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Seit den frühen 1960er Jahren bis zu seinem Tod im Sommer 2003 war Donald Davidson der wohl einflußreichste Philosoph englischer Sprache. Mit Probleme der Rationalität liegt nun der vierte Band seiner philosophischen Schriften in deutscher Übersetzung vor und mit ihm eine weitere Etappe auf Davidsons Weg zu »einer einheitlichen Theorie des Denkens, der Bedeutung und des Handelns«. Der so betitelte Aufsatz bildet zugleich das programmatische Epizentrum dieses Bandes. Rationalität, so Davidsons Generalthese, ist dabei eine notwendige Bedingung, um das Denken, Sprechen und Handeln anderer…mehr

Produktbeschreibung
Seit den frühen 1960er Jahren bis zu seinem Tod im Sommer 2003 war Donald Davidson der wohl einflußreichste Philosoph englischer Sprache. Mit Probleme der Rationalität liegt nun der vierte Band seiner philosophischen Schriften in deutscher Übersetzung vor und mit ihm eine weitere Etappe auf Davidsons Weg zu »einer einheitlichen Theorie des Denkens, der Bedeutung und des Handelns«. Der so betitelte Aufsatz bildet zugleich das programmatische Epizentrum dieses Bandes. Rationalität, so Davidsons Generalthese, ist dabei eine notwendige Bedingung, um das Denken, Sprechen und Handeln anderer interpretieren, d. h. verstehen zu können, und sie spielt eine tragende Rolle bei der Frage, welchen Wesen wir überhaupt einen Geist zusprechen können. In weiteren Abhandlungen wendet Davidson diese These etwa auf die Frage nach der Objektivität der Werte an, fragt sich, ob es eine »Wissenschaft der Rationalität « geben könne, und liefert eine scharfsinnige Analyse von »Turings Test«. Den krönendenAbschluß bilden die berühmten Aufsätze über Irrationalität.Der Band, den der Autor nicht mehr selbst zum Abschluß bringen konnte, wird von seiner Frau Marcia Cavell eingeleitet und schließt mit einem bewegenden Interview, das Ernie Lepore mit Donald Davidson über dessen Leben und Werk geführt hat.
Autorenporträt
Davidson, DonaldDonald Davidson (1917-2003) lehrte u. a. in New York, Stanford, Chicago und Paris. 1970 hielt er die legendären John Locke Lectures in Oxford, 1991 wurde er mit dem Hegel-Preis der Stadt Stuttgart ausgezeichnet. Davidson war u. a. Mitglied der American Academy of Arts and Sciences sowie Fellow der British Academy. Zuletzt war er Willis S. and Marion Slusser Professor für Philosophie an der University of California in Berkeley.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006

Ein Spötter seines Stils
Waschen wir unsere Hände in Unschuld: Donald Davidson kommt der Wahrheit auf die Spur / Von Andreas Platthaus

Als die Menschen sprechen lernten, stellte sich schnell die Frage nach der Wahrheit. Sie ist bis heute ungelöst, aber die Philosophie hält Modelle bereit, mit denen Wahrheit überprüft werden kann.

Wer war Clarence Herbert Davidson? Ein Einwanderer, der mit seiner Familie im neunzehnten Jahrhundert aus dem schottischen Inverness in die Vereinigten Staaten kam, Frau und Kinder an der Ostküste sitzenließ, in den Westen ging und nie mehr zurückkehrte. Und er war der Ururgroßvater von Donald Davidson. Doch war er das wirklich? Der 1917 - lange nach dem Tod von Clarence Davidson - geborene Nachfahre weist auf ein Problem hin: "Es wäre nicht möglich gewesen, meinen Ururgroßvater väterlicherseits zu seinen Lebzeiten in ebendieser Terminologie zu beschreiben. Das zeigt aber nicht, daß er nicht dieselbe Person war wie Clarence Herbert Davidson aus Inverness."

Heute müssen wir dem schottischen Rabenvater dankbar sein. Denn sein vor drei Jahren gestorbener Ururenkel ist einer der bedeutendsten Sprachphilosophen des zwanzigsten Jahrhunderts geworden. Das Dilemma, das er 1987 in seinem Aufsatz "Probleme der Handlungserklärung" am Exempel seines Vorfahren beschrieb, zeigt, daß für das Verständnis von Handlungen deren kausaler Charakter entscheidend ist. Dadurch werden sie einer eindeutigen Erklärung zugänglich, die in ihrer Struktur naturwissenschaftlichen Erklärungen gleicht, obwohl sie selbst psychologischer Natur sind und also jeweils auf den Akteur bezogen individuell. Gleiches gilt für das Denken und für die Sprache. Doch vor allem individuellen Verstehen gibt es bereits eine gemeinsame Basis der Menschen: Unsere Grundwerte als Menschen und unser Blick auf die Welt sind gegeben - als "Lebensweise", wie Davidson es nennt. Doch es bleibt für das Verstehen noch die Frage nach den Absichten des Sprechers, oder mit Pontius Pilatus gesprochen: Was ist Wahrheit?

Dieser Frage rückt Davidson zu Leibe. Er sieht in den zugrundeliegenden "propositionalen Einstellungen" - Überzeugungen, Wünschen und gemeinten Bedeutungen - Variablen, die auf der Grundlage einer Theorie derart bestimmt werden können, daß die Interpretation der Worte eines Sprechers möglich wird. Das klingt kompliziert, und so ist es auch. In seinem Aufsatz "Eine Einheitstheorie über Gedanken, Bedeutung und Handlung" entwickelt Davidson eine formalisierte Beschreibung seiner Methode, die eine empirische Messung von Erwünschtheit und subjektiver Wahrscheinlichkeit aller Sätze gestattet, so daß es möglich ist, das Ausmaß der Überzeugung zu bestimmen, das hinter einer Äußerung steht - also nicht weniger als deren Wahrheitsgehalt.

Zusammengetragen sind diese Überlegungen und die Vorstufen dazu in dem postum zusammengestellten Band "Probleme der Rationalität". Er umfaßt Arbeiten, die seit 1977 einzeln publiziert wurden. Aber die zahllosen Verweise auf die eigenen Schriften beweisen, wie konsequent Davidson in der kleinen Form am Aufbau seines großen sprachphilosophischen Systems arbeitete.

Er war ein Meister des genauen Ausdrucks, was sich seiner Faszination für Logik und der Bekanntschaft mit Carnap und W. F. Quine verdankt. Zudem fiel die Entscheidung Davidsons für das Studium der Philosophie spät; zunächst widmete er sich der englischen Literatur, und dann sattelte er auf Altphilologie um. In einem erstaunlichen Gespräch mit seinem Kollegen und Schüler Ernie Lepore, das den Band beschließt, erfährt man einiges über eine Karriere, die so langsam in Gang kam, daß jeder Studienberater sich entsetzen müßte. Doch die Begeisterung für das Altgriechische begründete Davidsons Interesse für die Ausdrucksmöglichkeiten von Sprache, und in der Lektüre von Xenophon und Platon lag der Keim für die kommende philosophische Beschäftigung.

Davidson hat nie großen Wert auf eine Zugänglichkeit seiner Texte gelegt, die sich aus anderem ergeben würde als der Präzision seines Schreibens (deshalb ist es schade, daß das Lektorat bei der ansonsten vorzüglichen Übersetzung von Joachim Schulte ein paar fehlende Wörter übersehen hat und einmal versehentlich gar der Begriff "Wahrheit" statt "Armut" steht, was zu dem für Davidson buchstäblich undenkbaren Satz führt: "Es ist wünschenswert, die Wahrheit zu beseitigen"). Er selbst spottet über seinen Stil: "Die Exerzitien eines Philosophen brauchen nicht schon deshalb falsch zu sein, weil sie blaß und rational sind."

Selbstverständlich aber ist Davidson viel zu sehr geprägt durch den amerikanischen Pragmatismus, als daß er sich in seinem eigenen Bemühen um die Verbindung von Theorie und Empirie nicht auch um die Veranschaulichung durch Beispiele bemühen würde. Aber erst in den letzten Jahren fließt in seine Texte etwas von jener akademischen Disziplin ein, mit der er begonnen hatte: In dem 1997 veröffentlichten Aufsatz "Wer wird zum Narren gehalten?" findet sich eine lange Erörterung zweier literarischer Texte, des "Ulysses" von James Joyce und Flauberts "Madame Bovary".

An der im "Ulysses" erzählten Behauptung von Stephen Daedalus, Shakespeare habe sich über den Charakter seiner Frau getäuscht, und an Madame Bovarys Flucht in eine romantische Parallelwelt erläutert Davidson die Strukturen des Selbstbetrugs. Daß diese Frage für einen Philosophen, der die Wahrheit von Aussagen bestimmen will, von großer Relevanz ist, bedarf keiner Erklärung. Interessant ist jedoch hier, wie Davidson unter der Hand aus dem Selbstbetrug der literarischen Figuren einen Selbstbetrug ihrer Autoren herleitet. "Flaubert und Joyce", erklärt er, "bilden ein sonderbares Paar: zwei Gefühlsmenschen, die so tun, als wären sie Realisten." Das aber ist, weil gewollt, noch nicht der Selbstbetrug.

Davidson will auf etwas anderes heraus: Beide Schriftsteller halten sich selbst zum Narren. Flaubert war, entgegen dem notorischen Zitat, nicht Madame Bovary, und Joyce verlangte für sein Schreiben, daß seine eigene Frau sich einen Liebhaber nahm, damit er diese Erfahrung überhaupt glaubwürdig in Worte fassen könne - hier liegt der Selbstbetrug darin, zu meinen, man könne einen Selbstbetrug simulieren.

Davidson hat klargestellt, daß man nicht daran glauben kann, daß etwas der Fall und zugleich nicht der Fall ist; das schließt die Rationalität aus, die er als dem Menschen wesentlich erkennt. Dagegen ist es durchaus möglich - Davidson belegt es mit perfidem Vergnügen an den Aussagen Ronald Reagans im Iran-Contra-Skandal - zu glauben, daß etwas nicht der Fall ist, von dem man weiß, daß es der Fall ist. Davidson postuliert dazu einen "geteilten Geist" als "das Bild eines einzigen, aber nicht ganz integrierten Geistes: eines Gehirns, das unter einer vielleicht vorübergehenden, selbst bewerkstelligten Lobotomie leidet".

Diese Formulierung darf man wohl mit Fug als boshaft bezeichnen, aber sie bietet eine gute Beschreibung des Selbstbetrugs, den es bei einem mechanischen Verständnis von Rationalität ja gar nicht geben dürfte. Zudem erweist sich Davidson hier auch wieder als Materialist - ein Zug, der sein ganzes Denken entscheidend bestimmt hat. Mit ihm ist 2003 ein Philosoph gestorben, der weitergedacht hat, wo andere aufgehört haben, und der weiter gedacht hat, als andere jemals gewagt haben. Und das wußten wir übrigens auch schon zu seinen Lebzeiten.

Donald Davidson: "Probleme der Rationalität". Aus dem Englischen von Joachim Schulte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 446 S., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Hocherfreut zeigt sich Michael Hampe über diesen Band mit nachgelassenen Aufsätzen von Donald Davidson, mit dem das Werk des 2003 verstorbenen Philosophen vollständig in der "brillanten" Übersetzung Joachim Schultes auf Deutsch vorliegt. Die Essays des Bands, in denen sich Davidson seiner Theorie des menschlichen Handelns, Erkennens, Wollens und Wünschens, der Vernunft und der Unvernunft widmet, bezeugen für Hampe eine erstaunliche theoretische Kohärenz. Ausführlich berichtet er über Davidsons Theorie des Verstehens, geht auf seine Theorie eines sozial vermittelten Weltbezugs ein und schildert seine Begründung der Objektivität von Werturteilen. Außerdem hebt er Ernie Lepores im Band abgedrucktes Gespräch mit Davidson hervor, das Aufschluss gibt über den Werdegang des Philosophen, die Entstehung seines Werks und auch über seine minuziöse Arbeitsweise. Abschließend würdigt Hampe den Philosophen als einen "ganz großen Geist", der außerhalb der akademischen Welt leider immer noch viel zu wenig bekannt ist.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Das Werk Donald Davidsons, das mit diesem Aufsatzband vollständig auf Deutsch in der brillanten Übersetzung von Joachim Schulte vorliegt, bildet ein System. Die Analysen der einzelnen Essays ergänzen einander. Davidson hat eine Theorie des menschlichen Handelns, Erkennens, Wollens und Wünschens, der Vernunft und der Unvernunft vorgelegt, die eine erstaunliche Kohärenz aufweist.« Michael Hampe Neue Zürcher Zeitung