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Wohnungsauflösungen und Tabula rasa, Not- und Spontanverkäufe. Was treibt Menschen dazu, sich über Kleinanzeigen für kleines Geld von ihren Dingen zu trennen? Ernsthaft, in Kaufabsicht, hat Sarah Khan viele Inserierende getroffen und genau hingehört, als sie anfingen, ihre Lebensgeschichten zu erzählen - und aus Oral History Literatur gemacht. Entstanden sind Geschichten von Abschied und Neuanfang, Glück und Unglück, von hochfahrenden oder bereits geplatzten Träumen. Seit Sarah Khan mit ihrer Familie ein altes Schulhaus in Brandenburg renoviert und als Wochenendhaus einrichtet, studiert sie…mehr

Produktbeschreibung
Wohnungsauflösungen und Tabula rasa, Not- und Spontanverkäufe. Was treibt Menschen dazu, sich über Kleinanzeigen für kleines Geld von ihren Dingen zu trennen? Ernsthaft, in Kaufabsicht, hat Sarah Khan viele Inserierende getroffen und genau hingehört, als sie anfingen, ihre Lebensgeschichten zu erzählen - und aus Oral History Literatur gemacht. Entstanden sind Geschichten von Abschied und Neuanfang, Glück und Unglück, von hochfahrenden oder bereits geplatzten Träumen.
Seit Sarah Khan mit ihrer Familie ein altes Schulhaus in Brandenburg renoviert und als Wochenendhaus einrichtet, studiert sie ständig eBay-Kleinanzeigen. Sie findet dort nicht nur Haushaltsgegenstände, sondern auch ungetragene Hochzeitskleider, Pferdebücher, Kosmetikartikel, Fotoalben. Und sie stellt fest: Hinter diesen Anzeigen verbergen sich Menschen. Die traurige Yvonne mit ihrem Hochzeitskleid; eine junge Frau, die ernsthaft glaubt, mit ihrer Pferdebuchsammlung könne sie ihre Altersversorgung sichern; eineWahrsagerin, die ihre Dienste anbietet und dabei ins Stammeln gerät; ein Tierpfleger, genannt der »Affen-Walter«, der einst Michael Jackson durch den Berliner Zoo geführt hat, Bilder im Album zeugen davon. Was ist diesen Menschen passiert, die sich von Teilen ihres Lebens trennen wollen? Sie haben es Sarah Khan erzählt, und Sarah Khan hat ihre Geschichten aufgeschrieben.
Autorenporträt
Khan, SarahSarah Khan, Autorin und Journalistin, geboren 1971 in Hamburg, lebt in Berlin. Sie studierte Volkskunde und Germanistik. Sie hat drei Romane publiziert. Zuletzt erschien Die Gespenster von Berlin. Wahre Geschichten (st 4474). 2012 erhielt sie den Michael-Althen-Preis.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.06.2017

Bitte zu
zweit kommen
Sarah Khan entdeckt in der Anpreisungsprosa von
Kleinanzeigen unser magisches Verhältnis zu Dingen
VON JAN KEDVES
Dass das Leben die besten Geschichten schreibt, ist ein furchtbarer Allgemeinplatz. Dass aber auch der digitale Marktplatz Ebay beste Geschichten liefern kann, ist noch keiner. Dabei liegt es ja nah: An jeden Gegenstand, der dort zum Höchstgebot, Festpreis oder zum Verschenken angeboten wird, knüpft sich eine Geschichte, und wenn die nur ausreichend absurd, ergreifend, dramatisch oder alles auf einmal ist, kann man sie aufschreiben.
Wobei die Berliner Schriftstellerin Sarah Khan, als sie mit der Arbeit an dem begann, was nun ihr Buch „Das Stammeln der Wahrsagerin“ geworden ist, erst mal gar nicht auf Geschichten aus war, sondern tatsächlich auf Dinge. Günstige Dinge, mit denen sie die alte Dorfschule, die sie mit ihrem Mann in Brandenburg renovierungsbedürftig gekauft hatte, zum Wochenendhaus für sich und ihre Kinder einrichten wollte. Beim Suchen fiel ihr auf, dass der stark interpunktierte Telegrammstil („umsthlb. abzugeb.“), der früher in gedruckten Kleinanzeigen aus Kosten- und Platzgründen herrschte, auf Ebay einer ausladend gefühligen Produktanpreisungsprosa gewichen ist, zum Beispiel wenn ein drei Jahre alter Kühlschrank mit defektem Tiefkühlfach („Ich bin noch relativ ganz“) seine Sehnsucht nach einem neuen Besitzer bekundet, „der mich jeden Tag aufmacht und den ich mit vielen Leckereien beschenken kann“. Es mag am Suchradius Berlin und der lokalen Schnauze liegen, dass sich in einige Angebote, etwa zwei Edelstahltöpfe für zehn Euro, auch Ruppigkeit mischt: „Wer keinen zusammenhängenden Satz schreiben kann, muss sich gar nicht erst melden.“
Sarah Khan liest solche Anzeigentexte wie Literatur, und allein aus den lustigsten, bizarrsten oder frechsten von ihnen („Bitte zu zweit kommen, kein ‚Fass mal mit an‘ oder so“) hätte sie ein unterhaltsames Buch zusammensampeln können. Nur wäre sie als Schriftstellerin dabei stark unter- und die Suhrkamp-Rechtsabteilung wohl überfordert gewesen. Außerdem ist Khan eine exzellente Reporterin, jemand, die gerne rausgeht, Menschen trifft, Orte und Situationen beschreibt, sich für kleinste Details interessiert. Wenn sie auf Ebay eine Anzeige wie die von Yvonne aus Berlin-Tegel liest, die ihr Hochzeitskleid verkaufen will, das garantiert nie getragen wurde, „da die Hochzeit nicht stattgefunden hat“, dann ist Khan spitz auf die Geschichte dahinter, die in diesem Fall tatsächlich mehr tragisch als komisch ist.
Warum ist die Versicherung, dass das Kleid ungetragen ist, so wichtig? Natürlich weil die Menschen, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht, ein abergläubisches und magisches Verhältnis zu den Dingen haben. So betrachtet, ist „Das Stammeln der Wahrsagerin“ gar nicht weit entfernt von Khans vorigem Buch. In „Die Gespenster von Berlin“ (2009) machte sie sich auf Spuk-Spurensuche durch die Hauptstadt, versuchte unter anderem nachts im ehemaligen Diakonissen-Krankenhaus in Kreuzberg (heute Künstlerhaus Bethanien), wo einst Theodor Fontane schon einem Apotheker-Geist persönlich begegnete, ein Auge zuzutun. Oder sie besuchte im weißen Hochhaus am Hackeschen Markt in Mitte, das dafür bekannt ist, dass sich von ihm besonders viele Berliner stürzen, im achten Stock die Mieterin Susanne Pfeffer. Die hat in diesem Jahr den deutschen Pavillon bei der Venedig-Biennale kuratiert und heißt in dem Buch allerdings „Patricia“, wohl aus juristischen Gründen.
In „Das Stammeln der Wahrsagerin“ kommt Khan den Menschen nun noch näher als in ihren Gespenstergeschichten, weswegen Identitäten teils wieder anonymisiert sind. Der kreative Freiberufler, der in der Nachkriegsmoderne des Berliner Hansaviertels absolut stilecht wohnen will und deswegen sein altes, unpassend wulstiges Achtzigerjahre-Sofa ein bisschen zu aggressiv loszuwerden versucht, heißt im wahren Leben garantiert nicht Ronan Stein. Je häufiger er sagt: „Am liebsten würde ich es aus dem Fenster schmeißen“, desto mehr ahnt man: Dieser Mann hat eigentlich ganz andere Probleme als nur noch nicht das perfekt schlanke Mid-Century-Sofa in seiner Egon-Eiermann-Wohnung.
Khan schreibt, und das muss man ihr glauben, dass sie beim Recherchieren auch Skrupel bekam. Sie kontaktierte die Ebay-Anbieter irgendwann ja nicht mehr mit Kaufabsicht, sondern mit immer mehr Durst nach einer guten Geschichte, manche brachen daraufhin den Kontakt ab, manche witterten die Chance, berühmt zu werden. Khan hat aus diesen Problemen nicht einfach einen lahmen vorangestellten Disclaimer gemacht, sondern eine weitere Geschichte, in die sie sich selbst hineinschreibt: Sie bucht für ihr halb fertiges Buch, dessen verlagsinternen Arbeitstitel „Brautkleid, garantiert ungetragen“ sie schrecklich findet, eine Wahrsagerei. 45 Euro für 90 Minuten, angeboten bei Ebay von einer alleinerziehenden Mutter aus Berlin-Friedenau, die auf diese Weise den mageren Verdienst aus ihrem prekären Dozentinnen-Job im akademischen Mittelbau aufpolstert. Dass sie sich nicht hinter der gängigen Jahrmarktswahrsagerinnen-Verkleidung aus „Tüchern, grellem Make-up, Goldflitter, Federn und gefärbtem Glas“ versteckt, wertet Khan als positives Zeichen, aus den Tarot-Karten liest Anna dann aber doch nur platte Ratschläge wie „Geh aus der Angst raus“. Dafür stammelt sie. Das Buch ist gerettet.
Sarah Khan: Das Stammeln der Wahrsagerin. Unglaubliche Geschichten hinter Kleinanzeigen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 173 Seiten, 12,95 Euro. E-Book 10,99 Euro
„Ich bin noch relativ ganz“,
sagt der Kühlschrank,
drei Jahre alt, von sich
Am Schwarzen Brett herrscht Platznot, bei Ebay wird gefühlig erzählt – Geschichten stecken immer dahinter.
Foto: imago
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»Sarah Khan entdeckt in der Anpreisungsprosa von Kleinanzeigen unser magisches Verhältnis zu Dingen. Sie erzählt absurde, dramatische und ergreifende Geschichten über Besitz und Verkauf.« Jan Kedves Süddeutsche Zeitung 20170614