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Stephen Greenblatt, Pionier und Hauptvertreter des New Historicism, geht Shakespeares Fähigkeit nach, Abwesendes - Stimmen, Gesichter, Körper, Geister - zu beschwören, und stößt dabei immer wieder auf die Beschwörung in Shakespeares Werk: den Auftritt des Geistes zu Beginn des "Hamlet". Auf der Suche nach den Gründen, warum ihn der Geist von Hamlets Vater über so lange Jahre fasziniert hat, markiert er die mittelalterliche Vorstellung des Fegefeuers als ethisches und ästhetisches Gravitationszentrum des Textes. Er erkundet die Abenteuererzählungen, Geistergeschichten, Pilgerberichte und…mehr

Produktbeschreibung
Stephen Greenblatt, Pionier und Hauptvertreter des New Historicism, geht Shakespeares Fähigkeit nach, Abwesendes - Stimmen, Gesichter, Körper, Geister - zu beschwören, und stößt dabei immer wieder auf die Beschwörung in Shakespeares Werk: den Auftritt des Geistes zu Beginn des "Hamlet". Auf der Suche nach den Gründen, warum ihn der Geist von Hamlets Vater über so lange Jahre fasziniert hat, markiert er die mittelalterliche Vorstellung des Fegefeuers als ethisches und ästhetisches Gravitationszentrum des Textes. Er erkundet die Abenteuererzählungen, Geistergeschichten, Pilgerberichte und Bilddarstellungen, durch die das Mittelalter den Glauben an das Fegefeuer als grausiges "Seelengefängnis" erzeugte und aufrechterhielt; er zeigt, wie sich auf der Grundlage dieser Doktrin einige sehr wirksame - und lukrative - Techniken des Umgangs mit dem Tod etablierten; und er demonstriert schließlich, wie man diese Techniken im Zuge der anglikanischen Reformation außer Gefecht setzte, ohne doch die Sehnsüchte und Ängste beseitigen zu können, die sich seit Jahrhunderten mit der Vorstellung des Fegefeuers verbanden. Dabei verliert er nie das Ziel aus den Augen, das er vom ersten Satz seiner Studie an verfolgt: "Ich wollte nichts weiter als in die magische Intensität dieser Tragödie eindringen."
Autorenporträt
Greenblatt, Stephen
Stephen Greenblatt, geboren 1943 in cambridge (Mass.), ist John Cogan University Professor of the Humanities an der Harvard Universita und Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Er gilt als führender Theoretiker des New Historicism und zählt zu den bedeutendsten Forschern zu Leben und Werk William Shakespeares und des Elisabethanischen Zeitalters. eine große Studie über Shakespeare und seine Zeit, Will in the World (dt..: Will in der Welt, 2004), wurde ein Weltbestseller.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2008

Seelenökonomie
Stephen Greenblatts großes Buch über das Fegefeuer im Werk Shakespeares Von Ijoma Mangold
Das Fegefeuer hatte nur eine kurze Konjunktur. Die Bibel weiß von ihm noch nichts. Erst spät hat die Kirche diesen dritten Ort zwischen Himmel und Hölle kanonisiert. Und kaum war die Idee des Purgatoriums so richtig durchgesetzt, da wurde sie auch schon wieder als kindisches Phantasma verschrien. Spätestens nach der Reformation war mit dem Schreckensbild des Fegefeuers kein Christenmensch mehr hinter dem Höllenofen hervorzulocken. Das ist schade, denn die segensreiche Einrichtung des Fegefeuers vermag den Menschen hervorragend mit den vielfachen Ungerechtigkeiten und Schändlichkeiten dieser Welt auszusöhnen. Nichts wurmt unseren Seelenfrieden mehr als offene Rechnungen – vor allem die anderer. Wir ertragen die Vorstellung nicht, dass sich Verbrechen lohnen. In dieser Welt allerdings kommt, wie man weiß, mancher Unhold ungeschoren davon. Im Fegefeuer hingegen werden alle Schulden auf Heller und Pfennig genau eingefordert. Ach, wie innerlich befriedet muss es sich leben lassen in einem Weltbild, das das Fegefeuer kennt.
Ein Beispiel aus der Gegenwart: Was ist es denn vor allem, was die Menschen an der Finanzkrise so sehr empört? Nicht die Vernichtung enormer Vermögenswerte. Auch nicht die zyklischen Exzesse des Kapitalismus. Sondern dass jene, die einst als die Masters of the Universe alles für sich einstrichen, jetzt nicht dafür zahlen müssen, was sie in den Sand gesetzt haben. Statt dessen springt die Allgemeinheit für ihre Verluste ein. Diese schreiende Gerechtigkeitslücke wäre unter Bedingungen des Fegefeuers nicht möglich. Da stünde für jeden Subprime-Kredit ein Kupferkessel mit siedendem Öl bereit.
Die Institution des Fegefeuers hat ohnehin viel mit der Welt der Ökonomie zu tun. Es geht um den Tag der Abrechnung. Wer Stephen Greenblatts ebenso gelehrtes wie gedankenklares Buch über „Hamlet im Fegefeuer” liest, begreift, wie triftig und konkret die theologische Rede von der Seelenökonomie ist. Die Institutionalisierung des Fegefeuers und die Einführung der Doppelten Buchführung sind historische Parallelbewegungen.
Aber auch die Institution der Bank spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Denn die „überreichliche Sühne”, die Christus hinterlassen hat, wurde durch den Papst wie ein Schatz verwaltet, ein Gnadenvermögen, dessen Dividende er durch Ablässe auszahlen konnte. Noch wichtiger aber war für das Funktionieren des Ablasshandels ein anderer Aspekt: So wie der Schuldner im Schuldturm seine Freiheit erlangte, wenn Freunde seine Schulden beglichen, so konnten Freunde und Verwandte die Martern derer verkürzen, die im Fegefeuer schmachteten, durch entsprechende Fürbitten oder gar Kirchenstiftungen.
Der funktionale Vorteil des Purgatoriums gegenüber der Hölle war dabei: Es lohnte sich, noch auf dieser Erde etwas zu tun. Für die, die – wie es im Mittelalter hieß – ganz und gar böse waren, gab es natürlich keine Hilfe mehr: Sie landeteten ein für allemal in der Hölle. Aber die mittleren Sünder konnten Vorsorge betreiben, indem sie zu Lebzeiten durch gute Taten und Schenkungen sich die entsprechenden Fürbitten sicherten, durch die ihnen ihre Sünden nach einem exakten Bilanzverfahren erlassen wurden.
Es war dies aber nicht nur – wie die protestantischen Kirchenkritiker mit scharfer Feder feststellten – ein Verfahren der katholischen Kirche, durch eine Fiktion sich zu bereichern, es stiftete auch ein Commonwealth der Lebenden und der Toten und sorgte für einen generationenübergreifenden Familienzusammenhang auch nach dem Tod. Die Kinder konnten die Liebe zu ihren Eltern nach deren Ableben zum Ausdruck bringen, indem sie Messen für ihr Seelenheil lesen ließen. Zugleich konnte die Kirche unausrottbare Erfahrungen von Geistererscheinungen und Stimmen gerade Verstorbener in ein sinnvoll reglementiertes System bringen und so für Ordnung und Ruhe im Totenreich sorgen – eine wichtige Aufgabe.
Und schließlich funktionierte das Prinzip Fegefeuer auch als Umverteilungsmechanismus von Reich zu Arm: Der reiche Mann, der seinen Tod nahen fühlte und sich seiner Sünden bewusst wurde, stiftete ein Armenhospital, um die Zeit der Buße in den Flammen des Fegefeuers (dessen Strafen denen der Hölle exakt entsprachen, nur dass sie zeitlich terminiert waren) für sich zu verkürzen.
Dabei sind die – auch logischen – Probleme, die das Fegefeuerkonzept mit sich bringt, natürlich nicht gering – weshalb seit dem 15. Jahrhundert romkritische Geister immer schonungsloser die Idee des Fegefeuers entzauberten – bis es plötzlich nur noch als Ammenmärchen galt, von einer betrügerischen Priesterkaste in die Welt gesetzt, um sich am Ablasshandel zu bereichern.
Stephen Greenblatt ist der bedeutendste Shakespeareforscher der Gegenwart. Er ist ein großartiger Historiker und Philologe, der wie kein zweiter die Sozial- und Mentalitätsgeschichte zum Leben erweckt, zugleich höchst inspiriert close reading betreibt und die poetischen Valeurs großer Dichtung zu deuten vermag. Sein großes Shakespeare-Buch „Will in der Welt” ist der geglückte Versuch einer Autobiographie, die gar nicht aus der Individualpsychologie, dafür gänzlich aus der Sozialgeschichte heraus gearbeitet ist. Diese Besonderheit der Figur Shakespeares hat in Stephen Greenblatt, der in Harvard lehrt, ihren kongenialen Interpreten gefunden.
In „Hamlet im Fegefeuer” wendet sich Greenblatt einem Einzelaspekt zu, der aber das gesamte Werk Shakespeares prägt. Geistererscheinungen kommen in den Tragödien ebenso vor wie in den Historien wie in den Komödien. Greenblatt entwirft ein farbenreiches Bild der heftigen kirchengeschichtlichen Diskurse in England über das Fegefeuer. Aber mit der offiziellen Abschaffung des Fegefeuers sind die sozialen Energien, denen es einst Form gab, nicht verschwunden. Shakespeare, dessen Vater wohl bis zu seinem Tod gläubiger Katholik geblieben war, hat die Imaginationen aus der Bildwelt des Fegefeuers dorthin gerettet, wo der eigentliche Ort für die Gebilde der Einbildungskraft ist: auf die Bühne.
Schon lange hatten die protestantischen Polemiker nicht mehr theologisch-argumentativ das Fegefeuer widerlegt, sondern es einfach der Lächerlichkeit preisgegeben: als schlecht geschriebene Komödie. Aber dann können die Figuren des Fegefeuers eben auch zu Elementen gut geschriebener Tragödien werden.
Ob Shakespeare die Geister damit deontologisiert hat, ist keineswegs leicht zu sagen. Wo immer Geister bei ihm auftreten, tut er alles dafür, die Frage nach ihrer Wirklichkeit unbeantwortbar zu lassen. „Gedenke mein”, mahnt der Geist von Hamlets Vater den jungen Hamlet. Er stiftet damit eine Erinnerungsgemeinschaft, die zugleich als Racheaufforderung der Wiederherstellung des alten Rechtszustands dienen soll. Alle Schändlichkeiten gebären bei Shakespeare albtraumhafte Geister, die jene Lebenden belagern, an deren Fingern Blut klebt. So wird, schließt Greenblatt, Shakespeares Theater selbst zu einem säkularisierten Totenkult.
Stephen Greenblatt
Hamlet im Fegefeuer
Suhrkamp Verlag. Frankfurt am Main 2008. 427 Seiten, 26,80 Euro.
Es geht um den Tag der Abrechnung
Das Fegefeuer ist wie die Hölle ein gieriger Schlund, der alle Sünder verschlingt. Die Grundstimmung dort ist mit Heulen und Zähneklappern gut überschrieben. – Darstellung des Purgatoriums aus dem 13. Jahrhundert. Foto: Bridgemanart
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit hohem Lob bedenkt Rezensent Ijoma Mangold dieses Buch über das Fegefeuer in Shakespeares Werk. Er würdigt den Autor, Stephen Greenblatt, als einen der wichtigsten Shakespeare-Forscher, der nicht nur als Historiker, sondern auch als Philologe hervorsticht. Besonders schätzt er Greenblatts Talent, Sozial- und Mentalitätsgeschichte lebendig werden zu lassen und zugleich erhellende Textinterpretationen zu liefern. Schon dessen sozialgeschichtlich angelegte Shakespeare-Biografie "Will in der Welt" hat ihn tief beeindruckt. In "Hamlet im Fegefeuer" sieht Mangold nun einen Einzelaspekt im Mittelpunkt, der das gesamte Werk Shakespeares prägt: die Rolle von Geistererscheinungen in den Komödien und Tragödien. In diesen Zusammenhang lobt er das "farbenreiche Bild" der Debatten über das Fegefeuer in England, das Greenblatt entwirft. Zudem mache der Autor deutlich, wie Shakespeare die Bilder aus der Vorstellungswelt des Fegefeuers auf die Bühne transportiert. "So wird", fasst Mangold Greenblatt zusammen, "Shakespeares Theater selbst zu einem säkularisierten Totenkult".

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