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In diesen »Überlebensübungen« rekapituliert Jorge Semprún die prägenden Situationen und Erfahrungen seiner frühen Jahre. Er fragt: Wie kann einer überleben, der jeden Moment damit rechnen muss, verhaftet zu werden? Und nicht nur überleben, sondern überdies politisch handeln, verschiedene Missionen als Kämpfer der Résistance ausführen, und zwar in beständiger Todesgefahr? Dabei rückt Semprún eine Erfahrung in den Mittelpunkt, die den moralischen Glutkern seines gesamten späteren Denkens und Schreibens bilden sollte - die Erfahrung der Folter. Mit unverstelltem Blick für das Schlimme nähert sich…mehr

Produktbeschreibung
In diesen »Überlebensübungen« rekapituliert Jorge Semprún die prägenden Situationen und Erfahrungen seiner frühen Jahre. Er fragt: Wie kann einer überleben, der jeden Moment damit rechnen muss, verhaftet zu werden? Und nicht nur überleben, sondern überdies politisch handeln, verschiedene Missionen als Kämpfer der Résistance ausführen, und zwar in beständiger Todesgefahr? Dabei rückt Semprún eine Erfahrung in den Mittelpunkt, die den moralischen Glutkern seines gesamten späteren Denkens und Schreibens bilden sollte - die Erfahrung der Folter. Mit unverstelltem Blick für das Schlimme nähert sich Semprún diesen qualvollen, nicht erzählbaren und deshalb umso bedrohlicheren Momenten seiner Vergangenheit, in Andeutungen und Evokationen von bleibenden Schreckensreflexen. Und behauptet so - auch dies eine fundamentale Einübung ins Überleben - die unveräußerliche Würde des Einzelnen gegen den menschenverachtenden Lärm, den Furor der Geschichte.
Autorenporträt
Semprún, JorgeJorge Semprún wurde am 10. Dezember 1923 in Madrid geboren. Mit 14 Jahren musste er bei Beginn des spanischen Bürgerkrieges mit seiner Familie nach Paris fliehen. Dort besuchte er das Lycée Henri IV und studiert Philosophie an der Sorbonne. 1941 trat er unter dem Pseudonym 'Gérard' der kommunistischen Résistance-Bewegung 'Francs-Tireurs et Partisans' bei. Die deutsche Gestapo verhaftete ihn 1943, und Semprun wurde in das KZ Buchenwald deportiert. Nach der Befreiung 1945 kehrte er nach Paris zurück. Ab 1953 koordinierte er als Mitglied des ZK der spanischen Exil-KP im Geheimen den Widerstand gegen das Franco-Regime in Paris. Unter dem Pseudonym Federico Sánchez arbeitete er zwischen 1957 und 1962 im Untergrund der kommunistischen Partei im franquistischen Spanien. 1964 wurde er wegen Abweichung von der Parteilinie aus der KP ausgeschlossen. Seitdem widmete sich Semprun seiner schriftstellerischen Tätigkeit. In den sechziger Jahren wurde er erstmals als Drehbuchautor b

ekannt; mit berühmten Filmen wie beispielsweise La guerre est finie (Der Krieg ist aus) von 1966, Z von 1968 und L'aveu (Das Geständnis) von 1970. Nach seiner Amtszeit als spanischer Kultusminister von 1988 - 1991 lebte Jorge Semprún bis zu seinem Tod (2011) in Paris.

Moldenhauer, EvaEva Moldenhauer, 1934 in Frankfurt am Main geboren, war seit 1964 als Übersetzerin tätig. Sie übersetzte Literatur und wissenschaftliche Schriften französischsprachiger Autoren ins Deutsche, u.a. von Claude Simon, Jorge Semprún, Marcel Mauss, Mircea Eliade, Gilles Deleuze und Lévi-Strauss. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis und dem Paul-Celan-Preis. Eva Moldenhauer verstarb am 22. April 2019.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Unter dem Titel "Überlebensübungen" ist nun das letzte Buch des im Jahre 2011 verstorbenen Schriftstellers Jorge Semprun erschienen, berichtet Rezensent Andreas Platthaus, der diesen autobiografischen Lebensrückblick mit großer Anteilnahme gelesen hat. Semprun berichte in diesem unvollendeten Werk von seinem Stolz, das Konzentrationslager überlebt zu haben, von seinem Widerstand gegen die Nazis und später gegen Franco, etwa als geheimer Chef der Kommunistischen Partei in Spanien. Neben Enttäuschungen und Widerständen, die Semprun auch in den eigenen Reihen erlebte, liest der Kritiker hier auch bewegende, poetisch schöne Reflexionen des großen Autors, dem es darüber hinaus mit seinem Buch ein Anliegen war, seinen Mitstreitern, etwa Henri Frager, wieder ein Gesicht und eine Geschichte zu geben. Dieses beeindruckende Buch kann der Rezensent nur unbedingt empfehlen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2013

Der Mann, der die Opfer ins Licht setzt

Das letzte Buch von Jorge Semprun erscheint auf Deutsch. In "Überlebensübungen" zieht er die Summe seines verfolgten Lebens im zwanzigsten Jahrhundert.

Heute vor 75 Jahren tobte der staatlich organisierte Mob in Deutschland, verhaftete, verletzte und ermordete Menschen, zündete Synagogen an und fühlte sich dabei großmächtig. Aus den Nachbarstaaten blickte man fassungslos zu, aber durch das Münchner Abkommen hatte man wenige Wochen zuvor Hitler freie Bahn gegeben. Gegen das Großdeutsche Reich und die anderen totalitären Regime in Europa standen nur noch Einzelpersonen, die Demokratie schien besiegt.

Aus diesem Erlebnis resultiert die grundlegende Erfahrung des späteren Widerstands gegen die nationalsozialistische Herrschaft, egal, wo und wie er stattfand: Misstrauen auch gegen die, die denselben Gegner bekämpften. Als Jorge Semprun, der 1923 geborene Sohn einer spanischen Politikerfamilie, sich 1942 im Pariser Exil dem Widerstand gegen die deutschen Besatzer anschloss, wurde er unter dem Decknamen "Gérard" Bote des Résistance-Führers Henri Frager alias "Paul", der in Kooperation mit den Briten Waffen nach Frankreich schmuggeln ließ. Doch seine englischen Verbündeten waren ängstlich darum bemüht, die Weitergabe dieser Lieferungen an andere Widerstandsgruppen zu verhindern, obwohl die eigenen Verstecke immer wieder verraten wurden. Nachdem er von der Gestapo festgenommen worden war, wurde Semprun mit Gummiknüppeln gefoltert, die aus solchen verratenen und beschlagnahmten Lieferungen stammten. Davon erzählt er in seinem letzten Buch, "Überlebensstrategien", das er 2005 begonnen hatte, aber nicht mehr beenden konnte. Semprun starb nach schwerer Krankheit 2011 in seiner Lebensstadt Paris.

Das Werk dieses Schriftstellers ist ein durch und durch autobiographisches, selbst in Romanen wie "Algarabia", das 1981 als erstes rein fiktionales Werk ausgegeben wurde. Sein Leben ließ Semprun nicht los, und man könnte vermuten, seine Leiden täten dies gleichfalls nicht, denn nach Festnahme und Folter wurde er Anfang 1944 nach Buchenwald deportiert, wo er fünfzehn Monate im Konzentrationslager überlebte und Henri Frager wiedertraf, der dort ermordet werden sollte. Doch es ist nicht das Leid, was seineBücher prägt, auch nicht die jetzt auf Deutsch erschienenen "Überlebensübungen".

Es ist der Stolz, überlebt zu haben. Der Überlebende ist für Semprun das, was für dessen Gegenfigur der Homo sacer ist - die Symbolfigur des zwanzigsten Jahrhunderts. Sempruns Überlebender ist Mitglied einer Gemeinschaft aus lauter Individualisten, die gegen die Nazis gekämpft haben oder später gegen Franco - er selbst wirkte bis 1962 fast zehn Jahre lang als geheimer Chef der Kommunistischen Partei in Spanien. Am Schluss aber war er auch dort wieder isoliert, nicht nur durch den Feind, und nach der Rückkehr ins französische Exil wurde er 1964 aus der Partei ausgeschlossen. Die Missachtung eines Kollektivs für die ihm angehörenden Überzeugungstäter und Überlebenkünstler ist prägender für Sempruns Weltsicht gewesen als die Schmerzen, die er erdulden musste. Und doch: In einer der vielen bewegenden Passagen seiner "Überlebensübungen" schreibt er: "Damit sie einen Sinn hat, fruchtbar wird, muss man in der entsetzlichen Einsamkeit der Marter das Wir-Ideal postulieren, eine unaufhörlich zu verlängernde, zu rekonstruierende, zu erfindende gemeinsame Geschichte." Das ist eine persönliche Poetik, festgehalten im letzten Buch.

Es war größer geplant, fertig geworden ist nur der erste Teil mit den Erlebnissen im Widerstand, besonders gegen die Nationalsozialisten. Als Semprun nach dem Krieg bei einem Abendessen, dass das Schauspielerpaar Simone Signoret und Yves Montand gab, auf André Dewavrin traf, der unter dem Tarnnamen "Oberst Passy" die gaullistischen Widerstandsaktionen in Frankreich organisierte, wollte der Schriftsteller wissen, warum damals die Waffen nicht an alle Feinde der Deutschen verteilt worden sind. Seine Antwort: Man habe für den Fall eines deutschen Abzugs einen kommunistischen Staatsstreich befürchtet. Für die Überlegungen der großen Politik und einen mutmaßlichen Geschichtsverlauf wurden die Einzelnen geopfert.

Es ist bezeichnend, dass dieses Gespräch bei Simone Signoret stattfand, jener Schauspielerin, die in dem grandiosen Résistance-Drama "Armee im Schatten" von Jean-Pierre Melville 1969 eine Widerstandskämpferin spielte. Melville war im Zweiten Weltkrieg selbst im Untergrund und erzählt in seinem Film die Geschichte eines großen heroischen Scheiterns - das jener Menschen, die Semprun alle gekannt hatte. Doch "Armee im Schatten" ist keine Untergangserzählung, sondern im buchstäblichen Sinne ein Lichtspiel. Kein anderer Film lässt den Widerstand derart strahlen.

Jorge Sempruns Fragment gebliebene und doch großartige "Überlebensübungen" sind wie dieser Film. Er setzt Lichter, wo wir nur Dunkel vermutet hätten. Über dem Lager von Buchenwald staunt der Häftling das Blau des Himmels an, und noch die schrecklichsten Ereignisse finden jeweils an strahlenden Tagen statt, wobei Semprun bewusst damit spielt, ob das der meteorologischen oder seiner subjektiven Wahrheit entspricht. Er schneidet sein Buch auch wie einen Film, mit vielfach ineinander verschachtelten Rück- und Ausblicken, mit assoziativen Fortsetzungen, die sich an Worten und Gesten halten. Und an Gesichter, denn wieder ist es sein hehrstes Ziel, die einzelnen Akteure dem Grau des Geschehens zu entreißen.

In einer seiner letzten Äußerungen, im Jahr vor seinem Tod, hat Semprun in einem Gespräch die "Überlebensübungen" als auf das Leitthema der Folter gegründet bezeichnet. Das stimmt und trifft es doch nicht ausreichend. In der Tat gibt es atemraubende Erörterungen zu diesem gemeinsamen Geheimnis der Überlebenden, der Erinnerung an die Folter. Es war der todgeweihte Henri Frager, der in Buchenwald zu Semprun von "einer Art fröhlichem Entsetzen" sprach, das man nach der Befreiung beim Zusammensitzen empfinden werde, wenn die Welt geteilt sein würde in Nichtgefolterte und überlebende Gefolterte.

Dass ein solches Bild überhaupt ausgemalt werden konnte, ist Resultat des entsetzlichen zwanzigsten Jahrhunderts. Nicht, dass zuvor nicht gefoltert und ermordet worden wäre, aber dass jemand, der von sich als Überlebender spricht, sich dieses Überleben nur als Gefolterter vorstellen kann, ist grässlich. Die anderen, so muss man aus Fragers Bemerkung folgern, dürfen sich nicht als Überlebende bezeichnen. Es ist Sempruns Verdienst als Schriftsteller, dass er diese Rigidität konterkariert durch ein Überlebensmodell, dass aus einer Gemeinschaftlichkeit resultiert, in die auch jene einbegriffen sind, die nicht ergriffen und gefoltert worden sind. Die Erfahrung eines wie auch immer gearteten Widerstands aber gehörte auch für ihn als entscheidendes Erlebnis dazu. Wer nur angepasst lebt, ist kein Überlebender.

ANDREAS PLATTHAUS

Jorge Semprun: "Überlebensübungen".

Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 112 S., geb., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Er schneidet sein Buch auch wie einen Film, mit vielfach ineinander verschachtelten Rück- und Ausblicken, mit assoziativen Fortsetzungen, die sich an Worten und Gesten halten.« Andreas Platthaus Frankfurter Allgemeine Zeitung 20131109