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Als »Logbücher« legen sich diese Gedichte dem Leser vor, als Sehnlieder, Arien und Stille-Etüden bewegen sie sein Gemüt, als »süße Vögel« ziehen sie über ihn hinweg. Dann wieder gaukeln sie als »Schmetterlinge im unentwegten Landeversuch«, und das Denken erscheint für Sekunden als verführerisch leicht. Oder aber sie tropfen ihm auf den Scheitel, wie eine unwiderstehliche Flanke, und verwandeln sich - in ein »gottverlassenes Goal«.

Produktbeschreibung
Als »Logbücher« legen sich diese Gedichte dem Leser vor, als Sehnlieder, Arien und Stille-Etüden bewegen sie sein Gemüt, als »süße Vögel« ziehen sie über ihn hinweg. Dann wieder gaukeln sie als »Schmetterlinge im unentwegten Landeversuch«, und das Denken erscheint für Sekunden als verführerisch leicht. Oder aber sie tropfen ihm auf den Scheitel, wie eine unwiderstehliche Flanke, und verwandeln sich - in ein »gottverlassenes Goal«.
Autorenporträt
Robert Schindel, geboren 1944 in Bad Hall bei Linz, ist Lyriker, Autor, Regisseur. Die Zeit des Nationalsozialismus überlebte er als Kind jüdischer Kommunisten in Wien. Er war Wortführer der radikalen Studentenbewegung Kommune Wien und Mitbegründer der Gruppe Hundsblume. 2009 wurde er als Professor an die Wiener Universität für angewandte Kunst berufen. Ausgezeichnet wurde er u.a. mit dem Erich-Fried-Preis (1993), dem Eduard-Mörike-Preis (2000), dem Preis der Stadt Wien für Literatur (2003), dem Jakob-Wassermann-Literaturpreis (2007) und dem Heinrich-Mann-Preis (2014). Werke u.a. Gebürtig. Roman (1992), Mein liebster Feind. Essays, Reden, Miniaturen (2004), Fremd bei mir selbst. Die Gedichte (2004), Mein mausklickendes Saeculum. Gedichte (2008), Man ist viel zu früh jung. Essays und Reden (2011), Der Kalte. Roman (2013).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2009

Ein ganzes Jahrhundert in Gedanken

Dieser Dichter beherrscht das ganze Instrumentarium der Poesie: Robert Schindel lässt Verse bruzzeln. Sein neuer Band zeigt die reiche Ernte eines Lyrikers, der auch den Kalauer nicht scheut.

Von Wulf Segebrecht

Mein mausklickendes Saeculum". O ja! Wir erkennen unseren Schiller wieder und genießen, gebildet, wie wir sind, die augenzwinkernde Aktualisierung des einst "tintenkleksenden Saeculums"!

Der Lyriker Robert Schindel ist mit seinen 65 Jahren zwar nicht mehr ganz so jung, wie wir uns Karl Moor vorzustellen haben (und wie Schiller war, als er "Die Räuber" schrieb), aber mit seiner Provokationslust, Innovationsfreude und Sprachgewalt darf er sich durchaus noch zu der Räuberbande derjenigen zählen, die, über die Zeiten hinweg, den eingefuchsten Denkgewohnheiten und Sprachregelungen den Kampf ansagen. Den Revoluzzer-Ton, den Kraftkerl-Auftritt hat er jedenfalls nicht nur dann drauf, wenn er "entrückt im Rotweinsee" schwimmt oder sich dem "Lustgrund der gekräuselten Scham" zuwendet. Vielmehr unterwirft er alle Themen seiner eigenwilligen Sprachzucht, die hartkantige, betont kunstfertige, elaborierte Gebilde hervorbringt. Deshalb ist der Titel seines neuen Gedichtbandes nicht nur schick und lustig, sondern zugleich überaus treffend: Schindel macht sich das althergebrachte "Saeculum" ebenso zu eigen wie das alltäglich gewordene Mausklicken; Altes und Neues, ehrwürdigste Tradition und angesagteste Trends nimmt er gleichermaßen in Besitz.

Wer Freude daran hat zu beobachten, wie der typische Schindel-Ton entsteht, der kommt bei der Lektüre dieser Gedichte reichlich auf seine Kosten. Wo sonst findet er eine solche Fülle originell zusammengefügter Hauptwörter (vom "Mundwinkelkuss" über die "Hoffnungsgirlanden" bis zur "Gedankenschlinge"), wo ein derart buntgemischtes Sortiment aus Neologismen und wienerisch-jüdischen Wörtern! Sie werden zum Teil (wie stets in Schindels Gedichtbüchern) in einem eigenen Glossar erläutert, das schon für sich allein amüsant und lesenswert ist; hier erfährt man nicht nur, dass "Geseres" so viel bedeutet wie "Geschrei, Gejammere", sondern auch, dass Schindels Auto "Ludwig" heißt und dass sich hinter der "Schüttelhütte" seine Wohnung in der Wiener Schüttelstraße verbirgt.

Es "schindelt" gewaltig in diesen Versen; selbst noch in den mit besonderer Vorliebe verwendeten Verben, die auf -eln enden (schwirbeln, wirbeln, zwirbeln, bruzzeln, beschwurbeln, zerstösseln, wimmeln, berütteln, graupeln, kuscheln, stiefeln, verfunkeln, tröpfeln, prasseln, benageln, ringeln, taumeln), ist immer ein Anklang ans "Schindeln" enthalten. Doch was oder wer dieser "Schindel" eigentlich ist, kann man keinem Glossar entnehmen; mit dieser Frage sind die Gedichte selbst beschäftigt. Es ist ihr unausgesprochenes, aber permanentes Thema. "Das Wort unausgesprochen / Unerfunden lässt / Das Herz reisen und heraufschau ich / Durch die Atemkristalle hindurch / Zu den Schindeln". Hier wird wie durch eine Signatur die Selbstbestimmung des Autors mit der Kunstleistung Paul Celans ("Atemkristall") und mit dem Schicksal der Eltern Schindels kombiniert, die als Kommunisten ins KZ verschleppt wurden. Die Mutter, Gerty Schindel, der der Band gewidmet ist, überlebte, nicht aber der Vater und mehrere Familienmitglieder. Das jüdische Stigma lässt sich durch nichts aus der Welt schaffen. "Wir ticken halt / In unserer Zeit" - so wird eine Tagung über "Die Shoa und das Lachen" bitter kommentiert. Auf Varian Fry dagegen, den amerikanischen Fluchthelfer, der 1940 bis 1942 Tausenden von Verfolgten Papiere, Geld und Wege verschaffte, um den Nationalsozialisten zu entkommen, bringt Schindel einen hochverdienten Toast aus.

So uneingeschränkt und unzweideutig spricht er aber selten. Meist verbindet sich der Ernst der mitgeteilten Selbstpositionierungen und Beobachtungen mit Ironie, Kritik und Witz. Auf seinem Arbeitstisch mit Laptop, Tastatur, Desktop und den E-Mails "bruzzelt das Informationsgulasch" und jagt ihm Furcht ein, heißt es einmal, und was auf den kollegialen Dichterlesungen und -gesprächen in Innsbruck, Paris und andernorts an Absurditäten zu hören ist, lässt sich, wie ein "Logbuch" zeigt, offenbar nur satirisch wiedergeben: "Während der Lesung / Zweier Poeten / Sammeln sich über ihnen Wörter an / Blicken den Dichtern auf den Schädel den / Jeweilig schwankenden indes / Aus dem entsprechenden Mund andere / Wörter schlüpfen und schlüpfen". Auch der gereimte "Reisevermerk" über Paderborn fällt nicht eben schmeichelhaft aus, und zu Erlangen fällt ihm nur der gängige Kalauer ein: "Wie kann in Erlangen / Eine Mütze Schlaf ich erlangen". Mit anderen Worten: Schindel gestattet seinen Versen ein erhebliches Niveaugefälle. Das ist die Kehrseite seiner stupend vielseitigen Begabung. Er ist mit Kalau (wo "die Erbsen / aus ihren Schoten springen") und mit Schilda ebenso verbunden wie mit dem Wiener Kaffeehaus Zartl und mit Birkenau. Er erzählt à la Gernhardt die banale Geschichte, die sich "Im Gasthaus zur Fremdenrast" mit einem Säufer zugetragen hat, der sich unter den Tisch getrunken hat; er, so heißt es am Ende, "nimmt seinen Hut und geht. / Es ist ja auch schon sehr spät".

Robert Schindel beherrscht das ganze Instrumentarium der Poesie: Die kühne Metapher und die lässige Alltagssprache, die freche Attacke und die müde Resignation, die gewitzte Anspielung und die raffinierte Verskunst. Die Pauke begleitet seine Lyra. Da haut er mächtig drauf. Das ergibt den typischen Schindel-Sound aus Wiener Melange, jüdischer Litanei und deutscher Wortspielakrobatik, einen herrlich disharmonischen Dreiklang, dem man sich kaum entziehen kann, wenn man sich ihm einmal ausgesetzt hat.

Robert Schindel: "Mein mausklickendes Saeculum". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 107 S., geb., 17,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als einen, der die unterschiedlichsten Register und Töne aufs Virtuoseste beherrscht, preist Rezensent Wulf Segebrecht den Dichter Robert Schindel. Aufs Neue erweise er in diesem jüngsten Band sowohl sein Können als auch seine unerschrockene Zeitgenossenschaft. Rasante Temperaturwechsel und abrupte Niveauunterschiede sind bei Schindel - zwischen Celan und Kalauer - kein Sprach-Unfall, sondern volle Absicht, so Segebrecht. Und in der Tat geht all das auf, lobt der Rezensent, verschmilzt zum Schindel-Sound, "dem man sich kaum entziehen kann, wenn man sich ihm einmal ausgesetzt hat".

© Perlentaucher Medien GmbH