Tel Aviv, ein stickiger Sommerabend: Ein bekannter Schriftsteller ist zu einer Lesung eingeladen. Was werden seine Leser, was wird sein Publikum ihn fragen? Das Übliche? Warum schreiben Sie? Sind Ihre Bücher autobiographisch? Was wollten Sie uns mit Ihrem letzten Roman sagen? Was wird er antworten? Das Übliche? Oder wird er sich den Erwartungen widersetzen? Amos Oz erzählt in seinem neuen Roman von einem bekannten Schriftsteller an einem stickigen Sommerabend in Tel Aviv, von der Liebesnacht danach, von den Menschen, die ihm begegnen, bis die Geschichten, die sie alle haben oder haben könnten, sich entfalten und miteinander verknüpfen, bis das, was sich ereignet, und das, was sich hätte ereignen können, ununterscheidbar werden. Verse auf Leben und Tod ist die unkonventionelle Antwort des großen Erzählers Amos Oz auf die Frage nach dem subversiven Wechselspiel von Leben und Literatur.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2008Aus dem Geschäft der Gauner
Amos Oz zeigt, wie das mit der Schriftstellerei so funktioniert
Hier schreibt ein stöhnender und ein lachender Autor. Hier schreibt einer auch zum eigenen Vergnügen eine Lektion über die Finten und Phasen der Phantasie. Der Vollblutschriftsteller Amos Oz gibt Einblick in sein Metier. Er zeigt, wie das mit der Schriftstellerei so funktioniert. Thematisch geht es ums Ganze, um Leben und Tod, um Wahrheit und Fiktion, um Erotik und Enttäuschung, um das verdammt weitschweifige und unzuverlässige Geschäft mit der Imagination. Einige seiner Kollegen haben sich an ähnlichen Offenbarungsspielen verschätzt und sind wie Philip Roth, Updike oder Martin Walser in Fallen gestolpert, die in der Kritik dann „Altmännermurks” oder so ähnlich heißen. Männer um die siebzig sind wohl besonders gefährdet. Doch der neunundsechzigjährige Amos Oz hat einen unschlagbaren Vorteil, er besitzt Selbstironie und Humor.
Ausgangspunkt für dieses Kammerspiel ist eine alltägliche Situation. Eine Lesung im Schunja Schor Kulturzentrum in Tel Aviv. Das Publikum wird den Autor mit den üblich öden Fragen malträtieren: „Warum schreiben Sie? Warum gerade in dieser Weise? Wollen Sie Ihr Leben verändern, und wenn ja – im welchem Sinne?” Auch deshalb hat der Schriftsteller keine Lust, zur Lesung zu gehen. Er sitzt in einem nahegelegenen Café und mustert Po und Beine der Kellnerin, beobachtet, wie sich der Rand ihres Slips verzieht und sagt zu sich selbst: „Das reicht jetzt, oder?” Aber es fängt erst an. Er gibt dieser Frau den Namen Riki, denkt sich ihre erste Liebe zu Charlie, einem Ersatztorwart und Lanciafahrer, aus, und als das Desaster nach dem ersten gemeinsamen Wochenende in einem Hotel am Meer vorbei ist, das Rührei aufgegessen, die Zigarette geraucht, ist Riki bereits vierundzwanzig Jahre alt und würde zu so einem Dussel wie Charlie niemals ins Auto steigen. Am Nachbartisch sitzen zwei Männer. Der Schriftsteller gibt ihnen Berufe (Vertreter für Haartrockner), hört, was für einen Quatsch sie über erfolgreiche Menschen, über Geld und wie man es verdient sagen, lässt sie über einen krebskranken Freund reden. Der Schriftsteller zündet sich wieder eine Zigarette an, und es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich das Krankenzimmer des Sterbenden vorzustellen.
Mitfühlend und erbarmungslos
Im Kulturzentrum schwitzen seine Leser. Der Kulturbeauftragte begrüßt ihn, witzelt über die Verspätung. „Ihr hättet doch ohne mich anfangen können”, sagt der Schriftsteller, eingezwängt zwischen einem Literaturexperten und der Vorleserin Rochele Resnik. Er macht sein seriösestes Gesicht, geht anstatt zuzuhören, was da Kluges über sein Werk gesagt wird, seinem „Gaunermetier” nach und „beklaut” das Publikum. Er nimmt sich, was er sieht. Er gibt den Personen Namen, erfindet Biographien, stellt sich die Fragen: „Warum bist du heute abend hier? Wem nutzen deine Geschichten, warum schreibst du eigentlich”, und so selbstquälerisch weiter.
Amoz Oz behandelt seinen Schriftsteller mitfühlend, aber erbarmungslos. Er bestimmt, dass er einsam und ein wenig arrogant ist und natürlich nach einem solch langweiligen Abend keine Lust hat, nach Hause zu gehen. Es folgt eine ziemlich komische Verführungsepisode, in der Oz die kleinen Idiosynkrasien der vom Autor bedrängten Vorleserin Rochele Resnik aufdeckt und den Autor als einen Don Juan von der gefährdeten Sorte. Es ist ein Hin und Her, sie will ihn nicht, will ihn doch, lügt, ihr Kater, den sie schließlich im Bad einsperrt, ist an allem schuld, er sieht ihre Verlegenheit und ihr zugeknöpftes Baumwollnachthemdchen. Nachts zurück auf dem Weg zu seiner Wohnung überfallen ihn die Gedanken an den sterbenden Mann, der längst einen Namen, einen Beruf, ein Bankkonto, eine Familie hat, und er läuft gegen einen gespannten Draht, verletzt sich, ist aber viel zu sehr mit seiner Geschichte und mit Sätzen wie „nicht Leben und Tod kamen gemeinsam auf die Welt, sondern Sexualität und Tod” beschäftigt, um zu bemerken, dass sein Hemd zerrissen ist und Blut fließt, das ihm Rochele Resnik später abtupfen wird.
Amos Oz hält die Grenze zwischen Realität und Imagination flirrend, und der Leser ist sich nicht so sicher, ob der von Amos Oz erfundene Autor oder gar der Autor Amos Oz selbst mit Rochele Rosnik im Bett gelegen hat. Aber dann, bevor man der Verwirrungskunst endgültig auf den Leim geht, sagt der Schriftsteller, dass ihn mitten in der Nacht, als er bei Rot die Straße überquerte, die Idee gekommen sei, Charlie, den ehemaligen Ersatztorwart, der einmal der Freund der Kellnerin Riki gewesen ist, an das Bett des Sterbenden zu schicken. Bei einer allerletzten Zigarette sagt er noch einmal den „Vers von Leben und Tod” vor sich hin, den ein gewisser Zefanja Beit-Halachmi geschrieben hat. Der, wie im angehängten Personenverzeichnis zu lesen ist, eigentlich Abraham Schuldenfrei heißt und ein populärer israelischer Liedtexter ist, den es gibt oder niemals gegeben hat.
Amos Oz, Autor der unvergesslichen „Geschichte von Liebe und Finsternis”, schreibt über das Handwerk des Schriftstellers. Eine geglückte, mit herrlicher Ironie geschriebene Epistel über das Spiel von Sein und Schein.
VERENA AUFFERMANN
AMOS OZ: Verse auf Leben und Tod. Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 120 Seiten, 16,80 Euro.
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Amos Oz zeigt, wie das mit der Schriftstellerei so funktioniert
Hier schreibt ein stöhnender und ein lachender Autor. Hier schreibt einer auch zum eigenen Vergnügen eine Lektion über die Finten und Phasen der Phantasie. Der Vollblutschriftsteller Amos Oz gibt Einblick in sein Metier. Er zeigt, wie das mit der Schriftstellerei so funktioniert. Thematisch geht es ums Ganze, um Leben und Tod, um Wahrheit und Fiktion, um Erotik und Enttäuschung, um das verdammt weitschweifige und unzuverlässige Geschäft mit der Imagination. Einige seiner Kollegen haben sich an ähnlichen Offenbarungsspielen verschätzt und sind wie Philip Roth, Updike oder Martin Walser in Fallen gestolpert, die in der Kritik dann „Altmännermurks” oder so ähnlich heißen. Männer um die siebzig sind wohl besonders gefährdet. Doch der neunundsechzigjährige Amos Oz hat einen unschlagbaren Vorteil, er besitzt Selbstironie und Humor.
Ausgangspunkt für dieses Kammerspiel ist eine alltägliche Situation. Eine Lesung im Schunja Schor Kulturzentrum in Tel Aviv. Das Publikum wird den Autor mit den üblich öden Fragen malträtieren: „Warum schreiben Sie? Warum gerade in dieser Weise? Wollen Sie Ihr Leben verändern, und wenn ja – im welchem Sinne?” Auch deshalb hat der Schriftsteller keine Lust, zur Lesung zu gehen. Er sitzt in einem nahegelegenen Café und mustert Po und Beine der Kellnerin, beobachtet, wie sich der Rand ihres Slips verzieht und sagt zu sich selbst: „Das reicht jetzt, oder?” Aber es fängt erst an. Er gibt dieser Frau den Namen Riki, denkt sich ihre erste Liebe zu Charlie, einem Ersatztorwart und Lanciafahrer, aus, und als das Desaster nach dem ersten gemeinsamen Wochenende in einem Hotel am Meer vorbei ist, das Rührei aufgegessen, die Zigarette geraucht, ist Riki bereits vierundzwanzig Jahre alt und würde zu so einem Dussel wie Charlie niemals ins Auto steigen. Am Nachbartisch sitzen zwei Männer. Der Schriftsteller gibt ihnen Berufe (Vertreter für Haartrockner), hört, was für einen Quatsch sie über erfolgreiche Menschen, über Geld und wie man es verdient sagen, lässt sie über einen krebskranken Freund reden. Der Schriftsteller zündet sich wieder eine Zigarette an, und es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich das Krankenzimmer des Sterbenden vorzustellen.
Mitfühlend und erbarmungslos
Im Kulturzentrum schwitzen seine Leser. Der Kulturbeauftragte begrüßt ihn, witzelt über die Verspätung. „Ihr hättet doch ohne mich anfangen können”, sagt der Schriftsteller, eingezwängt zwischen einem Literaturexperten und der Vorleserin Rochele Resnik. Er macht sein seriösestes Gesicht, geht anstatt zuzuhören, was da Kluges über sein Werk gesagt wird, seinem „Gaunermetier” nach und „beklaut” das Publikum. Er nimmt sich, was er sieht. Er gibt den Personen Namen, erfindet Biographien, stellt sich die Fragen: „Warum bist du heute abend hier? Wem nutzen deine Geschichten, warum schreibst du eigentlich”, und so selbstquälerisch weiter.
Amoz Oz behandelt seinen Schriftsteller mitfühlend, aber erbarmungslos. Er bestimmt, dass er einsam und ein wenig arrogant ist und natürlich nach einem solch langweiligen Abend keine Lust hat, nach Hause zu gehen. Es folgt eine ziemlich komische Verführungsepisode, in der Oz die kleinen Idiosynkrasien der vom Autor bedrängten Vorleserin Rochele Resnik aufdeckt und den Autor als einen Don Juan von der gefährdeten Sorte. Es ist ein Hin und Her, sie will ihn nicht, will ihn doch, lügt, ihr Kater, den sie schließlich im Bad einsperrt, ist an allem schuld, er sieht ihre Verlegenheit und ihr zugeknöpftes Baumwollnachthemdchen. Nachts zurück auf dem Weg zu seiner Wohnung überfallen ihn die Gedanken an den sterbenden Mann, der längst einen Namen, einen Beruf, ein Bankkonto, eine Familie hat, und er läuft gegen einen gespannten Draht, verletzt sich, ist aber viel zu sehr mit seiner Geschichte und mit Sätzen wie „nicht Leben und Tod kamen gemeinsam auf die Welt, sondern Sexualität und Tod” beschäftigt, um zu bemerken, dass sein Hemd zerrissen ist und Blut fließt, das ihm Rochele Resnik später abtupfen wird.
Amos Oz hält die Grenze zwischen Realität und Imagination flirrend, und der Leser ist sich nicht so sicher, ob der von Amos Oz erfundene Autor oder gar der Autor Amos Oz selbst mit Rochele Rosnik im Bett gelegen hat. Aber dann, bevor man der Verwirrungskunst endgültig auf den Leim geht, sagt der Schriftsteller, dass ihn mitten in der Nacht, als er bei Rot die Straße überquerte, die Idee gekommen sei, Charlie, den ehemaligen Ersatztorwart, der einmal der Freund der Kellnerin Riki gewesen ist, an das Bett des Sterbenden zu schicken. Bei einer allerletzten Zigarette sagt er noch einmal den „Vers von Leben und Tod” vor sich hin, den ein gewisser Zefanja Beit-Halachmi geschrieben hat. Der, wie im angehängten Personenverzeichnis zu lesen ist, eigentlich Abraham Schuldenfrei heißt und ein populärer israelischer Liedtexter ist, den es gibt oder niemals gegeben hat.
Amos Oz, Autor der unvergesslichen „Geschichte von Liebe und Finsternis”, schreibt über das Handwerk des Schriftstellers. Eine geglückte, mit herrlicher Ironie geschriebene Epistel über das Spiel von Sein und Schein.
VERENA AUFFERMANN
AMOS OZ: Verse auf Leben und Tod. Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 120 Seiten, 16,80 Euro.
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»Eine melancholische Erwägung über das Verhältnis der Literatur zum Leben, eine frank die Grenze zum Albernen überschreitende Satire.« Friedmar Apel Frankfurter Allgemeine Zeitung