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Im Herbst des Jahres 1951 tritt eine »kettenrauchende Meerfrau mit Engelhaar, die mehr flüsterte als sprach« in die Hörspielabteilung des amerikanischen Besatzungssenders Rot-Weiß-Rot in Wien ein. Ingeborg Bachmann, so der Name der jungen Frau, wird für die nächsten beiden Jahre das Unterhaltungsprogramm des Senders prägen und die Radiofamilie Floriani zur bekanntesten und beliebtesten Sendung der Nachkriegszeit machen. Sie sind bürgerlich, und sie sind verschroben, die Florianis: Da ist Hans, der Paterfamilias, Oberlandesgerichtsrat und ehrenhaft bis in die Knochen. Von den rotzfrechen…mehr

Produktbeschreibung
Im Herbst des Jahres 1951 tritt eine »kettenrauchende Meerfrau mit Engelhaar, die mehr flüsterte als sprach« in die Hörspielabteilung des amerikanischen Besatzungssenders Rot-Weiß-Rot in Wien ein. Ingeborg Bachmann, so der Name der jungen Frau, wird für die nächsten beiden Jahre das Unterhaltungsprogramm des Senders prägen und die Radiofamilie Floriani zur bekanntesten und beliebtesten Sendung der Nachkriegszeit machen. Sie sind bürgerlich, und sie sind verschroben, die Florianis: Da ist Hans, der Paterfamilias, Oberlandesgerichtsrat und ehrenhaft bis in die Knochen. Von den rotzfrechen Kindern wird er um den Finger gewickelt: »Ich bin eine komische Figur in meiner Familie«, beklagt er sich bei seiner Frau Vilma, Generalstochter aus dem Ersten Weltkrieg, »also ein bisserl etwas Höheres«, und in dieser Frage nicht gewillt, dem Herrn Gemahl zu widersprechen. Strenger geht sie da schon mit dem Onkel Guido ins Gericht, dem Halbbruder des Oberlandesgerichtsrats. Er war ein Nazi, aber ein kleiner, der sonst nichts angestellt hat. »Nur ein Trottel, der auf den Hitler hereingefallen ist.« Woche für Woche kommen sie zusammen und verhandeln mit viel Witz und Ironie den Kalten Krieg, die Entnazifizierung, den beginnenden Wiederaufbau - und neben dem großen auch das kleine Geschehen im Nachkriegsösterreich. Lange galten die von Ingeborg Bachmann verfaßten Skripte als verloren. In diesem Band sind sie nun, zusammen mit einem ausführlichen editorischen Nachwort des Herausgebers, erstmals publiziert.
Autorenporträt
Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wurde durch einen Auftritt vor der Gruppe 47 als Lyrikerin bekannt. Nach den Gedichtbänden Die gestundete Zeit (1953) und Anrufung des Großen Bären (1956) publizierte sie Hörspiele, Essays und zwei Erzählungsbände. Malina (1971) ist ihr einziger vollendeter Roman. Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.
Joseph McVeigh ist Professor für Germanistik am Smith College in Northampton, Massachusetts. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der deutschen und österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts sowie auf den deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen nach 1945.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2011

Das Faustische in Onkel Guido

In den fünfziger Jahren hat Ingeborg Bachmann für den Hörfunk das satirische Porträt einer Wiener Sippe entworfen. Nun liegt "Die Radiofamilie" in kommentierter Ausgabe vor.

Ingeborg Bachmann ist als Dichterin des Schmerzes und der Einsamkeit, als große Leidende in die Literaturgeschichte eingegangen. Ihre Tendenzen zur Selbstzerstörung und ihr schrecklicher früher Tod erschienen in solcher Mythisierung beinahe als Konsequenz ihrer Dichtung, als ob auch ihr auf Erden nicht zu helfen gewesen wäre. Obwohl sie vielfach als selbstbewusste und fröhliche Person wahrgenommen und geliebt wurde und obwohl sie selbst gelegentlich ziemlich robust mit ihren Liebhabern umging, hat sie das Bild einer vom fürchterlichen Vater und unverständigen Männern ruinierten zarten Seele nicht wenig befördert.

Dazu passt, dass sie ihre Autorschaft von fünfzehn Folgen der "Radiofamilie", einer im Nachkriegsösterreich populären Rundfunksendung, weitgehend verschwiegen hat. Bei dem amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot habe sie lediglich "mit dem Rotstift in der Hand", also als Lektorin oder Redakteurin, gewirkt. Umso mehr erscheint es als Ironie der Literaturgeschichte, dass die von ihr verfassten Skripte zu der Sendung nun wie ein klassisches Werk, nämlich in einer nach allen Regeln der textphilologischen Kunst edierten und kommentierten Ausgabe, vorliegen.

Die Kollegen beim Radio waren seinerzeit erstaunt, dass die gerade von der Universität gekommene "kettenrauchende Meerfrau mit Engelhaar" sofort ein "untrügliches Gefühl" für das Medium entwickelte, obwohl sie angeblich nie Radio hörte. Der akribisch ermittelnde Herausgeber Joseph McVeigh vom Smith College in Massachusetts erklärt sich das mit eifriger Lektüre der im Sender vorhandenen amerikanischen Standardwerke zum "Radio-Writing" und dem seinerzeit noch neuartigen Muster der Seifenoper.

Plausibler aber ist, dass die vielfältig belesene Fünfundzwanzigjährige auf eine Wiener Tradition zurückgegriffen hat, nämlich auf die dialektgefärbten Dialoge von Johann Nestroys Possen, auf Arthur Schnitzlers alltagssprachliche Episodendramatik und die satirische Zitiertechnik von Karl Kraus, mit der im heimeligen Wiener Tonfall die Bösartigkeit zutage trat. Der Bezug zum Theater war von vornherein auch dadurch gegeben, dass man als Sprecher populäre Schauspieler, vorwiegend von der Josefsstädter Bühne, einsetzte. Da sie ihre Vornamen behalten durften, waren sie für Wiener Theaterbesucher leicht kenntlich, was sicherlich zum Erfolg der Sendung beigetragen hat.

Die Florianis wurden als Durchschnittsfamilie konzipiert, deren Hintergrund mit der österreichischen Geschichte verknüpft ist. Der Vater Hans ist ein Musterbild des korrekten Bürgers, ein paternalistischer, aber freundlicher Familienvater, er repräsentiert das anständige Österreich der Vorkriegszeit, das nicht auf dem Heldenplatz zum Jubeln antrat. Sein Bruder Guido, ein "trauriges Kapitel" der Familiengeschichte dagegen, war Nazi, wenngleich nur a bisserl. Obwohl er sich als Opfer Hitlers begreift, verspürt er gelegentlich noch das Faustische in sich. Mutter Vilma ist eine Generalstochter aus Kroatien, nicht emanzipiert, sie war auch "noch nie auf einer Cocktail-Party", aber doch dem Neuen gegenüber aufgeschlossen. In den Kindern Helli und Wolferl kommen die aktuellen Konflikte aus der Schule in die familiäre Diskussion. Selbst das Schnurli, das Wickelkind der Familie, hat seine Funktion in der satirischen Darstellung der Zeitungsastrologie und der neueren Erziehungsmethoden.

Es war der Auftrag der Sendung, "die optimistischen Gedanken der Nachkriegszeit, in amüsanten Geschichten verpackt", im Hinblick auf die Vorteile einer demokratischen und liberalen Gesellschaft darzustellen. Ingeborg Bachmann hat sich daran aber nicht immer gehalten, auch abgesehen von wiederkehrenden Dialogen zur Nazizeit. In der Folge "Der D.P." geht es zum Beispiel um das Schicksal von "displaced persons", dargestellt an einem Serben, dessen Eltern von Ustascha-Leuten erschossen wurden. "Die Serben haben mich geprügelt und die Kroaten und die Deutschen auch." Obwohl er in Wien wenigstens von der Polizei als Mensch behandelt worden ist, lässt man ihn doch fühlen, dass er ein "schäbiger Balkanese" ist. Vom "goldenen Wienerherz" habe er nichts wahrgenommen. Da weiß auch der böhmische Herr Wotruba etwas beizutragen. Als er nach Wien gekommen sei, habe er "auch Gefiehle gehabt wie eine displazierte Person". So entschloss er sich zum Helfen, schließlich "stammens alle aus dem Vielvelkerreich, das was man mutwillig zerschlagen hat".

Das nachhaltige Interesse der Skriptschreiberin aber gilt der modernen Kunst und Literatur. Außenpolitik, Innenpolitik und Lokales werden bei der Zeitungslektüre vom Sprecher mit "brrrr" oder "ts" kommentiert, nur Kunst und Kultur seien "was für uns". Im Herrn Panigl, einer Figur wie von Karl Kraus, der mit Hans Sedlmayr den "Verlust der Mitte" beklagt, zeigt die Autorin den bürgerlichen Affekt gegen die moderne Kunst, gepaart mit einem nationalistischen Denken in Stereotypen: "das kommt wahrscheinlich von den Franzosen, wo ich schon gelesen habe, dass ihre Dichter, wenn man sie überhaupt so nennen kann, Säufer waren". In einer späteren Folge ist dann die moderne Kunst schon in der Gesellschaft angekommen. Die Kunstausstellung wird sogar durch einen Ministeriumsvertreter eröffnet, allerdings mit vielen "Äh". Zur "Abstraktion in Blau" will Vater Hans aber doch lieber nichts sagen. Aber auch was sich die vorbeiziehenden Betrachter vor den Bildern "Gscheits" erzählen, erinnert ein wenig an Clemens Brentanos Capriccio der frühbürgerlichen Missverständnisse vor Caspar David Friedrichs "Mönch am Meer".

Viele der Themen von Ingeborg Bachmanns Folgen der "Radiofamilie" tauchen in ihrem späteren Werk wieder auf. Bereits in der ersten ihrer Frankfurter Vorlesungen von 1960 beschäftigt sie sich kritisch mit den Thesen von Sedlmayr. So erscheint in "Die Radiofamilie" keine sensationell neue Seite der Autorin. Aber wie sie sich mit leichter Hand eine Wiener Tradition des humoristischen und satirischen Schreibens aneignet, ist jenseits der verhandelten zeitgeschichtlichen Probleme interessant und auch für den heutigen Leser noch vergnüglich.

FRIEDMAR APEL

Ingeborg Bachmann: "Die Radiofamilie".

Herausgegeben von Joseph McVeigh. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 414 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.06.2011

Der wirre Guido, Tochter Helli und das dunkle Österreich
Verschollen geglaubt, nun erstmals ediert: Ingeborg Bachmanns Texte für eine Radio-Soap beim amerikanischen Sender „Rot-Weiß-Rot“ 1952/53
„Die Dame da mit den langen schwarzen Haaren und den Hosen“, das war das Idealbild der frühen Ingeborg Bachmann als Künstlerin. Wir wissen das jetzt, weil immer mehr apokryphe Schriften der großen ätherischen Dichterin ans Tageslicht kommen, Texte, die ihre spätere Selbstzensur nicht passieren durften. Aber wenn sie so schön sind wie die nunmehr aufgefundenen Funkmanuskripte, akzeptieren wir diese Selbstzensur und ahnen, dass das Ätherische dieser Dichterin dadurch nur noch gesteigert werden kann.
„Sie ist sehr chic, ganz ungekämmte Haare, toll, fast wie die Magnani“: das sagt die knapp siebzehnjährige Helli in der damals kultisch rezipierten österreichischen Radio-Soap „Die Radiofamilie“. Sie sagt es über die dem Atonalen und dem Abstrakten huldigende Hanna. Diese Hanna verkörpert offenkundig alles, woran Ingeborg Bachmann in den frühen fünfziger Jahren laborierte und was in ihr auf den großen Aufbruch wartete. Während sie das tat, schrieb sie aber rasch noch fünfzehn Folgen jener Serie für den Sender „Rot-Weiß-Rot“.
Bisher wusste man nur, dass Ingeborg Bachmann bei diesem Sender eine Zeitlang als „Skript-Girl“ arbeitete. Später spielte sie diese Tätigkeit herunter und sprach eher nebenbei von „Redigieren“. Dass sie aber durchaus aktiv als Autorin tätig war, hat sie geflissentlich verschwiegen. Und nachdem der ORF im Jahre 1955 die österreichischen Rundfunkgeschäfte übernommen und die meisten Hinterlassenschaften des US-Besatzungssenders „Rot-Weiß-Rot“ stillschweigend ausgesondert hatte, konnte sie auch davon ausgehen, dass die „Radiofamilie“ nicht mehr auffindbar war. Im Nachlass ihres in den neunziger Jahren verstorbenen damaligen Kollegen Jörg Mauthe indes fanden sich die Typoskripte der verschollen geglaubten frühen Folgen dieser Serie.
Man hat die einprägsamen Bilder vor Augen, die von Ingeborg Bachmann kursieren: wie neben ihr der zeitweilige Freund Max Frisch unentwegt in die Schreibmaschine haut und Seite für Seite herauszieht, während sie vor einem einzigen leeren Blatt sitzt und es mit jedem Typenhieb Frischs schwerer wird, ein einziges Wort zustande zu bringen. Man kennt das magische Gedicht „Ihr Worte“, in dem sie den Schreibvorgang als ein unmögliches, nicht zu beherrschendes Wagnis beschwört. Und nun wird man damit konfrontiert, dass in den Jahren 1952 und 1953 fünfzehn Mal am Montag beschlossen wurde, sie habe bis zum Freitag ein Manuskript für eine halbstündige Radiosendung abzuliefern – und sie diesem Auftrag nachkam. Sie scheint da keinerlei Schreibblockaden und Wortfindungsprobleme gehabt zu haben. Fast wirkt es so, als habe sich Bachmann von ihren hochfliegenden künstlerischen Ansprüchen beim Schreiben dieser Szenen sogar erholt.
Das Familienoberhaupt, Dr. Hans Floriani, ist Oberlandesgerichtsrat und ein integrer, verantwortungsbewusster Mensch, der sich, um die Sache ins Lustige zu kippen, mit Vorliebe eines verzwirbelten Amtsdeutschs befleißigt. Seine Frau Vilma ist mit allen Eigenschaften des Wiener Bürgertums ausgestattet, dabei aber tolerant. Das Gegenüber bildet Hans’ Bruder Guido, der als ein etwas wirrer Phantast und verrückter Erfinder auftritt und Situationskomik garantiert. Dass Guido eine Nazi-Vergangenheit hat, wird einmal kurz offengelegt – da er aber ein nicht sonderlich ernstzunehmender, versponnener Typ ist, ist sogar das zu verkraften. Der volkspädagogische Auftrag, der einem amerikanischen Besatzungssender zwangsläufig innewohnte, verbindet sich in der Figur des Guido mit einer hübschen österreichischen Möglichkeit, die Vergangenheit zu thematisieren und sich dabei zu entlasten. Vielleicht spielte Ingeborg Bachmann in ihrer Guido-Version auch eine Form durch, die Geschichte ihres Vaters zu thematisieren - in dieser Zeit, mit 26 Jahren, wirkt das verblüffend unbeschwert.
Die Kinder von Hans und Vilma, die fast 17-jährige Helli und das zwölfjährige Wolferl, geben Gelegenheit zu allerlei pädagogischen Exkursen. Es ist schön, von Ingeborg Bachmann auch einmal Sätze wie die folgenden zu lesen, sie legt sie dem Vater Hans im Gespräch mit seiner Frau in den Mund: „Überdies bitte ich dich auch, gelegentlich ein wachsames Auge auf unsere plötzlich schnell heranwachsende Tochter zu haben. Ihr Gesicht bekommt immer mehr diesen seltsamen Ausdruck sentimentaler Verblödung.“
Hochfahrende Exegeten könnten hier schnell einen selbstironischen Kommentar zu anderen inoffiziell hinterlassenen Texten der Autorin entdecken, zu den frühen „Briefen an Felician“ etwa. Interessant ist das sich hier rasch entwickelnde Rollenverständnis Ingeborg Bachmanns allemal.
Im Mai 1952, ein Vierteljahr nach ihrer ersten „Radiofamilien“-Folge, hatte sie ihren ersten Auftritt bei der Gruppe 47 in Deutschland, wo sie als sensible Lyrikerin Furore machte und mit zitternder Stimme zarte Zeilen las. Ein Jahr später, wenige Monate vor ihrem letzten Serien-Beitrag, erhielt sie bereits den begehrten Preis der Gruppe 47 und hatte ein gänzlich anderes Autorinnen-Profil bekommen, als es die handwerklich geschickte und augenzwinkernd-hemdsärmelige österreichische Soap-Opera nahelegte. Es überlappen sich in dieser Zeit also mehrere Selbstentwürfe, und man sollte die vermeintlich triviale dabei nicht unterschätzen. Es gibt hier kompliziert aufeinander bezogene Energiezentren.
Die Autorin verleugnet ihre Interessen in den Radiotexten keineswegs. Besonders einprägsam ist eine Folge, in der sie eine „Displaced Person“, einen in den Zeitläuften nach 1945 versprengten serbischen Partisanen, auftreten lässt, der an der Tür der Florianis geschmuggelte Stoffe feilbietet und dabei, während ihn der pflichtbewusste Richter Hans verhört, seine Lebensgeschichte offenbaren muss. Durch die vermeintlich negative, gaunerhafte Balkanfigur hindurch treten plötzlich die Verhängnisse des zwanzigsten Jahrhunderts in den Mittelpunkt der Sendung.
Und dass dieser Herr Mihailowitsch mit jenem Czernowitz in Verbindung gebracht wird, aus dem Paul Celan stammte, ist eine der untergründigen Botschaften dieses Textes, die nur etwas mit dem Schreibprozess selbst zu tun haben und für die Zeitgenossen nicht zu entschlüsseln waren. Es ist eine für das Österreich der fünfziger Jahre und für ein Massenpublikum recht mutige Folge, genauso wie jene Episode über eine Kunstausstellung, in der die moderne Kunst mit der Wiener Konsensfamilie Floriani auf sympathische Weise kurzgeschlossen wird.
Manchmal scheint Ingeborg Bachmann hier ihr späteres Rollenbild persiflierend vorwegzunehmen. In der Kunst-Folge taucht eine „Inge“ auf, die einer der Künstler „wieder einmal ausführen“ möchte, und auf der Hühnerfarm des Onkels Guido fällt unvermittelt der anzügliche Satz: „Du, Tante, die Ingeborg hat ihr erstes Ei gelegt . . .“. Man kannte bisher einige wenige Briefe von Ingeborg Bachmann, in denen ebenfalls diese Lust spürbar war, in eine andere Haut zu schlüpfen, die Identität zu vertauschen – an Wolfgang Hildesheimer etwa hat sie einmal mit einem erfundenen italienischen Künstlernamen unterzeichnet.
Es handelt sich für sie um eine Zwischenzeit, in der es spürbar gärt und in der sich die Aggregatzustände ändern. Als sie im bundesdeutschen Literaturbetrieb reüssiert, lässt Ingeborg Bachmann das süße Wiener Mädel schnell hinter sich. Die Botschaft der „Radiofamilie“ aber ist, dass etwas davon immer in ihr steckte.
HELMUT BÖTTIGER
INGEBORG BACHMANN: Die Radiofamilie. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Joseph McVeigh. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 410 Seiten. 24,90 Euro.
Das Schreiben dieser
österreichischen Soap–Opera
ging ihr leicht von der Hand
Ingeborg Bachmann (zweite von links) als Script-Writerin beim Besatzungssender „Rot-Weiß-Rot“ in Wien 1953 Foto: Sammlung Ingeborg Bachmann/Suhrkamp Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Gerne wüsste Judith von Sternburg etwas mehr über die genauen Zusammenhänge dieser jetzt zur Verblüffung der Nachwelt aus den Archiven aufgetauchten frühen Radioarbeiten der später für anderes berühmten Ingeborg Bachmann. Hier geht es - bis 1953 unter Beteiligung Bachmanns - recht soapmäßig und im Sinne der Reedukation um eine Wiener Familie mit Namen Floriani. Das nicht immer tadellose Verhalten der Nazis kommt vor, sehr vieles jedoch ist einfach dialogisch beschriebenes Leben im Wiener Nachkriegs-Alltag. Wie stark sich die hier versammelten, von Bachmann (mit)geschriebenen Episoden von den anderen unterscheiden, ist dem Band zu von Sternburgs Bedauern nicht zu entnehmen. Sehr viel mehr als eine "Brotarbeit" sei das ohnehin nicht, allerdings auf literarisch deutlich höherem Niveau als etwa unsere Sonntags-Soap namens "Lindenstraße".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Was sofort ins Auge fällt: wie unglaublich geschickt die Serie konzipiert war. Ihre Kollegen sprechen im Rückblick sogar von 'Genie'.«
Ina Hartwig, DIE ZEIT 26.05.2011