Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 35,00 €
  • Gebundenes Buch

Thomas Brasch, Dichter, Dramatiker, Filmschaffender und Übersetzer, ist eine der markantesten Figuren der jüngeren deutschen Literatur. Neue deutsche Dichtung, die von Goethe, Heine, Brecht, von Spruch und Lied herkommt, hat in ihm ihren Meister gefunden - und viel zu früh verloren. Vom Widmungs- und Gelegenheitsgedicht über Ballade und Lied bis hin zu Stückcollage und Fototext - die "Gesammelten Gedichte" ermöglichen es zum ersten Mal, sich ein umfassendes Bild des im Verlauf von 40 Jahren entstandenen lyrischen Werks zu machen. In zeitlicher Folge enthält die Ausgabe sämtliche zu Lebzeiten…mehr

Produktbeschreibung
Thomas Brasch, Dichter, Dramatiker, Filmschaffender und Übersetzer, ist eine der markantesten Figuren der jüngeren deutschen Literatur. Neue deutsche Dichtung, die von Goethe, Heine, Brecht, von Spruch und Lied herkommt, hat in ihm ihren Meister gefunden - und viel zu früh verloren. Vom Widmungs- und Gelegenheitsgedicht über Ballade und Lied bis hin zu Stückcollage und Fototext - die "Gesammelten Gedichte" ermöglichen es zum ersten Mal, sich ein umfassendes Bild des im Verlauf von 40 Jahren entstandenen lyrischen Werks zu machen. In zeitlicher Folge enthält die Ausgabe sämtliche zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte - darunter Raritäten wie die in der Reihe "Poesiealbum" veröffentlichte Sammlung von 1975, Braschs einzige DDR-Publikation von Gedichten, oder "Kargo. 32". "Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu kommen" aus dem Jahr 1977. Hinzukommen die verstreut veröffentlichten Gedichte, die für diesen Band zusammengetragen wurden. Ferner zahlreiche Texte aus dem Nachlaß, unbekannte und bereits veröffentlichte. Unter Verwendung von Selbstaussagen bietet der Kommentar - mit Nachweisen zur Textgenese, Erläuterungen zu Namen, Widmungen, biographischen Details und Zitaten - umfangreiche Zusatzinformationen zu jedem Gedicht.
Autorenporträt
Thomas Brasch, Dichter, Dramatiker, Filmschaffender und Übersetzer, eine der markantesten Figuren der neuen deutschen Literatur, wurde 1945 in Westow/Yorkshire (England) als Sohn jüdischer Emigranten geboren. Bis zu dem Jahr, in dem er die DDR verließ (1976), lebte er in Ostberlin. 1977 erschien sein bekanntestes Buch, der Erzählband Vor den Vätern sterben die Söhne. 2001 ist er in Berlin gestorben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als nomadisierenden Odysseus erkennt Rezensent Michael Braun Thomas Brasch in den hier erstmals vereinten "Gesammelten Gedichten" wieder. Was die Herausgeberinnen Martina Hanf und Kristin Schulz nach, wie Braun anerkennend erwähnt, jahrelanger Recherche in den Archiven an nie gelesener Brasch-Lyrik zutage fördern und knapp textkritisch begleiten, bedeutet dem Rezensenten ferner die Paradoxien eines Lebens ohne Halt, eines Lebens auf der Flucht, wie in den "Sindbad"-Texten oder dem Zyklus "Papiertiger". Die ebenfalls enthaltenen späten Gedichte wieder zeigen Brasch bei der poetischen Selbsterkundung, bewegend und anrührend, meint Braun.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2013

Ein Wind fegt durch verstaatlichte Gehirne

Das Lied war sein lyrisches Element: Erstmals liegen die Gedichte von Thomas Brasch vollständig vor. Der umfangreiche Band zeigt einen Poeten in der Nachfolge von Brecht bis Jim Morrison.

Eine Lebensgeschichte, wie sie die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts schrieb: Thomas Brasch wurde 1945 als Sohn jüdischer Emigranten in Großbritannien geboren. Seine Eltern waren in der Exil-KPD tätig und siedelten nach Kriegsende in die Sowjetische Besatzungszone um. Der Vater machte politische Karriere in der DDR, der Sohn Thomas wurde 1956 zusammen mit 250 anderen ausgewählten Söhnen von SED-Funktionären in die Kadettenschule der Nationalen Volksarmee in Naumburg (Saale) aufgenommen; "fast wie ein Gefängnis", schrieb Brasch später über diese Institution.

Gegen Ende der Schulzeit und zu Beginn des Journalistik-Studiums an der Karl-Marx-Universität in Leipzig häuften sich Schwierigkeiten, wurde Brasch rebellisch, exmatrikuliert, begann ein neues Studium, diesmal der Dramaturgie, wurde von der Staatssicherheit beobachtet und schließlich wegen "staatsfeindlicher Hetze" gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Danach arbeitete er als Handwerker und versuchte, mit seiner Literatur Geld zu verdienen. Gefördert wurde er von Heiner Müller, aber auch von Helene Weigel, die ihm eine Anstellung am Brecht-Archiv verschaffte. 1975 erschien unter Schwierigkeiten "Poesiealbum", sein einziger Gedichtband in der DDR, Theaterstücke wurden kurz vor der Aufführung gestoppt. Nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann verlässt Brasch die DDR.

Im Westen angekommen, hat er zunächst große Erfolge mit den Erzählungen "Vor den Vätern sterben die Söhne" und dem Gedichtband "Der schöne 27. September". Brasch dreht Filme wie "Engel aus Eisen", der in Cannes präsentiert wird. Er übersetzt für das Theater, Tschechow und vor allem Shakespeare, aber in diesen späten Jahren und auch nach der Wiedervereinigung entstehen nur noch wenige eigene Texte. Im Jahr 2001 starb Thomas Brasch. Er liegt in Berlin auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof begraben.

Intensiv war Braschs Leben auch im Privaten. Er hatte einen Sohn mit der Liedermacherin Bettina Wegner, für die er Texte schrieb, lebte mit Katharina Thalbach zusammen, der er wunderbare Liebesgedichte widmete, kümmerte sich mit um ihre Tochter Anna Thalbach.

Brasch gehört zu jener Generation, die den Sozialismus nicht mehr als "Hoffnung auf das Andere" erfahren hat, sondern nur noch als "deformierte Realität", so hat es Heiner Müller festgestellt. In einem frühen Gedicht fragt Brasch: "Wer sind wir eigentlich noch. / Wollen wir gehen. Was wollen wir finden. / Welchen Namen hat dieses Loch, / in dem wir, einer nach dem andern, verschwinden." Er erzählt die Geschichte eines Kommunisten, der nacheinander die Bilder von Lenin, Stalin, Pieck und Ulbricht an der Wand auf- und wieder abhängte, dann das Bild seiner Frau, zuletzt einen Spiegel, in den er hineinsah: ",Wer ist das', schrie er, / ,kann man denn nie allein sein.'" Wer sich immer nur über Außengrößen definiert, besitzt kein Ich mehr. Allerdings konnte Brasch mit der westlich-liberalen Gesellschaft ebenso wenig anfangen wie mit dem real existierenden Sozialismus. Er sprach vom "Gestank der Demokratie" und wusste, dass er mit seinen Worten dem Westen nichts sagen konnte, was dieser verstand. So kann Brasch in einem Gedicht, geschrieben kurz vor dem Verlassen der DDR, feststellen: "Wer die Mauern durchbricht, ist verloren", aber auch: "Wer die Mauern nicht durchbricht, ist verloren."

Dieser Verlorene schrieb von seiner Jugend bis zu seinem Tod Gedichte, die nun erstmals vollständig in einem Band vorliegen, unter Einbezug sehr vieler bisher unveröffentlichter Texte aus dem Nachlass, mit Anmerkungen versehen und schön gestaltet. Lediglich der Titel dieser Sammlung ist unpassend, denn er suggeriert, dass es sich um eine Art neo-expressionistischen Dichter handelt, während Braschs bemerkenswerteste Leistungen auf dem Gebiet des Liedes liegen. Hier kommt es zu einer sehr interessanten Mischung, denn einerseits ist Brecht die große Bezugsfigur für Brasch. So spricht die Suhrkamp-Lektorin und Dichterin Elisabeth Borchers in einem Brief von der "selbstverständlichen Einfachheit" der Sprache Braschs, die sie so nach Brecht nie mehr erlebt habe. Aber Brasch nahm genauso amerikanische Rockmusik auf, also die intensivste Fortsetzung der Lieddichtung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Bob Dylan, Jim Morrison, Jimi Hendrix und andere sind seine Helden.

Aus diesen Einflüssen ergeben sich eigene Bild- und Sprachmischungen. Brasch stellt sich eine helle Nacht in Berlin vor dem KaDeWe vor, in der Stevie Wonder gespielt und Brecht gelesen wird, während das Ich das Knie seiner Geliebten bewundert. Rockmusik vitalisiert ihn so, dass er ausrufen kann: "Halleluja, der Wind. Er fegt durch unsere verstaatlichten Hirne." Im Gedicht "Der schöne 27. September" beschreibt das Ich, was es alles nicht getan hat, und schließt: "Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht."

Beim Lesen denkt man an die Fortschreibung solcher Lieder etwa durch Rainald Grebe, der in seinem Song "Es ist gut" am Ende eines Tages feststellen kann: "Und ich hab wieder nicht die Welt gerettet." Brasch hat ein starkes Bewusstsein davon, Glied einer solchen Kette von Liedsängern zu sein. Darin konnte er Zugehörigkeit erfahren, befreit von der Last seiner Person: "Bin das Lied, bin nicht der Sänger", heißt es im Gedicht "Jim Morrison".

DIRK VON PETERSDORFF

Thomas Brasch: "Die nennen das Schrei". Gesammelte Gedichte.

Hrsg. von Martina Hanf und Kristin Schulz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 1030 S., geb., 49,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2014

Halt’s Maul, einzelner Vogel, du
Liebeslieder, immer wieder: Thomas Braschs „Gesammelte Gedichte“ sind voller Wut, Scherz, Shakespeare, Brecht und Heine
Im allerersten Gedicht gibt es ein einzelnes Sprengstoffwort, in dem alles verdichtet ist, was den auf tausend Seiten nachfolgenden Dichterkosmos ausmacht: „Ich bin der Sterbewitz“, sagt das lyrische Ich des Dichters, Schriftstellers, Theater- und Filmemachers Thomas Brasch. Aber wie geht ein Sterbewitz? Bringt er den Erzähler um oder den Zuhörer? Verhöhnt und überflügelt er den Tod, zwingt er zum Totlachen oder zum Ernstwerden, ist er ein scharfer Beißer oder doch eher ein melodramatischer Galgenvogel? Das Gedicht jedenfalls, das Brasch 1991 als Vorspiel zu seiner Bearbeitung von „Romeo und Julia“ veröffentlichte, mündet in shakespearehaft abgründiger Komik: „„Ihr seid das Volk. Ich bin’s, der euch verhetzt. / Ich heiß: The Fool. Das wird nicht übersetzt.“
  Das Volk, das sind die anderen. Mit dem Ost-Wir und dem West-Wir will Brasch, der sich auf den skeptischen Beobachterspuren von Brecht und Heiner Müller bewegt, nichts zu tun haben. Nach der Wiedervereinigung zieht er sich jahrelang zurück, um an seinem Prosaband „Mädchenmörder Brunke“ zu arbeiten; den mahnenden Schriftstellergroßsprecher hat er nie gegeben. Geboren 1945 in England als Sohn jüdischer Emigranten, wächst er von 1946 an in der sowjetischen Besatzungszone auf. Der Vater, Horst Brasch, arbeitet am Aufbau des Sozialismus und wird in der DDR stellvertretender Kulturminister. Der Sohn rebelliert ein Leben lang, gegen den Vater, die DDR, die Bundesrepublik. Nachdem er 1976 als einer der Ersten die Petition gegen die Biermann-Ausbürgerung unterzeichnet hat, siedelt er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Katharina Thalbach nach West-Berlin über.
  Jetzt werden seine Stücke, wie „Lovely Rita“ oder „Rotter“, mit großem Erfolg im Westen inszeniert. 2001 stirbt er, 56 Jahre alt, in Berlin; die letzten Jahre hat er am Schiffbauerdamm gewohnt, vergraben in seine „Brunke“-Fassungen. Vielleicht muss man das alles noch einmal ins Gedächtnis rufen, denn leider ist Brasch nie so berühmt geworden wie viele seiner literarisch deutlich weniger wagemutigen Kollegen.
  Brasch hat tatsächlich immer unter „einem Himmel aus Stahl“ geschrieben, so steht es 1977 in seinem Prosaband „Vor den Vätern sterben die Söhne“; sein Tonlage war dabei gar nicht so sehr bitterironischer Art, sondern eher beschwingt aggressiv, ohne den Anflug von Resignation, der dem Bitterironischen anhaftet. Es gibt, gerade in den Gedichten, einen fast schon foolishen Schwung, der die Wut in etwas anderes übersetzt – und oft steckt dieser Schwung im Reim; genauer gesagt, in einem metrisch verknappten Schlussvers: „das hemd ist schon zerrissen / die haut ist längst zerfetzt / wenn wir doch sterben müssen / dann jetzt“, heißt es schon 1974 im „Hahnenkopf“-Gedicht über die Weinsbergschlacht; und das klingt, als ob das knappe „dann jetzt“ den gesamten gescheiterten Bauernkrieg mit einem einzigen Knall in die Luft fliegen ließe.
  Der Reim kann, manchmal in balladenhafter Heine-Manier, alles aufheben, wenn es um Leben und Tod geht; oder umgekehrt den vermeintlich freischwebenden Humor über eine scharfe Klinge springen lassen – wie im dreigroschenopernden „Fortschrittstango“ von 1986: „Sie müssen essen, sie müssen trinken / sie wollen nicht verderben, / denn nichts tun sie weniger gern / als sterben“. Dieses lyrische Ich war ein wütender, aber eben auch ein komischer Vogel, und wenn er sich zu den „Missionaren des Zorns“ (ein Gedicht von 1965) zählte, dann bezog sich das auf Musik, auf Jazz und auf einen Rhythmus, der das Gegenteil von glatt war. Seine Liebesgedichte kreisen oft in entrückt-ironischen Heine-Sphären, und manchmal wird die Liebe zum „Diebesgut“, gestohlen der „Weltenkammer voll Hass und Wut“.
  In den mehr als tausendseitigen „Gesammelten Gedichten“ kann man sich durch sämtliche Umlaufbahnen des Lyrikers Brasch hindurchlesen, durch die bekannten und die unbekannten. Die Herausgeberinnen Martina Hanf und Kristin Schulz veröffentlichen sowohl die bislang unpublizierten Gedichte aus dem Nachlass als auch die bereits zu Lebzeiten erschienenen Bände wie das „Poesiealbum“, „Kargo“ oder „Der schöne 27. September“.
  Im 1977 erschienenen Kargo-Band waren allerdings die unterschiedlichsten Textgattungen vertreten, und so finden sich in diesen „Gesammelten Gedichten“ unter anderem auch Bühnenstücke wie „Lovely Rita“ wieder, nebst Prosatexten und Fotodokumenten. Der sorgfältige, weit ausholende Anmerkungsteil der Herausgeberinnen dürfte dabei Brasch-Spezialisten wie auch Brasch-Neuentdeckern zugutekommen; das 1968 veröffentlichte Gedicht „Vom Pflanzen und Ernten“, erfährt man dort, sei im Ost-Berliner Oktoberklub zur Melodie von Bob Dylans „Masters of War“ gesungen worden.
  Fast ein Drittel dieses fabelhaften Ziegelsteins gilt dem unbekannten Dichter, den die Herausgeberinnen aus den Dokumenten des Thomas-Brasch-Archivs geborgen haben. In den dreihundert teils erstveröffentlichten Gedichten aus den Jahren 1960 bis 2001 scheinen nacheinander der Verliebte, der Shakespeare-Süchtige und der Todestheoretiker in den Vordergrund zu treten, manchmal auch alle zusammen; Widmungs- und Gelegenheitsgedichte von eher dokumentarischem oder anekdotischen Interesse sind auch darunter.
  Mitreißend sind Braschs Gedichte aber vor allem dann, wenn der Wütende, der Verliebte und der Fool aufeinandertreffen: „Halts Maul, du einzelner Vogel, du“, flucht einer, der doch selber ein einzelner Vogel ist, und weiter: „singst dich in Schlaf, bringst mich um Ruh / du schreist nach der neuen Jahreszeit / ich liege im Bett. Das ist zu breit.“
JUTTA PERSON
  
Thomas Brasch: Die nennen das Schrei. Gesammelte Gedichte. Herausgegeben von Martina Hanf und Kristin Schulz. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 1030 Seiten, 49,95 Euro.
Brasch-Gedichte wurden in Ost-
Berlin mit Dylan-Musik unterlegt
  
  
  
Thomas Brasch ,
geboren 1945 in England, gestorben 2001
in Berlin. Hier eine Aufnahme aus dem
Jahr 1977.
Foto: Ursula Röhnert
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
"Mitreißend sind Braschs Gedichte ... vor allem dann, wenn der Wütende, der Verliebte und der Fool aufeinandertreffen."
Jutta Person, Süddeutsche Zeitung 22.04.2014