur durch vorausgehende Schriften als Warburg-Kenner einen Namen gemacht, sein ganzer Habitus weist ihn als Warburgianer aus. Bücher über Fra Angelico und den Faltenwurf, "Ninfa Moderna", sind direkte Fortsetzungen von Warburgs großem Renaissance-Projekt, andere Titel wie "Bilder trotz allem" oder "Was wir sehen, blickt uns an" setzen Warburgs Interesse am Medium Bild als solchem, also nicht nur an Werken der Hochkunst fort.

Kein französischer Geisteswissenschaftler ist so präsent in Deutschland: Fünfzehn Bücher liegen in Übersetzungen vor, und auch dieser Band ist von Michael Bischoff in klares und lebendiges Deutsch übertragen worden. Ohne diese Leistung zu schmälern, muss man sagen, dass Didi-Huberman anders als die französischen Meisterdenker - mit Ausnahme seines Lehrers Louis Marin - eine offen argumentierende und nicht von oben herab dozierende Schreibweise pflegt. Vor allem ist er nicht jemand, der jedes Jahr, auf jedem Rencontre öffentlich seine Begrifflichkeit auswechselt. Von ihm autorisierte Termini fallen einem kaum ein, charakteristische Denkbewegungen aber viele.

"Nachleben der Bilder" handelt nicht von Bildern, sondern ist eine sehr umfangreiche Studie über Warburgs zentrales Forschungsinteresse und die von diesem ausgehenden methodischen Schritte. Ernst Gombrich eröffnete 1970 die Renaissance des Renaissance-Forschers Warburg mit seiner "intellektuellen Biographie". Selbst als Direktor der Warburg Library konnte er nicht wissen, was er anrichtete und wie es weitergehen würde - flutartig nämlich. Die Nachfolger erklärten Gombrich schnell für ungenügend, und Didi-Huberman straft ihn auf jeder dritten Seite ab. Aber er versucht im Grunde dasselbe noch einmal, geht jedoch nicht chronologisch vor, sondern hat im Zentrum Warburgs lebenslange Fixierung auf das Nachleben von Bildern und kulturellen Phänomenen - dies alles am Beispiel der Rezeption der Antike in der italienischen und deutschen Renaissance.

Dazu betrachtet er ableitend und vergleichend das Denken von Tyler, Burckhardt, Nietzsche und Freud. Nur die Leuchttürme sind hoch genug, nur die Schulgründer und Fachgrenzensprenger können das Wollen ihres schwierigen Kollegen erleuchten helfen. Dabei hatte Gombrich eher auf die vergessenen, zu Warburgs Zeiten aber aufreizend aktuellen Ideengeber aufmerksam gemacht. Didi-Huberman jedoch, der ganz viel gegen alten wie neuen Historismus hat, veranstaltet um seinen Premium-Denker herum ein überzeitliches Gipfeltreffen.

Nachleben ist ein merkwürdiger Begriff und Didi-Huberman macht ihn noch merkwürdiger, indem er das Biologistische an ihm nicht eliminiert. Zunächst einmal trennt er ihn von allen naheliegenden Assoziationen an Tradition, Weiterleben, Weitergabe, Wiederkehr, Wiedergeburt, Nachahmung und so weiter. Die emsigen Erforscher der Motivwanderungen werden mit Verachtung gestraft. Es gab zu Warburgs Zeiten einen hohen vatikanischen Geistlichen, Kunsthistoriker seines Zeichens, für den der Tag gerettet war, wenn er ein Motiv der frühchristlichen Kunst auf seinen pagan-antiken Ursprung zurückgeführt hatte.

Für Warburg aber ist Nachleben ein "Wirbel im Strom" und nicht vom Strom der Zeit vorangetragen; es ist nicht Münze und Motiv, sondern Phantom und Symptom; es ist Bruch und Eindringling, man könnte auch sagen: Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen und sich wundern, warum Marc Bloch und nicht Ernst Bloch mit von der Partie ist. Blochs "währender und oft verschlungener Kontrapunkt der historischen Stimmen" entspricht Warburgs und Didi-Hubermans Geschichtsbild. "Das ,Beharrungsstreben der Cultur' findet seinen Ausdruck nicht in einem Wesen, einem allgemeinen Merkmal oder Archetyp, sondern ganz im Gegenteil in einem Symptom, einem Ausnahmemerkmal, in etwas Verschobenem."

Wie sieht das bei Warburg konkret aus? Didi-Huberman: "Die ,Kunstgeschichte' erzählt zum Beispiel, dass in der Renaissance aufgrund des Triumphs des Individuums und der Fortschritte in den Nachahmungstechniken ein Bildgenre namens ,Porträt' aufkam. Warburgs ,Kulturwissenschaft' erzählt dagegen eine andere Geschichte, gemäß der sehr viel komplexeren Zeit einer Kreuzung - einer Verschränkung [. . .] - der antiken und heidnischen Magie (im Sinne eines Nachlebens der römischen imago), der mittelalterlich-christlichen Liturgie (der Praxis der Votivbildnisse in Gestalt von Wachsbüsten) sowie der künstlerischen und geistigen Gegebenheiten des Quattrocento. Damit verwandelt das Porträt sich vor unseren Augen und wird zur anthropologischen Grundlage einer ,mythenbildenden Kraft' . . ." Man begreift, warum Nachleben für Didi-Huberman eine "Unreinheit" ist.

Was sich aber nun im Prozess von Kontinuität und Wandel, von Latenz und Sprung durchsetzt, ist für Warburg wörtlich verstanden eine "Lebensfrage", ist das Leben in "vitaler, heftiger, explosiver, dionysischer" Gestalt, mit Nietzsche der tragische Überschwang des Lebens - das heißt dann Pathosformel. Im Grunde ganz einfach: Der vordringlichste Ausdruck des Lebens, die Bewegung, bewegt die Mnemosyne, die Erinnerung, Warburgs Hausgöttin. Der Warburg-Forschung ist diese Denkbewegung nicht entgangen, aber selten wurde sie im Namen und im Stil ihres Urhebers so "anstachelnd", so energisch und energetisch dargestellt.

Das Buch hat ein Problem, nämlich sein Vorleben, besser: sein Vorausleben. 2002 in Frankreich erschienen, hat es nicht mehr die neuen Bände der Warburg-Gesamtausgabe verarbeiten können. Didi-Huberman zitiert aus einem schmalen und erratisch übermittelten Schriftenkanon, der dem prozesshaften und nur selten sich offen aussprechenden Denken Warburgs nicht immer gerecht wird. Oder nur dann gerecht wird, wenn man wie Didi-Huberman größte Anstrengungen in Exegese und Weiterdenken auf sich nimmt. Die Herausgabe des sensationellen Tagebuchs der Bibliothek Warburg (2001) ist wirklich so etwas wie ein warburg.blog: eine Chronik des tagtägliches Ringens um das Werk, das Institution geworden ist, also die Bibliothek Warburg, und das Wort, das noch geschrieben werden musste, aber nie wurde - und deshalb so viele Ausleger fand.

Didi-Hubermans Warburg ist sicher der strengste und forderndste Warburg, der uns bislang nahegebracht wurde. Stark übertreibend nennt er ihn den "geisterhaften Vater", spricht von "unser Gespenst, unser Phantom, unser Dibbuk" - also unser böser Totengeist! Das heißt, er will ihn, allen aufgezeigten Eventualitäten des Nachlebens zum Trotz, ins Leben zurückholen. Nachleben soll auf einmal nicht mehr unrein, sondern rein sein. In gewisser Weise darf man aber dem Autor diese Unmöglichkeit durchgehen lassen: In seinen eigenen Werken hat er wie kein anderer das Erbe Warburgs angetreten.

WOLFGANG KEMP

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als legitimen Erben Warburgs begreift Wolfgang Kemp den französischen Autor und seine Arbeit. Wenn also Georges Didi-Huberman ein neues Buch herausbringt, greift er zu, aller Übersättigung zum Thema Warburg zum Trotz. Schön für Kemp schon mal der klar ins Deutsche übertragene gänzlich unverschlossene Stil des Autors. Dass der Band um Warburgs zentrales Forschungsgebiet und seine Methodik kreist, um das Nachleben antiker Bilder und kultureller Phänomene in der Renaissance, findet der Rezensent nur folgerichtig. Wie der Autor vergleichend Burckhardt, Nietzsche, Freud zitiert und Freunde der Motivwanderung abstraft, um dem Nachleben als einem durch die Zeit wirbelnden Phantom zu huldigen, anerkennt Kemp als kongeniale Umsetzung Warburg'scher Denkbewegungen im Namen und im Stil des Urhebers. Einziger Wermutsstropfen für den Rezensenten: Der Band, im Original bereits 2002 erschienen, konnte die neuen Bände der Warburg-Gesamtausgabe nicht mehr berücksichtigen. Grundlage für den Autor ist also ein "schmaler, erratisch übermittelter Schriftenkanon".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die gespensterhafte Nachwirkung von Bildern in Bildern, ihr Nachleben, verdoppelt sich gleichsam im Nachleben Aby Warburgs selbst, den keine Kunst- oder Kulturwissenschaft je wird fassen und einordnen können, da er deren Grenzen und Disziplinierungen stets von neuem in Frage zu stellen zwingt. Das überzeugend gezeigt zu haben, ist der Verdienst Georges Didi-Hubermans.«
Michael Mayer, Neue Zürcher Zeitung 16.02.2011