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Der Kommunikationsbegriff gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der Wissenschaften des 20. Jahrhunderts. Er tritt an die Stelle, die bis ins 19. Jahrhundert der Kausalitätsbegriff besetzt hatte. Dank des Begriffs der Kommunikation können soziale Verhältnisse zwischen Menschen, Tieren und vielleicht bald auch Maschinen beschrieben werden. Dirk Baecker zeichnet die Entwicklung dieses Kommunikationsbegriffs von Platons Sophistes bis zu Claude E. Shannons mathematischer Kommunikationstheorie nach. Dabei zeigt er, daß Kommunikation nicht, wie es meist geschieht, als Übertragung, sondern als…mehr

Produktbeschreibung
Der Kommunikationsbegriff gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der Wissenschaften des 20. Jahrhunderts. Er tritt an die Stelle, die bis ins 19. Jahrhundert der Kausalitätsbegriff besetzt hatte. Dank des Begriffs der Kommunikation können soziale Verhältnisse zwischen Menschen, Tieren und vielleicht bald auch Maschinen beschrieben werden. Dirk Baecker zeichnet die Entwicklung dieses Kommunikationsbegriffs von Platons Sophistes bis zu Claude E. Shannons mathematischer Kommunikationstheorie nach. Dabei zeigt er, daß Kommunikation nicht, wie es meist geschieht, als Übertragung, sondern als Selektion zu verstehen ist, als wechselseitige Selektion innerhalb eines dadurch eröffneten Raums der Möglichkeiten. Dieser neue Begriff der Kommunikation ermöglicht es, einerseits die Form der Kommunikation als sozialen Vorgang der Zuschreibung und Ausnutzung von Freiheitsgraden zu bestimmen und andererseits die verschiedenen Formen der Kommunikation in Interaktion, Organisation, sozialer Bewegung und Gesellschaft zu beschreiben. Die Theorie der Kommunikation hat somit auch unmittelbare gesellschaftstheoretische Implikationen. Wie sich die Gesellschaft zählt, ordnet und errechnet, wird zum Ausgangspunkt einer Bestimmung der Sinnfunktionen des Sozialen und wirft zugleich die Frage auf, welche Gestaltungsspielräume wir in dieser Gesellschaft haben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2005

So aufregend klingt Kommunikation

"Form der Kommunikation" verbinden wir mit Emotionen, Leidenschaft oder Nüchternheit, "Formen" mit Spielregeln wie "Ausreden lassen" oder "Jeder kommt mal dran". Solche Vorstellungen läßt dieses Buch weit hinter sich, obwohl man sie besser versteht, wenn man es gelesen hat. Dirk Baecker geht es um Kommunikation als soziales Verhältnis, also bezogen auf die Gesellschaft, nicht um Kommunikation als Handlung mit aufzählbaren Wirkungen. Er ist der Systemtheorie verpflichtet und knüpft an die mathematische Kommunikationstheorie von Shannon sowie an den Formkalkül von G. S. Brown an.

Jetzt hört der Rezensent zahlreiche Klappen fallen. Auch Baecker rechnet mit widerständigen Denkgewohnheiten. Deshalb bemüht er sich um Klarheit, bringt viele schlagende Beispiele und verdeutlicht immer wieder den roten Faden seiner Argumentation. Die Beschwerlichkeiten der Abstraktion bleiben natürlich und sorgen dafür, daß die Kommunikation offen bleibt. Mit Pop-Begriffen läßt sich eben keine sozialwissenschaftliche Theorie schreiben. Aber die Anstrengung lohnt sich. Das Buch ist ein Quantensprung (Dirk Baecker: "Form und Formen der Kommunikation". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 284 S., geb., 22,80 [Euro]).

Der Grundgedanke ist einfach und folgt der Entwicklung der philosophischen Erkenntnistheorie. Man darf Kommunikationen nicht vergegenständlichen und in das Schema von Ursache und Wirkung pressen. Das widerspricht beobachtbarem Verhalten. Man muß Kommunikationen als Selektionen verstehen, als Auslese. Ausgelesen wird von allen Betroffenen durch Unterscheidungen anhand von überraschenden Nachrichten, von Informationen. Bei der Unterscheidung kommt es auf die Gegenbegriffe an. Es macht einen Unterschied, ob man den Menschen vom Tier, von den Göttern oder von Maschinen unterscheidet. In diesem Sinne wird die Information mit der Auswahl hergestellt und das Undenkbare denkbar: die Kommunikation mit Maschinen. Die Verfestigung schafft Handlungssicherheit und die Handlungssicherheit neue Freiheitsgrade. Gewißheit erhält man zwar nicht, aber man weiß Bescheid und kann handeln. Wichtig ist, die Theorie setzt Unbestimmtes voraus und verfolgt, wie es mehr und mehr bestimmt wird.

Das löst ein Problem, das sich die jüngere Philosophie mit ihrem vernünftigen Subjekt selbst eingebrockt hat. Nach Kant ist die Außenwelt, das "Ding an sich", für das vernünftige Subjekt unerkennbar. Deshalb ist das Subjekt gezwungen, die Welt mit seiner Vernunft zu ordnen. Über diese Argumentation hat schon Hegel gespottet. Wenn das "Ding an sich" unerkennbar sei, könne man auch nicht vernünftig darüber reden. Hegel selbst hat das Problem als Frage des Bewußtseins thematisiert, unter "sinnlicher Gewißheit" und "Wahrnehmung" erörtert und im "Selbstbewußtsein" aufgehoben, hat also ähnlich argumentiert wie Dirk Baecker. Auch die Freiheitsgrade könnte man bei ihm wiederentdecken. Ein Bezug fehlt bei Hegel allerdings, der bei Baecker den großen Sprung markiert: der Bezug zur Gesellschaft. Grund ist, Hegel hat den Gesellschaftsbegriff mit seinem "Not- und Verstandesstaat" anderweitig besetzt. Gesellschaft als Ordnung aller Kommunikationen ist eine spätere Entwicklung.

Baecker nimmt dieses Verständnis von Gesellschaft auf und zeigt, wie Kommunikation im Kontext von Interaktion, Organisation, Protestbewegung und Gesellschaft (als Inbegriff des Sozialen) funktioniert, welche Rolle die Sinnfunktionen System, Person, Medien, Netzwerk und Evolution spielen und wie sich Kommunikation gestalten läßt. Daß all diese Gesichtspunkte Kommunikationen beeinflussen können, leuchtet sofort ein. In eine Ordnung gebracht werden sie natürlich durch Unterscheidungen. Aber wie das im einzelnen durchgeführt ist und welche aufregenden Beobachtungen dabei angefallen sind, das muß man selbst lesen. Hier nur zwei Beispiele, Interaktion und Organisation.

Interaktion ist eine Kommunikation, die dadurch zustande kommt, daß Individuen wahrnehmen, daß sie sich wahrnehmen. Das setzt die Anwesenheit der Individuen voraus, aber unter der Bedingung, daß sie auch abwesend sein, also einfach weggehen könnten. Gefangene sind ein Spezialfall. Die Grundunterscheidung ist jedenfalls die zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. Aber Abwesenheit kann nicht einfach nichts sein. Sie ist vielmehr mögliche Anwesenheit und beeinflußt insofern die Anwesenheit. Bei einem Streit zwischen Jugendlichen sprechen beispielsweise die Eltern als Abwesende mit.

Organisationen unterscheiden zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Wenn man mit Organisationen kommuniziert, kann man mit allen Mitgliedern kommunizieren, also auch und vor allem mit solchen, die abwesend sind, eine höchst unwahrscheinliche Situation: "Ein ungeahnter, die Gesellschaft faszinierender und erschreckender Freiheitsspielraum öffnet sich, gewinnt jedoch nur in dem Maße seine Form, in dem Bedingungen gefunden werden, die es für Mitglieder attraktiv machen, sich auch außerhalb der Kontrolle durch Anwesende an die Organisation gebunden zu fühlen."

In beiden Fällen wird eine deutliche Struktur sichtbar, und beide Fälle sind erklärend ineinander verschränkt. Wenn Kommunikationen die kleinsten Teilchen der Gesellschaft sind, dann enthält dieses Buch eine Relativitätstheorie der Gesellschaft, wobei allerdings daran zu erinnern ist, daß die Amerikaner nicht mit der Relativitätstheorie, sondern mit den Newtonschen Gravitationsgesetzen zum Mond geflogen sind.

GERD ROELLECKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Überaus instruktiv erscheint Niels Werber dieser Versuch Dirk Baecker, die systemtheoretische Soziologie mit dem Algorithmus der Medium-Form-Unterscheidung zu reformulieren. Jeder, der die Komplexität der Systemtheorie und ihrer kybernetischen, konstruktivistischen, kommunikations- und evolutionstheoretischen, neuro-, kultur- und medienwissenschaftlichen oder organisationssoziologischen Verästelungen kenne, versichert Werber, werde dies zu schätzen wissen. Luhmann folgend betrachte Baecker Kommunikation als elementare Einheit der Gesellschaft, die er als Form deute. So lasse sich die Gesellschaft in all ihrer Komplexität als Funktion dieser Operation abbilden. Werber beschreibt in seiner Besprechung recht anschaulich, was dies konkret bedeutet. Insgesamt liest er das Buch als eine Versuch, die Gesellschaftstheorie "tiefer" zu legen und auf eine Grundlage mit wenigen Axiomen und Operatoren zu stellen. "Dass es Baecker gelingt, dies mit zum Teil verblüffend einfachen und evidenten Beispielen vorzuführen", resümiert er, "macht das Buch für alle, die an Form Interesse haben, lesenswert".

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