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Mit dieser Sonderausgabe wird ein Klassiker der modernen Mediengeschichte und -theorie wieder zugänglich gemacht. Die Konzepte "Kultur als 'Informationsgesellschaft'" und "Kulturgeschichte als Wandel von Informationsverarbeitung und Vernetzung" haben sich heute zu Leitideen in Politik und Wissenschaft entwickelt. Gieseckes Arbeit hat dafür die theoretischen Grundlagen geschaffen und gibt so auch entscheidende Impulse für die Analyse der gegenwärtigen Medienlandschaft.

Produktbeschreibung
Mit dieser Sonderausgabe wird ein Klassiker der modernen Mediengeschichte und -theorie wieder zugänglich gemacht. Die Konzepte "Kultur als 'Informationsgesellschaft'" und "Kulturgeschichte als Wandel von Informationsverarbeitung und Vernetzung" haben sich heute zu Leitideen in Politik und Wissenschaft entwickelt. Gieseckes Arbeit hat dafür die theoretischen Grundlagen geschaffen und gibt so auch entscheidende Impulse für die Analyse der gegenwärtigen Medienlandschaft.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.05.2007

Wissensmoleküle
Ohne Mitleid: Michael Giesecke am Totenbett der Buchkultur
Liebe Leser, was Sie hier gerade machen, nämlich sich einfach so einen Text vorsetzen zu lassen, den Sie dann auch noch ohne nennenswerte eigene Aktivität einfach so zu sich nehmen – das ist wirklich von gestern. Jedenfalls wenn es nach dem Erfurter Medienhistoriker und Medientheoretiker Michael Giesecke geht, bewegen wir, also Leser und Schreiber, uns mit unserer auslaufenden Lesekultur in einem „Gebilde von sehr begrenzter Dauer und Reichweite – wenn wir historische Maßstäbe anlegen”.
Michael Giesecke hat Anfang der neunziger Jahre ein umfassendes und erhellendes Buch über den „Buchdruck in der frühen Neuzeit” vorgelegt. Das war ein guter Zeitpunkt, um sich aus der historischen Medienrevolution des Abendlandes ein Polster von beinahe 1000 Seiten zu bauen, von dem aus sich die globale elektronische Medienrevolution des folgenden Jahrzehnts kundig und bequem verfolgen ließ. Doch Giesecke, Jahrgang 1949, ließ sich nicht im Gutenberg-Sofa hängen. Er wollte und will vielmehr selbst dabei sein und beobachten, wie sich das Buch im Netz verfängt. Dass die neueste Auflage seiner Buchdruck-Studie jetzt mit beigelegtem pdf-Volltext herauskommt, und dass er heute einen aufwendigen Internet-Auftritt hat, der seine Bücher „transmedial” ergänzen soll, ist da noch das Geringste; vor allem ist es Michael Gieseckes Anliegen, die Veränderungen der Kommunikation nicht zu bejammern, sondern analysierend und appellierend mitzugestalten.
Das liest sich beispielsweise so: „Viele Indizien, nicht zuletzt die Abnahme der Alphabetisierungsrate und -qualität in den Industrienationen, sprechen dafür, dass die bisherigen Hierarchien aufgelöst und neue Balancen gefunden werden müssen. Es geht also um eine Neubestimmung des Verhältnisses der Sinne, Programme, Medien usw. in der kulturellen Informationsverarbeitung. Diese wird erleichtert, wenn allgemein deutlich wird, dass das herrschende Verhältnis nur eine Option unter vielen (gewesen) ist.” Oder so: „Die Prämierung zeit-, personen- und raumunabhängiger (objektiver) Wahrheiten, die für die Buchkultur sinnvoll war, wird zugunsten funktional angemessener Informationen, themen-, personen- und/oder professionsbezogenen, pragmatischen Wissens zurückgefahren. Der Geltungsbereich von Aussagen kann eingeschränkt werden. Allgemeingültigkeit ist nicht mehr oberstes Ziel. Die geeignete Form für die Speicherung und Kommunikation dieser Wissensmoleküle sind mehrdimensionale Datenbanken.”
Nur eine Episode
Dies und Ähnliches steht in einer Sammlung teils publizierter, teils neu geschriebener Beiträge, die Giesecke zu seinem jetzt erschienenen Buch „Die Entdeckung der kommunikativen Welt” zusammengefasst hat. In Fallstudien und Modellen wird hier ausgearbeitet, was der Autor vor fünf Jahren unter dem Titel „Mythen der Buchkultur” proklamiert hat: nämlich, dass die neuzeitliche Wissensvermittlung und Schriftkultur eine „typographische Monokultur” bedeute, welche die Kommunikation einseitig homogenisiert und standardisiert habe; dass auf diese Weise interaktivere und durch die Vielfalt mehrerer Sinne ablaufende Formen des Austausches diskriminiert würden, wie sie in anderen Epochen und anderen Kulturen geherrscht hätten oder herrschten; und dass eine bewusste Annahme des Übergangs zur „posttypographischen” Ära im Bildungswesen wie in der gesamten Kultur uns „den anstehenden Ablösungsprozess erleichtern” werde, was zudem „unter den Bedingungen der Globalisierung” ohnehin unausweichlich sei. Kurz: Fünfhundert Jahre Buchkultur waren medienhistorisch bloß eine Episode.
„Die Entdeckung der kommunikativen Welt”: Das wäre auch eine passende Überschrift über die Entwicklung der Geisteswissenschaften der vergangenen Jahrzehnte. Nicht zuletzt die philologischen und historischen Fächer fragten nicht mehr isoliert nach literarischer Gestaltung, nach großen Taten und geistesgeschichtlichen Entwicklungen; das Publikum trat auf den Plan und mit ihm die Rezeptionsformen, die Interessen, die Medien. Es wäre ausgesprochen unfair, in dieser Bewegung der Forschung nichts als eine Reaktion auf den Aufstieg des Fernsehens, der Propaganda-Macht und des Computers im 20. Jahrhundert zu erkennen – und zu meinen, vor lauter Expertise über Kommunikationskanäle verstehe die Wissenschaft gar nichts mehr von den Gegenständen selbst. Denn über das Funktionieren von Sprache und Texten in historischen Lebenswelten haben wir tatsächlich viel Neues gelernt, und niemand wird heute mehr bei der Betrachtung eines alten Gedichts die Frage für uninteressant halten, wie viele Zeitgenossen des Dichters es eigentlich lesen konnten, oder ob er es ihnen vorgesungen hat oder nicht.
Das gute Emanzipationsgefühl
Dass solche Forschungsfragen, denen in unseren Tagen große Institute gewidmet sind, einst nicht selbstverständlich waren, offenbart ein Aufsatz Gieseckes, der 1979 in einem von Reinhart Koselleck herausgegebenen Band erschien: Dort beklagt der Autor „die geringe Beachtung kommunikativer Verhältnisse durch die Geschichtswissenschaft”. Das kann man nun heute nicht mehr behaupten; und Gieseckes materialreicher Band enthält viele Beispiele, wie sich mit genauen Einzelbeobachtungen fruchtbare Deutungen des Medienwandels gewinnen lassen – ob anhand der Geschichte von Alphabetisierungskampagnen oder eines gründlichen Vergleichs von Druckmedien in Deutschland und Japan, den Shiro Yukawa mitverfasst hat. Plausibel wird etwa mit diesem Buch, dass Medien, wie es inzwischen Allgemeingut ist, zwar parallel bestehen können und sich nicht notwendig gegenseitig verdrängen müssen – dass aber das Nebeneinander nicht grenzenlos ist, sondern wie in der Ökologie durch Ressourcenknappheit bestimmt. Das heißt heute: Man kann nur so viel lesen, wie man nicht fernsieht, redet oder im Internet surft.
So sehr Michael Giesecke also an vielen Stellen die Berechtigung seiner Forschungsrichtung vorführt, so unangenehm deutlich wird indes zugleich, wie viel Schematismus ihm dazu noch nötig erscheint. Um die Opposition zur Buchkultur einzunehmen, simplifiziert Giesecke diese, trotz seiner Kenntnisse, in unerträglicher Weise. So schreibt er, in Schule und Universität führe die herkömmliche Buchkultur zu „identischer Reproduktion des Wissenskanons” und zur „Gleichschaltung der Erlebens-und Verarbeitungsformen der Kommunikatoren” – hat der Autor jemals ein gelungenes Kolloquium erlebt, in dem gerade anhand gelesener gedruckter Texte vielfältige Interpretation, Austausch und Diskussion vor sich gehen?
Vier Seiten später hat Giesecke eine Tabelle aufgestellt, in der die Unterschiede zwischen „typographischem Wissenschafts- und Wissensschöpfungsideal” und den „Gegenbewegungen in den letzten Jahren” aufgelistet sind. Für die Buchkultur typisch sollen sein: „Gütekriterium: wahr/falsch; strikter Falsifikationismus” sowie „amtlicher Bildungskanon”. Hat der Zweifel an Gegebenem nicht von Descartes bis zu Derrick seinen Ort im Buch gehabt? Ganz falsch ist Gieseckes Ansicht, vor dem Buchdruck habe es keine Bücher als „autonomes Medium” einer „interaktionsfreien Verständigung” gegeben; schon in der Antike gab es durchaus einen funktionierenden Buchmarkt und Privatlektüre.
Vollends irritierend aber ist, dass Giesecke als Energiezufuhr für seine Medienhistorie immer noch ein Emanzipationsgefühl für unabdingbar hält. Gegen das Regiment der Bücher noch heute mit „Unterdrückung”, ja „Versklavung der Sinne” zu argumentieren – das heißt nun wirklich mit Kanonen auf Spatzen schießen. JOHAN SCHLOEMANN
MICHAEL GIESECKE: Die Entdeckung der kommunikativen Welt. Studien zur kulturvergleichenden Mediengeschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 534 Seiten, 17 Euro.
MICHAEL GIESECKE: Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien. Vierte Auflage, mit CD-ROM. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006. 957 Seiten, 39,90 Euro.
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