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Paul Ricoeur, der am 20. Mai dieses Jahres starb, ist einer der großen Philosophen der Gegenwart. Wie kein zweiter hat er den Dialog zum zentralen Thema seiner Philosophie gemacht: den zwischenmenschlichen Dialog, aber auch den hermeneutischen Dialog mit Texten und den konstruktiven Dialog zwischen unterschiedlichen philosophischen Schulen. Mit seinem Tod, schrieb Die Zeit, »geht das 20. Jahrhundert der Philosophie seinem Ende entgegen«. Paul Ricoeurs letztes, großes Buch ist ein philosophisches Vermächtnis. Der französische Philosoph nimmt hier die Fäden seines Werks auf und führt sie…mehr

Produktbeschreibung
Paul Ricoeur, der am 20. Mai dieses Jahres starb, ist einer der großen Philosophen der Gegenwart. Wie kein zweiter hat er den Dialog zum zentralen Thema seiner Philosophie gemacht: den zwischenmenschlichen Dialog, aber auch den hermeneutischen Dialog mit Texten und den konstruktiven Dialog zwischen unterschiedlichen philosophischen Schulen. Mit seinem Tod, schrieb Die Zeit, »geht das 20. Jahrhundert der Philosophie seinem Ende entgegen«. Paul Ricoeurs letztes, großes Buch ist ein philosophisches Vermächtnis. Der französische Philosoph nimmt hier die Fäden seines Werks auf und führt sie zusammen: die besondere Erfahrung seiner selbst als anderem, die Frage der Identität, die Bedeutung des Dialogs und des wechselseitigen Austauschs und, nicht zuletzt, die Theorie des Handelns.
Ricoeurs umfassende historische wie systematische Studie macht im Konzept der Anerkennung einen Zentralbegriff der Philosophiegeschichte insgesamt aus, der, so Ricoeur, bisher sträflich vernachlässigtworden sei. In drei Schritten entwirft er eine Theorie der Anerkennung: Anerkennung kann als Erkennen, als Wiedererkennen und als Anerkanntsein bestimmt werden. Wir können nur etwas erkennen und anerkennen, wenn wir selbst erkannt und anerkannt werden.

Autorenporträt
Ricoeur, PaulPaul Ricoeur (1913-2005) lehrte u.a. Philosophie an der Sorbonne, in Paris-Nanterre und, als Nachfolger von Paul Tillich, philosophische Theologie in Chicago. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Dante-Preis, dem Karl-Jaspers-Preis und dem Kyoto-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.08.2006

Die Lichtung der Konflikte
Paul Ricoeur sucht nach „Wegen der Anerkennung”
„Mir scheint, es gibt ein Gebiet, auf dem sich heute alle philosophischen Forschungen schneiden - das der Sprache.” Mit dieser Feststellung verbindet Paul Ricoeur so unterschiedliche Disziplinen wie die sprachanalytische Philosophie angelsächsicher Prägung, die Phänomenologie im Ausgang von Husserl und Heidegger, die theologischen Ansätze der Bultmann-Schule und religionswissenschaftliche oder anthropologische Arbeiten über Mythen und Glaubensformen. Als Ricoeur diesen Satz schrieb, Mitte der sechziger Jahre in der Einleitung zu seinem Freud-Buch „Die Interpretation”, bestimmte allerdings gerade der „linguistic turn” die in den Geisteswissenschaften verfolgten Fragestellungen, und die entsprechenden Sprach- und Symboltheorien waren in aller Munde. Wahrscheinlich näherte sich Ricoeur, der bei aller internationalen Bekanntheit doch immer etwas im Schatten der ihm gegenüber um fast eine Generation jüngeren französischen Philosophen verblieb, eines Derrida oder Foucault, der philosophischen Aktualität nie weiter an als zu jener Zeit.
Dass es sich bei seiner damaligen Aussage allerdings um alles andere als eine Reverenz an den philosophischen Zeitgeist handelte, zeigt sein letztes, vor seinem Tod im vergangenen Jahr abgeschlossenes Buch „Wege der Anerkennung”. Der Titel lässt im deutschen Sprachraum zunächst an die sozialphilosophische Frage der wechselseitigen Anerkennung denken, wie sie ausgehend von Hegels Kampf um Anerkennung bis in die gesellschaftstheoretischen Konzeptionen der Erben der Frankfurter Schule diskussionsbestimmend sind. Die Frage einer neuen Konzeption von Anerkennung jenseits der sozialphilosophischen Fragestellung bildet denn auch den Fluchtpunkt von Ricoeurs Überlegungen. Allerdings ist dies eine durch die deutsche Übersetzung des Titels unvermeidliche Reduktion gegenüber seinem Ansatz, der mit der Figur der Selbsterkenntnis eine starke ethische Motivierung erfährt. Denn das französische Wort „reconnaissance” umfasst neben der wechselseitigen Anerkennung noch zwei weitere, von Ricoeur auf lexikalischer Grundlage herausgearbeitete Bedeutungen. Dies ist zunächst der „Bedeutungsherd” des Erkennens als eines Identifizierens oder Unterscheidens, sodann die Herstellung einer personalen Identität über das Wiedererkennen seiner Selbst in der Erinnerung und als einer mit individuellen und sozialen Fähigkeiten ausgestatteten Person.
Elegant an der sprachlichen Bedeutungsverschiebung entlangargumentierend, dekliniert Ricoeur auf diese Weise für ihn zeit seines eigenen Philosophierens maßgebliche Fragestellungen wie die nach dem Subjekt des Handelns und der Narration in Bezug auf drei zentrale philosophische Disziplinen - Erkenntnis-, Handlungs- und Gesellschaftstheorie. Da sich die Bedeutungsvielfalt des französischen Wortes „reconnaissance”, das alle diese Aspekte in sich begreift, im Deutschen nicht in einem analogen Begriff erhalten lässt, entschieden sich die Übersetzerinnen zu der auf den ersten Blick handwerklich fragwürdig erscheinenden Lösung, das Wort in manchen Kontexten unübersetzt zu lassen.
Der Ausgang von der semantischen Vielfalt des Begriffes der Anerkennung stellt sich im Durchgang durch die Interpretation als Kunstgriff heraus, um den in der Gesellschaftstheorie gängigen Terminus scheinbar mühelos in seine einzelnen Aspekte aufzufächern. Denn trotz der ausführlichen Passagen zur Frage der Identität des erkennenden Subjekts zielt die Studie letztlich doch auf eine Kritik und vorsichtige Erweiterung des sozialphilosophischen Anerkennungsbegriffes hinaus. Seit dem berühmten Kapitel in Hegels „Phänomenologie des Geistes” steht das Modell der wechselseitigen Angewiesenheit auf Anerkennung im Zentrum aller Überlegungen um den Status der bürgerlichen Partizipationsmöglichkeiten. Bis hin zu modernen Sozialphilosophen wie Charles Taylor oder Axel Honneth bildet allerdings die Erfahrung von verweigerter Partizipation die Initialzündung für einen Kampf um mehr rechtliche oder soziale Wertschätzung. An diesem Ausgang von der Negativität, an dem sich von Hegel bis Honneth nichts Grundsätzliches ändert, setzt Ricoeurs Kritik an. An welchem Punkt, so Ricoeurs Überlegung, wäre die Dialektik der Anerkennung zu einem Stillstand zu bringen? „Löst sich das Verlangen nach emotionaler, rechtlicher und gesellschaftlicher Anerkennung wegen seines militanten, konfliktträchtigen Stils nicht in ein unbegrenztes Verlangen, eine Form des ,schlechten Unendlichen‘ auf?”
Ethik der Dankbarkeit
Gegen diese „unersättliche Suche” setzt Ricoeur „Friedenszustände” genannte Situationen, in denen es zu einer momentanen, symbolisch vermittelten Unterbrechung des Kampfes kommt. Ricoeur gewinnt ein Modell für eine solche „Lichtung” der Konflikte in einer überzeugenden Weiterentwicklung der ethnologischen Theorie der „Gabe”, die er in eine „Ethik der Dankbarkeit” münden lässt. Denn „reconnaissance”, dies die überraschende Pointe des Buches, lässt sich nicht zuletzt auch mit „Dankbarkeit” übersetzen. Ob diese ultimative Form der Anerkennung allerdings auch für soziale Verhältnisse gilt, die mehr als zwei Personen umfassen, bleibt offen. Nicht umsonst beschließen Montaignes Worte des Andenkens an seine Freundschaft mit Étienne de la Boétie das Werk: „Weil er er war, weil ich ich war.”
SONJA ASAL
PAUL RICOEUR: Wege der Anerkennung. Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein. Aus dem Französischen von Ulrike Bokelmann und Barbara Heber-Schärer. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 335 S., 26,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Andreas Cremonini fühlte sich von Paul Ricoeurs letzter selbst verantworteter Veröffentlichung auf einige "gelehrte Spaziergänge durch die philosophischen Gärtlein" von Kant, Bergson und Hegel" mitgenommen. Allerdings ist dem Buch aus seiner Sicht anzumerken, dass es aus einem Vortrag am Wiener "Institut für die Wissenschaft vom Menschen" hervorgegangen ist, also keine geschlossene Theorie, sondern eher ein Parcours durch Diskurse zum Thema sei. So konnte Cremonini zunächst nicht klar erkennen, in welches Verhältnis Ricoeur selbst denn die drei Kernbedeutungen von Anerkennung zueinander setzt. Auch wurde ihm für einen Geschmack mitunter etwas zuviel geläufige Hegeliana aufgetischt. Zu einem eigenständigen Zugang zum Thema findet der Phänomenologe nach Ansicht des Rezensenten erst auf "einigen wenigen, aber dichten Seiten" am Ende des Buches, wo er Zweifel an Hegels Sicht des Anerkennungsbegriffes formulieren würde.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ricoeur gehört zweifellos zu den großen Philosophen des vergangenen Jahrhunderts, die wegen ihrer Sonderstellung jenseits der einflussreichen Strömungen zu einer ganz eigenen Produktivität fanden.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung