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Großbritannien 2071. Ein Virus verwandelt pubertierende Mädchen in bluthungrige Cyborgs, »tote Mädchen«. Wer von ihnen gebissen wird, zeugt selbst vampirische Wesen. Die regierende Partei »Human Front« ruft zum Massaker an den Puppen auf und riegelt London hermetisch ab. Doch der junge Ivan Zwakh weigert sich, seine Geliebte, die Sexpuppe Primavera, zu verlassen, auch wenn ihre Liebesbeweise ihn fast das Leben kosten. Den beiden gelingt die Flucht nach Bangkok, aber ihre Verfolger sind ihnen dicht auf den Fersen ...Richard Calder entwirft eine düstere Zukunftswelt, in der Gelüste nach Sex,…mehr

Produktbeschreibung
Großbritannien 2071. Ein Virus verwandelt pubertierende Mädchen in bluthungrige Cyborgs, »tote Mädchen«. Wer von ihnen gebissen wird, zeugt selbst vampirische Wesen. Die regierende Partei »Human Front« ruft zum Massaker an den Puppen auf und riegelt London hermetisch ab. Doch der junge Ivan Zwakh weigert sich, seine Geliebte, die Sexpuppe Primavera, zu verlassen, auch wenn ihre Liebesbeweise ihn fast das Leben kosten. Den beiden gelingt die Flucht nach Bangkok, aber ihre Verfolger sind ihnen dicht auf den Fersen ...Richard Calder entwirft eine düstere Zukunftswelt, in der Gelüste nach Sex, Schmerz und Macht die Existenz der Menschheit aufs Spiel setzen. Ein temporeich erzählter, fesselnder Roman über den Versuch einer unmöglichen Liebe im Cyborgzeitalter.
Autorenporträt
Calder, RichardRichard Calder, geboren 1956 in London, lebte mehrere Jahre in Thailand und auf den Philippinen. Er veröffentlichte zahlreiche Science-Fiction-Erzählungen und Romane, darunter The Twist, Malignos und Impacto. Tote Mädchen ist der erste ins Deutsche übertragene Roman.

Dath, DietmarDietmar Dath, 1970 geboren, ist Autor und Übersetzer. Er war Chefredakteur der Zeitschrift Spex und von 2001 bis 2007 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit September 2011 ist er dort Filmkritiker. Dietmar Dath veröffentlichte fünfzehn Romane, außerdem Bücher und Essays zu wissenschaftlichen, ästhetischen und politischen Themen, darunter die Streitschrift Maschinenwinter (2008) und die BasisBiographie Rosa Luxemburg (2010). Jüngst ist Dietmar Dath auch als Dramatiker und Lyriker in Erscheinung getreten. Er lebt in Freiburg und Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.2012

Das Eigenleben der Puppe
Richard Calder erzählt in seinem Science-Fiction-Roman von einer fleischgewordenen Männerphantasie

Vielleicht hat Rilke sich getäuscht, und es verhält sich genau umgekehrt: Das Schreckliche ist nichts als des Schönen Anfang. Dies würde auf einer weniger oberflächlichen Ebene erklären, warum viele Menschen sich zum Horror- oder Science-Fiction-Genre hingezogen fühlen, denen doch gemeinhin der Ruch des Halbseidenen anhaftet. Obwohl Werke von Poe und Lovecraft, von Bram Stoker, Jules Verne und Mary Shelley, von Alfred Kubin oder H. G. Wells längst Eingang in den bildungsbürgerlichen Kanon gefunden haben, scheut das anspruchsvolle Publikum deren Nachfolger meist wie der Teufel das Weihwasser.

Mit Ausnahme von Stephen King führen Schriftsteller, die sich im Bereich des Phantastischen tummeln, ein Schattendasein, was die feuilletonistische Aufmerksamkeit betrifft. Zu einem Gutteil liegt das daran, dass Romane und Erzählungen, die sich mit dem namenlosen Schrecken der menschlichen Seele beschäftigen, oft in als kommerziell verschrieenen Verlagen erscheinen; und leider appelliert die Mehrzahl dieser blutrünstigen Titel tatsächlich an die niedersten Instinkte einer Leserschaft, die im Eskapismus billigen Nervenkitzel und wohligen Grusel sucht.

Umso bemerkenswerter ist es, dass der Suhrkamp Verlag, dessen "Phantastische Bibliothek" dem wagemutigen Büchernarr immerhin seit 1976 das Fürchten lehrte, sich seit einigen Jahren anschickt, die Spreu vom Weizen auch in der zeitgenössischen Phantastik zu trennen. Mit Richard Calders "Tote Mädchen" präsentiert der Verlag nun einen Meilenstein des Postcyberpunk. Diese Weiterentwicklung eines Subgenres der Science-Fiction, das in William Gibsons "Neuromancer" (1984) und in Neal Stephensons "Snow Crash" (1992) seine wohl bekanntesten Vertreter findet, entwirft sinistre Fortschreibungen des Informationszeitalters, in denen die möglichen Konsequenzen der virtuellen Realität, der Nanotechnologie, der Informatik und der Gentechnik zu Ende gedacht werden.

In Calders Roman, der den Auftakt einer Trilogie bildet, geht es in erster Linie um das Thema der künstlichen Intelligenz, vor allem um die Frage, ob künstliche Wesen wie die titelgebenden toten Mädchen ein Eigenleben führen und liebesfähig sind. Die fünfzehnjährige Primavera Bobinski ist eine dieser sogenannten "Lilim", eine selbsternannte Tochter Liliths, die Gestalt gewordene Versuchung in Form einer Puppe. Ein heimtückisches Virus hat sie mit Beginn der Pubertät in einen vampiristischen, lüsternen Cyborg verwandelt, unmenschlich und attraktiv zugleich. Sie ist die Ausgeburt einer pervertierten Männerphantasie und zugleich die perfekte Verkörperung der männlichen Kastrationsangst. In ihr verbinden sich Eros und Thanatos zum Traumpaar einer aus dem Ruder gelaufenen Psychoanalyse. Gemeinsam mit dem ihr verfallenen Puppenjunkie Ignatz Zwakh, dem Ich-Erzähler, konnte Primavera aus London fliehen, das im Jahr 2071 unter der Ägide einer rassistischen "Reinheitsfront" steht. Dort lauert man den Lilim mit Skalpell und Mundschutz auf, um der grassierenden Puppenplage mittels brutaler Doktorspiele Herr zu werden. Augenscheinlich gefährdet die Seuche die Existenz der gesamten Menschheit, denn Männer, die sich von dem außer Kontrolle geratenen Sexspielzeug infizieren lassen, zeugen immer nur noch weitere Puppen.

Primavera und Ignatz haben sich bis in die Pornokratie Bangkoks durchgeschlagen, wo sie den Rivalen einer Unterwelt-Matrone aus dem Weg räumen sollen. Doch während sie ihrer tödlichen Berufung nachgehen, geraten sie in die Fänge des Amerikaners Jack Morgenstern, der droht, sie an die britische Regierung auszuliefern. Ihnen bleibt nur, abermals Reißaus zu nehmen und schließlich Primaveras Ursprünge zu ergründen, was sie zur verräterischen Porzellankönigin Titania ebenso wie in die neuroelektrische Uhrwerkwelt des Automatenbauers Toxicophilous führt. Auch ein gewisser Spalanzani spielt dabei eine Rolle, dessen Name nicht ganz zufällig an eine Figur aus E. T. A. Hoffmanns schwarzromantischem Kunstmärchen "Der Sandmann" erinnert; diese wiederum basiert auf einem italienischen Universalgelehrten, der auf dem Gebiet der künstlichen Befruchtung forschte.

Überhaupt spart Calder in seinem mit nur wenig wissenschaftlichem Kauderwelsch angereicherten Roman, der weit mehr zu bieten hat als spannende Unterhaltung, nicht mit geistreichen Anspielungen und Verweisen. Der 1956 in London geborene Autor greift nicht nur das in der Literatur des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts weitverbreitete Automatenmotiv wieder auf, er zitiert auch Charles Dickens, "Pinocchio" oder die verstörenden Puppenporträts Hans Bellmers herbei, lässt das obszöne Werk des Georges Bataille anklingen und integriert religions- und philosophiegeschichtliche Aspekte mühelos in das Geschehen.

Der zusehends surrealer werdende Plot seines im Original vor zwanzig Jahren erschienenen Romans wirft unterdessen viele Fragen auf, die keine einfachen Antworten zulassen: Kann es in einer herzlosen Welt Liebesgeschichten geben? Lohnt es sich, auf verlorenem Posten zu kämpfen? Und ist Primavera, die einen vermeintlichen Abklatsch des Lebens darstellt, ein Spiegelbild ohne Original, am Ende womöglich nicht vitaler, sinnlicher und schöner in ihrem Aufbegehren gegen Fremdbestimmung und Auslöschung als wir alle? Wer sich in "Tote Mädchen" verguckt, bekommt zumindest eine Ahnung davon, dass der Mensch im Grunde eine traurige Maschine ist.

ALEXANDER MÜLLER

Richard Calder: "Tote Mädchen". Roman.

Aus dem Englischen von Hannes Riffel. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 242 S., br., 11,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alexander Müller kann es nur begrüßen, dass der Suhrkamp Verlag sich des vor 20 Jahren im englischen Original erschienenen Romans "Tote Mädchen" von Richard Calder annimmt, führt das Horror- und Science-Fiction-Genre bei uns doch ein eher halbseidenes Schattendasein. Erzählt wird die Geschichte um die Puppe Primavera, die, durch ein Virus zum "Cyborg" geworden, um ihre Existenz und um die Liebe kämpft, wie wir erfahren. Nicht nur der sich in ungeahnte surreale Höhen schraubende Plot fesselt den Rezensenten gewaltig, er sieht hier auch höchst gekonnt mit dem literarischen Motiv des Automaten gespielt und mit Zitaten und Anspielungen an Werke von E. T. A. Hoffman, Hans Bellmer oder George Bataille anknüpfen. Hier werden zudem existentielle Fragen angeschnitten, auf die keine schlichten Antworten gegeben werden, lobt Müller noch, der sich über die geistreiche Unterhaltung freut.

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